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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Heilgymnastik im Altertum.

Meinung, daß das Salben die Haut geschmeidiger mache, das Reiben sie stärke,
das Abwischen der Feuchtigkeit aber die Poren öffne und reinige. Solche Ab¬
reibungen pflegte man. entweder zu Hause oder im Gymnasion vorzunehmen,
und nur von Natur schwächliche oder übermüßig abgespannte Personen bedienten
sich fremder Hilfe. Schwache Leute sollten sich auch einer größern Menge
Oich bedienen. Natürlich wählte man meist die Morgenstunden, und glaubte
gut zu thun, wenn man im Sommer dem Öle etwas Wasser zusetzte. Die
Bewegungen beim Reihen, lehrt Antyllus, dürfen weder allzu stark noch allzu
schwach sein, sie sollen auch nicht einförmig sein und nicht nur von oben nach
unten und umgekehrt gehen, sondern sie sollen senkrecht, wagerecht und auch
schräge gerichtet sein, damit womöglich alle Muskeln des Körpers in Erregung
versetzt werden.

Vieles von dem, was die alte Heilkunde über den Einfluß der Gymnastik
gelehrt hat, kommt uns jetzt veraltet, seltsam, ja lächerlich vor. Aber der Grund¬
gedanke war doch richtig. Die vorgeschriebenen Bewegungen sollten dazu dienen,
die Haut-, Nerven- und Muskelthätigkeit anzuregen und so den Blutumlauf und
den Stoffwechsel, wenn wir diese den Alten unbekannten Begriffe einsetzen dürfen,
beschleunigen. Und wenn Galen sagt: "Man soll die Leibesübungen nicht ver¬
nachlässigen, wie das manche thun, welche mit Eifer der Wissenschaft obliegen,"
so ist das jedenfalls ein Satz, den heute Arzt und Laie unterschreiben werden.

Geradezu staunenswert ist der Fleiß, mit dem das durch die Jahrhunderte
fortgepflanzte medizinische Wissen der Alten gesammelt ist, und wer einmal das hoch
aufgespeicherte Material, welches freilich nur trümmerhaft vor uus liegt, mustert,
der möchte sich leicht an Lessings "Jungen Gelehrten" erinnern, wo der Me¬
dikus sagt: "Wenn es nach mir geht, so muß er ein Medikus werden. Griechisch
kaun er, und Griechisch ist die halbe Medizin." Heute freilich klingen uns aus
den Reihen der Ärzte andre Stimmen entgegen. Ihnen zufolge könnte man
etwa den Satz umkehren und sagen: "Griechisch kann er, darum darf er, wen" es
nach mir geht, kein Medikus werden." Freilich ist es ja richtig, daß Hippokrates
und Galen heute viel weniger der medizinischen Wissenschaft als der Geschichte
und der Altertumskunde angehören.


F. Runtze.


Grmzlwwi I. 1838.
Heilgymnastik im Altertum.

Meinung, daß das Salben die Haut geschmeidiger mache, das Reiben sie stärke,
das Abwischen der Feuchtigkeit aber die Poren öffne und reinige. Solche Ab¬
reibungen pflegte man. entweder zu Hause oder im Gymnasion vorzunehmen,
und nur von Natur schwächliche oder übermüßig abgespannte Personen bedienten
sich fremder Hilfe. Schwache Leute sollten sich auch einer größern Menge
Oich bedienen. Natürlich wählte man meist die Morgenstunden, und glaubte
gut zu thun, wenn man im Sommer dem Öle etwas Wasser zusetzte. Die
Bewegungen beim Reihen, lehrt Antyllus, dürfen weder allzu stark noch allzu
schwach sein, sie sollen auch nicht einförmig sein und nicht nur von oben nach
unten und umgekehrt gehen, sondern sie sollen senkrecht, wagerecht und auch
schräge gerichtet sein, damit womöglich alle Muskeln des Körpers in Erregung
versetzt werden.

