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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Heilgymnastik im Altertum.

der berühmteste aller Weltweisen, als Sokrates. Von ihm sagt Plutcirch in seiner
Schrift über die Gesundheitspflege, er habe den Tanz als eine angenehme
Leibesübung angewandt. Dasselbe berichtet Lucian in seinem Gespräche über
die Tanzkunst. Ausführlich aber erzählt die Sache Xenophon im "Symposion."
Im Hause des reichen Kallias hat sich eine Gesellschaft von Freunden, unter
ihnen auch Sokrates, zusammengefunden, die sich nach den Freuden der Tafel
an den Schaustellungen von Virtuosen ergötzen. Ein Knabe und ein Mädchen
führen uach dem Takte der Flöte allerlei künstliche Tänze ans. Da sagt Sokrates,
dem die Sache höchlich gefällt, zu dem Führer der Truppe, einem Manne aus
Syrakus, er habe nicht übel Lust, bei ihm Unterricht zu nehmen, um seine
Künste zu lernen. Als darauf alle anfangen zu lachen, entgegnet er mit ernst¬
hafter Miene etwa folgendes: "Worüber lacht ihr denn eigentlich? Darüber, daß
ich durch solche Übungen gesund werden und lieber meinen ganzen Körper gleich¬
mäßig ausbilden will, als die Arme allein oder die Beine, wie dies die Faust¬
kämpfer und die Schnellläufer thun? Nach diesen Übungen werde ich Hunger
bekommen und gut schlafen und auch, so Gott will, den leidigen Schmeerbauch
loswerden. Dann brauche ich nicht mehr ins Gymnasion zu gehen und mich
nicht mitten unter den jüngern zu entkleiden, sondern ich kaun zu Hause bleiben
und mich im Zimmer üben, wo es im Winter leidlich warm, in der Sommer¬
hitze aber schattig und kühl ist. Wißt ihr denn nicht, daß mich neulich des
Morgens Charmides beim Tanzen betroffen hat?" -- "Jawohl -- ruft Char-
mides, der ebenfalls in der Gesellschaft ist --, das ist richtig. Zuerst erschrak
ich und dachte schon, du wärest toll geworden; als ich aber von dir eine ähnliche
Rede zu hören bekam, wie du jetzt eben gehalten hast, ging ich nach Hause und
fing zwar nicht an zu tanzen -- denn das habe ich noch nicht gelernt --,
aber ich schlug Lufthiebe, denn das verstehe ich."

Ein weitgehender Gebrauch der Tanzkunst zu bygieinischen Zwecken scheint
freilich aus dieser Geschichte nicht erwiesen zu sein, eher das Gegenteil. Denn
der wohlbeleibte Weltweise wird wegen seiner künstlerischen Anwandlungen aus¬
gelacht, und der einzige in der Gesellschaft, der sich mehr im Scherz als im
Ernst bereit erklärt, seinem Beispiele zu folgen, ist der Gastgeber Kallias. Doch
fehlt es nicht an andern Berichten, welche das Tanzen als der Gesundheit
dienlich empfehlen. Plutarch sagt in seinen "Gesundheitsvorschriften," daß die¬
jenigen, welche es für nötig halten, sich nach Tische eine Bewegung zu machen,
weder den Wettlauf noch den Faustkampf wählen, sondern einen gemächlichen
Spaziergang oder ein taktmäßiges Tanzen. Ebenso erklärt Lucian in dem be¬
reits angeführten Dialog die Tanzkunst nicht nur für ein Vergnügen, sondern
auch für eine der Gesundheit zuträgliche Übung. "Die angespannte Bewegung
des Körpers -- sagt er --, das Drehen und das Beugen desselben und die damit
verbundnen Sprünge sind nicht nur ergötzlich zu sehen, sondern auch in hohem
Grade heilsam für die Ausübenden." Nun stammen freilich die eben angeführten


