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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Gewerbcreform im österreichischen Reichsrate.

und das andremal die Klage, der Schlosser werde künftig Jahre auf die Er¬
lernung der "ganzen Schlosserei" verwenden müssen, anstatt sich in wenigen
Monaten (!) für irgend eine Spezialität, z, B> Kastenschlösser, auszubilden.
Und zur Ergänzung bezeichnet ein Gesinnungsgenosse es als unerträgliche Härte,
daß nun der Junge sich schon mit 14 Jahren für eiuen Lebensberuf werde ent¬
scheiden müssen; als ob das jemals anders gewesen wäre, jemals anders sein
werde. Man sieht, welche Vorstellungen die Herren davon haben, was es heißt,
ein Handwerk oder auch nur einen besondern Zweig desselben zu erlernen, so
zu erlernen, daß man es kann. Man sieht, daß sie das ganze Gewerbe vom
Staudpunkte jenes Händlers betrachten, welcher jede Waare "anzubringen" ver¬
steht. Daher ihre Begeisterung für den "Konfektionär." Beim Dorfschneider
werden sie doch nicht arbeiten lassen, ruft jener Herr von Sochor der Rechten
zu, und erzählt dann von einer Frau im steirischen Gebirge, welche Strümpfe
für Touristen Stricke. Weshalb mögen doch die Touristen bei dieser, anstatt bei
dem großstädtischen Konfektionär kaufen? Aus demselben Grunde, welchen Graf
Wurmbrand anführte, und welchen ohne Zweifel viele Fraktionsgenvssen des
glänzenden Redners hätten anführen können. Unzählige Städter lassen aller¬
dings Jagd- und Neiseröcke u. dergl. beim Dorffchneider arbeiten, weil der noch
auf derbe, haltbare Stoffe halten und dauerhaft nähen muß. Denn die Bauern
sind meist noch so ungebildet, zu glauben, daß ein etwas teurerer solider Rock
wohlfeiler sei als ein wohlfeiler von "gutem Shoddy" und auf der Näh¬
maschine genäht. "Guter Shoddy," die Bekanntschaft mit dieser Waare ver¬
danken wir dem Abgeordneten Matscheko; bisher hielten wir die "Kuustwvlle,"
die ans aufgelösten Lumpen gewonnen wird, für den ebenbürtigen Genossen der
"Kunstbutter" aus Steinkohlentheer, des "Kuustweins" aus Spiritus und Blei¬
zucker und ähnlicher Kunstleistungen der fortschrittsfreundlichen Industrie.
Derselbe gab auch Aufklärungen über Pfuscherarbeit, welche weiterer Verbreitung
wert erscheinen. Leider ist die Abhandlung zu lang, um sie hier vollständig
wiederzugeben. "Man vergesse nicht, heißt es da, daß auch auf dieser
"tooplo onsM nach möglichst Schlechten: und Billigem immer derjenige um eine
Pferdelänge vor sein wird, der tüchtiger sein wird, und daß nicht der wirkliche
Pfuscher, sondern der Tüchtigste die beste Pfuscherarbeit leisten wird. Es ist
eine größere Kunst, einen Stiefel oder Schreibtisch herzustellen, der das Aus¬
sehen der Solidität hat und dabei schleuderhaft und schlecht gearbeitet ist --
und auf das Aussehen kommt es ja bei dieser sogenannten Pfuscherarbeit am
meisten an ^ als einen wirklich soliden, schönen Stiefel oder Schreibtisch.. . .
Es wird behauptet, daß die größte Schleuderwaare auf den Markt geworfen,
daß das Publikum damit betrogen wird u. s. w. Ich gebe zu, daß das vor¬
kommt, aber Sie müssen nicht vergessen, daß es sich immer darum handelt, ob
die Waare wirklich preiswürdig ist, Sie dürfen nicht vergessen, um wie viel billiger
zu erzeugen der Konfektionär in der Lage ist als der Keine Gewerbsmann."


