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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte der christlichen Liebesthätigkeit.

Gedanken über Beruf und Arbeit, Erwerb und Eigentum im Leben zu verwirk¬
lichen. "Nur dann -- so schließt er eine zusammenfassende Betrachtung --
können wir den Umwälzungen, den neuen Gestaltungen des sozialen Lebens,
die wir oder unsre Kinder erleben werden, weren auch nicht ohne Bangen, doch
hoffnungsvoll entgegensehen."

Die sozialpolitische Arbeit unsrer Tage eine Ausgestaltung reformatorischer
Gedanken -- damit mündet Uhlhorn in die Gegenwart ein. Die Liebesarbeit
im großen ist heute vorwiegend eine staatliche, ist sie darum weniger eine christ¬
liche? Wir antworten mit dem Verfasser: Nein. "So gewiß sich Reich Gottes
und Kirche nicht decken, so gewiß decken sich auch nicht christliche und kirchliche
Liebesthätigkeit." Der Staat, die bürgerliche Gemeinde, alle politischen und
sozialen Gemeinschaften nehmen, von christlichem Geiste durchdrungen, Teil an
der Lösung der gemeinsamen Aufgabe. "Es ist eine krankhafte Einseitigkeit,
wenn im Mittelalter die Liebesthätigkeit ausschließlich kirchlich wird, die Folge
davon, daß man Kirche und Gottesreich in falscher Weise identifizirt und dem
Staate als dem Weltreich gegenüberstellt." Die Reformation hat auch hier
wieder den Staat in seine Rechte eingesetzt. "Aber es wäre dieselbe Einseitig¬
keit, wenn man der Kirche die Übung der Liebesthätigkeit, die Armenpflege
streitig machen, sie andern Organen zuweisen wollte. Hat die nachreforma-
torische Kirche -- auch die katholische, eben unter Einwirkung des reforma¬
torischen Gedankens -- einen wesentlichen Teil ihrer frühern Arbeit an den
Staat und die bürgerliche Gemeinde abgetreten, so kann sie dagegen umso
intensiver auf dem engern Felde einer individualisirenden Liebesthätigkeit wirken.
Und vergessen wir es nicht: wenn auch äußerlich eingeschränkt, wird die Kirche
doch immer der treibende Mittelpunkt der gesamten Liebesthätigkeit bleiben, denn
von ihr kommen allen andern Kreisen die Anregungen wie die Kräfte, sie steckt
jeder Liebesübung das eigentliche höchste Ziel, die Förderung des Gottesreiches.
Die antike Welt, bei aller ihrer Kultur, ist eine Welt ohne Liebe geblieben:
in Platons Idealstaat ist kein Raum sür die Wohlthätigkeit, und in der Ethik
des Aristoteles suchen wir diesen Begriff vergebens. Erst im Christentum ist
die Liebe erschienen, erst in der christlichen Gemeinde ist eine geordnete Liebes¬
thätigkeit aufgeblüht.


Gustav Buchholz.


Zur Geschichte der christlichen Liebesthätigkeit.

Gedanken über Beruf und Arbeit, Erwerb und Eigentum im Leben zu verwirk¬
lichen. „Nur dann — so schließt er eine zusammenfassende Betrachtung —
können wir den Umwälzungen, den neuen Gestaltungen des sozialen Lebens,
die wir oder unsre Kinder erleben werden, weren auch nicht ohne Bangen, doch
hoffnungsvoll entgegensehen."

