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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

bei der deutschen Verfassung nur drei Punkte, von denen man nach der innersten
Überzeugung der Unterzeichneten nicht abgehen kann, ohne der Erreichung des
Endzweckes den wesentlichsten Nachteil zuzufügen: eine kraftvolle Kriegsver¬
fassung, ein Bundesgericht und landständische, durch den Bundesvertrag gesicherte
Verfassungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem Rechtsgebäude in Deutsch¬
land an dem letzten und notwendigsten Schlußsteine mangeln." Von diesen
drei Punkten aber wollte Österreich gerade nichts wissen. Die meisten Mittel-
und Kleinstaaten schlössen sich ihm an und haben fortan stets zu diesem Staate
gehalten, der ihre Souveränität durch die oben erwähnten Verträge gesichert
hatte, und der ihre Sonderinteressen niemals bedrohte, so lange der Bund über¬
haupt bestanden oder vielmehr vegetirt hat. Im alten Reiche war die Formel bei
Abstimmung für alle Anhänger des Hauses Habsburg, namentlich für die geist¬
lichen Fürsten, sprichwörtlich gewesen: In oirmious Siout ^U8trig,! In dem¬
selben Sinne handelten fortan die Regierungen der meisten deutschen Länder,
sobald es galt, Österreich zu unterstützen in der Unterdrückung alles dessen, was
einen deutsch-nationalen Aufschwung herbeiführen konnte.

Humboldts Entwürfe blieben also "schätzbares Material," wie man später
in der Eschenheimer Gasse zu Frankfurt zu sagen pflegte. Der fleißige Mann
arbeitete neue Entwürfe aus, im ganzen sechs; von den preußischen Forderungen
verflüchtigte sich eine nach der andern. Trotzdem gelang es nicht, die Zu¬
stimmung Metternichs zu erlangen, und man braucht sich daher nicht zu wundern,
wenn endlich die preußischen Staatsmänner es müde wurden, ewig leeres Stroh
zu dreschen. Als sie Metternich durch dieses fortwährende Verschleppen vor
lauter Abspannung und Ermattung in eine Art von politischer Apathie versetzt
hatte, legte er selbst den preußischen Bevollmächtigten und dem hannoverschen
Grafen Münster einen Entwurf vor, der wesentlich auf einer Arbeit des Ministers
von Wessenberg beruhte (7. Mai 1815). Dieser wurde dann mit dem letzten
Preußischen Entwürfe verschmolzen, wobei, wie immer, die österreichische Auffassung
den Sieg davontrug. Am 23. Mai 1813 wurde dieses Schriftstück der Kon¬
ferenz der sämtlichen Bevollmächtigten der deutschen Regierungen vorgelegt, die
dann bis zum 8. Juni darüber berieten. Bei diesen Beratungen wurde die
neue Verfassung Deutschlands wiederum in einigen wesentlichen Punkten ver¬
stümmelt, in andern stark abgeschwächt. Baiern, das überhaupt bis zuletzt
seinen Beitritt zweifelhaft ließ, verlangte, daß das gemeinsame Bundesgericht
gestrichen würde, und setzte dies Verlangen auch durch. Sachsen, das eben erst
wiederhergestellte Sachsen, bewies seine Stellung zu nationalen Fragen dadurch,
daß es durchsetzte, daß alle Beschlüsse über Grundgesetze, über organische Bundes¬
einrichtungen, über die Rechte der Einzelstaaten und über Religionsangelegen-
heiten nur mit Stimmeneinheit gefaßt werden dürften. Das Als vos?- xolaiu,
das lidsrum Vsw des alten polnischen Reichstages, war damit auf deutschen
Boden verpflanzt. Die Bestimmungen über die katholischen Kirchenverhältnisse


Der deutsche Bund.

bei der deutschen Verfassung nur drei Punkte, von denen man nach der innersten
Überzeugung der Unterzeichneten nicht abgehen kann, ohne der Erreichung des
Endzweckes den wesentlichsten Nachteil zuzufügen: eine kraftvolle Kriegsver¬
fassung, ein Bundesgericht und landständische, durch den Bundesvertrag gesicherte
Verfassungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem Rechtsgebäude in Deutsch¬
land an dem letzten und notwendigsten Schlußsteine mangeln." Von diesen
drei Punkten aber wollte Österreich gerade nichts wissen. Die meisten Mittel-
und Kleinstaaten schlössen sich ihm an und haben fortan stets zu diesem Staate
gehalten, der ihre Souveränität durch die oben erwähnten Verträge gesichert
hatte, und der ihre Sonderinteressen niemals bedrohte, so lange der Bund über¬
haupt bestanden oder vielmehr vegetirt hat. Im alten Reiche war die Formel bei
Abstimmung für alle Anhänger des Hauses Habsburg, namentlich für die geist¬
lichen Fürsten, sprichwörtlich gewesen: In oirmious Siout ^U8trig,! In dem¬
selben Sinne handelten fortan die Regierungen der meisten deutschen Länder,
sobald es galt, Österreich zu unterstützen in der Unterdrückung alles dessen, was
einen deutsch-nationalen Aufschwung herbeiführen konnte.

