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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs drs Großen.

raffen kann; in ihrem Bann versäumen die österreichischer Feldherren einmal
über das andre dem ersten Koalitionskriege ein Ende zu machen. Im zweiten
Koalitionskriege gab Melas 1800 in Italien ausdrücklich die Parole aus: stra¬
tegische Offensive, taktische Defensive, wiewohl er Massena in einem Stärke¬
verhältnis von 3:1 gegenüberstand, er kam infolge dessen nicht zu Ende und
wurde von Bonaparte bei Marengo ü^rg-ut Mit ertappt. Der Trachen-
berger Opcrativnsplan und die Rolle, welche 1814 das Plateau von Langres
spielt, sind methodische Kriegführung; ihre Jünger und Anhänger sind die Mack,
die Weyrother und Langcnau, die Massenbach und Psilli. Selbst 1859 finden
sich in der Kriegführung beider Gegner noch starke Nachwirkungen und Anklange
jener dem gewaltsamen Wesen des Krieges widersprechenden Lehre.

Aber König Friedrich hat nicht in ihrem Banne gestanden, er uuter seinen
Zeitgenossen der einzige. Weil er sein Jahrhundert soweit überragt, darum bleibt
er unverstanden von ihm und ohne Einfluß auf die Entwicklung der Kriegskunst,
bis die gründliche Änderung der Mittel des Krieges es denn auch andern
Geistern erleichtert, die Fesseln der Gewohnheit abzustreifen. Das Wort des
Prinzen Heinrich: "Mein Bruder wollte immer batailliren, das war seine Kunst,"
spricht doch Wohl deutlich genug, daß ihn die gelehrten Feldherren seiner Zeit
nicht für einen der Ihren hielten, sondern für einen gewaltthätigen Naturalisten,
dessen originelle Sprünge so garnicht schulmäßig waren und Staat und Heer
in die größten Gefahren stürzten -- gerade wie eine gewisse Schule einen Staats¬
mann unsrer Tage zu beurteilen liebt.

Erst uach allgemeiner Erkenntnis der Grundsätze der neuen Strategie, d. h.
nach Zurückführung der Kriegskunst auf das wahre Wesen des Krieges, von
dem sie sich gewaltig entfernt hatte, können wir das Heldenbild Friedrichs in
seiner vollen Größe erkennen. In glücklichster Weise wirkt dabei mit, daß die
neuere Quellenforschung den Staub des Mißwollcns und Mißverstehens, der
sich infolge der Prinz Heinrichschcn Geschichtschreibung auf dem Bilde abgelagert
hatte, zu entfernen begonnen hat. König Friedrich hat nicht in dem Banne
der falschen Doktrin der Kriegführung gestanden, er unter seinen Zeitgenossen
als einziger hatte das Vernichtungsprinzip als das allein entscheidende im
Kriege erkannt und strebte es an, wo ihm dies irgendwie nach dem Verhältnis
seiner Mittel möglich war. 1757 wollte er das Heer des Prinzen Karl in Prag durch
Kapitulation vernichten, darum ließ er Prag zernirt und suchte mit schwächer"
Kräften Daun fernzuhalten. Dadurch, daß er diesem die entscheidende Schlacht
lieferte, sogut die österreichische Stellung auch war, so wenig Truppen er auch
hatte, scheiterte er. Das zu hoch gesteckte Ziel in Bezug auf die Vernichtung
des Feindes war es also gerade, welches das Unheil herbeiführte. Kaiser Na¬
poleon, mit seiner Anerkennung Friedrichs sparsam, sagt hierüber: "Der Plan
des Königs, eine Stadt wie Prag einzuschließen, obgleich sich darin eine Armee
von 40000 Mann befand, welche allerdings eben eine Schlacht verloren hatte,


Die methodische Kriegführung Friedrichs drs Großen.

raffen kann; in ihrem Bann versäumen die österreichischer Feldherren einmal
über das andre dem ersten Koalitionskriege ein Ende zu machen. Im zweiten
Koalitionskriege gab Melas 1800 in Italien ausdrücklich die Parole aus: stra¬
tegische Offensive, taktische Defensive, wiewohl er Massena in einem Stärke¬
verhältnis von 3:1 gegenüberstand, er kam infolge dessen nicht zu Ende und
wurde von Bonaparte bei Marengo ü^rg-ut Mit ertappt. Der Trachen-
berger Opcrativnsplan und die Rolle, welche 1814 das Plateau von Langres
spielt, sind methodische Kriegführung; ihre Jünger und Anhänger sind die Mack,
die Weyrother und Langcnau, die Massenbach und Psilli. Selbst 1859 finden
sich in der Kriegführung beider Gegner noch starke Nachwirkungen und Anklange
jener dem gewaltsamen Wesen des Krieges widersprechenden Lehre.

Aber König Friedrich hat nicht in ihrem Banne gestanden, er uuter seinen
Zeitgenossen der einzige. Weil er sein Jahrhundert soweit überragt, darum bleibt
er unverstanden von ihm und ohne Einfluß auf die Entwicklung der Kriegskunst,
bis die gründliche Änderung der Mittel des Krieges es denn auch andern
Geistern erleichtert, die Fesseln der Gewohnheit abzustreifen. Das Wort des
Prinzen Heinrich: „Mein Bruder wollte immer batailliren, das war seine Kunst,"
spricht doch Wohl deutlich genug, daß ihn die gelehrten Feldherren seiner Zeit
nicht für einen der Ihren hielten, sondern für einen gewaltthätigen Naturalisten,
dessen originelle Sprünge so garnicht schulmäßig waren und Staat und Heer
in die größten Gefahren stürzten — gerade wie eine gewisse Schule einen Staats¬
mann unsrer Tage zu beurteilen liebt.

