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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes BrnhiNs.

Werken der ersten Periode ein freundliches gegenüber. An räumlicher Aus¬
dehnung nachstehend, überragt es jenes an innerer Kraft. Es fließt augen¬
scheinlich ganz und gar aus erster Quelle und gehört der Natur des Kompo-
nisten ganz zu eigen. Wenn man Melodien betrachtet, wie das Hauptthema
der zweiten Ballade, Gesänge, die dahinfließen in wunderbarem Verein von
Frieden und Tiefe, wie aus Sternenlicht und Himmelsklarheit stammend, so
muß man Schumanns Begeisterung teilen und kann nur fragen, wie es kommen
konnte, daß einer Kunsterschcinung, die so lieblich und so groß in ihre Umgebung
hineintrat, uicht sofort alle Herzen zuflogen. Auf dem Gebiete der Malerei,
der Bildhauerei und der Dichtkunst ist der Zugang für neue Talente wohl auch
schwierig, aber ein solcher Mitarbeiter wäre von der Gesamtheit sofort als ein
Auserwählter begriffen und behandelt worden.

Es ist nichts Ungewöhnliches, daß junge Künstler, deren Phantasie von
diametral entgegenstehenden Polen aus in Bewegung gesetzt wird, viel in Kon¬
trasten arbeiten. Diese Beobachtung wird durch die Werke der erste" Periode
von Brahms ebenfalls bestätigt. Die starken Gegensätze finden sich in den Jn-
strumentalkvmvositionen zwischen den einzelnen Themen desselben Satzes und
zwischen den verschiednen Sätzen desselben Werkes. Sie lassen sich auch in der
Liedkomposition dieser Periode verfolgen. Man braucht bloß an das allbekannte
"Liebestreu" zu erinnern oder an das Lied aus Bodenstedts "Ivan," welches
mit jenem in demselben ox. 3 enthalten ist. Brahms ist aber bereits in
diesen ersten Perioden die Behandlung solcher Kontraste eigentümlich. Die ent¬
gegengesetzten Lichter spielen elektrisch ineinander, und ein Thema, das wir für
bloß neckisch hielten, läßt auf einmal und doch natürlich Tiefsinn und Ernst
blicken -- man sehe das Scherzo in ox. 8 --, das Prisma seiner Stimmungen
und Vorstellungen hat etwas vom nordischen Himmel, von dessen Reichtum an
Farben und von ihrer Beweglichkeit. Gleich stark wie die Neigung zum Kon¬
trastiren, lebt in dem jungen Komponisten aber auch der Sinn für Einheitlich¬
keit. Er ist von der Grundstimmung seiner Sätze immer mächtig ergriffen, und
viele der überraschenden Wendungen sind nur die Symptome ihres Fortwirkens.
Zuweilen ist dieses Festhalten an der Ausgangsidee äußerlich erkennbar --
öfters uoch macht es sich innerlich geltend. Zuweilen gelockert, unregelmäßig
und ans Übermäßige streifend, verrät die Form in den Werken der ersten Pe¬
riode doch eine starke Hand und einen klaren Blick. Auf die Form wie auf
deu Geist der ersten Periode hat ohne Zweifel der letzte Beethoven einen großen
Einfluß gehabt. Um den Genius dieses Meisters scheint Denken und Sinnen
des jetzigen Brahms wie um eine Sonne gekreist zu haben. In einem Werke,
dem in vielfacher Beziehung hochinteressanter Trio op. 8, findet dieser Kultus
einen geradezu rührenden Ausdruck. Das zweite Thema in seinem letzten Satze,
vom Cello so schön eingeführt, es ist eine offenbare Anspielung vom Haupt¬
gesang aus Beethovens "Liedcrkreis an die ferne Geliebte" -- dieselbe Melodie,


Johannes BrnhiNs.

Werken der ersten Periode ein freundliches gegenüber. An räumlicher Aus¬
dehnung nachstehend, überragt es jenes an innerer Kraft. Es fließt augen¬
scheinlich ganz und gar aus erster Quelle und gehört der Natur des Kompo-
nisten ganz zu eigen. Wenn man Melodien betrachtet, wie das Hauptthema
der zweiten Ballade, Gesänge, die dahinfließen in wunderbarem Verein von
Frieden und Tiefe, wie aus Sternenlicht und Himmelsklarheit stammend, so
muß man Schumanns Begeisterung teilen und kann nur fragen, wie es kommen
konnte, daß einer Kunsterschcinung, die so lieblich und so groß in ihre Umgebung
hineintrat, uicht sofort alle Herzen zuflogen. Auf dem Gebiete der Malerei,
der Bildhauerei und der Dichtkunst ist der Zugang für neue Talente wohl auch
schwierig, aber ein solcher Mitarbeiter wäre von der Gesamtheit sofort als ein
Auserwählter begriffen und behandelt worden.

