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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Gewerbereform im österreichischen Reichsrate.

auf eigene Rechnung nicht so wohlfeil arbeiten konnten wie das große Ge¬
schäft,

Da stehen wir nun vor dem Glaubenssätze, auf welchen die Gegner jeder
Gewerbereform sich zuletzt zurückziehen. Wir möchten ja dem kleinen Manne
gern helfen, allein es geht nicht, das Handwerk wird absorbirt von der großen
Industrie, das ist ein Naturprozeß, gegen welchen sich nicht ankämpfen läßt;
oder, wie der zuletzt erwähnte Staatsmann meint: Gegen den Konfektionär
können wir den Handwerker nicht schützen. Ja freilich ist das ein Naturprozeß,
so gut wie jener, daß, wenn man die Wälder ausrottet, die Gebirgswasser das
Land verheeren! Und dieselbe Weisheit, welche jetzt fordert, der Staat solle
teilnahmlos zuschauen, wie das Handwerk verschlungen und unter Schutt be¬
graben wird, trat ehedem für die unbegrenzte Teilbarkeit des Grundes und für
das freie Verfügungsrecht des Besitzers des Waldes ein. Was ging das den
Staat an, ob der Bauer Einbruchsstellen für den Sturm schuf und den abge¬
holzten Boden zur Trift werden ließ, oder wenn der große Grundbesitzer den
Wald dem Wucherer auslieferte? Heute wird dieses Verhältnis etwas anders
angesehen, und offenbar wartet man nur auf eine soziale Überschwemmung, um
auch die Berechtigung andrer Schutzmaßregeln anzuerkennen. Dafür wäre es
jetzt noch zu früh. Erst müssen die zugrundegegangenen kleinen Meister aus
einem naturgemäß konservativen Element im Staat einer der gefährlichsten, weil
verbitterten Bestandteile der Partei des Umsturzes geworden sein, erst muß dem
Handwerksgehilfen die Aussicht genommen werden, jemals sein eigner Herr zu
sein: dann wird der Angstruf nach Staatshilfe ertönen, verschärft durch den
Vorwurf, daß nichts geschehen sei, um den guten Bürger in seinem Leben und
Eigentum zu schützen.

Aber -- man traut seinen Sinnen nicht! -- um der Selbständigkeit des
geschickten Arbeiters willen wird gerade für den "Konfektionär" (die Sache ist
nicht so schlimm wie das Wort) gegen den kleinen Gewerbsmann gekämpft.
Der Kleiderhändler versteht natürlich von dem Schneiderhandwerk nichts, wozu
auch? Er ist Kaufmann und giebt dem Zuschneider Lohn, nicht Lohn und Brot,
nur Lohn, und eben deshalb ist der Zuschneider dort ein freier, glücklicher Mann.
"Er will auch nach gethaner Arbeit so leben, wie er will, er will sich nicht in
den Haushalt des Gewerbetreibenden einklemmen, er will nicht abhängig sein von
den Nahrungsmitteln, die ihm gegeben werden, er will mit seinem Weibe in
irgend einer Weise, ob legitim oder illegitim, beisammen wohnen und dieselbe bei
sich behalten. (Heiterkeit.)" So zu lese" in der Rede des "Abgeordneten or. Ritter
von Sochor" oder des "Abgeordneten für Brody," wie er in den Debatten
genannt wird, gehalten am 6. Dezember 1882. Nach dieser Probe von Tiefe
der Auffassung und von sittlichem Ernste kann nichts mehr überraschen. Nicht
daß wir aus demselben Munde einmal die Klage vernehmen, die neue Ordnung
werde den Übergang von einer Beschäftigung zur andern ungebührlich erschweren,


Grenzboten I. 1883. S
Die Gewerbereform im österreichischen Reichsrate.

auf eigene Rechnung nicht so wohlfeil arbeiten konnten wie das große Ge¬
schäft,

Da stehen wir nun vor dem Glaubenssätze, auf welchen die Gegner jeder
Gewerbereform sich zuletzt zurückziehen. Wir möchten ja dem kleinen Manne
gern helfen, allein es geht nicht, das Handwerk wird absorbirt von der großen
Industrie, das ist ein Naturprozeß, gegen welchen sich nicht ankämpfen läßt;
oder, wie der zuletzt erwähnte Staatsmann meint: Gegen den Konfektionär
können wir den Handwerker nicht schützen. Ja freilich ist das ein Naturprozeß,
so gut wie jener, daß, wenn man die Wälder ausrottet, die Gebirgswasser das
Land verheeren! Und dieselbe Weisheit, welche jetzt fordert, der Staat solle
teilnahmlos zuschauen, wie das Handwerk verschlungen und unter Schutt be¬
graben wird, trat ehedem für die unbegrenzte Teilbarkeit des Grundes und für
das freie Verfügungsrecht des Besitzers des Waldes ein. Was ging das den
Staat an, ob der Bauer Einbruchsstellen für den Sturm schuf und den abge¬
holzten Boden zur Trift werden ließ, oder wenn der große Grundbesitzer den
Wald dem Wucherer auslieferte? Heute wird dieses Verhältnis etwas anders
angesehen, und offenbar wartet man nur auf eine soziale Überschwemmung, um
auch die Berechtigung andrer Schutzmaßregeln anzuerkennen. Dafür wäre es
jetzt noch zu früh. Erst müssen die zugrundegegangenen kleinen Meister aus
einem naturgemäß konservativen Element im Staat einer der gefährlichsten, weil
verbitterten Bestandteile der Partei des Umsturzes geworden sein, erst muß dem
Handwerksgehilfen die Aussicht genommen werden, jemals sein eigner Herr zu
sein: dann wird der Angstruf nach Staatshilfe ertönen, verschärft durch den
Vorwurf, daß nichts geschehen sei, um den guten Bürger in seinem Leben und
Eigentum zu schützen.

Aber — man traut seinen Sinnen nicht! — um der Selbständigkeit des
geschickten Arbeiters willen wird gerade für den „Konfektionär" (die Sache ist
nicht so schlimm wie das Wort) gegen den kleinen Gewerbsmann gekämpft.
Der Kleiderhändler versteht natürlich von dem Schneiderhandwerk nichts, wozu
auch? Er ist Kaufmann und giebt dem Zuschneider Lohn, nicht Lohn und Brot,
nur Lohn, und eben deshalb ist der Zuschneider dort ein freier, glücklicher Mann.
„Er will auch nach gethaner Arbeit so leben, wie er will, er will sich nicht in
den Haushalt des Gewerbetreibenden einklemmen, er will nicht abhängig sein von
den Nahrungsmitteln, die ihm gegeben werden, er will mit seinem Weibe in
irgend einer Weise, ob legitim oder illegitim, beisammen wohnen und dieselbe bei
sich behalten. (Heiterkeit.)" So zu lese» in der Rede des „Abgeordneten or. Ritter
von Sochor" oder des „Abgeordneten für Brody," wie er in den Debatten
genannt wird, gehalten am 6. Dezember 1882. Nach dieser Probe von Tiefe
der Auffassung und von sittlichem Ernste kann nichts mehr überraschen. Nicht
daß wir aus demselben Munde einmal die Klage vernehmen, die neue Ordnung
werde den Übergang von einer Beschäftigung zur andern ungebührlich erschweren,


Grenzboten I. 1883. S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/41>, abgerufen am 26.05.2024.