Vieles von dem, was die alte Heilkunde über den Einfluß der Gymnastik
gelehrt hat, kommt uns jetzt veraltet, seltsam, ja lächerlich vor. Aber der Grund¬
gedanke war doch richtig. Die vorgeschriebenen Bewegungen sollten dazu dienen,
die Haut-, Nerven- und Muskelthätigkeit anzuregen und so den Blutumlauf und
den Stoffwechsel, wenn wir diese den Alten unbekannten Begriffe einsetzen dürfen,
beschleunigen. Und wenn Galen sagt: „Man soll die Leibesübungen nicht ver¬
nachlässigen, wie das manche thun, welche mit Eifer der Wissenschaft obliegen,"
so ist das jedenfalls ein Satz, den heute Arzt und Laie unterschreiben werden.

Geradezu staunenswert ist der Fleiß, mit dem das durch die Jahrhunderte
fortgepflanzte medizinische Wissen der Alten gesammelt ist, und wer einmal das hoch
aufgespeicherte Material, welches freilich nur trümmerhaft vor uus liegt, mustert,
der möchte sich leicht an Lessings „Jungen Gelehrten" erinnern, wo der Me¬
dikus sagt: „Wenn es nach mir geht, so muß er ein Medikus werden. Griechisch
kaun er, und Griechisch ist die halbe Medizin." Heute freilich klingen uns aus
den Reihen der Ärzte andre Stimmen entgegen. Ihnen zufolge könnte man
etwa den Satz umkehren und sagen: „Griechisch kann er, darum darf er, wen» es
nach mir geht, kein Medikus werden." Freilich ist es ja richtig, daß Hippokrates
und Galen heute viel weniger der medizinischen Wissenschaft als der Geschichte
und der Altertumskunde angehören.


F. Runtze.


Grmzlwwi I. 1838.
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[0185] Heilgymnastik im Altertum. Meinung, daß das Salben die Haut geschmeidiger mache, das Reiben sie stärke, das Abwischen der Feuchtigkeit aber die Poren öffne und reinige. Solche Ab¬ reibungen pflegte man. entweder zu Hause oder im Gymnasion vorzunehmen, und nur von Natur schwächliche oder übermüßig abgespannte Personen bedienten sich fremder Hilfe. Schwache Leute sollten sich auch einer größern Menge Oich bedienen. Natürlich wählte man meist die Morgenstunden, und glaubte gut zu thun, wenn man im Sommer dem Öle etwas Wasser zusetzte. Die Bewegungen beim Reihen, lehrt Antyllus, dürfen weder allzu stark noch allzu schwach sein, sie sollen auch nicht einförmig sein und nicht nur von oben nach unten und umgekehrt gehen, sondern sie sollen senkrecht, wagerecht und auch schräge gerichtet sein, damit womöglich alle Muskeln des Körpers in Erregung versetzt werden. Vieles von dem, was die alte Heilkunde über den Einfluß der Gymnastik gelehrt hat, kommt uns jetzt veraltet, seltsam, ja lächerlich vor. Aber der Grund¬ gedanke war doch richtig. Die vorgeschriebenen Bewegungen sollten dazu dienen, die Haut-, Nerven- und Muskelthätigkeit anzuregen und so den Blutumlauf und den Stoffwechsel, wenn wir diese den Alten unbekannten Begriffe einsetzen dürfen, beschleunigen. Und wenn Galen sagt: „Man soll die Leibesübungen nicht ver¬ nachlässigen, wie das manche thun, welche mit Eifer der Wissenschaft obliegen," so ist das jedenfalls ein Satz, den heute Arzt und Laie unterschreiben werden. Geradezu staunenswert ist der Fleiß, mit dem das durch die Jahrhunderte fortgepflanzte medizinische Wissen der Alten gesammelt ist, und wer einmal das hoch aufgespeicherte Material, welches freilich nur trümmerhaft vor uus liegt, mustert, der möchte sich leicht an Lessings „Jungen Gelehrten" erinnern, wo der Me¬ dikus sagt: „Wenn es nach mir geht, so muß er ein Medikus werden. Griechisch kaun er, und Griechisch ist die halbe Medizin." Heute freilich klingen uns aus den Reihen der Ärzte andre Stimmen entgegen. Ihnen zufolge könnte man etwa den Satz umkehren und sagen: „Griechisch kann er, darum darf er, wen» es nach mir geht, kein Medikus werden." Freilich ist es ja richtig, daß Hippokrates und Galen heute viel weniger der medizinischen Wissenschaft als der Geschichte und der Altertumskunde angehören. F. Runtze. Grmzlwwi I. 1838.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/185>, abgerufen am 15.06.2024.