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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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"Heute morgen den ersten Akt der Genovcva beendet. Bin ganz zufrieden und
glücklich. In der Welt ist ein Gott begraben, der auferstehen will und allent¬
halben durchzubrechen sucht in der Liebe, in jeder edeln That." Und am
28. September: "Es ist ein schöner, herrlicher Herbstmorgen, golden liegt der
Sonnenschein auf dem Papier, draußen kühler Wind, der daran mahnt, daß
man die Früchte abnehmen soll, innen behagliche Wärme, Gott ist unverdienter¬
maßen unendlich gnädig gegen mich, und wohl will es sich ziemen, daß ich dies
in meinem Tagebuche, worin soviele Klagen und Ausbrüche der Verzweiflung
stehen, einmal mit freudiger Seele ausspreche. Der einzige Wunsch meiner
Jugend, derjenige, in dem ich nur lebte, war, daß ich ein Dichter werden möchte.
Ich bin einer geworden, und jetzt erst erkenne ich, was das heißt." So gewaltig
sich auch das Selbstgefühl Hebbels gegen deu Hochmut der Ohnmacht, gegen
unbillige Herabsetzung und erbärmlichen Klatsch aufbäumt und so leidenschaftlich
sein Jähzorn selbst gegen die liebsten und nächststehenden Menschen aufwallte,
so fehlte es ihm nicht an jener Gerechtigkeit und Selbsterkenntnis, die dem
modernen Streber und Jchvergöttrer als reine Lächerlichkeit gilt. Wie schmerzlich
ernst klingt es, wenn der Dichter am März 1342 sich selbst das Geständnis
ablegt: "Wäre ich Gott und jeder Menschenpflicht so treu, wie ich der Kunst
bin, dann könnte ich jedem Richter stehen," und am 19. März, am Tage nach
seinem Geburtstage, erläuternd hinzufügt: "Ich habe das Talent auf Kosten des
Menschen genährt und was in meinen Dramen als aufflammende Leidenschaft
Leben und Gestalt erzeugt, das ist in meinen: wirklichen Leben ein böses, uu-
hcilgebürcndes Feuer, das mich selbst und meine Liebsten und Teuersten ver¬
zehrt." Aus Kopenhagen vom 20. Januar 1843 schreibt er: "Ich habe mich
einer scharfen Selbstprüfung unterworfen und bin zu Resultaten gekommen, die
für mich keineswegs erfreulich sind; ich muß der Welt ein viel größeres und
mir selbst ein viel geringeres Recht einräumen als je zuvor, und das in einem
Augenblicke, wo ich ihr lieber fluchen als mich ihr beugen möchte; es ist
ebenso, als wenn einer in dem Moment, wo er ermordet zu werden glaubt,
sich überzeugt, daß ein gerechter Richterspruch an ihm vollzogen wird. Schwere
Arbeiten, große Anstrengungen und Aufopferungen stehen mir bevor, aber wenn
es mir nur gelingt, mir wieder ewige Fußbreit Existenz zu erkämpfen, so hoffe
ich auch diesmal dem Maße meines Erkennens zu genügen, vorausgesetzt freilich,
daß die physische Kraft der geistigen treu bleibe." Dieser wuchtige Ernst und
diese Selbstkritik verbürgten, wenn nicht eine erfreuliche, so doch eine große und
kräftige, eine Entwicklung, welche auch für andre erhebend wirken kann. Man
vergleiche diese und zahlreiche ähnliche Stellen der "Tagebücher" und sage sich
selbst, wer den großen Tagen unsrer Literatur und dem Geiste, der diese er¬
füllte, näher stand, ob der Dichter oder jene unversöhnlichen Widersacher, die
auch diesmal aus seinen geheimsten Aufzeichnungen nichts herauslesen werden,
als daß er ein wüster Gesell mit der Prätension auf Unsterblichkeit und dem


„Heute morgen den ersten Akt der Genovcva beendet. Bin ganz zufrieden und
glücklich. In der Welt ist ein Gott begraben, der auferstehen will und allent¬
halben durchzubrechen sucht in der Liebe, in jeder edeln That." Und am
28. September: „Es ist ein schöner, herrlicher Herbstmorgen, golden liegt der
Sonnenschein auf dem Papier, draußen kühler Wind, der daran mahnt, daß
man die Früchte abnehmen soll, innen behagliche Wärme, Gott ist unverdienter¬
maßen unendlich gnädig gegen mich, und wohl will es sich ziemen, daß ich dies
in meinem Tagebuche, worin soviele Klagen und Ausbrüche der Verzweiflung
stehen, einmal mit freudiger Seele ausspreche. Der einzige Wunsch meiner
Jugend, derjenige, in dem ich nur lebte, war, daß ich ein Dichter werden möchte.