Die sozialpolitische Arbeit unsrer Tage eine Ausgestaltung reformatorischer
Gedanken — damit mündet Uhlhorn in die Gegenwart ein. Die Liebesarbeit
im großen ist heute vorwiegend eine staatliche, ist sie darum weniger eine christ¬
liche? Wir antworten mit dem Verfasser: Nein. „So gewiß sich Reich Gottes
und Kirche nicht decken, so gewiß decken sich auch nicht christliche und kirchliche
Liebesthätigkeit." Der Staat, die bürgerliche Gemeinde, alle politischen und
sozialen Gemeinschaften nehmen, von christlichem Geiste durchdrungen, Teil an
der Lösung der gemeinsamen Aufgabe. „Es ist eine krankhafte Einseitigkeit,
wenn im Mittelalter die Liebesthätigkeit ausschließlich kirchlich wird, die Folge
davon, daß man Kirche und Gottesreich in falscher Weise identifizirt und dem
Staate als dem Weltreich gegenüberstellt." Die Reformation hat auch hier
wieder den Staat in seine Rechte eingesetzt. „Aber es wäre dieselbe Einseitig¬
keit, wenn man der Kirche die Übung der Liebesthätigkeit, die Armenpflege
streitig machen, sie andern Organen zuweisen wollte. Hat die nachreforma-
torische Kirche — auch die katholische, eben unter Einwirkung des reforma¬
torischen Gedankens — einen wesentlichen Teil ihrer frühern Arbeit an den
Staat und die bürgerliche Gemeinde abgetreten, so kann sie dagegen umso
intensiver auf dem engern Felde einer individualisirenden Liebesthätigkeit wirken.
Und vergessen wir es nicht: wenn auch äußerlich eingeschränkt, wird die Kirche
doch immer der treibende Mittelpunkt der gesamten Liebesthätigkeit bleiben, denn
von ihr kommen allen andern Kreisen die Anregungen wie die Kräfte, sie steckt
jeder Liebesübung das eigentliche höchste Ziel, die Förderung des Gottesreiches.
Die antike Welt, bei aller ihrer Kultur, ist eine Welt ohne Liebe geblieben:
in Platons Idealstaat ist kein Raum sür die Wohlthätigkeit, und in der Ethik
des Aristoteles suchen wir diesen Begriff vergebens. Erst im Christentum ist
die Liebe erschienen, erst in der christlichen Gemeinde ist eine geordnete Liebes¬
thätigkeit aufgeblüht.


Gustav Buchholz.


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[0218] Zur Geschichte der christlichen Liebesthätigkeit. Gedanken über Beruf und Arbeit, Erwerb und Eigentum im Leben zu verwirk¬ lichen. „Nur dann — so schließt er eine zusammenfassende Betrachtung — können wir den Umwälzungen, den neuen Gestaltungen des sozialen Lebens, die wir oder unsre Kinder erleben werden, weren auch nicht ohne Bangen, doch hoffnungsvoll entgegensehen." Die sozialpolitische Arbeit unsrer Tage eine Ausgestaltung reformatorischer Gedanken — damit mündet Uhlhorn in die Gegenwart ein. Die Liebesarbeit im großen ist heute vorwiegend eine staatliche, ist sie darum weniger eine christ¬ liche? Wir antworten mit dem Verfasser: Nein. „So gewiß sich Reich Gottes und Kirche nicht decken, so gewiß decken sich auch nicht christliche und kirchliche Liebesthätigkeit." Der Staat, die bürgerliche Gemeinde, alle politischen und sozialen Gemeinschaften nehmen, von christlichem Geiste durchdrungen, Teil an der Lösung der gemeinsamen Aufgabe. „Es ist eine krankhafte Einseitigkeit, wenn im Mittelalter die Liebesthätigkeit ausschließlich kirchlich wird, die Folge davon, daß man Kirche und Gottesreich in falscher Weise identifizirt und dem Staate als dem Weltreich gegenüberstellt." Die Reformation hat auch hier wieder den Staat in seine Rechte eingesetzt. „Aber es wäre dieselbe Einseitig¬ keit, wenn man der Kirche die Übung der Liebesthätigkeit, die Armenpflege streitig machen, sie andern Organen zuweisen wollte. Hat die nachreforma- torische Kirche — auch die katholische, eben unter Einwirkung des reforma¬ torischen Gedankens — einen wesentlichen Teil ihrer frühern Arbeit an den Staat und die bürgerliche Gemeinde abgetreten, so kann sie dagegen umso intensiver auf dem engern Felde einer individualisirenden Liebesthätigkeit wirken. Und vergessen wir es nicht: wenn auch äußerlich eingeschränkt, wird die Kirche doch immer der treibende Mittelpunkt der gesamten Liebesthätigkeit bleiben, denn von ihr kommen allen andern Kreisen die Anregungen wie die Kräfte, sie steckt jeder Liebesübung das eigentliche höchste Ziel, die Förderung des Gottesreiches. Die antike Welt, bei aller ihrer Kultur, ist eine Welt ohne Liebe geblieben: in Platons Idealstaat ist kein Raum sür die Wohlthätigkeit, und in der Ethik des Aristoteles suchen wir diesen Begriff vergebens. Erst im Christentum ist die Liebe erschienen, erst in der christlichen Gemeinde ist eine geordnete Liebes¬ thätigkeit aufgeblüht. Gustav Buchholz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/218>, abgerufen am 15.06.2024.