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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Jnteroff mo ertretung.

gewiß nicht, es gerade in diesem Artikel mit seinen geschworenen Gegnern auf¬
nehmen zu wollen. Welche falsche Bescheidenheit, gerade auf den Ruhm zu
verzichten, fast den einzigen, dessen sie nicht ermangeln! Denn neben ihrer
Rührigkeit hat eben ihre Gabe der Erfindung neuer Schlagwörter und ihre
Unverdrossenheit in Benutzung derselben von jeher die Bewunderung des teil¬
nehmenden Publikums erregt. So oft einer von den Herren sich anschickt, durch
gesprochenes oder gedrucktes Wort die Menschheit zu bessern und zu bekehren,
surren und schwirren ja die buntgefiederten Pfeile durch die Luft, und der
unerschöpfliche Köcher giebt deren eine solche Menge her, daß man geblendet kann
bemerkt, wie sie wohl die Luft bewegen, aber weit ab von der Scheibe sich in
den Sand bohren. Darum brauchen sich auch die Schützen garnicht zu kümmern,
denn eine dienstfertige Presse springt sofort als Zieler hervor, zieht einen Kreis
um den Punkt, den der Pfeil getroffen hat, und verkündet mit weitschallender
Stimme: "Zentrum! Ein Kernschuß!" Der Katalog der nur von Herrn Richter
erfundenen und mit seiner Fabrikmarke versehenen Schlagwörter muß ja schon
ein dickes Buch ausmachen, und er ruht noch immer nicht auf seinen Lorberen
aus. "Schnapspolitik," "xbcliebiger Regierungsvertreter," neuestens wieder
"Diktatur" (eine Umarbeitung des etwas anrüchig gewordenen "Hausmaier") --
wer kann sich all die geistreichen Einfälle merken, die Töne, in welchen dieser
süße Haß denkt --


Denn Gedanken stehn zu fern,
Dach in Phrasen mag er gern
Alles, was gerecht, verhöhnen.

Und ist nicht "neue Schlagwörter und Interessen" gleich wieder ein köst¬
liches Schlagwort? Gedanken stehn zu fern. Doch wird die Entstehung des
Unsinns verständlich, wenn wir uns erinnern, daß "Interessenpolitik," "Inter¬
essenvertretung" zu den entsetzlichsten Dingen gehören, vor welchen die getreuen
Eckarde den deutschen Philister zu warnen pflegen. Warf doch Herr Bamberger
wieder in seiner letzten Rede, die er wohl heute nicht geredet zu haben wünscht,
als Schlußtrumpf die Interessenvertretung hin. Wenn wir Vertretenen das
Jnterpcllationsrecht und die Vertreter die Pflicht zu antworten hätten, so
würden wir den unschätzbaren Abgeordneten für Bingen und Alzey um eine Erläu¬
terung zu diesem Worte bitten. In jenem Kreise nicht wahlberechtigt und außerdem
überzeugt, daß er nicht einmal zu einer solchen Erklärung sich herbeilassen würde,
wie jener von dem Worte Polizei gab, nämlich: "Das ist die Polizei" -- haben
wir uns bemüht, dem Geheimnis selbst auf den Grund zu kommen; als Akten¬
material dienten bei dieser Untersuchung die freisinnigen Reden und Abstimmungen,
und aus diesen ergab sich unzweifelhaft, daß die wahre, die ideale Vertretung
diejenige ist, welche alle positiven Interessen der Bevölkerung hintansetzt, syste¬
matisch sie zu schädigen bemüht ist. Mithin wird die verabscheuungswürdige
Interessenvertretung wohl das Gegenteil von jener sein.


Jnteroff mo ertretung.

gewiß nicht, es gerade in diesem Artikel mit seinen geschworenen Gegnern auf¬
nehmen zu wollen. Welche falsche Bescheidenheit, gerade auf den Ruhm zu
verzichten, fast den einzigen, dessen sie nicht ermangeln! Denn neben ihrer
Rührigkeit hat eben ihre Gabe der Erfindung neuer Schlagwörter und ihre
Unverdrossenheit in Benutzung derselben von jeher die Bewunderung des teil¬
nehmenden Publikums erregt. So oft einer von den Herren sich anschickt, durch
gesprochenes oder gedrucktes Wort die Menschheit zu bessern und zu bekehren,
surren und schwirren ja die buntgefiederten Pfeile durch die Luft, und der
unerschöpfliche Köcher giebt deren eine solche Menge her, daß man geblendet kann
bemerkt, wie sie wohl die Luft bewegen, aber weit ab von der Scheibe sich in
den Sand bohren. Darum brauchen sich auch die Schützen garnicht zu kümmern,
denn eine dienstfertige Presse springt sofort als Zieler hervor, zieht einen Kreis
um den Punkt, den der Pfeil getroffen hat, und verkündet mit weitschallender
Stimme: „Zentrum! Ein Kernschuß!" Der Katalog der nur von Herrn Richter
erfundenen und mit seiner Fabrikmarke versehenen Schlagwörter muß ja schon
ein dickes Buch ausmachen, und er ruht noch immer nicht auf seinen Lorberen
aus. „Schnapspolitik," „xbcliebiger Regierungsvertreter," neuestens wieder
„Diktatur" (eine Umarbeitung des etwas anrüchig gewordenen „Hausmaier") —
wer kann sich all die geistreichen Einfälle merken, die Töne, in welchen dieser
süße Haß denkt —


Denn Gedanken stehn zu fern,
Dach in Phrasen mag er gern
Alles, was gerecht, verhöhnen.

Und ist nicht „neue Schlagwörter und Interessen" gleich wieder ein köst¬
liches Schlagwort? Gedanken stehn zu fern. Doch wird die Entstehung des
Unsinns verständlich, wenn wir uns erinnern, daß „Interessenpolitik," „Inter¬
essenvertretung" zu den entsetzlichsten Dingen gehören, vor welchen die getreuen
Eckarde den deutschen Philister zu warnen pflegen. Warf doch Herr Bamberger
wieder in seiner letzten Rede, die er wohl heute nicht geredet zu haben wünscht,
als Schlußtrumpf die Interessenvertretung hin. Wenn wir Vertretenen das
Jnterpcllationsrecht und die Vertreter die Pflicht zu antworten hätten, so
würden wir den unschätzbaren Abgeordneten für Bingen und Alzey um eine Erläu¬
terung zu diesem Worte bitten. In jenem Kreise nicht wahlberechtigt und außerdem
überzeugt, daß er nicht einmal zu einer solchen Erklärung sich herbeilassen würde,
wie jener von dem Worte Polizei gab, nämlich: „Das ist die Polizei" — haben
wir uns bemüht, dem Geheimnis selbst auf den Grund zu kommen; als Akten¬
material dienten bei dieser Untersuchung die freisinnigen Reden und Abstimmungen,
und aus diesen ergab sich unzweifelhaft, daß die wahre, die ideale Vertretung
diejenige ist, welche alle positiven Interessen der Bevölkerung hintansetzt, syste¬
matisch sie zu schädigen bemüht ist. Mithin wird die verabscheuungswürdige
Interessenvertretung wohl das Gegenteil von jener sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/210>, abgerufen am 15.06.2024.