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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das neue Aktiengosetz.

Wohlstand durch die Berliner Gründer zu sehr vor Augen gehabt, um nicht
ganz und gar für den Entwurf einzutreten. Dagegen war bekannt, daß Windt-
horst ein Gegner desselben sei; bei ihm überwog in dieser Frage mehr das
hannoversche als das katholische Interesse. Die Aktiengesellschaften von Han¬
nover und Braunschweig hatten sich nämlich zusammengethan und in einer Pe¬
tition an den Reichstag gegen das Gesetz Front gemacht, wie viele behaupten,
unter Assistenz der kleinen Excellenz, die sie in ihre Versammlung eingeladen
hatten. Auch ist Windthorst selbst Aufsichtsrat der Hannoverschen Bank und
hat offenbar keine Lust, seine Verantwortlichkeit verschärft und seine Thätigkeit
in dieser Hinsicht vergrößert zu scheu, und es sollte uns nicht wundern, wenn
er lieber seine Kräfte auch ferner dem parlamentarischen Leben als dem Gedeihen
einer Privatbank widmet und deshalb aus dem Aufsichtsrate der letztern scheidet.
Windthorst sah jedoch ein, daß er auf die Mehrheit seiner Fräktionsgenosscn
nicht rechnen könne, und hielt sich bei der Beratung ganz zurück, nachdem er
nur mit wenigen Worten seinem Unmut Ausdruck gegeben hatte, ein so spitz¬
findiges Gesetz noch auf der Tagesordnung der letzten Woche zu sehen. Da¬
gegen war er schlau genug, in die Beratung einzutreten, als es sich um eine
Strafbestimmung gegen Redakteure handelte, wenn durch Vorspiegelung falscher
Thatsachen oder Entstellung wahrer in öffentlichen Bekanntmachungen zur Be¬
teiligung an einem Aktienunternehmcn bestimmt wird. Auf diesem Gebiete
hatten schon die Anhänger des Entwurfs unter den Freisinnigen denselben be¬
kämpft, die Nationalliberalen ihn nur unter großem Widerstreben gebilligt, und
auch im Zentrum regten sich die demokratischen Elemente, um diesen für die
Presse geuirendeu Artikel zu beseitige". Diese Stimmung verstand der Zentrums-
führcr sehr klug zu benutzen und noch in dritter Lesung ein Amendement durch¬
zusetzen, das eine nicht gerade erhebliche Abschwächung der Vorlage enthält, so
daß der Bundesrat ungeachtet derselben das Gesetz angenommen hat. Umgekehrt
hat Richter den Zwiespalt seiner Partei nur mit einer sehr schwachen Gummi¬
lösung zu verkleistern vermocht.

Unter diesen Wechselfällen hat die Vorlage endlich die Zustimmung des
Reichstages erhalten. Die Vorgänge sind zu lehrreich für unser ganzes öffent¬
liches und parlamentarisches Leben, als daß sie nicht einem größern Kreise zu¬
gänglich gemacht werden sollten. Nicht selten passirt es, daß ein jugendlicher
Theaterenthusiast von seinen Illusionen geheilt wird, wenn er einmal einen Blick
in die Kulissen werfen kann. Der deutsche Bürger steht dem parlamentarischen
Schauspiel und der durch die Presse iuszenirten öffentlichen Meinung nicht selten
ebenfalls mit solchen Illusionen gegenüber. Vielleicht ernüchtert er sich, wenn
er liest, wie selbst bei einem unpolitischen Gesetz der Interessenkampf auch auf
dem Boden geführt wird, der so oft als der bloße Kampfplatz hoher Ideen
geschildert wird. Aber die Aufklärung wird eben nur selten gegeben, da ja
innerhalb und außerhalb Trojas gesündigt wird und die unparteiische (?) Tages-


Das neue Aktiengosetz.

Wohlstand durch die Berliner Gründer zu sehr vor Augen gehabt, um nicht
ganz und gar für den Entwurf einzutreten. Dagegen war bekannt, daß Windt-
horst ein Gegner desselben sei; bei ihm überwog in dieser Frage mehr das
hannoversche als das katholische Interesse. Die Aktiengesellschaften von Han¬
nover und Braunschweig hatten sich nämlich zusammengethan und in einer Pe¬
tition an den Reichstag gegen das Gesetz Front gemacht, wie viele behaupten,
unter Assistenz der kleinen Excellenz, die sie in ihre Versammlung eingeladen
hatten. Auch ist Windthorst selbst Aufsichtsrat der Hannoverschen Bank und
hat offenbar keine Lust, seine Verantwortlichkeit verschärft und seine Thätigkeit
in dieser Hinsicht vergrößert zu scheu, und es sollte uns nicht wundern, wenn
er lieber seine Kräfte auch ferner dem parlamentarischen Leben als dem Gedeihen
einer Privatbank widmet und deshalb aus dem Aufsichtsrate der letztern scheidet.
Windthorst sah jedoch ein, daß er auf die Mehrheit seiner Fräktionsgenosscn
nicht rechnen könne, und hielt sich bei der Beratung ganz zurück, nachdem er
nur mit wenigen Worten seinem Unmut Ausdruck gegeben hatte, ein so spitz¬
findiges Gesetz noch auf der Tagesordnung der letzten Woche zu sehen. Da¬
gegen war er schlau genug, in die Beratung einzutreten, als es sich um eine
Strafbestimmung gegen Redakteure handelte, wenn durch Vorspiegelung falscher
Thatsachen oder Entstellung wahrer in öffentlichen Bekanntmachungen zur Be¬
teiligung an einem Aktienunternehmcn bestimmt wird. Auf diesem Gebiete
hatten schon die Anhänger des Entwurfs unter den Freisinnigen denselben be¬
kämpft, die Nationalliberalen ihn nur unter großem Widerstreben gebilligt, und
auch im Zentrum regten sich die demokratischen Elemente, um diesen für die
Presse geuirendeu Artikel zu beseitige». Diese Stimmung verstand der Zentrums-
führcr sehr klug zu benutzen und noch in dritter Lesung ein Amendement durch¬
zusetzen, das eine nicht gerade erhebliche Abschwächung der Vorlage enthält, so
daß der Bundesrat ungeachtet derselben das Gesetz angenommen hat. Umgekehrt
hat Richter den Zwiespalt seiner Partei nur mit einer sehr schwachen Gummi¬
lösung zu verkleistern vermocht.

