Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Börse und kein Ende.

geistes, die heute zum Wohl von Millionen dienen, ohne Aktiengesellschaften un¬
ausgeführt geblieben sein.

Ich will hier eigne Vorschläge für eine Reform des Aktienrechts unerörtert
fein lassen. Aber gesetzt, es gelänge, ausländische Aktien ganz auszuschließen
und von der Beteiligung an einheimischen das kleine Kapital durch die Er¬
höhung des Nominalbetrags nach dem Vorschlage Öchclhäusers auf 10000 Mark
fernzuhalten, gesetzt, es würde durch die Vollhaftung der Zeichner, durch das
Verbot der Haftentlassung die Lust zum Börsenspielc Vertrieben und das
Schaffen von bloßen Spielwerten unmöglich gemacht, gesetzt, es würden alle
Operationen der Gründung und Verwaltung dem hellen Lichte einer uu-
beschrcinkteu Öffentlichkeit ausgesetzt, sodaß jeder, der nur seine Augen öffnen
will, nicht mehr über diese Vorgänge im Dunkeln bleiben kann, kann der Gesetz¬
geber es verhindern, daß der Aktionär dem Unternehmen gegenüber selbst
gleichgiltig bleibt, daß er es nur auf eine hohe Dividende, auf einen schnellen
Umsatz mit Gewinn absieht und zu diesem Zwecke, dem er augenblicklich nach¬
geht, Maßregeln zustimmt, welche die Gesellschaft in der Zukunft ruiniren?
Eine volle Ausgleichung auf dem Gebiete von Handel und Wandel ist un¬
möglich. Selbst die Kirche mit ihrer großen Macht im Mittelalter und ihrer
weiten Ausdehnung des wucherischer Begriffs hat eine Gerechtigkeit in der
Ausgleichung von Leistung und Gegenleistung nicht erreichen können.

Aber auch wenn der Staat Mittel fände, die Aktionäre freiwillig oder
wider ihren Willen zu Engeln zu machen, sind denn Aktien die einzigen Gegen¬
stände, in denen sich die Spielwut und das betrügerische Treiben versuchen kann?
Wo bleiben die Anleihen halbbankerotter Staaten und Kommunen, die an der
Börse eine umso freundlichere Aufnahme finden, je unsolider sie sind? Wer
sich ein Bild von den Verlusten in solchen Staatspapieren machen will, der
lese die Ziffern nach, welche in der lehrreichen Abhandlung von Struck über
die Londoner Effektenbörse lediglich von dem Londoner Börsenmarkt aufgestellt
sind. Man müßte also, um den Schwindel zu verhindern, auch diesen Papieren
zu Leibe gehen.

Man verfiel deshalb auf einen andern Ausweg, indem man sich in die
Höhle des Ungetüms selbst begab und eine Beschränkung und Bestrafung der
Differenzgcschäste ins Auge faßte. Auch nach dieser Richtung hat es nicht an
Beispielen gefehlt. In Frankreich bestehen noch heute die Gesetze in Kraft, welche
seit Ludwig XVI. bis in die neueste Zeit zur Vernichtung des Börsenspiels er¬
gangen sind, wie Unklagbarkeit der Differenzen, Verbot der Vermittlung der
Spielgcschäfte durch die Börscnagenten, kriminelle Bestrafung der Wetten jeder
Art auf Steigen und Fallen von öffentlichen Effekten. (Vgl. Lexis in dem
Schönbergschen Handbuch der Polit. Ökonomie, I, S. 1100.) Alle diese Ge¬
setze haben nicht verhindern können, daß am 19. Januar 1882 in Paris fünf
Milliarden Franks in fiktiven Werten vernichtet wurden. Auch die in die neue


Die Börse und kein Ende.

geistes, die heute zum Wohl von Millionen dienen, ohne Aktiengesellschaften un¬
ausgeführt geblieben sein.

Ich will hier eigne Vorschläge für eine Reform des Aktienrechts unerörtert
fein lassen. Aber gesetzt, es gelänge, ausländische Aktien ganz auszuschließen
und von der Beteiligung an einheimischen das kleine Kapital durch die Er¬
höhung des Nominalbetrags nach dem Vorschlage Öchclhäusers auf 10000 Mark
fernzuhalten, gesetzt, es würde durch die Vollhaftung der Zeichner, durch das
Verbot der Haftentlassung die Lust zum Börsenspielc Vertrieben und das
Schaffen von bloßen Spielwerten unmöglich gemacht, gesetzt, es würden alle
Operationen der Gründung und Verwaltung dem hellen Lichte einer uu-
beschrcinkteu Öffentlichkeit ausgesetzt, sodaß jeder, der nur seine Augen öffnen
will, nicht mehr über diese Vorgänge im Dunkeln bleiben kann, kann der Gesetz¬
geber es verhindern, daß der Aktionär dem Unternehmen gegenüber selbst
gleichgiltig bleibt, daß er es nur auf eine hohe Dividende, auf einen schnellen
Umsatz mit Gewinn absieht und zu diesem Zwecke, dem er augenblicklich nach¬
geht, Maßregeln zustimmt, welche die Gesellschaft in der Zukunft ruiniren?
Eine volle Ausgleichung auf dem Gebiete von Handel und Wandel ist un¬
möglich. Selbst die Kirche mit ihrer großen Macht im Mittelalter und ihrer
weiten Ausdehnung des wucherischer Begriffs hat eine Gerechtigkeit in der
Ausgleichung von Leistung und Gegenleistung nicht erreichen können.

