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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Lrden.

Gut! Dann brauch' ich dir weiter nichts zu sagen. Du wirst an meiner
Statt hier bleiben.

Der Kleine antwortete nichts, stieß aber plötzlich einen Kehllaut aus, welcher
wie die Stimme eines Wilden klang, und stürzte sich auf die Straße, um ans
dein Staube einen glänzenden Gegenstand, auf welchen seine verlangenden Augen
gefallen waren, aufzuheben.

Was ist das? fragte der erste Gaukler.

Der andre richtete sich langsam auf, sein Gesicht hatte wieder wie früher
den Ausdruck der höchsten Gleichgültigkeit angenommen.

Nichts, antwortete er mit heiserer nud tiefer Stimme und ließ dabei den
Gegenstand, den er in der Hand hatte, verschwinden.

Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der Genosse hatte
alles gesehen.

Es ist etwas, was diese Herrschaften verloren haben. Ah! es ist ihr Porte¬
monnaie; gieb her, ich muß es haben.

Der kleine Mann schüttelte den Kopf.

Da packte ihn der andre bei den Handgelenken. Das Gesicht des Kleinen
wurde vor Schmerz und Furcht fast blau.

Carajo! rief er mit seinen schwarzen Zähnen knirschend aus; ich will es
Euch geben.

^ Der Genosse ließ seine Hand los. Jener zog das Portemonnaie aus der
>;ante und gab es seinem Peiniger.

Ich hatte es erraten, sagte dieser. Und das kann mir vielleicht sehr gelegen
kommen.

Er blickte die Straße hinunter; Laurette und Paul hatten ihren Trab ein¬
gestellt und bewegten sich langsamen Schrittes dem Dorfe zu.

Du bleibst hier, du weißt, was du zu thun hast, sagte der Kunstreiter.
Ich muß jetzt überlegen, was ich mit diesem Dinge anfange.

Im Fluge war er auf der Wiese, welche sich jenseits des Zaunes befand,
und verfolgte eiligen Schrittes und ohne das geringste Geräusch zu erregen den
Weg, den die Gräfin mit ihrem Begleiter eingeschlagen hatte.

Das kleine Ungeheuer saß auf der Erde, ließ die Beine in den Graben
hängen, stützte die Ellenbogen auf die Knie, das Gesicht auf die Hände und
wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Die Gräfin und Amardi ritten eine kleine Weile stillschweigend neben ein¬
ander, als ob sie in Verlegenheit wären, was sie sich sagen sollten; dann that
Laurette so, als ob ein übermächtiges Gefühl sie zu einem plötzlichen Entschlüsse
getrieben habe, sie streckte die Hand zu ihrem Begleiter aus und sagte in leiden¬
schaftlichem Tone, der sich wie eine Liebkosung und wie das Versprechen noch
kostbarerer Gunstbezeugungen anhören ließ: Paul! du hassest mich also?

Amardis Blut kochte, er fühlte bei dieser Stimme dieselbe Aufwallung,
welche ihm die Zauberin damals in Florenz bereitet hatte.

Laurette! Das war alles, was er zu antworten imstande war, aber er
sagte es mit dem Feuer eines Liebhabers von zwanzig Jahren, er drückte das
kleine Händchen, führte es an die Lippen und preßte einen heißen Kuß auf den
gemsledernen Handschuh. Ach, Laurette!

Die Gräfin begriff, daß in diesem Augenblicke alles Unrecht, was sie be¬
gangen hatte, in Vergessenheit geraten war, und war über den Triumph ihrer
Eitelkeit nicht wenig erfreut. Sie zog ihre Hand von Pauls Lippen zurück


Die Lngel auf Lrden.

Gut! Dann brauch' ich dir weiter nichts zu sagen. Du wirst an meiner
Statt hier bleiben.

Der Kleine antwortete nichts, stieß aber plötzlich einen Kehllaut aus, welcher
wie die Stimme eines Wilden klang, und stürzte sich auf die Straße, um ans
dein Staube einen glänzenden Gegenstand, auf welchen seine verlangenden Augen
gefallen waren, aufzuheben.

Was ist das? fragte der erste Gaukler.

Der andre richtete sich langsam auf, sein Gesicht hatte wieder wie früher
den Ausdruck der höchsten Gleichgültigkeit angenommen.

Nichts, antwortete er mit heiserer nud tiefer Stimme und ließ dabei den
Gegenstand, den er in der Hand hatte, verschwinden.

Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der Genosse hatte
alles gesehen.

Es ist etwas, was diese Herrschaften verloren haben. Ah! es ist ihr Porte¬
monnaie; gieb her, ich muß es haben.

Der kleine Mann schüttelte den Kopf.

Da packte ihn der andre bei den Handgelenken. Das Gesicht des Kleinen
wurde vor Schmerz und Furcht fast blau.

Carajo! rief er mit seinen schwarzen Zähnen knirschend aus; ich will es
Euch geben.

^ Der Genosse ließ seine Hand los. Jener zog das Portemonnaie aus der
>;ante und gab es seinem Peiniger.

Ich hatte es erraten, sagte dieser. Und das kann mir vielleicht sehr gelegen
kommen.

Er blickte die Straße hinunter; Laurette und Paul hatten ihren Trab ein¬
gestellt und bewegten sich langsamen Schrittes dem Dorfe zu.

Du bleibst hier, du weißt, was du zu thun hast, sagte der Kunstreiter.
Ich muß jetzt überlegen, was ich mit diesem Dinge anfange.

