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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Börse und kein Ende.

Konkursordnung übergegangene Bestimmung des Reichsstrafgcsetzbuchs, welche
Gefängnisstrafe gegen den Gemeinschuldner androht, der durch Differenzhandel
übermäßige Summen verbraucht, haben dem ltrach des Jahres 1873 nicht vor¬
gebeugt, denn es hat sich gezeigt, daß die Börsenspekulanten es garnicht zum
Konkurse kommen lassen. Wer an der Börse seine Differenzen nicht bezahlt,
der bezahlt sie eben nicht; es muß schon ganz hoffnungslos aussehen, wenn
einmal eine Anzeige von einer Zahlungseinstellung an das Börsenkommissariat
erfolgt und der Schuldner von der Börse ausgeschlossen wird. In der Regel
bleibt er dort, gelaugt sogar nicht selten in die Stelle eines vereideten Makkers
und macht weiter Geschäfte. Dabei hat ja der Verlierende Hoffnung, etwas
von seinen Verlusten herauszuschlagen.

Helfen aber Strafen nicht, dann vielleicht ein radikaleres Mittel, nämlich Verbot
von Differenzgeschäften überhaupt. Aber da zeigt sichs, daß es auch Lieferungsge¬
schäste giebt, die sehr ehrlich gemeint sind, bei denen z. B. der Gutsbesitzer, der gegen¬
wärtig zu Meliorationen Geld braucht, schon seine zukünftige Ernte verkauft. Das
darf doch nicht verboten werden. Was nützt es, daß dies der seltnere Fall ist, daß im
Jahre 1868 von den zweihundert am Roggenhandel beteiligten Berliner Firmen
achtzig mit dem Getreide selbst garnichts zu thun hatten, daß dieses für sie
nur auf dem Papier existirte, daß die wirkliche Zufuhr jährlich nur 100 000
Mispel, der Umsatz im Zeitgeschäft aber 2 Millionen Mispel betrug? Es kann
nicht in Abrede gestellt werden, daß die Spekulation des Waarenhandels nicht
entbehrt werden kann, da sie zur Versorgung der Gesellschaft mit nützlichen und
nötigen Gegenständen dient, und daß auch der Effektenhandel den Wechsel der
Vermögensanlage erleichtert (siehe Lexis a. a. O., S. 1080 f.). Die juristische
Definition wird sich vergeblich abmühen, den Unterschied zwischen dem ehrlichen
Geschäft und dem Differenzhandel herauszuklügeln, um alle Nachteile, Strafen
und Verbote nur auf den letztern zu wenden. Man wird zwar auch vor solchen
Versuchen nicht zurückschrecken dürfen, aber es werden Palliativmittel sein, die
einzeln keine besondre Wirkung äußern können. Dasselbe gilt von einer Be¬
steuerung der Börsengeschäfte; der Spekulationshandel wird jede Steuer ertrage"
können, das ehrliche Geschäft kann schon bei einer geringen Besteuerung ge¬
schädigt werden. Aber selbst wenn es gelingt, durch eine Besteuerung nicht der
Geschäfte selbst, sondern nur der Differenzen, eine Prozentnale Börsensteuer
durchzusetzen, so wird man zwar dem Staate eine Einnahmequelle eröffnet, aber
doch nicht das Übel selbst aus der Welt geschafft haben. Und die Steuer kaun
doch keinen Ersatz bieten, wenn die Volkswohlfahrt anderweitig geschädigt wird.
Nichtsdestoweniger wird sich auch hier der Staat von dem Geschrei der Börse
und ihrer Dependenz, zu der leider hauptsächlich die Tagespresse gehört, nicht
abschrecken lassen dürfen, die Börse stärker zu den Lasten des Staates heran¬
zuziehen, als dies bisher geschehen ist. Mit Recht sagt Lexis in den, ange¬
geführten Werke, daß die nützlichen Wirkungen die schädlichen keineswegs über-


Grcnzbotcn l. 1883. 6
Die Börse und kein Ende.