Aber auch wenn der Staat Mittel fände, die Aktionäre freiwillig oder
wider ihren Willen zu Engeln zu machen, sind denn Aktien die einzigen Gegen¬
stände, in denen sich die Spielwut und das betrügerische Treiben versuchen kann?
Wo bleiben die Anleihen halbbankerotter Staaten und Kommunen, die an der
Börse eine umso freundlichere Aufnahme finden, je unsolider sie sind? Wer
sich ein Bild von den Verlusten in solchen Staatspapieren machen will, der
lese die Ziffern nach, welche in der lehrreichen Abhandlung von Struck über
die Londoner Effektenbörse lediglich von dem Londoner Börsenmarkt aufgestellt
sind. Man müßte also, um den Schwindel zu verhindern, auch diesen Papieren
zu Leibe gehen.

Man verfiel deshalb auf einen andern Ausweg, indem man sich in die
Höhle des Ungetüms selbst begab und eine Beschränkung und Bestrafung der
Differenzgcschäste ins Auge faßte. Auch nach dieser Richtung hat es nicht an
Beispielen gefehlt. In Frankreich bestehen noch heute die Gesetze in Kraft, welche
seit Ludwig XVI. bis in die neueste Zeit zur Vernichtung des Börsenspiels er¬
gangen sind, wie Unklagbarkeit der Differenzen, Verbot der Vermittlung der
Spielgcschäfte durch die Börscnagenten, kriminelle Bestrafung der Wetten jeder
Art auf Steigen und Fallen von öffentlichen Effekten. (Vgl. Lexis in dem
Schönbergschen Handbuch der Polit. Ökonomie, I, S. 1100.) Alle diese Ge¬
setze haben nicht verhindern können, daß am 19. Januar 1882 in Paris fünf
Milliarden Franks in fiktiven Werten vernichtet wurden. Auch die in die neue