Im Fluge war er auf der Wiese, welche sich jenseits des Zaunes befand,
und verfolgte eiligen Schrittes und ohne das geringste Geräusch zu erregen den
Weg, den die Gräfin mit ihrem Begleiter eingeschlagen hatte.

Das kleine Ungeheuer saß auf der Erde, ließ die Beine in den Graben
hängen, stützte die Ellenbogen auf die Knie, das Gesicht auf die Hände und
wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Die Gräfin und Amardi ritten eine kleine Weile stillschweigend neben ein¬
ander, als ob sie in Verlegenheit wären, was sie sich sagen sollten; dann that
Laurette so, als ob ein übermächtiges Gefühl sie zu einem plötzlichen Entschlüsse
getrieben habe, sie streckte die Hand zu ihrem Begleiter aus und sagte in leiden¬
schaftlichem Tone, der sich wie eine Liebkosung und wie das Versprechen noch
kostbarerer Gunstbezeugungen anhören ließ: Paul! du hassest mich also?

Amardis Blut kochte, er fühlte bei dieser Stimme dieselbe Aufwallung,
welche ihm die Zauberin damals in Florenz bereitet hatte.

Laurette! Das war alles, was er zu antworten imstande war, aber er
sagte es mit dem Feuer eines Liebhabers von zwanzig Jahren, er drückte das
kleine Händchen, führte es an die Lippen und preßte einen heißen Kuß auf den
gemsledernen Handschuh. Ach, Laurette!

Die Gräfin begriff, daß in diesem Augenblicke alles Unrecht, was sie be¬
gangen hatte, in Vergessenheit geraten war, und war über den Triumph ihrer
Eitelkeit nicht wenig erfreut. Sie zog ihre Hand von Pauls Lippen zurück


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[0149] Die Lngel auf Lrden. Gut! Dann brauch' ich dir weiter nichts zu sagen. Du wirst an meiner Statt hier bleiben. Der Kleine antwortete nichts, stieß aber plötzlich einen Kehllaut aus, welcher wie die Stimme eines Wilden klang, und stürzte sich auf die Straße, um ans dein Staube einen glänzenden Gegenstand, auf welchen seine verlangenden Augen gefallen waren, aufzuheben. Was ist das? fragte der erste Gaukler. Der andre richtete sich langsam auf, sein Gesicht hatte wieder wie früher den Ausdruck der höchsten Gleichgültigkeit angenommen. Nichts, antwortete er mit heiserer nud tiefer Stimme und ließ dabei den Gegenstand, den er in der Hand hatte, verschwinden. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der Genosse hatte alles gesehen. Es ist etwas, was diese Herrschaften verloren haben. Ah! es ist ihr Porte¬ monnaie; gieb her, ich muß es haben. Der kleine Mann schüttelte den Kopf. Da packte ihn der andre bei den Handgelenken. Das Gesicht des Kleinen wurde vor Schmerz und Furcht fast blau. Carajo! rief er mit seinen schwarzen Zähnen knirschend aus; ich will es Euch geben. ^ Der Genosse ließ seine Hand los. Jener zog das Portemonnaie aus der >;ante und gab es seinem Peiniger. Ich hatte es erraten, sagte dieser. Und das kann mir vielleicht sehr gelegen kommen. Er blickte die Straße hinunter; Laurette und Paul hatten ihren Trab ein¬ gestellt und bewegten sich langsamen Schrittes dem Dorfe zu. Du bleibst hier, du weißt, was du zu thun hast, sagte der Kunstreiter. Ich muß jetzt überlegen, was ich mit diesem Dinge anfange. Im Fluge war er auf der Wiese, welche sich jenseits des Zaunes befand, und verfolgte eiligen Schrittes und ohne das geringste Geräusch zu erregen den Weg, den die Gräfin mit ihrem Begleiter eingeschlagen hatte. Das kleine Ungeheuer saß auf der Erde, ließ die Beine in den Graben hängen, stützte die Ellenbogen auf die Knie, das Gesicht auf die Hände und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Die Gräfin und Amardi ritten eine kleine Weile stillschweigend neben ein¬ ander, als ob sie in Verlegenheit wären, was sie sich sagen sollten; dann that Laurette so, als ob ein übermächtiges Gefühl sie zu einem plötzlichen Entschlüsse getrieben habe, sie streckte die Hand zu ihrem Begleiter aus und sagte in leiden¬ schaftlichem Tone, der sich wie eine Liebkosung und wie das Versprechen noch kostbarerer Gunstbezeugungen anhören ließ: Paul! du hassest mich also? Amardis Blut kochte, er fühlte bei dieser Stimme dieselbe Aufwallung, welche ihm die Zauberin damals in Florenz bereitet hatte. Laurette! Das war alles, was er zu antworten imstande war, aber er sagte es mit dem Feuer eines Liebhabers von zwanzig Jahren, er drückte das kleine Händchen, führte es an die Lippen und preßte einen heißen Kuß auf den gemsledernen Handschuh. Ach, Laurette! Die Gräfin begriff, daß in diesem Augenblicke alles Unrecht, was sie be¬ gangen hatte, in Vergessenheit geraten war, und war über den Triumph ihrer Eitelkeit nicht wenig erfreut. Sie zog ihre Hand von Pauls Lippen zurück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/149>, abgerufen am 15.06.2024.