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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

ist eine der ungeheuersten und kühnsten Ideen, welche in der neuen Zeit jemals
gefaßt worden sind."

Weil der König seinen Gegner nicht nur schlagen, sondern vernichten wollte,
verfolgte er ihn am Abend von Leuthen noch bis Lissa, aus demselben Grunde
erlitt er bei Kunersdorf die zweite Katastrophe. Und doch soll er das Ver¬
nichtungsprinzip als oberstes Gesetz nicht gekannt, sondern dem Gewinn von
Land und Stellungen einen eignen Wert zugemessen haben? Nach Meinung
der Fachmänner ist in Friedrichs Kriegführung durchweg der große Feldherr
zu erkennen, aber auch Herr Dr. Delbrück wird zugeben müssen, daß, wenn der
König sich auch nur einmal völlig von den Fesseln der sein Jahrhundert be¬
herrschenden Doktrin befreit hätte, er damit schon über seiner Zeit stünde, denn
wenn jemand nur die Anschauungen seiner Zeit benutzt, solange sie ihm vorteil¬
haft sind, sie aber unter andern Umständen ablegt wie ein Kleid, so ist er nicht
in ihnen befangen, sondern steht über ihnen. Als dieses eine eklatanteste und
widerspruchslose Beispiel ist Leuthen anzusehen; Leuthen, von dem Clausewitz
(X, 52) urteilt: "Die Schlacht von Leuthen ist strategisch ganz im Charakter
der heutigen Zeit," von dem der Kaiser Napoleon sagt: "Die Schlacht ist ein
Meisterstück der Bewegungen und Manöver, sowie von Entschlossenheit; sie allein
würde genügen, um Friedrich unsterblich zu machen und ihm einen Rang unter
den größten Feldherren anzuweisen."

Aber uach der Meinung einer Zahl von Kritikern sucht Friedrich nicht
oft genug die Schlacht. Das ist freilich etwas ganz andres, und darüber wird
sich in jedem einzelnen Falle reden lassen, solches Verkennen der Gunst der Um¬
stände oder Versäumen derselben läßt sich auch dem Kaiser Napoleon nachweisen,
dadurch kann noch kein wesentlicher Unterschied in der Kriegführung der beiden
Feldherren begründet werden. Daß Friedrich in seinen Verhältnissen allen Grund
hatte, mit der Schlacht sparsam zu sein, hat schon Th. von Bernhardt nach¬
gewiesen; trotzdem griff der König jedesmal unbedenklich zu dem Mittel, die
Hauptmacht des Feindes anzugreifen, wenn eines der feindlichen Heere ernstlich
Miene machte, in sein Kriegstheater einzudringen und dadurch seine Aktion auf
den innern Linien zu beschränken. In neuester Zeit ist das Wiener Archiv
unsrer kriegsgeschichtlichen Forschung geöffnet worden, es werden sich erst da¬
durch die ganzen Schwierigkeiten erkennen lasse", welche Dann, "der Meister in
der Steh- und Stellungskunst," der Offensive Friedrichs oft zu bereiten wußte.

Was die Sache betrifft, so bin ich am Ende; nur noch eine persönliche
Bemerkung habe ich hinzuzufügen. In bezug auf die Beurteilung der Krieg¬
führung Friedrichs bestreitet Herr Dr. Delbrück, daß die heutigen Militärs
sachverständige Fachmänner seien. Der wahre Fachmann sür die Vergangenheit
sei der Historiker und zwar auf allen Gebieten, und es sei nirgends leichter,
sich fachmännisches Verständnis anzueignen, als im Kriegswesen, weil die an sich
einfachen Grundsätze desselben von Clausewitz in so überaus klarer Weise dar-


Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

ist eine der ungeheuersten und kühnsten Ideen, welche in der neuen Zeit jemals
gefaßt worden sind."

Weil der König seinen Gegner nicht nur schlagen, sondern vernichten wollte,
verfolgte er ihn am Abend von Leuthen noch bis Lissa, aus demselben Grunde
erlitt er bei Kunersdorf die zweite Katastrophe. Und doch soll er das Ver¬
nichtungsprinzip als oberstes Gesetz nicht gekannt, sondern dem Gewinn von
Land und Stellungen einen eignen Wert zugemessen haben? Nach Meinung
der Fachmänner ist in Friedrichs Kriegführung durchweg der große Feldherr
zu erkennen, aber auch Herr Dr. Delbrück wird zugeben müssen, daß, wenn der
König sich auch nur einmal völlig von den Fesseln der sein Jahrhundert be¬
herrschenden Doktrin befreit hätte, er damit schon über seiner Zeit stünde, denn
wenn jemand nur die Anschauungen seiner Zeit benutzt, solange sie ihm vorteil¬
haft sind, sie aber unter andern Umständen ablegt wie ein Kleid, so ist er nicht
in ihnen befangen, sondern steht über ihnen. Als dieses eine eklatanteste und
widerspruchslose Beispiel ist Leuthen anzusehen; Leuthen, von dem Clausewitz
(X, 52) urteilt: „Die Schlacht von Leuthen ist strategisch ganz im Charakter
der heutigen Zeit," von dem der Kaiser Napoleon sagt: „Die Schlacht ist ein
Meisterstück der Bewegungen und Manöver, sowie von Entschlossenheit; sie allein
würde genügen, um Friedrich unsterblich zu machen und ihm einen Rang unter
den größten Feldherren anzuweisen."

