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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Interessenvertretung.

as Ansehen dieses Mannes (des Reichskanzlers nämlich) ist fast
beispiellos in der deutschen Geschichte; die Kritik vermag bei einem
großen Teile der Deutschen so gut wie nichts gegen die bloße
Wirkung seines Namens -- in die Konstatirung dieser hochcrfreu-
lichen Thatsache ging die Betrachtung eines Berliner Korrespon¬
denten über die abgelaufene Reichstagsperiode aus. Aber nicht, wie wir den
Satz lesen, schrieb ihn der Verfasser, der ein treuer Schildknappe der Herren
Richter und Bamberger war. Und ist die Trauer dieser Genossenschaft nicht be¬
greiflich? Wie sie sichs sauer haben werden lassen, früh und spät gehetzt und ge¬
schmäht und verdächtigt, täglich eine neue Klippe entdeckt, an welcher das Staats-
schiff unter des Fürsten Bismarck Führung unfehlbar zerschellen müsse! Die
ganze Arbeit soll nun umsonst gewesen sein. Bemannung und Passagiere sind
so politisch ungebildet, daß sie dem bewährten Piloten vertrauen, und so herz¬
los, der freiwilligen Lotsen zu spotten, welche in den schönsten Matrosenan¬
zügen aus der "Goldner 110" auf Deck einherstolzircn, den Zuhörern durch
Erzählungen von der Seeschlange und vom fliegenden Holländer gruselig zu
machen suchen, oder aus einem Lehrbuch der Scefahrtskunde von Anno Dazu¬
mal beweisen, daß der Alte auf der Kommandobrücke seine Sache garnicht ver¬
stehe. Man scheint der Phrasen überdrüssig geworden zu sein und hält sich an
Thaten. Das muß einen freisinnigen Patrioten wohl schmerzen.

Aber da hören wir unsern Mann einwenden: "Thaten? Thaten würden
wir verrichten, wenn der böse Kanzler uns nur dazu kommen ließe, er selbst
bethört die Menge einzig durch neue Schlagwörter und Interessen." Schlag¬
wörter! Es ist nicht undenkbar, daß Bismarck sich in manchen Dingen der
werten Brüderschaft vom Freisinn überlegen glaubt, allein so eingebildet ist er


Grenzboten IH. 1884. 26


Interessenvertretung.

as Ansehen dieses Mannes (des Reichskanzlers nämlich) ist fast
beispiellos in der deutschen Geschichte; die Kritik vermag bei einem
großen Teile der Deutschen so gut wie nichts gegen die bloße
Wirkung seines Namens — in die Konstatirung dieser hochcrfreu-
lichen Thatsache ging die Betrachtung eines Berliner Korrespon¬
denten über die abgelaufene Reichstagsperiode aus. Aber nicht, wie wir den
Satz lesen, schrieb ihn der Verfasser, der ein treuer Schildknappe der Herren
Richter und Bamberger war. Und ist die Trauer dieser Genossenschaft nicht be¬
greiflich? Wie sie sichs sauer haben werden lassen, früh und spät gehetzt und ge¬
schmäht und verdächtigt, täglich eine neue Klippe entdeckt, an welcher das Staats-
schiff unter des Fürsten Bismarck Führung unfehlbar zerschellen müsse! Die
ganze Arbeit soll nun umsonst gewesen sein. Bemannung und Passagiere sind
so politisch ungebildet, daß sie dem bewährten Piloten vertrauen, und so herz¬
los, der freiwilligen Lotsen zu spotten, welche in den schönsten Matrosenan¬
zügen aus der „Goldner 110" auf Deck einherstolzircn, den Zuhörern durch
Erzählungen von der Seeschlange und vom fliegenden Holländer gruselig zu
machen suchen, oder aus einem Lehrbuch der Scefahrtskunde von Anno Dazu¬
mal beweisen, daß der Alte auf der Kommandobrücke seine Sache garnicht ver¬
stehe. Man scheint der Phrasen überdrüssig geworden zu sein und hält sich an
Thaten. Das muß einen freisinnigen Patrioten wohl schmerzen.

Aber da hören wir unsern Mann einwenden: „Thaten? Thaten würden
wir verrichten, wenn der böse Kanzler uns nur dazu kommen ließe, er selbst
bethört die Menge einzig durch neue Schlagwörter und Interessen." Schlag¬
wörter! Es ist nicht undenkbar, daß Bismarck sich in manchen Dingen der
werten Brüderschaft vom Freisinn überlegen glaubt, allein so eingebildet ist er


Grenzboten IH. 1884. 26
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[0209] [Abbildung] Interessenvertretung. as Ansehen dieses Mannes (des Reichskanzlers nämlich) ist fast beispiellos in der deutschen Geschichte; die Kritik vermag bei einem großen Teile der Deutschen so gut wie nichts gegen die bloße Wirkung seines Namens — in die Konstatirung dieser hochcrfreu- lichen Thatsache ging die Betrachtung eines Berliner Korrespon¬ denten über die abgelaufene Reichstagsperiode aus. Aber nicht, wie wir den Satz lesen, schrieb ihn der Verfasser, der ein treuer Schildknappe der Herren Richter und Bamberger war. Und ist die Trauer dieser Genossenschaft nicht be¬ greiflich? Wie sie sichs sauer haben werden lassen, früh und spät gehetzt und ge¬ schmäht und verdächtigt, täglich eine neue Klippe entdeckt, an welcher das Staats- schiff unter des Fürsten Bismarck Führung unfehlbar zerschellen müsse! Die ganze Arbeit soll nun umsonst gewesen sein. Bemannung und Passagiere sind so politisch ungebildet, daß sie dem bewährten Piloten vertrauen, und so herz¬ los, der freiwilligen Lotsen zu spotten, welche in den schönsten Matrosenan¬ zügen aus der „Goldner 110" auf Deck einherstolzircn, den Zuhörern durch Erzählungen von der Seeschlange und vom fliegenden Holländer gruselig zu machen suchen, oder aus einem Lehrbuch der Scefahrtskunde von Anno Dazu¬ mal beweisen, daß der Alte auf der Kommandobrücke seine Sache garnicht ver¬ stehe. Man scheint der Phrasen überdrüssig geworden zu sein und hält sich an Thaten. Das muß einen freisinnigen Patrioten wohl schmerzen. Aber da hören wir unsern Mann einwenden: „Thaten? Thaten würden wir verrichten, wenn der böse Kanzler uns nur dazu kommen ließe, er selbst bethört die Menge einzig durch neue Schlagwörter und Interessen." Schlag¬ wörter! Es ist nicht undenkbar, daß Bismarck sich in manchen Dingen der werten Brüderschaft vom Freisinn überlegen glaubt, allein so eingebildet ist er Grenzboten IH. 1884. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/209>, abgerufen am 15.06.2024.