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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs dos Großen.

siebenjährigen Krieg besser aufgefaßt und also ein rascheres und für Preußen
glücklicheres Ende herbeigeführt haben würden. Ich und mit mir alle Fach¬
männer, die ihr Votum in der Sache bereits abgegeben haben, sind eben darum,
weil sie in all ihrer modernen strategischen Weisheit nichts besseres wissen, der
Ansicht, daß der König nicht nur der Virtuose des achtzehnten Jahrhunderts
war, sondern daß er ein großer Feldherr für alle Zeiten gewesen.

Aber da Herr Dr. Delbrück Clausewitz, wenn auch ganz allgemein, als seine
militärische Egeria ins Feld führt, so will auch ich den berühmten Militär¬
philosophen nachschlagen; das wichtigste dabei ist, daß man die richtige Stelle
nachschlägt. Im zweiten Bande (S. 147), wo von der strategischen Defensive
die Rede ist, heißt es: "Aber da die Verteidigung an den Begriff des Ab-
wartens gebunden ist, so kann jener Zweck, den Feind zu besiegen, nur be¬
dingungsweise vorhanden sein, nämlich nur, wenn der Angriff erfolgt, und es
versteht sich also, daß die Verteidigung, wenn dies nicht geschieht, sich mit Er¬
haltung des Besitzes begnügt; dies ist also ihr Zweck im Zustande des Ab-
wartens, d. h. ihr nächster, und indem sie sich mit diesem bescheidenem Ziel
begnügt, kann sie zu der stärkern Kriegsform gelangen." Ist es ein Zufall,
daß in den nächsten Zeilen fünf Schlachten Friedrichs doch wohl als die besten
Beispiele strategischer Defensive erwähnt werden? Friedrich hat, und das darf
bei der Würdigung seines Feldherrntnms niemals übersehen werden, nur ein
einzigesmal Aussicht gehabt, zur allgemeinen unbedingten Offensive überzugehen,
und das war in der ersten Hälfte des Juni 1757, kurz vor der ersten Kata¬
strophe. Die strategische Defensive auf den innern Linien hat also immer und
überall nur die Gewinnung und demnächst Erhaltung eines ihren Kräften ent¬
sprechenden Verteidigungsraumes, in dessen Besitz sie ihre Gegner auseinander¬
halten, bei getrenntem Vorrücken einzeln schlagen, aber nicht weit verfolgen kann,
zum Ziel. Es tritt bei ihr demnach das räumliche Element naturgemäß in den
Vordergrund, das ist ihr gemeinsam mit der methodischen Kriegführung, und
darum hat Herr Dr. Delbrück beide nicht auseinanderzuhalten vermocht. Aber
die Grundlage ist bei beiden eine sehr verschiedene. Die strategische Defensive
ist eine Zwangslage, in der man sich in den Zielen einschränken muß, weil die
Mittel wirklich nicht weiter reichen und an größeren Zielen zerschellen würden;
die methodische Kriegführung könnte mit Erweiterung ihres Zieles der Sache
rasch ein Ende machen, aber sie will den größern Einsatz, der mit dem Angriff
der feindlichen Hauptmacht verknüpft ist, nicht daran wagen. In gleicher Weise
wie die strategische Defensive aus der Blutarmut entsprungen, ist sie keineswegs
notwendig mit ihr verknüpft, wie diese; wir finden sie in dem Gewände einer
Doktrin als selbständige Macht die Geister verwirrend noch bis in die zweite Hälfte
unsers Jahrhunderts hinein. In ihrem Bann befangen, kommen die Gegner
Friedrichs selbst in dessen schlimmsten Krisen nicht dazu, ihm den Gnadenstoß
zu geben, sodaß er sich immer von neuem, wenn auch jedesmal schwächer, auf-


Die methodische Kriegführung Friedrichs dos Großen.

siebenjährigen Krieg besser aufgefaßt und also ein rascheres und für Preußen
glücklicheres Ende herbeigeführt haben würden. Ich und mit mir alle Fach¬
männer, die ihr Votum in der Sache bereits abgegeben haben, sind eben darum,
weil sie in all ihrer modernen strategischen Weisheit nichts besseres wissen, der
Ansicht, daß der König nicht nur der Virtuose des achtzehnten Jahrhunderts
war, sondern daß er ein großer Feldherr für alle Zeiten gewesen.