Aber uach der Meinung einer Zahl von Kritikern sucht Friedrich nicht
oft genug die Schlacht. Das ist freilich etwas ganz andres, und darüber wird
sich in jedem einzelnen Falle reden lassen, solches Verkennen der Gunst der Um¬
stände oder Versäumen derselben läßt sich auch dem Kaiser Napoleon nachweisen,
dadurch kann noch kein wesentlicher Unterschied in der Kriegführung der beiden
Feldherren begründet werden. Daß Friedrich in seinen Verhältnissen allen Grund
hatte, mit der Schlacht sparsam zu sein, hat schon Th. von Bernhardt nach¬
gewiesen; trotzdem griff der König jedesmal unbedenklich zu dem Mittel, die
Hauptmacht des Feindes anzugreifen, wenn eines der feindlichen Heere ernstlich
Miene machte, in sein Kriegstheater einzudringen und dadurch seine Aktion auf
den innern Linien zu beschränken. In neuester Zeit ist das Wiener Archiv
unsrer kriegsgeschichtlichen Forschung geöffnet worden, es werden sich erst da¬
durch die ganzen Schwierigkeiten erkennen lasse», welche Dann, „der Meister in
der Steh- und Stellungskunst," der Offensive Friedrichs oft zu bereiten wußte.

Was die Sache betrifft, so bin ich am Ende; nur noch eine persönliche
Bemerkung habe ich hinzuzufügen. In bezug auf die Beurteilung der Krieg¬
führung Friedrichs bestreitet Herr Dr. Delbrück, daß die heutigen Militärs
sachverständige Fachmänner seien. Der wahre Fachmann sür die Vergangenheit
sei der Historiker und zwar auf allen Gebieten, und es sei nirgends leichter,
sich fachmännisches Verständnis anzueignen, als im Kriegswesen, weil die an sich
einfachen Grundsätze desselben von Clausewitz in so überaus klarer Weise dar-


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[0226] Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen. ist eine der ungeheuersten und kühnsten Ideen, welche in der neuen Zeit jemals gefaßt worden sind." Weil der König seinen Gegner nicht nur schlagen, sondern vernichten wollte, verfolgte er ihn am Abend von Leuthen noch bis Lissa, aus demselben Grunde erlitt er bei Kunersdorf die zweite Katastrophe. Und doch soll er das Ver¬ nichtungsprinzip als oberstes Gesetz nicht gekannt, sondern dem Gewinn von Land und Stellungen einen eignen Wert zugemessen haben? Nach Meinung der Fachmänner ist in Friedrichs Kriegführung durchweg der große Feldherr zu erkennen, aber auch Herr Dr. Delbrück wird zugeben müssen, daß, wenn der König sich auch nur einmal völlig von den Fesseln der sein Jahrhundert be¬ herrschenden Doktrin befreit hätte, er damit schon über seiner Zeit stünde, denn wenn jemand nur die Anschauungen seiner Zeit benutzt, solange sie ihm vorteil¬ haft sind, sie aber unter andern Umständen ablegt wie ein Kleid, so ist er nicht in ihnen befangen, sondern steht über ihnen. Als dieses eine eklatanteste und widerspruchslose Beispiel ist Leuthen anzusehen; Leuthen, von dem Clausewitz (X, 52) urteilt: „Die Schlacht von Leuthen ist strategisch ganz im Charakter der heutigen Zeit," von dem der Kaiser Napoleon sagt: „Die Schlacht ist ein Meisterstück der Bewegungen und Manöver, sowie von Entschlossenheit; sie allein würde genügen, um Friedrich unsterblich zu machen und ihm einen Rang unter den größten Feldherren anzuweisen." Aber uach der Meinung einer Zahl von Kritikern sucht Friedrich nicht oft genug die Schlacht. Das ist freilich etwas ganz andres, und darüber wird sich in jedem einzelnen Falle reden lassen, solches Verkennen der Gunst der Um¬ stände oder Versäumen derselben läßt sich auch dem Kaiser Napoleon nachweisen, dadurch kann noch kein wesentlicher Unterschied in der Kriegführung der beiden Feldherren begründet werden. Daß Friedrich in seinen Verhältnissen allen Grund hatte, mit der Schlacht sparsam zu sein, hat schon Th. von Bernhardt nach¬ gewiesen; trotzdem griff der König jedesmal unbedenklich zu dem Mittel, die Hauptmacht des Feindes anzugreifen, wenn eines der feindlichen Heere ernstlich Miene machte, in sein Kriegstheater einzudringen und dadurch seine Aktion auf den innern Linien zu beschränken. In neuester Zeit ist das Wiener Archiv unsrer kriegsgeschichtlichen Forschung geöffnet worden, es werden sich erst da¬ durch die ganzen Schwierigkeiten erkennen lasse», welche Dann, „der Meister in der Steh- und Stellungskunst," der Offensive Friedrichs oft zu bereiten wußte. Was die Sache betrifft, so bin ich am Ende; nur noch eine persönliche Bemerkung habe ich hinzuzufügen. In bezug auf die Beurteilung der Krieg¬ führung Friedrichs bestreitet Herr Dr. Delbrück, daß die heutigen Militärs sachverständige Fachmänner seien. Der wahre Fachmann sür die Vergangenheit sei der Historiker und zwar auf allen Gebieten, und es sei nirgends leichter, sich fachmännisches Verständnis anzueignen, als im Kriegswesen, weil die an sich einfachen Grundsätze desselben von Clausewitz in so überaus klarer Weise dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/226>, abgerufen am 15.06.2024.