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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs dos Großen.

gestellt worden seien. Als Beweis, daß der Historiker und nicht der Militär
zum Urteilen befugt sei, giebt Herr Dr. Delbrück zwei Vergleiche; einmal fragt
er, wer entscheiden solle, der Historiker oder der Kunstreiter, ob die Griechen
mit Steigbügeln ritten, sodann ob man sich der Auslegung antiker Vasenbilder
halber an einen Historiker oder an einen Maler wenden würde -- ein Töpfer
würde sich vielleicht noch besser als Gegenstück ausgenommen haben. Es ist
nun aber klar, daß beide Vergleiche nur Äußerlichkeiten betreffen, während bei
der Strategie Friedrichs ihr inneres Wesen im Verhältnis zur jetzigen Strategie
in Frage steht. Ich will über den Beigeschmack, den Zirkusvergleiche stets
haben, hinweggehen und nur die Vergleichspunkte berichtigen, denn auf diese
kommt es doch wesentlich bei allen Vergleichen an. Wenn also der Historiker
durch sachverständige Beweisaufnahme das gesamte Sattel- und Zaumzeug der
Griechen festgestellt hat oder zu haben glaubt, und es ist nun zu entscheiden,
ob die Griechen in derselben Art ritten, wie wir heute reiten, so wird sicher
niemand darüber Auskunft geben können, der nicht reiten und Pferde dressiren
kann, der also die Art der Einwirkung der verschiednen Mittel auf das Pferd
gründlich versteht. In dieser Frage würde mir ein tüchtiger Stallmeister, meinet¬
halben auch ein Kunstreiter, mehr Vertrauen einflößen als ein noch so glänzender
Historiker, der mit einer Reittheorie in der Hand niemanden dreinzureden für
befugt hält. Ebenso verhält es sich bei dem zweiten Vergleich. Es ist keineswegs
zu entscheiden, welches das dargestellte Objekt ist, darüber wollen wir gern den
Historiker hören, sondern die, ob dieses Gemälde so gemalt ist, wie man heut¬
zutage auch noch malt. Dazu muß man die heutige Malerei gründlich verstehen,
und es ist sicher nicht unverständig, wenn der Historiker darüber mit dem Maler
Rücksprache nimmt.

Nun soll der Militär die fndericianische Strategie nicht beurteilen können,
weil wir dieser Zeit noch zu nahe stehen, dann heißt es aber, unsre ältern
Militärs hätten sie richtiger aufgefaßt, wenn auch nicht immer alles richtig
beurteilt. (Wer beurteilt denn "immer alles" richtig?) Es ist nicht ganz klar,
warum wir jetzt gerade eine so verhängnisvolle Sehweite Passiren, nur das ist
völlig klar, daß Herr Dr. Delbrück den Fachmännern zuruft, wenn auch in
rücksichtsvoller und höflicher Form: sutor ultra <zrsxiÄg.in. Ich darf wohl
a" die Entstehungsgeschichte des Sprichworts erinnern. Ein berühmter Maler
des Altertums verbesserte bekanntlich den Stiefel einer Hauptfigur seines Bildes,
weil ein sachverständiger Schuster richtig bemerkt hatte, daß der Stiefel fehlerhaft
dargestellt war, und weil es dein Maler nicht darauf ankam, Recht zu behalten,
sondern darauf, alles richtig darzustellen. Als der Schuster das merkte, begann
er dann später auch die andre Malerei zu kritisiren. Wenn also lediglich die
Frage zu entscheiden ist: Ist diese Strategie moderne Arbeit oder arbeitet man
jetzt anders? so sind doch wohl die Fachmänner die sachverständigen Schuster,
und der Herr Dr. Delbrück kann seinen Stiefel ebenfalls ruhig ummalen. Ich


Die methodische Kriegführung Friedrichs dos Großen.

gestellt worden seien. Als Beweis, daß der Historiker und nicht der Militär
zum Urteilen befugt sei, giebt Herr Dr. Delbrück zwei Vergleiche; einmal fragt
er, wer entscheiden solle, der Historiker oder der Kunstreiter, ob die Griechen
mit Steigbügeln ritten, sodann ob man sich der Auslegung antiker Vasenbilder
halber an einen Historiker oder an einen Maler wenden würde — ein Töpfer
würde sich vielleicht noch besser als Gegenstück ausgenommen haben. Es ist
nun aber klar, daß beide Vergleiche nur Äußerlichkeiten betreffen, während bei
der Strategie Friedrichs ihr inneres Wesen im Verhältnis zur jetzigen Strategie
in Frage steht. Ich will über den Beigeschmack, den Zirkusvergleiche stets
haben, hinweggehen und nur die Vergleichspunkte berichtigen, denn auf diese
kommt es doch wesentlich bei allen Vergleichen an. Wenn also der Historiker
durch sachverständige Beweisaufnahme das gesamte Sattel- und Zaumzeug der
Griechen festgestellt hat oder zu haben glaubt, und es ist nun zu entscheiden,
ob die Griechen in derselben Art ritten, wie wir heute reiten, so wird sicher
niemand darüber Auskunft geben können, der nicht reiten und Pferde dressiren
kann, der also die Art der Einwirkung der verschiednen Mittel auf das Pferd
gründlich versteht. In dieser Frage würde mir ein tüchtiger Stallmeister, meinet¬
halben auch ein Kunstreiter, mehr Vertrauen einflößen als ein noch so glänzender
Historiker, der mit einer Reittheorie in der Hand niemanden dreinzureden für
befugt hält. Ebenso verhält es sich bei dem zweiten Vergleich. Es ist keineswegs
zu entscheiden, welches das dargestellte Objekt ist, darüber wollen wir gern den
Historiker hören, sondern die, ob dieses Gemälde so gemalt ist, wie man heut¬
zutage auch noch malt. Dazu muß man die heutige Malerei gründlich verstehen,
und es ist sicher nicht unverständig, wenn der Historiker darüber mit dem Maler
Rücksprache nimmt.