Ich bin einer geworden, und jetzt erst erkenne ich, was das heißt." So gewaltig
sich auch das Selbstgefühl Hebbels gegen deu Hochmut der Ohnmacht, gegen
unbillige Herabsetzung und erbärmlichen Klatsch aufbäumt und so leidenschaftlich
sein Jähzorn selbst gegen die liebsten und nächststehenden Menschen aufwallte,
so fehlte es ihm nicht an jener Gerechtigkeit und Selbsterkenntnis, die dem
modernen Streber und Jchvergöttrer als reine Lächerlichkeit gilt. Wie schmerzlich
ernst klingt es, wenn der Dichter am März 1342 sich selbst das Geständnis
ablegt: „Wäre ich Gott und jeder Menschenpflicht so treu, wie ich der Kunst
bin, dann könnte ich jedem Richter stehen," und am 19. März, am Tage nach
seinem Geburtstage, erläuternd hinzufügt: „Ich habe das Talent auf Kosten des
Menschen genährt und was in meinen Dramen als aufflammende Leidenschaft
Leben und Gestalt erzeugt, das ist in meinen: wirklichen Leben ein böses, uu-
hcilgebürcndes Feuer, das mich selbst und meine Liebsten und Teuersten ver¬
zehrt." Aus Kopenhagen vom 20. Januar 1843 schreibt er: „Ich habe mich
einer scharfen Selbstprüfung unterworfen und bin zu Resultaten gekommen, die
für mich keineswegs erfreulich sind; ich muß der Welt ein viel größeres und
mir selbst ein viel geringeres Recht einräumen als je zuvor, und das in einem
Augenblicke, wo ich ihr lieber fluchen als mich ihr beugen möchte; es ist
ebenso, als wenn einer in dem Moment, wo er ermordet zu werden glaubt,
sich überzeugt, daß ein gerechter Richterspruch an ihm vollzogen wird. Schwere
Arbeiten, große Anstrengungen und Aufopferungen stehen mir bevor, aber wenn
es mir nur gelingt, mir wieder ewige Fußbreit Existenz zu erkämpfen, so hoffe
ich auch diesmal dem Maße meines Erkennens zu genügen, vorausgesetzt freilich,
daß die physische Kraft der geistigen treu bleibe." Dieser wuchtige Ernst und
diese Selbstkritik verbürgten, wenn nicht eine erfreuliche, so doch eine große und
kräftige, eine Entwicklung, welche auch für andre erhebend wirken kann. Man
vergleiche diese und zahlreiche ähnliche Stellen der „Tagebücher" und sage sich
selbst, wer den großen Tagen unsrer Literatur und dem Geiste, der diese er¬
füllte, näher stand, ob der Dichter oder jene unversöhnlichen Widersacher, die
auch diesmal aus seinen geheimsten Aufzeichnungen nichts herauslesen werden,
als daß er ein wüster Gesell mit der Prätension auf Unsterblichkeit und dem


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[0043] „Heute morgen den ersten Akt der Genovcva beendet. Bin ganz zufrieden und glücklich. In der Welt ist ein Gott begraben, der auferstehen will und allent¬ halben durchzubrechen sucht in der Liebe, in jeder edeln That." Und am 28. September: „Es ist ein schöner, herrlicher Herbstmorgen, golden liegt der Sonnenschein auf dem Papier, draußen kühler Wind, der daran mahnt, daß man die Früchte abnehmen soll, innen behagliche Wärme, Gott ist unverdienter¬ maßen unendlich gnädig gegen mich, und wohl will es sich ziemen, daß ich dies in meinem Tagebuche, worin soviele Klagen und Ausbrüche der Verzweiflung stehen, einmal mit freudiger Seele ausspreche. Der einzige Wunsch meiner Jugend, derjenige, in dem ich nur lebte, war, daß ich ein Dichter werden möchte. Ich bin einer geworden, und jetzt erst erkenne ich, was das heißt." So gewaltig sich auch das Selbstgefühl Hebbels gegen deu Hochmut der Ohnmacht, gegen unbillige Herabsetzung und erbärmlichen Klatsch aufbäumt und so leidenschaftlich sein Jähzorn selbst gegen die liebsten und nächststehenden Menschen aufwallte, so fehlte es ihm nicht an jener Gerechtigkeit und Selbsterkenntnis, die dem modernen Streber und Jchvergöttrer als reine Lächerlichkeit gilt. Wie schmerzlich ernst klingt es, wenn der Dichter am März 1342 sich selbst das Geständnis ablegt: „Wäre ich Gott und jeder Menschenpflicht so treu, wie ich der Kunst bin, dann könnte ich jedem Richter stehen," und am 19. März, am Tage nach seinem Geburtstage, erläuternd hinzufügt: „Ich habe das Talent auf Kosten des Menschen genährt und was in meinen Dramen als aufflammende Leidenschaft Leben und Gestalt erzeugt, das ist in meinen: wirklichen Leben ein böses, uu- hcilgebürcndes Feuer, das mich selbst und meine Liebsten und Teuersten ver¬ zehrt." Aus Kopenhagen vom 20. Januar 1843 schreibt er: „Ich habe mich einer scharfen Selbstprüfung unterworfen und bin zu Resultaten gekommen, die für mich keineswegs erfreulich sind; ich muß der Welt ein viel größeres und mir selbst ein viel geringeres Recht einräumen als je zuvor, und das in einem Augenblicke, wo ich ihr lieber fluchen als mich ihr beugen möchte; es ist ebenso, als wenn einer in dem Moment, wo er ermordet zu werden glaubt, sich überzeugt, daß ein gerechter Richterspruch an ihm vollzogen wird. Schwere Arbeiten, große Anstrengungen und Aufopferungen stehen mir bevor, aber wenn es mir nur gelingt, mir wieder ewige Fußbreit Existenz zu erkämpfen, so hoffe ich auch diesmal dem Maße meines Erkennens zu genügen, vorausgesetzt freilich, daß die physische Kraft der geistigen treu bleibe." Dieser wuchtige Ernst und diese Selbstkritik verbürgten, wenn nicht eine erfreuliche, so doch eine große und kräftige, eine Entwicklung, welche auch für andre erhebend wirken kann. Man vergleiche diese und zahlreiche ähnliche Stellen der „Tagebücher" und sage sich selbst, wer den großen Tagen unsrer Literatur und dem Geiste, der diese er¬ füllte, näher stand, ob der Dichter oder jene unversöhnlichen Widersacher, die auch diesmal aus seinen geheimsten Aufzeichnungen nichts herauslesen werden, als daß er ein wüster Gesell mit der Prätension auf Unsterblichkeit und dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/43>, abgerufen am 21.05.2024.