Erst uach allgemeiner Erkenntnis der Grundsätze der neuen Strategie, d. h.
nach Zurückführung der Kriegskunst auf das wahre Wesen des Krieges, von
dem sie sich gewaltig entfernt hatte, können wir das Heldenbild Friedrichs in
seiner vollen Größe erkennen. In glücklichster Weise wirkt dabei mit, daß die
neuere Quellenforschung den Staub des Mißwollcns und Mißverstehens, der
sich infolge der Prinz Heinrichschcn Geschichtschreibung auf dem Bilde abgelagert
hatte, zu entfernen begonnen hat. König Friedrich hat nicht in dem Banne
der falschen Doktrin der Kriegführung gestanden, er unter seinen Zeitgenossen
als einziger hatte das Vernichtungsprinzip als das allein entscheidende im
Kriege erkannt und strebte es an, wo ihm dies irgendwie nach dem Verhältnis
seiner Mittel möglich war. 1757 wollte er das Heer des Prinzen Karl in Prag durch
Kapitulation vernichten, darum ließ er Prag zernirt und suchte mit schwächer»
Kräften Daun fernzuhalten. Dadurch, daß er diesem die entscheidende Schlacht
lieferte, sogut die österreichische Stellung auch war, so wenig Truppen er auch
hatte, scheiterte er. Das zu hoch gesteckte Ziel in Bezug auf die Vernichtung
des Feindes war es also gerade, welches das Unheil herbeiführte. Kaiser Na¬
poleon, mit seiner Anerkennung Friedrichs sparsam, sagt hierüber: „Der Plan
des Königs, eine Stadt wie Prag einzuschließen, obgleich sich darin eine Armee
von 40000 Mann befand, welche allerdings eben eine Schlacht verloren hatte,


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[0225] Die methodische Kriegführung Friedrichs drs Großen. raffen kann; in ihrem Bann versäumen die österreichischer Feldherren einmal über das andre dem ersten Koalitionskriege ein Ende zu machen. Im zweiten Koalitionskriege gab Melas 1800 in Italien ausdrücklich die Parole aus: stra¬ tegische Offensive, taktische Defensive, wiewohl er Massena in einem Stärke¬ verhältnis von 3:1 gegenüberstand, er kam infolge dessen nicht zu Ende und wurde von Bonaparte bei Marengo ü^rg-ut Mit ertappt. Der Trachen- berger Opcrativnsplan und die Rolle, welche 1814 das Plateau von Langres spielt, sind methodische Kriegführung; ihre Jünger und Anhänger sind die Mack, die Weyrother und Langcnau, die Massenbach und Psilli. Selbst 1859 finden sich in der Kriegführung beider Gegner noch starke Nachwirkungen und Anklange jener dem gewaltsamen Wesen des Krieges widersprechenden Lehre. Aber König Friedrich hat nicht in ihrem Banne gestanden, er uuter seinen Zeitgenossen der einzige. Weil er sein Jahrhundert soweit überragt, darum bleibt er unverstanden von ihm und ohne Einfluß auf die Entwicklung der Kriegskunst, bis die gründliche Änderung der Mittel des Krieges es denn auch andern Geistern erleichtert, die Fesseln der Gewohnheit abzustreifen. Das Wort des Prinzen Heinrich: „Mein Bruder wollte immer batailliren, das war seine Kunst," spricht doch Wohl deutlich genug, daß ihn die gelehrten Feldherren seiner Zeit nicht für einen der Ihren hielten, sondern für einen gewaltthätigen Naturalisten, dessen originelle Sprünge so garnicht schulmäßig waren und Staat und Heer in die größten Gefahren stürzten — gerade wie eine gewisse Schule einen Staats¬ mann unsrer Tage zu beurteilen liebt. Erst uach allgemeiner Erkenntnis der Grundsätze der neuen Strategie, d. h. nach Zurückführung der Kriegskunst auf das wahre Wesen des Krieges, von dem sie sich gewaltig entfernt hatte, können wir das Heldenbild Friedrichs in seiner vollen Größe erkennen. In glücklichster Weise wirkt dabei mit, daß die neuere Quellenforschung den Staub des Mißwollcns und Mißverstehens, der sich infolge der Prinz Heinrichschcn Geschichtschreibung auf dem Bilde abgelagert hatte, zu entfernen begonnen hat. König Friedrich hat nicht in dem Banne der falschen Doktrin der Kriegführung gestanden, er unter seinen Zeitgenossen als einziger hatte das Vernichtungsprinzip als das allein entscheidende im Kriege erkannt und strebte es an, wo ihm dies irgendwie nach dem Verhältnis seiner Mittel möglich war. 1757 wollte er das Heer des Prinzen Karl in Prag durch Kapitulation vernichten, darum ließ er Prag zernirt und suchte mit schwächer» Kräften Daun fernzuhalten. Dadurch, daß er diesem die entscheidende Schlacht lieferte, sogut die österreichische Stellung auch war, so wenig Truppen er auch hatte, scheiterte er. Das zu hoch gesteckte Ziel in Bezug auf die Vernichtung des Feindes war es also gerade, welches das Unheil herbeiführte. Kaiser Na¬ poleon, mit seiner Anerkennung Friedrichs sparsam, sagt hierüber: „Der Plan des Königs, eine Stadt wie Prag einzuschließen, obgleich sich darin eine Armee von 40000 Mann befand, welche allerdings eben eine Schlacht verloren hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/225>, abgerufen am 16.06.2024.