Konkursordnung übergegangene Bestimmung des Reichsstrafgcsetzbuchs, welche
Gefängnisstrafe gegen den Gemeinschuldner androht, der durch Differenzhandel
übermäßige Summen verbraucht, haben dem ltrach des Jahres 1873 nicht vor¬
gebeugt, denn es hat sich gezeigt, daß die Börsenspekulanten es garnicht zum
Konkurse kommen lassen. Wer an der Börse seine Differenzen nicht bezahlt,
der bezahlt sie eben nicht; es muß schon ganz hoffnungslos aussehen, wenn
einmal eine Anzeige von einer Zahlungseinstellung an das Börsenkommissariat
erfolgt und der Schuldner von der Börse ausgeschlossen wird. In der Regel
bleibt er dort, gelaugt sogar nicht selten in die Stelle eines vereideten Makkers
und macht weiter Geschäfte. Dabei hat ja der Verlierende Hoffnung, etwas
von seinen Verlusten herauszuschlagen.

Helfen aber Strafen nicht, dann vielleicht ein radikaleres Mittel, nämlich Verbot
von Differenzgeschäften überhaupt. Aber da zeigt sichs, daß es auch Lieferungsge¬
schäste giebt, die sehr ehrlich gemeint sind, bei denen z. B. der Gutsbesitzer, der gegen¬
wärtig zu Meliorationen Geld braucht, schon seine zukünftige Ernte verkauft. Das
darf doch nicht verboten werden. Was nützt es, daß dies der seltnere Fall ist, daß im
Jahre 1868 von den zweihundert am Roggenhandel beteiligten Berliner Firmen
achtzig mit dem Getreide selbst garnichts zu thun hatten, daß dieses für sie
nur auf dem Papier existirte, daß die wirkliche Zufuhr jährlich nur 100 000
Mispel, der Umsatz im Zeitgeschäft aber 2 Millionen Mispel betrug? Es kann
nicht in Abrede gestellt werden, daß die Spekulation des Waarenhandels nicht
entbehrt werden kann, da sie zur Versorgung der Gesellschaft mit nützlichen und
nötigen Gegenständen dient, und daß auch der Effektenhandel den Wechsel der
Vermögensanlage erleichtert (siehe Lexis a. a. O., S. 1080 f.). Die juristische
Definition wird sich vergeblich abmühen, den Unterschied zwischen dem ehrlichen
Geschäft und dem Differenzhandel herauszuklügeln, um alle Nachteile, Strafen
und Verbote nur auf den letztern zu wenden. Man wird zwar auch vor solchen
Versuchen nicht zurückschrecken dürfen, aber es werden Palliativmittel sein, die
einzeln keine besondre Wirkung äußern können. Dasselbe gilt von einer Be¬
steuerung der Börsengeschäfte; der Spekulationshandel wird jede Steuer ertrage»
können, das ehrliche Geschäft kann schon bei einer geringen Besteuerung ge¬
schädigt werden. Aber selbst wenn es gelingt, durch eine Besteuerung nicht der
Geschäfte selbst, sondern nur der Differenzen, eine Prozentnale Börsensteuer
durchzusetzen, so wird man zwar dem Staate eine Einnahmequelle eröffnet, aber
doch nicht das Übel selbst aus der Welt geschafft haben. Und die Steuer kaun
doch keinen Ersatz bieten, wenn die Volkswohlfahrt anderweitig geschädigt wird.
Nichtsdestoweniger wird sich auch hier der Staat von dem Geschrei der Börse
und ihrer Dependenz, zu der leider hauptsächlich die Tagespresse gehört, nicht
abschrecken lassen dürfen, die Börse stärker zu den Lasten des Staates heran¬
zuziehen, als dies bisher geschehen ist. Mit Recht sagt Lexis in den, ange¬
geführten Werke, daß die nützlichen Wirkungen die schädlichen keineswegs über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/49>, abgerufen am 19.05.2024.