Es ist nichts Ungewöhnliches, daß junge Künstler, deren Phantasie von
diametral entgegenstehenden Polen aus in Bewegung gesetzt wird, viel in Kon¬
trasten arbeiten. Diese Beobachtung wird durch die Werke der erste» Periode
von Brahms ebenfalls bestätigt. Die starken Gegensätze finden sich in den Jn-
strumentalkvmvositionen zwischen den einzelnen Themen desselben Satzes und
zwischen den verschiednen Sätzen desselben Werkes. Sie lassen sich auch in der
Liedkomposition dieser Periode verfolgen. Man braucht bloß an das allbekannte
„Liebestreu" zu erinnern oder an das Lied aus Bodenstedts „Ivan," welches
mit jenem in demselben ox. 3 enthalten ist. Brahms ist aber bereits in
diesen ersten Perioden die Behandlung solcher Kontraste eigentümlich. Die ent¬
gegengesetzten Lichter spielen elektrisch ineinander, und ein Thema, das wir für
bloß neckisch hielten, läßt auf einmal und doch natürlich Tiefsinn und Ernst
blicken — man sehe das Scherzo in ox. 8 —, das Prisma seiner Stimmungen
und Vorstellungen hat etwas vom nordischen Himmel, von dessen Reichtum an
Farben und von ihrer Beweglichkeit. Gleich stark wie die Neigung zum Kon¬
trastiren, lebt in dem jungen Komponisten aber auch der Sinn für Einheitlich¬
keit. Er ist von der Grundstimmung seiner Sätze immer mächtig ergriffen, und
viele der überraschenden Wendungen sind nur die Symptome ihres Fortwirkens.
Zuweilen ist dieses Festhalten an der Ausgangsidee äußerlich erkennbar —
öfters uoch macht es sich innerlich geltend. Zuweilen gelockert, unregelmäßig
und ans Übermäßige streifend, verrät die Form in den Werken der ersten Pe¬
riode doch eine starke Hand und einen klaren Blick. Auf die Form wie auf
deu Geist der ersten Periode hat ohne Zweifel der letzte Beethoven einen großen
Einfluß gehabt. Um den Genius dieses Meisters scheint Denken und Sinnen
des jetzigen Brahms wie um eine Sonne gekreist zu haben. In einem Werke,
dem in vielfacher Beziehung hochinteressanter Trio op. 8, findet dieser Kultus
einen geradezu rührenden Ausdruck. Das zweite Thema in seinem letzten Satze,
vom Cello so schön eingeführt, es ist eine offenbare Anspielung vom Haupt¬
gesang aus Beethovens „Liedcrkreis an die ferne Geliebte" — dieselbe Melodie,


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[0136] Johannes BrnhiNs. Werken der ersten Periode ein freundliches gegenüber. An räumlicher Aus¬ dehnung nachstehend, überragt es jenes an innerer Kraft. Es fließt augen¬ scheinlich ganz und gar aus erster Quelle und gehört der Natur des Kompo- nisten ganz zu eigen. Wenn man Melodien betrachtet, wie das Hauptthema der zweiten Ballade, Gesänge, die dahinfließen in wunderbarem Verein von Frieden und Tiefe, wie aus Sternenlicht und Himmelsklarheit stammend, so muß man Schumanns Begeisterung teilen und kann nur fragen, wie es kommen konnte, daß einer Kunsterschcinung, die so lieblich und so groß in ihre Umgebung hineintrat, uicht sofort alle Herzen zuflogen. Auf dem Gebiete der Malerei, der Bildhauerei und der Dichtkunst ist der Zugang für neue Talente wohl auch schwierig, aber ein solcher Mitarbeiter wäre von der Gesamtheit sofort als ein Auserwählter begriffen und behandelt worden. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß junge Künstler, deren Phantasie von diametral entgegenstehenden Polen aus in Bewegung gesetzt wird, viel in Kon¬ trasten arbeiten. Diese Beobachtung wird durch die Werke der erste» Periode von Brahms ebenfalls bestätigt. Die starken Gegensätze finden sich in den Jn- strumentalkvmvositionen zwischen den einzelnen Themen desselben Satzes und zwischen den verschiednen Sätzen desselben Werkes. Sie lassen sich auch in der Liedkomposition dieser Periode verfolgen. Man braucht bloß an das allbekannte „Liebestreu" zu erinnern oder an das Lied aus Bodenstedts „Ivan," welches mit jenem in demselben ox. 3 enthalten ist. Brahms ist aber bereits in diesen ersten Perioden die Behandlung solcher Kontraste eigentümlich. Die ent¬ gegengesetzten Lichter spielen elektrisch ineinander, und ein Thema, das wir für bloß neckisch hielten, läßt auf einmal und doch natürlich Tiefsinn und Ernst blicken — man sehe das Scherzo in ox. 8 —, das Prisma seiner Stimmungen und Vorstellungen hat etwas vom nordischen Himmel, von dessen Reichtum an Farben und von ihrer Beweglichkeit. Gleich stark wie die Neigung zum Kon¬ trastiren, lebt in dem jungen Komponisten aber auch der Sinn für Einheitlich¬ keit. Er ist von der Grundstimmung seiner Sätze immer mächtig ergriffen, und viele der überraschenden Wendungen sind nur die Symptome ihres Fortwirkens. Zuweilen ist dieses Festhalten an der Ausgangsidee äußerlich erkennbar — öfters uoch macht es sich innerlich geltend. Zuweilen gelockert, unregelmäßig und ans Übermäßige streifend, verrät die Form in den Werken der ersten Pe¬ riode doch eine starke Hand und einen klaren Blick. Auf die Form wie auf deu Geist der ersten Periode hat ohne Zweifel der letzte Beethoven einen großen Einfluß gehabt. Um den Genius dieses Meisters scheint Denken und Sinnen des jetzigen Brahms wie um eine Sonne gekreist zu haben. In einem Werke, dem in vielfacher Beziehung hochinteressanter Trio op. 8, findet dieser Kultus einen geradezu rührenden Ausdruck. Das zweite Thema in seinem letzten Satze, vom Cello so schön eingeführt, es ist eine offenbare Anspielung vom Haupt¬ gesang aus Beethovens „Liedcrkreis an die ferne Geliebte" — dieselbe Melodie,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/136>, abgerufen am 16.06.2024.