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151406"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Börse und kein Ende.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_112" prev="#ID_111"> geistes, die heute zum Wohl von Millionen dienen, ohne Aktiengesellschaften un¬<lb/>
ausgeführt geblieben sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_113"> Ich will hier eigne Vorschläge für eine Reform des Aktienrechts unerörtert<lb/>
fein lassen. Aber gesetzt, es gelänge, ausländische Aktien ganz auszuschließen<lb/>
und von der Beteiligung an einheimischen das kleine Kapital durch die Er¬<lb/>
höhung des Nominalbetrags nach dem Vorschlage Öchclhäusers auf 10000 Mark<lb/>
fernzuhalten, gesetzt, es würde durch die Vollhaftung der Zeichner, durch das<lb/>
Verbot der Haftentlassung die Lust zum Börsenspielc Vertrieben und das<lb/>
Schaffen von bloßen Spielwerten unmöglich gemacht, gesetzt, es würden alle<lb/>
Operationen der Gründung und Verwaltung dem hellen Lichte einer uu-<lb/>
beschrcinkteu Öffentlichkeit ausgesetzt, sodaß jeder, der nur seine Augen öffnen<lb/>
will, nicht mehr über diese Vorgänge im Dunkeln bleiben kann, kann der Gesetz¬<lb/>
geber es verhindern, daß der Aktionär dem Unternehmen gegenüber selbst<lb/>
gleichgiltig bleibt, daß er es nur auf eine hohe Dividende, auf einen schnellen<lb/>
Umsatz mit Gewinn absieht und zu diesem Zwecke, dem er augenblicklich nach¬<lb/>
geht, Maßregeln zustimmt, welche die Gesellschaft in der Zukunft ruiniren?<lb/>
Eine volle Ausgleichung auf dem Gebiete von Handel und Wandel ist un¬<lb/>
möglich. Selbst die Kirche mit ihrer großen Macht im Mittelalter und ihrer<lb/>
weiten Ausdehnung des wucherischer Begriffs hat eine Gerechtigkeit in der<lb/>
Ausgleichung von Leistung und Gegenleistung nicht erreichen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_114"> Aber auch wenn der Staat Mittel fände, die Aktionäre freiwillig oder<lb/>
wider ihren Willen zu Engeln zu machen, sind denn Aktien die einzigen Gegen¬<lb/>
stände, in denen sich die Spielwut und das betrügerische Treiben versuchen kann?<lb/>
Wo bleiben die Anleihen halbbankerotter Staaten und Kommunen, die an der<lb/>
Börse eine umso freundlichere Aufnahme finden, je unsolider sie sind? Wer<lb/>
sich ein Bild von den Verlusten in solchen Staatspapieren machen will, der<lb/>
lese die Ziffern nach, welche in der lehrreichen Abhandlung von Struck über<lb/>
die Londoner Effektenbörse lediglich von dem Londoner Börsenmarkt aufgestellt<lb/>
sind. Man müßte also, um den Schwindel zu verhindern, auch diesen Papieren<lb/>
zu Leibe gehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_115" next="#ID_116"> Man verfiel deshalb auf einen andern Ausweg, indem man sich in die<lb/>
Höhle des Ungetüms selbst begab und eine Beschränkung und Bestrafung der<lb/>
Differenzgcschäste ins Auge faßte. Auch nach dieser Richtung hat es nicht an<lb/>
Beispielen gefehlt. In Frankreich bestehen noch heute die Gesetze in Kraft, welche<lb/>
seit Ludwig XVI. bis in die neueste Zeit zur Vernichtung des Börsenspiels er¬<lb/>
gangen sind, wie Unklagbarkeit der Differenzen, Verbot der Vermittlung der<lb/>
Spielgcschäfte durch die Börscnagenten, kriminelle Bestrafung der Wetten jeder<lb/>
Art auf Steigen und Fallen von öffentlichen Effekten. (Vgl. Lexis in dem<lb/>
Schönbergschen Handbuch der Polit. Ökonomie, I, S. 1100.) Alle diese Ge¬<lb/>
setze haben nicht verhindern können, daß am 19. Januar 1882 in Paris fünf<lb/>
Milliarden Franks in fiktiven Werten vernichtet wurden. Auch die in die neue</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Die Börse und kein Ende. geistes, die heute zum Wohl von Millionen dienen, ohne Aktiengesellschaften un¬ ausgeführt geblieben sein. Ich will hier eigne Vorschläge für eine Reform des Aktienrechts unerörtert fein lassen. Aber gesetzt, es gelänge, ausländische Aktien ganz auszuschließen und von der Beteiligung an einheimischen das kleine Kapital durch die Er¬ höhung des Nominalbetrags nach dem Vorschlage Öchclhäusers auf 10000 Mark fernzuhalten, gesetzt, es würde durch die Vollhaftung der Zeichner, durch das Verbot der Haftentlassung die Lust zum Börsenspielc Vertrieben und das Schaffen von bloßen Spielwerten unmöglich gemacht, gesetzt, es würden alle Operationen der Gründung und Verwaltung dem hellen Lichte einer uu- beschrcinkteu Öffentlichkeit ausgesetzt, sodaß jeder, der nur seine Augen öffnen will, nicht mehr über diese Vorgänge im Dunkeln bleiben kann, kann der Gesetz¬ geber es verhindern, daß der Aktionär dem Unternehmen gegenüber selbst gleichgiltig bleibt, daß er es nur auf eine hohe Dividende, auf einen schnellen Umsatz mit Gewinn absieht und zu diesem Zwecke, dem er augenblicklich nach¬ geht, Maßregeln zustimmt, welche die Gesellschaft in der Zukunft ruiniren? Eine volle Ausgleichung auf dem Gebiete von Handel und Wandel ist un¬ möglich. Selbst die Kirche mit ihrer großen Macht im Mittelalter und ihrer weiten Ausdehnung des wucherischer Begriffs hat eine Gerechtigkeit in der Ausgleichung von Leistung und Gegenleistung nicht erreichen können. Aber auch wenn der Staat Mittel fände, die Aktionäre freiwillig oder wider ihren Willen zu Engeln zu machen, sind denn Aktien die einzigen Gegen¬ stände, in denen sich die Spielwut und das betrügerische Treiben versuchen kann? Wo bleiben die Anleihen halbbankerotter Staaten und Kommunen, die an der Börse eine umso freundlichere Aufnahme finden, je unsolider sie sind? Wer sich ein Bild von den Verlusten in solchen Staatspapieren machen will, der lese die Ziffern nach, welche in der lehrreichen Abhandlung von Struck über die Londoner Effektenbörse lediglich von dem Londoner Börsenmarkt aufgestellt sind. Man müßte also, um den Schwindel zu verhindern, auch diesen Papieren zu Leibe gehen. Man verfiel deshalb auf einen andern Ausweg, indem man sich in die Höhle des Ungetüms selbst begab und eine Beschränkung und Bestrafung der Differenzgcschäste ins Auge faßte. Auch nach dieser Richtung hat es nicht an Beispielen gefehlt. In Frankreich bestehen noch heute die Gesetze in Kraft, welche seit Ludwig XVI. bis in die neueste Zeit zur Vernichtung des Börsenspiels er¬ gangen sind, wie Unklagbarkeit der Differenzen, Verbot der Vermittlung der Spielgcschäfte durch die Börscnagenten, kriminelle Bestrafung der Wetten jeder Art auf Steigen und Fallen von öffentlichen Effekten. (Vgl. Lexis in dem Schönbergschen Handbuch der Polit. Ökonomie, I, S. 1100.) Alle diese Ge¬ setze haben nicht verhindern können, daß am 19. Januar 1882 in Paris fünf Milliarden Franks in fiktiven Werten vernichtet wurden. Auch die in die neue

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/48>, abgerufen am 19.05.2024.