Unter diesen Wechselfällen hat die Vorlage endlich die Zustimmung des
Reichstages erhalten. Die Vorgänge sind zu lehrreich für unser ganzes öffent¬
liches und parlamentarisches Leben, als daß sie nicht einem größern Kreise zu¬
gänglich gemacht werden sollten. Nicht selten passirt es, daß ein jugendlicher
Theaterenthusiast von seinen Illusionen geheilt wird, wenn er einmal einen Blick
in die Kulissen werfen kann. Der deutsche Bürger steht dem parlamentarischen
Schauspiel und der durch die Presse iuszenirten öffentlichen Meinung nicht selten
ebenfalls mit solchen Illusionen gegenüber. Vielleicht ernüchtert er sich, wenn
er liest, wie selbst bei einem unpolitischen Gesetz der Interessenkampf auch auf
dem Boden geführt wird, der so oft als der bloße Kampfplatz hoher Ideen
geschildert wird. Aber die Aufklärung wird eben nur selten gegeben, da ja
innerhalb und außerhalb Trojas gesündigt wird und die unparteiische (?) Tages-


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[0118] Das neue Aktiengosetz. Wohlstand durch die Berliner Gründer zu sehr vor Augen gehabt, um nicht ganz und gar für den Entwurf einzutreten. Dagegen war bekannt, daß Windt- horst ein Gegner desselben sei; bei ihm überwog in dieser Frage mehr das hannoversche als das katholische Interesse. Die Aktiengesellschaften von Han¬ nover und Braunschweig hatten sich nämlich zusammengethan und in einer Pe¬ tition an den Reichstag gegen das Gesetz Front gemacht, wie viele behaupten, unter Assistenz der kleinen Excellenz, die sie in ihre Versammlung eingeladen hatten. Auch ist Windthorst selbst Aufsichtsrat der Hannoverschen Bank und hat offenbar keine Lust, seine Verantwortlichkeit verschärft und seine Thätigkeit in dieser Hinsicht vergrößert zu scheu, und es sollte uns nicht wundern, wenn er lieber seine Kräfte auch ferner dem parlamentarischen Leben als dem Gedeihen einer Privatbank widmet und deshalb aus dem Aufsichtsrate der letztern scheidet. Windthorst sah jedoch ein, daß er auf die Mehrheit seiner Fräktionsgenosscn nicht rechnen könne, und hielt sich bei der Beratung ganz zurück, nachdem er nur mit wenigen Worten seinem Unmut Ausdruck gegeben hatte, ein so spitz¬ findiges Gesetz noch auf der Tagesordnung der letzten Woche zu sehen. Da¬ gegen war er schlau genug, in die Beratung einzutreten, als es sich um eine Strafbestimmung gegen Redakteure handelte, wenn durch Vorspiegelung falscher Thatsachen oder Entstellung wahrer in öffentlichen Bekanntmachungen zur Be¬ teiligung an einem Aktienunternehmcn bestimmt wird. Auf diesem Gebiete hatten schon die Anhänger des Entwurfs unter den Freisinnigen denselben be¬ kämpft, die Nationalliberalen ihn nur unter großem Widerstreben gebilligt, und auch im Zentrum regten sich die demokratischen Elemente, um diesen für die Presse geuirendeu Artikel zu beseitige». Diese Stimmung verstand der Zentrums- führcr sehr klug zu benutzen und noch in dritter Lesung ein Amendement durch¬ zusetzen, das eine nicht gerade erhebliche Abschwächung der Vorlage enthält, so daß der Bundesrat ungeachtet derselben das Gesetz angenommen hat. Umgekehrt hat Richter den Zwiespalt seiner Partei nur mit einer sehr schwachen Gummi¬ lösung zu verkleistern vermocht. Unter diesen Wechselfällen hat die Vorlage endlich die Zustimmung des Reichstages erhalten. Die Vorgänge sind zu lehrreich für unser ganzes öffent¬ liches und parlamentarisches Leben, als daß sie nicht einem größern Kreise zu¬ gänglich gemacht werden sollten. Nicht selten passirt es, daß ein jugendlicher Theaterenthusiast von seinen Illusionen geheilt wird, wenn er einmal einen Blick in die Kulissen werfen kann. Der deutsche Bürger steht dem parlamentarischen Schauspiel und der durch die Presse iuszenirten öffentlichen Meinung nicht selten ebenfalls mit solchen Illusionen gegenüber. Vielleicht ernüchtert er sich, wenn er liest, wie selbst bei einem unpolitischen Gesetz der Interessenkampf auch auf dem Boden geführt wird, der so oft als der bloße Kampfplatz hoher Ideen geschildert wird. Aber die Aufklärung wird eben nur selten gegeben, da ja innerhalb und außerhalb Trojas gesündigt wird und die unparteiische (?) Tages-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/118>, abgerufen am 15.06.2024.