Humboldts Entwürfe blieben also „schätzbares Material," wie man später
in der Eschenheimer Gasse zu Frankfurt zu sagen pflegte. Der fleißige Mann
arbeitete neue Entwürfe aus, im ganzen sechs; von den preußischen Forderungen
verflüchtigte sich eine nach der andern. Trotzdem gelang es nicht, die Zu¬
stimmung Metternichs zu erlangen, und man braucht sich daher nicht zu wundern,
wenn endlich die preußischen Staatsmänner es müde wurden, ewig leeres Stroh
zu dreschen. Als sie Metternich durch dieses fortwährende Verschleppen vor
lauter Abspannung und Ermattung in eine Art von politischer Apathie versetzt
hatte, legte er selbst den preußischen Bevollmächtigten und dem hannoverschen
Grafen Münster einen Entwurf vor, der wesentlich auf einer Arbeit des Ministers
von Wessenberg beruhte (7. Mai 1815). Dieser wurde dann mit dem letzten
Preußischen Entwürfe verschmolzen, wobei, wie immer, die österreichische Auffassung
den Sieg davontrug. Am 23. Mai 1813 wurde dieses Schriftstück der Kon¬
ferenz der sämtlichen Bevollmächtigten der deutschen Regierungen vorgelegt, die
dann bis zum 8. Juni darüber berieten. Bei diesen Beratungen wurde die
neue Verfassung Deutschlands wiederum in einigen wesentlichen Punkten ver¬
stümmelt, in andern stark abgeschwächt. Baiern, das überhaupt bis zuletzt
seinen Beitritt zweifelhaft ließ, verlangte, daß das gemeinsame Bundesgericht
gestrichen würde, und setzte dies Verlangen auch durch. Sachsen, das eben erst
wiederhergestellte Sachsen, bewies seine Stellung zu nationalen Fragen dadurch,
daß es durchsetzte, daß alle Beschlüsse über Grundgesetze, über organische Bundes¬
einrichtungen, über die Rechte der Einzelstaaten und über Religionsangelegen-
heiten nur mit Stimmeneinheit gefaßt werden dürften. Das Als vos?- xolaiu,
das lidsrum Vsw des alten polnischen Reichstages, war damit auf deutschen
Boden verpflanzt. Die Bestimmungen über die katholischen Kirchenverhältnisse


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[0195] Der deutsche Bund. bei der deutschen Verfassung nur drei Punkte, von denen man nach der innersten Überzeugung der Unterzeichneten nicht abgehen kann, ohne der Erreichung des Endzweckes den wesentlichsten Nachteil zuzufügen: eine kraftvolle Kriegsver¬ fassung, ein Bundesgericht und landständische, durch den Bundesvertrag gesicherte Verfassungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem Rechtsgebäude in Deutsch¬ land an dem letzten und notwendigsten Schlußsteine mangeln." Von diesen drei Punkten aber wollte Österreich gerade nichts wissen. Die meisten Mittel- und Kleinstaaten schlössen sich ihm an und haben fortan stets zu diesem Staate gehalten, der ihre Souveränität durch die oben erwähnten Verträge gesichert hatte, und der ihre Sonderinteressen niemals bedrohte, so lange der Bund über¬ haupt bestanden oder vielmehr vegetirt hat. Im alten Reiche war die Formel bei Abstimmung für alle Anhänger des Hauses Habsburg, namentlich für die geist¬ lichen Fürsten, sprichwörtlich gewesen: In oirmious Siout ^U8trig,! In dem¬ selben Sinne handelten fortan die Regierungen der meisten deutschen Länder, sobald es galt, Österreich zu unterstützen in der Unterdrückung alles dessen, was einen deutsch-nationalen Aufschwung herbeiführen konnte. Humboldts Entwürfe blieben also „schätzbares Material," wie man später in der Eschenheimer Gasse zu Frankfurt zu sagen pflegte. Der fleißige Mann arbeitete neue Entwürfe aus, im ganzen sechs; von den preußischen Forderungen verflüchtigte sich eine nach der andern. Trotzdem gelang es nicht, die Zu¬ stimmung Metternichs zu erlangen, und man braucht sich daher nicht zu wundern, wenn endlich die preußischen Staatsmänner es müde wurden, ewig leeres Stroh zu dreschen. Als sie Metternich durch dieses fortwährende Verschleppen vor lauter Abspannung und Ermattung in eine Art von politischer Apathie versetzt hatte, legte er selbst den preußischen Bevollmächtigten und dem hannoverschen Grafen Münster einen Entwurf vor, der wesentlich auf einer Arbeit des Ministers von Wessenberg beruhte (7. Mai 1815). Dieser wurde dann mit dem letzten Preußischen Entwürfe verschmolzen, wobei, wie immer, die österreichische Auffassung den Sieg davontrug. Am 23. Mai 1813 wurde dieses Schriftstück der Kon¬ ferenz der sämtlichen Bevollmächtigten der deutschen Regierungen vorgelegt, die dann bis zum 8. Juni darüber berieten. Bei diesen Beratungen wurde die neue Verfassung Deutschlands wiederum in einigen wesentlichen Punkten ver¬ stümmelt, in andern stark abgeschwächt. Baiern, das überhaupt bis zuletzt seinen Beitritt zweifelhaft ließ, verlangte, daß das gemeinsame Bundesgericht gestrichen würde, und setzte dies Verlangen auch durch. Sachsen, das eben erst wiederhergestellte Sachsen, bewies seine Stellung zu nationalen Fragen dadurch, daß es durchsetzte, daß alle Beschlüsse über Grundgesetze, über organische Bundes¬ einrichtungen, über die Rechte der Einzelstaaten und über Religionsangelegen- heiten nur mit Stimmeneinheit gefaßt werden dürften. Das Als vos?- xolaiu, das lidsrum Vsw des alten polnischen Reichstages, war damit auf deutschen Boden verpflanzt. Die Bestimmungen über die katholischen Kirchenverhältnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/195>, abgerufen am 15.06.2024.