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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und ThyrsostrLger.

Aber wenn Sie die Person nicht gekannt haben, welche das Porträt darstellt,
dann können Sie über seine Ähnlichkeit nicht urteilen, sagte Dr. Stahlhardt.

Diese Bemerkung ist wohl überflüssig. Was ich nicht gesehen habe, kann
ich nicht wiedererkennen, das versteht sich von selbst.

Wie? fragte der Alte, unter keiner Bedingung können Sie über die Ähn¬
lichkeit eines Bildes urteilen, wenn Sie das Original nicht vorher gesehen
haben?

Nein, sicher nicht. Eine bestimmte Erinnerung muß ich haben, sonst tappt
jede Vergleichung im Dunkeln.

Ich dachte doch, Sie könnten Schlüsse ziehen. Könnten Sie denn nicht
bei genauer und sorgfältiger Betrachtung des Porträts schließen, wie das Ori¬
ginal aussieht?

Mein Bester, ich verstehe nicht, warum Sie auf diesem Punkte so sehr be¬
harren. Es ist doch ganz klar, das; die Vergleichung zweier Dinge deren
Kenntnis voraussetzt. Vou der Ähnlichkeit eines Bildes kann ich doch nur inso¬
fern sprechen, als es dessen Übereinstimmung mit den Zügen des Originals be¬
trifft. Folglich muß ich doch das Original vor Augen oder deutlich in der
Erinnerung haben, um über die Ähnlichkeit des Bildes urteilen zu können.

Nun, ich bin vollständig Ihrer Meinung, sagte Dr. Stahlhardt lächelnd.
Gesetzt also, Sie hätten das Original deutlich in der Erinnerung, urteilten über
die Ähnlichkeit des Bildes und fänden, daß es dem Original in hohem Maße
gliche, nur mit den kleinen Mängeln, die von menschlichen Schöpfungen einmal
unzertrennlich sind, würden Sie da wohl, indem Sie diese Vergleichung an¬
stellten, etwas andres thun, als die Gleichheit zweier Gegenstände mit der ab¬
soluten Gleichheit vergleichen?

Wie so? fragte der Professor zögernd.

Wir hatten uns doch darüber verständigt, antwortete der Alte, daß die
Gleichheit etwas andres sei als die gleichen Gegenstände, indem letztere nämlich
zwar so sein wollten wie erstere, aber doch nicht absolut gleich sein könnten,
die Gleichheit selbst aber vollkommen. Wo immer ich also wahrnehme, daß
zwei Gegenstände sich relativ gleich sind, kann ich es doch nur dadurch, daß ich
ihre Gleichheit mit dem an sich Gleichen vergleiche.

Ganz recht.

Sie sagten aber selbst, daß die Vergleichung zweier Dinge deren Kenntnis
voraussetzt. Wenn ich nun irgend eine Gleichheit mit der Gleichheit an sich ver¬
gleiche, so muß ich diese selbst vor Augen oder doch eine deutliche Erinnerung von ihr
haben. Mit andern Worten: der Begriff der Gleichheit muß notwendig jeder
Beobachtung von Gegenständen hinsichtlich ihrer Gleichheit vorausgegangen sein.
Keine noch so sorgfältige Betrachtung zweier Gegenstände kann uns zu dem
Schlüsse führen, sie seien einander durch Gleichheit näher oder ferner stehend,
wenn die Kenntnis der Gleichheit nicht vorausgegangen ist.


Grenzboten I. 1882. 8S
Bakchen und ThyrsostrLger.

Aber wenn Sie die Person nicht gekannt haben, welche das Porträt darstellt,
dann können Sie über seine Ähnlichkeit nicht urteilen, sagte Dr. Stahlhardt.

Diese Bemerkung ist wohl überflüssig. Was ich nicht gesehen habe, kann
ich nicht wiedererkennen, das versteht sich von selbst.

Wie? fragte der Alte, unter keiner Bedingung können Sie über die Ähn¬
lichkeit eines Bildes urteilen, wenn Sie das Original nicht vorher gesehen
haben?

Nein, sicher nicht. Eine bestimmte Erinnerung muß ich haben, sonst tappt
jede Vergleichung im Dunkeln.

Ich dachte doch, Sie könnten Schlüsse ziehen. Könnten Sie denn nicht
bei genauer und sorgfältiger Betrachtung des Porträts schließen, wie das Ori¬
ginal aussieht?

Mein Bester, ich verstehe nicht, warum Sie auf diesem Punkte so sehr be¬
harren. Es ist doch ganz klar, das; die Vergleichung zweier Dinge deren
Kenntnis voraussetzt. Vou der Ähnlichkeit eines Bildes kann ich doch nur inso¬
fern sprechen, als es dessen Übereinstimmung mit den Zügen des Originals be¬
trifft. Folglich muß ich doch das Original vor Augen oder deutlich in der
Erinnerung haben, um über die Ähnlichkeit des Bildes urteilen zu können.