Heilgymnastik im Altertum.

der berühmteste aller Weltweisen, als Sokrates. Von ihm sagt Plutcirch in seiner
Schrift über die Gesundheitspflege, er habe den Tanz als eine angenehme
Leibesübung angewandt. Dasselbe berichtet Lucian in seinem Gespräche über
die Tanzkunst. Ausführlich aber erzählt die Sache Xenophon im „Symposion."
Im Hause des reichen Kallias hat sich eine Gesellschaft von Freunden, unter
ihnen auch Sokrates, zusammengefunden, die sich nach den Freuden der Tafel
an den Schaustellungen von Virtuosen ergötzen. Ein Knabe und ein Mädchen
führen uach dem Takte der Flöte allerlei künstliche Tänze ans. Da sagt Sokrates,
dem die Sache höchlich gefällt, zu dem Führer der Truppe, einem Manne aus
Syrakus, er habe nicht übel Lust, bei ihm Unterricht zu nehmen, um seine
Künste zu lernen. Als darauf alle anfangen zu lachen, entgegnet er mit ernst¬
hafter Miene etwa folgendes: „Worüber lacht ihr denn eigentlich? Darüber, daß
ich durch solche Übungen gesund werden und lieber meinen ganzen Körper gleich¬
mäßig ausbilden will, als die Arme allein oder die Beine, wie dies die Faust¬
kämpfer und die Schnellläufer thun? Nach diesen Übungen werde ich Hunger
bekommen und gut schlafen und auch, so Gott will, den leidigen Schmeerbauch
loswerden. Dann brauche ich nicht mehr ins Gymnasion zu gehen und mich
nicht mitten unter den jüngern zu entkleiden, sondern ich kaun zu Hause bleiben
und mich im Zimmer üben, wo es im Winter leidlich warm, in der Sommer¬
hitze aber schattig und kühl ist. Wißt ihr denn nicht, daß mich neulich des
Morgens Charmides beim Tanzen betroffen hat?" — „Jawohl — ruft Char-
mides, der ebenfalls in der Gesellschaft ist —, das ist richtig. Zuerst erschrak
ich und dachte schon, du wärest toll geworden; als ich aber von dir eine ähnliche
Rede zu hören bekam, wie du jetzt eben gehalten hast, ging ich nach Hause und
fing zwar nicht an zu tanzen — denn das habe ich noch nicht gelernt —,
aber ich schlug Lufthiebe, denn das verstehe ich."

Ein weitgehender Gebrauch der Tanzkunst zu bygieinischen Zwecken scheint
freilich aus dieser Geschichte nicht erwiesen zu sein, eher das Gegenteil. Denn
der wohlbeleibte Weltweise wird wegen seiner künstlerischen Anwandlungen aus¬
gelacht, und der einzige in der Gesellschaft, der sich mehr im Scherz als im
Ernst bereit erklärt, seinem Beispiele zu folgen, ist der Gastgeber Kallias. Doch
fehlt es nicht an andern Berichten, welche das Tanzen als der Gesundheit
dienlich empfehlen. Plutarch sagt in seinen „Gesundheitsvorschriften," daß die¬
jenigen, welche es für nötig halten, sich nach Tische eine Bewegung zu machen,
weder den Wettlauf noch den Faustkampf wählen, sondern einen gemächlichen
Spaziergang oder ein taktmäßiges Tanzen. Ebenso erklärt Lucian in dem be¬
reits angeführten Dialog die Tanzkunst nicht nur für ein Vergnügen, sondern
auch für eine der Gesundheit zuträgliche Übung. „Die angespannte Bewegung
des Körpers — sagt er —, das Drehen und das Beugen desselben und die damit
verbundnen Sprünge sind nicht nur ergötzlich zu sehen, sondern auch in hohem
Grade heilsam für die Ausübenden." Nun stammen freilich die eben angeführten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/181>, abgerufen am 16.06.2024.