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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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"unter die Schopenhauerische Schule rubrizirt," und daß seine eigne Schule,
an deren Spitze er so gern als gefeierter Generalissimus marschiren möchte,
ihm "unbewußt" bleibt, weil sie nicht zustandekommen will. Im Auslande
meint so mancher, der die Reklamen gelesen, das Volk der Denker sei mindestens
zur Hälfte in den Sack gelaufen, den Herr von Hartmann hinhält, aber that¬
sächlich fehlen leider die Anhänger des vielgepriesenen Systems, die den neuen
Kultus des "Unbewußten" -- oder vielmehr jetzt schon des Hartmannschen
Gottes und seiner Vorsehung einrichten könnten.

In dem vorliegenden Aufsatze erklärt Hartmann zuvörderst, daß er einen er¬
kenntnistheoretischen Realismus vertrete, während Schopenhauer nur die idea¬
listische Seite der Kantischen Erkenntnistheorie gelten lasse. Das bedeutet:
Hartmann erkennt wirklich eine Welt außer ihm selber, eine Außenwelt an.
Bravo! Das dürfte ganz wohlgethan sein; dazu nickt auch der alte Kant seinen
Beifall.

Ferner: Schopenhauer ist "abstrakter Monist," ihm ist die Vielheit der In¬
dividuen nur ein wesenloser Schein; Hartmann dagegen gewährt dem berechtigten
Individualismus Spielraum und erklärt sich für einen "konkreten Monisten";
das "konkret" soll besagen: er hält die Vielheit der Dinge und Individuen in
der räumlich-zeitlichen Welt für eine über den bloß sinnlichen Augenschein hinaus¬
gehende Wirklichkeit, und zwar (das muß doch offenbar "Monist" bedeuten)-
kennt er dabei keine andre Welt als einzig und allein diese Sinnenwelt in Raum
und Zeit. Ja, wenn es die Kunstausdrücke thäten, wenn durch "ismus" und
"asinus" Klarheit und Wahrheit in die Welt käme, und wenn man, sobald ein
"ist" oder "äst," ein "mer" oder "alter" seine Karte abgegeben hat, nun auch
geuau wissen könnte, wie man mit ihm dran ist, das wäre freilich gut!

Aber von der Schopenhciuerschen Unterscheidung zwischen intelligiblem und
empirischem Charakter des Menschen und von einer transzendentalen Freiheit
des erstem -- übrigens eine kantische Unterscheidung, die Schopenhauer nur
acceptirt hat, um sie zu mißbrauchen -- davon hält Herr von Hartmaim gar-
nichts, dergleichen verwirft er, und ganz mit Recht, denn wie könnte er als
"konkreter Monist" solch eine dualistische Voraussetzung billigen? Da fiele ja
gleich sein Monismus hin und ginge ihm vielleicht anch noch das Konkrete
verloren. Doch braucht er jetzt von vornherein die "Idee" neben dem "Willen."
Sehr gut, wenn er uns andern nur mit der "Idee" etwas nennen könnte, was
wir, sei's in oonorstv, sei's in Ävstraow, deutlich vorzustellen und festzuhalten
wüßten; ja, er kennt ein "absolutes Subjekt," dessen "Funktionen" Wille und
Idee sind. Hat er dieses Subjekt nicht früher dem blasirten deutschen Philister
mit dem großen, bedeutungsvollen Namen "das Unbewußte" angepriesen? Aber
der schulhungrige Philosoph scheint zur Zeit über jenes sein famoses "Unbe¬
wußte" zur Tagesordnung übergegangen zu sein, nur die Schale ist als ab¬
solutes Subjekt geblieben.


„unter die Schopenhauerische Schule rubrizirt," und daß seine eigne Schule,
an deren Spitze er so gern als gefeierter Generalissimus marschiren möchte,
ihm „unbewußt" bleibt, weil sie nicht zustandekommen will. Im Auslande
meint so mancher, der die Reklamen gelesen, das Volk der Denker sei mindestens
zur Hälfte in den Sack gelaufen, den Herr von Hartmann hinhält, aber that¬
sächlich fehlen leider die Anhänger des vielgepriesenen Systems, die den neuen
Kultus des „Unbewußten" — oder vielmehr jetzt schon des Hartmannschen
Gottes und seiner Vorsehung einrichten könnten.

In dem vorliegenden Aufsatze erklärt Hartmann zuvörderst, daß er einen er¬
kenntnistheoretischen Realismus vertrete, während Schopenhauer nur die idea¬
listische Seite der Kantischen Erkenntnistheorie gelten lasse. Das bedeutet:
Hartmann erkennt wirklich eine Welt außer ihm selber, eine Außenwelt an.
Bravo! Das dürfte ganz wohlgethan sein; dazu nickt auch der alte Kant seinen
Beifall.

Ferner: Schopenhauer ist „abstrakter Monist," ihm ist die Vielheit der In¬
dividuen nur ein wesenloser Schein; Hartmann dagegen gewährt dem berechtigten
Individualismus Spielraum und erklärt sich für einen „konkreten Monisten";
das „konkret" soll besagen: er hält die Vielheit der Dinge und Individuen in
der räumlich-zeitlichen Welt für eine über den bloß sinnlichen Augenschein hinaus¬
gehende Wirklichkeit, und zwar (das muß doch offenbar „Monist" bedeuten)-
kennt er dabei keine andre Welt als einzig und allein diese Sinnenwelt in Raum
und Zeit. Ja, wenn es die Kunstausdrücke thäten, wenn durch „ismus" und
„asinus" Klarheit und Wahrheit in die Welt käme, und wenn man, sobald ein
„ist" oder „äst," ein „mer" oder „alter" seine Karte abgegeben hat, nun auch
geuau wissen könnte, wie man mit ihm dran ist, das wäre freilich gut!

Aber von der Schopenhciuerschen Unterscheidung zwischen intelligiblem und
empirischem Charakter des Menschen und von einer transzendentalen Freiheit
des erstem — übrigens eine kantische Unterscheidung, die Schopenhauer nur
acceptirt hat, um sie zu mißbrauchen — davon hält Herr von Hartmaim gar-
nichts, dergleichen verwirft er, und ganz mit Recht, denn wie könnte er als
„konkreter Monist" solch eine dualistische Voraussetzung billigen? Da fiele ja
gleich sein Monismus hin und ginge ihm vielleicht anch noch das Konkrete
verloren. Doch braucht er jetzt von vornherein die „Idee" neben dem „Willen."
Sehr gut, wenn er uns andern nur mit der „Idee" etwas nennen könnte, was
wir, sei's in oonorstv, sei's in Ävstraow, deutlich vorzustellen und festzuhalten
wüßten; ja, er kennt ein „absolutes Subjekt," dessen „Funktionen" Wille und
Idee sind. Hat er dieses Subjekt nicht früher dem blasirten deutschen Philister
mit dem großen, bedeutungsvollen Namen „das Unbewußte" angepriesen? Aber
der schulhungrige Philosoph scheint zur Zeit über jenes sein famoses „Unbe¬
wußte" zur Tagesordnung übergegangen zu sein, nur die Schale ist als ab¬
solutes Subjekt geblieben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/141>, abgerufen am 15.06.2024.