Die Gewerbcreform im österreichischen Reichsrate.

und das andremal die Klage, der Schlosser werde künftig Jahre auf die Er¬
lernung der „ganzen Schlosserei" verwenden müssen, anstatt sich in wenigen
Monaten (!) für irgend eine Spezialität, z, B> Kastenschlösser, auszubilden.
Und zur Ergänzung bezeichnet ein Gesinnungsgenosse es als unerträgliche Härte,
daß nun der Junge sich schon mit 14 Jahren für eiuen Lebensberuf werde ent¬
scheiden müssen; als ob das jemals anders gewesen wäre, jemals anders sein
werde. Man sieht, welche Vorstellungen die Herren davon haben, was es heißt,
ein Handwerk oder auch nur einen besondern Zweig desselben zu erlernen, so
zu erlernen, daß man es kann. Man sieht, daß sie das ganze Gewerbe vom
Staudpunkte jenes Händlers betrachten, welcher jede Waare „anzubringen" ver¬
steht. Daher ihre Begeisterung für den „Konfektionär." Beim Dorfschneider
werden sie doch nicht arbeiten lassen, ruft jener Herr von Sochor der Rechten
zu, und erzählt dann von einer Frau im steirischen Gebirge, welche Strümpfe
für Touristen Stricke. Weshalb mögen doch die Touristen bei dieser, anstatt bei
dem großstädtischen Konfektionär kaufen? Aus demselben Grunde, welchen Graf
Wurmbrand anführte, und welchen ohne Zweifel viele Fraktionsgenvssen des
glänzenden Redners hätten anführen können. Unzählige Städter lassen aller¬
dings Jagd- und Neiseröcke u. dergl. beim Dorffchneider arbeiten, weil der noch
auf derbe, haltbare Stoffe halten und dauerhaft nähen muß. Denn die Bauern
sind meist noch so ungebildet, zu glauben, daß ein etwas teurerer solider Rock
wohlfeiler sei als ein wohlfeiler von „gutem Shoddy" und auf der Näh¬
maschine genäht. „Guter Shoddy," die Bekanntschaft mit dieser Waare ver¬
danken wir dem Abgeordneten Matscheko; bisher hielten wir die „Kuustwvlle,"
die ans aufgelösten Lumpen gewonnen wird, für den ebenbürtigen Genossen der
„Kunstbutter" aus Steinkohlentheer, des „Kuustweins" aus Spiritus und Blei¬
zucker und ähnlicher Kunstleistungen der fortschrittsfreundlichen Industrie.
Derselbe gab auch Aufklärungen über Pfuscherarbeit, welche weiterer Verbreitung
wert erscheinen. Leider ist die Abhandlung zu lang, um sie hier vollständig
wiederzugeben. „Man vergesse nicht, heißt es da, daß auch auf dieser
«tooplo onsM nach möglichst Schlechten: und Billigem immer derjenige um eine
Pferdelänge vor sein wird, der tüchtiger sein wird, und daß nicht der wirkliche
Pfuscher, sondern der Tüchtigste die beste Pfuscherarbeit leisten wird. Es ist
eine größere Kunst, einen Stiefel oder Schreibtisch herzustellen, der das Aus¬
sehen der Solidität hat und dabei schleuderhaft und schlecht gearbeitet ist —
und auf das Aussehen kommt es ja bei dieser sogenannten Pfuscherarbeit am
meisten an ^ als einen wirklich soliden, schönen Stiefel oder Schreibtisch.. . .
Es wird behauptet, daß die größte Schleuderwaare auf den Markt geworfen,
daß das Publikum damit betrogen wird u. s. w. Ich gebe zu, daß das vor¬
kommt, aber Sie müssen nicht vergessen, daß es sich immer darum handelt, ob
die Waare wirklich preiswürdig ist, Sie dürfen nicht vergessen, um wie viel billiger
zu erzeugen der Konfektionär in der Lage ist als der Keine Gewerbsmann."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/42>, abgerufen am 26.05.2024.