Nun, ich bin vollständig Ihrer Meinung, sagte Dr. Stahlhardt lächelnd.
Gesetzt also, Sie hätten das Original deutlich in der Erinnerung, urteilten über
die Ähnlichkeit des Bildes und fänden, daß es dem Original in hohem Maße
gliche, nur mit den kleinen Mängeln, die von menschlichen Schöpfungen einmal
unzertrennlich sind, würden Sie da wohl, indem Sie diese Vergleichung an¬
stellten, etwas andres thun, als die Gleichheit zweier Gegenstände mit der ab¬
soluten Gleichheit vergleichen?

Wie so? fragte der Professor zögernd.

Wir hatten uns doch darüber verständigt, antwortete der Alte, daß die
Gleichheit etwas andres sei als die gleichen Gegenstände, indem letztere nämlich
zwar so sein wollten wie erstere, aber doch nicht absolut gleich sein könnten,
die Gleichheit selbst aber vollkommen. Wo immer ich also wahrnehme, daß
zwei Gegenstände sich relativ gleich sind, kann ich es doch nur dadurch, daß ich
ihre Gleichheit mit dem an sich Gleichen vergleiche.

Ganz recht.

Sie sagten aber selbst, daß die Vergleichung zweier Dinge deren Kenntnis
voraussetzt. Wenn ich nun irgend eine Gleichheit mit der Gleichheit an sich ver¬
gleiche, so muß ich diese selbst vor Augen oder doch eine deutliche Erinnerung von ihr
haben. Mit andern Worten: der Begriff der Gleichheit muß notwendig jeder
Beobachtung von Gegenständen hinsichtlich ihrer Gleichheit vorausgegangen sein.
Keine noch so sorgfältige Betrachtung zweier Gegenstände kann uns zu dem
Schlüsse führen, sie seien einander durch Gleichheit näher oder ferner stehend,
wenn die Kenntnis der Gleichheit nicht vorausgegangen ist.


Grenzboten I. 1882. 8S
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[0677] Bakchen und ThyrsostrLger. Aber wenn Sie die Person nicht gekannt haben, welche das Porträt darstellt, dann können Sie über seine Ähnlichkeit nicht urteilen, sagte Dr. Stahlhardt. Diese Bemerkung ist wohl überflüssig. Was ich nicht gesehen habe, kann ich nicht wiedererkennen, das versteht sich von selbst. Wie? fragte der Alte, unter keiner Bedingung können Sie über die Ähn¬ lichkeit eines Bildes urteilen, wenn Sie das Original nicht vorher gesehen haben? Nein, sicher nicht. Eine bestimmte Erinnerung muß ich haben, sonst tappt jede Vergleichung im Dunkeln. Ich dachte doch, Sie könnten Schlüsse ziehen. Könnten Sie denn nicht bei genauer und sorgfältiger Betrachtung des Porträts schließen, wie das Ori¬ ginal aussieht? Mein Bester, ich verstehe nicht, warum Sie auf diesem Punkte so sehr be¬ harren. Es ist doch ganz klar, das; die Vergleichung zweier Dinge deren Kenntnis voraussetzt. Vou der Ähnlichkeit eines Bildes kann ich doch nur inso¬ fern sprechen, als es dessen Übereinstimmung mit den Zügen des Originals be¬ trifft. Folglich muß ich doch das Original vor Augen oder deutlich in der Erinnerung haben, um über die Ähnlichkeit des Bildes urteilen zu können. Nun, ich bin vollständig Ihrer Meinung, sagte Dr. Stahlhardt lächelnd. Gesetzt also, Sie hätten das Original deutlich in der Erinnerung, urteilten über die Ähnlichkeit des Bildes und fänden, daß es dem Original in hohem Maße gliche, nur mit den kleinen Mängeln, die von menschlichen Schöpfungen einmal unzertrennlich sind, würden Sie da wohl, indem Sie diese Vergleichung an¬ stellten, etwas andres thun, als die Gleichheit zweier Gegenstände mit der ab¬ soluten Gleichheit vergleichen? Wie so? fragte der Professor zögernd. Wir hatten uns doch darüber verständigt, antwortete der Alte, daß die Gleichheit etwas andres sei als die gleichen Gegenstände, indem letztere nämlich zwar so sein wollten wie erstere, aber doch nicht absolut gleich sein könnten, die Gleichheit selbst aber vollkommen. Wo immer ich also wahrnehme, daß zwei Gegenstände sich relativ gleich sind, kann ich es doch nur dadurch, daß ich ihre Gleichheit mit dem an sich Gleichen vergleiche. Ganz recht. Sie sagten aber selbst, daß die Vergleichung zweier Dinge deren Kenntnis voraussetzt. Wenn ich nun irgend eine Gleichheit mit der Gleichheit an sich ver¬ gleiche, so muß ich diese selbst vor Augen oder doch eine deutliche Erinnerung von ihr haben. Mit andern Worten: der Begriff der Gleichheit muß notwendig jeder Beobachtung von Gegenständen hinsichtlich ihrer Gleichheit vorausgegangen sein. Keine noch so sorgfältige Betrachtung zweier Gegenstände kann uns zu dem Schlüsse führen, sie seien einander durch Gleichheit näher oder ferner stehend, wenn die Kenntnis der Gleichheit nicht vorausgegangen ist. Grenzboten I. 1882. 8S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/677>, abgerufen am 17.06.2024.