Nun soll der Militär die fndericianische Strategie nicht beurteilen können,
weil wir dieser Zeit noch zu nahe stehen, dann heißt es aber, unsre ältern
Militärs hätten sie richtiger aufgefaßt, wenn auch nicht immer alles richtig
beurteilt. (Wer beurteilt denn „immer alles" richtig?) Es ist nicht ganz klar,
warum wir jetzt gerade eine so verhängnisvolle Sehweite Passiren, nur das ist
völlig klar, daß Herr Dr. Delbrück den Fachmännern zuruft, wenn auch in
rücksichtsvoller und höflicher Form: sutor ultra <zrsxiÄg.in. Ich darf wohl
a» die Entstehungsgeschichte des Sprichworts erinnern. Ein berühmter Maler
des Altertums verbesserte bekanntlich den Stiefel einer Hauptfigur seines Bildes,
weil ein sachverständiger Schuster richtig bemerkt hatte, daß der Stiefel fehlerhaft
dargestellt war, und weil es dein Maler nicht darauf ankam, Recht zu behalten,
sondern darauf, alles richtig darzustellen. Als der Schuster das merkte, begann
er dann später auch die andre Malerei zu kritisiren. Wenn also lediglich die
Frage zu entscheiden ist: Ist diese Strategie moderne Arbeit oder arbeitet man
jetzt anders? so sind doch wohl die Fachmänner die sachverständigen Schuster,
und der Herr Dr. Delbrück kann seinen Stiefel ebenfalls ruhig ummalen. Ich


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[0227] Die methodische Kriegführung Friedrichs dos Großen. gestellt worden seien. Als Beweis, daß der Historiker und nicht der Militär zum Urteilen befugt sei, giebt Herr Dr. Delbrück zwei Vergleiche; einmal fragt er, wer entscheiden solle, der Historiker oder der Kunstreiter, ob die Griechen mit Steigbügeln ritten, sodann ob man sich der Auslegung antiker Vasenbilder halber an einen Historiker oder an einen Maler wenden würde — ein Töpfer würde sich vielleicht noch besser als Gegenstück ausgenommen haben. Es ist nun aber klar, daß beide Vergleiche nur Äußerlichkeiten betreffen, während bei der Strategie Friedrichs ihr inneres Wesen im Verhältnis zur jetzigen Strategie in Frage steht. Ich will über den Beigeschmack, den Zirkusvergleiche stets haben, hinweggehen und nur die Vergleichspunkte berichtigen, denn auf diese kommt es doch wesentlich bei allen Vergleichen an. Wenn also der Historiker durch sachverständige Beweisaufnahme das gesamte Sattel- und Zaumzeug der Griechen festgestellt hat oder zu haben glaubt, und es ist nun zu entscheiden, ob die Griechen in derselben Art ritten, wie wir heute reiten, so wird sicher niemand darüber Auskunft geben können, der nicht reiten und Pferde dressiren kann, der also die Art der Einwirkung der verschiednen Mittel auf das Pferd gründlich versteht. In dieser Frage würde mir ein tüchtiger Stallmeister, meinet¬ halben auch ein Kunstreiter, mehr Vertrauen einflößen als ein noch so glänzender Historiker, der mit einer Reittheorie in der Hand niemanden dreinzureden für befugt hält. Ebenso verhält es sich bei dem zweiten Vergleich. Es ist keineswegs zu entscheiden, welches das dargestellte Objekt ist, darüber wollen wir gern den Historiker hören, sondern die, ob dieses Gemälde so gemalt ist, wie man heut¬ zutage auch noch malt. Dazu muß man die heutige Malerei gründlich verstehen, und es ist sicher nicht unverständig, wenn der Historiker darüber mit dem Maler Rücksprache nimmt. Nun soll der Militär die fndericianische Strategie nicht beurteilen können, weil wir dieser Zeit noch zu nahe stehen, dann heißt es aber, unsre ältern Militärs hätten sie richtiger aufgefaßt, wenn auch nicht immer alles richtig beurteilt. (Wer beurteilt denn „immer alles" richtig?) Es ist nicht ganz klar, warum wir jetzt gerade eine so verhängnisvolle Sehweite Passiren, nur das ist völlig klar, daß Herr Dr. Delbrück den Fachmännern zuruft, wenn auch in rücksichtsvoller und höflicher Form: sutor ultra <zrsxiÄg.in. Ich darf wohl a» die Entstehungsgeschichte des Sprichworts erinnern. Ein berühmter Maler des Altertums verbesserte bekanntlich den Stiefel einer Hauptfigur seines Bildes, weil ein sachverständiger Schuster richtig bemerkt hatte, daß der Stiefel fehlerhaft dargestellt war, und weil es dein Maler nicht darauf ankam, Recht zu behalten, sondern darauf, alles richtig darzustellen. Als der Schuster das merkte, begann er dann später auch die andre Malerei zu kritisiren. Wenn also lediglich die Frage zu entscheiden ist: Ist diese Strategie moderne Arbeit oder arbeitet man jetzt anders? so sind doch wohl die Fachmänner die sachverständigen Schuster, und der Herr Dr. Delbrück kann seinen Stiefel ebenfalls ruhig ummalen. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/227>, abgerufen am 16.06.2024.