Aber da Herr Dr. Delbrück Clausewitz, wenn auch ganz allgemein, als seine
militärische Egeria ins Feld führt, so will auch ich den berühmten Militär¬
philosophen nachschlagen; das wichtigste dabei ist, daß man die richtige Stelle
nachschlägt. Im zweiten Bande (S. 147), wo von der strategischen Defensive
die Rede ist, heißt es: „Aber da die Verteidigung an den Begriff des Ab-
wartens gebunden ist, so kann jener Zweck, den Feind zu besiegen, nur be¬
dingungsweise vorhanden sein, nämlich nur, wenn der Angriff erfolgt, und es
versteht sich also, daß die Verteidigung, wenn dies nicht geschieht, sich mit Er¬
haltung des Besitzes begnügt; dies ist also ihr Zweck im Zustande des Ab-
wartens, d. h. ihr nächster, und indem sie sich mit diesem bescheidenem Ziel
begnügt, kann sie zu der stärkern Kriegsform gelangen." Ist es ein Zufall,
daß in den nächsten Zeilen fünf Schlachten Friedrichs doch wohl als die besten
Beispiele strategischer Defensive erwähnt werden? Friedrich hat, und das darf
bei der Würdigung seines Feldherrntnms niemals übersehen werden, nur ein
einzigesmal Aussicht gehabt, zur allgemeinen unbedingten Offensive überzugehen,
und das war in der ersten Hälfte des Juni 1757, kurz vor der ersten Kata¬
strophe. Die strategische Defensive auf den innern Linien hat also immer und
überall nur die Gewinnung und demnächst Erhaltung eines ihren Kräften ent¬
sprechenden Verteidigungsraumes, in dessen Besitz sie ihre Gegner auseinander¬
halten, bei getrenntem Vorrücken einzeln schlagen, aber nicht weit verfolgen kann,
zum Ziel. Es tritt bei ihr demnach das räumliche Element naturgemäß in den
Vordergrund, das ist ihr gemeinsam mit der methodischen Kriegführung, und
darum hat Herr Dr. Delbrück beide nicht auseinanderzuhalten vermocht. Aber
die Grundlage ist bei beiden eine sehr verschiedene. Die strategische Defensive
ist eine Zwangslage, in der man sich in den Zielen einschränken muß, weil die
Mittel wirklich nicht weiter reichen und an größeren Zielen zerschellen würden;
die methodische Kriegführung könnte mit Erweiterung ihres Zieles der Sache
rasch ein Ende machen, aber sie will den größern Einsatz, der mit dem Angriff
der feindlichen Hauptmacht verknüpft ist, nicht daran wagen. In gleicher Weise
wie die strategische Defensive aus der Blutarmut entsprungen, ist sie keineswegs
notwendig mit ihr verknüpft, wie diese; wir finden sie in dem Gewände einer
Doktrin als selbständige Macht die Geister verwirrend noch bis in die zweite Hälfte
unsers Jahrhunderts hinein. In ihrem Bann befangen, kommen die Gegner
Friedrichs selbst in dessen schlimmsten Krisen nicht dazu, ihm den Gnadenstoß
zu geben, sodaß er sich immer von neuem, wenn auch jedesmal schwächer, auf-


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[0224] Die methodische Kriegführung Friedrichs dos Großen. siebenjährigen Krieg besser aufgefaßt und also ein rascheres und für Preußen glücklicheres Ende herbeigeführt haben würden. Ich und mit mir alle Fach¬ männer, die ihr Votum in der Sache bereits abgegeben haben, sind eben darum, weil sie in all ihrer modernen strategischen Weisheit nichts besseres wissen, der Ansicht, daß der König nicht nur der Virtuose des achtzehnten Jahrhunderts war, sondern daß er ein großer Feldherr für alle Zeiten gewesen. Aber da Herr Dr. Delbrück Clausewitz, wenn auch ganz allgemein, als seine militärische Egeria ins Feld führt, so will auch ich den berühmten Militär¬ philosophen nachschlagen; das wichtigste dabei ist, daß man die richtige Stelle nachschlägt. Im zweiten Bande (S. 147), wo von der strategischen Defensive die Rede ist, heißt es: „Aber da die Verteidigung an den Begriff des Ab- wartens gebunden ist, so kann jener Zweck, den Feind zu besiegen, nur be¬ dingungsweise vorhanden sein, nämlich nur, wenn der Angriff erfolgt, und es versteht sich also, daß die Verteidigung, wenn dies nicht geschieht, sich mit Er¬ haltung des Besitzes begnügt; dies ist also ihr Zweck im Zustande des Ab- wartens, d. h. ihr nächster, und indem sie sich mit diesem bescheidenem Ziel begnügt, kann sie zu der stärkern Kriegsform gelangen." Ist es ein Zufall, daß in den nächsten Zeilen fünf Schlachten Friedrichs doch wohl als die besten Beispiele strategischer Defensive erwähnt werden? Friedrich hat, und das darf bei der Würdigung seines Feldherrntnms niemals übersehen werden, nur ein einzigesmal Aussicht gehabt, zur allgemeinen unbedingten Offensive überzugehen, und das war in der ersten Hälfte des Juni 1757, kurz vor der ersten Kata¬ strophe. Die strategische Defensive auf den innern Linien hat also immer und überall nur die Gewinnung und demnächst Erhaltung eines ihren Kräften ent¬ sprechenden Verteidigungsraumes, in dessen Besitz sie ihre Gegner auseinander¬ halten, bei getrenntem Vorrücken einzeln schlagen, aber nicht weit verfolgen kann, zum Ziel. Es tritt bei ihr demnach das räumliche Element naturgemäß in den Vordergrund, das ist ihr gemeinsam mit der methodischen Kriegführung, und darum hat Herr Dr. Delbrück beide nicht auseinanderzuhalten vermocht. Aber die Grundlage ist bei beiden eine sehr verschiedene. Die strategische Defensive ist eine Zwangslage, in der man sich in den Zielen einschränken muß, weil die Mittel wirklich nicht weiter reichen und an größeren Zielen zerschellen würden; die methodische Kriegführung könnte mit Erweiterung ihres Zieles der Sache rasch ein Ende machen, aber sie will den größern Einsatz, der mit dem Angriff der feindlichen Hauptmacht verknüpft ist, nicht daran wagen. In gleicher Weise wie die strategische Defensive aus der Blutarmut entsprungen, ist sie keineswegs notwendig mit ihr verknüpft, wie diese; wir finden sie in dem Gewände einer Doktrin als selbständige Macht die Geister verwirrend noch bis in die zweite Hälfte unsers Jahrhunderts hinein. In ihrem Bann befangen, kommen die Gegner Friedrichs selbst in dessen schlimmsten Krisen nicht dazu, ihm den Gnadenstoß zu geben, sodaß er sich immer von neuem, wenn auch jedesmal schwächer, auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/224>, abgerufen am 16.06.2024.