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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

wurden ebenfalls gestrichen, die Verpflichtung zu landständischen Verfassungen
sehr abgeschwächt. Aus dem "soll" des Entwurfes war ein "wird" gemacht.

Diese sogenannte "deutsche Bundesakte," die einen Teil der Wiener Kon¬
greßakte bilden und daher unter Schutz und Garantie der europäischen Mächte
stehen sollte, wurde dann endlich am 8. Juni 1815 von den Vertretern der
meisten deutschen Staaten unterzeichnet, von einigen mit Vorbehalt. Württem¬
berg und Baden, die sich auch nicht an den Beratungen beteiligten, verweigerten
zunächst ihren Beitritt, und letzteres unterzeichnete erst am 26. Juli, jenes gar
erst am 1. September.

So hatte denn das jammervolle Werk seinen Abschluß gefunden. Daß es
überhaupt so weit kam, das war zudem noch zum großen Teile eine Wirkung
der Angst, die das plötzliche Wiedererscheinen Napoleons in Frankreich hervor¬
gebracht hatte. Denn, o Ironie des Schicksals! gerade in den Tagen, wo die
Diplomaten in Wien unsre große, herrliche Nation wieder für eine lange, da¬
mals unabsehbar lange Zeit zur politischen Ohnmacht und Schwäche verur¬
teilten, zogen kampfes- und todesmutig die schlachterprobten Krieger Preußens
und einiger andern deutschen Staaten hinaus zu neuem, blutigem Ringen mit
dem Erbfeinde. Kaum acht Tage später verkündeten die brüllenden Geschütze
auf Belgiens blutgetränkten Gefilden, daß die preußischen und deutschen Waffen
noch einmal imstande waren, den Thron des Imperators zu stürzen. Welch
ein Gegensatz: dieser kriegerische Ruhm und jene politische Erbärmlichkeit!

Der Merkwürdigkeit wegen mag hier noch erwähnt werden, daß an demselben
Tage, an welchem in Wien die deutsche Bundesakte unterzeichnet wurde, am
8. Juni 1815, in der Schloßkapelle zu Charlottenburg ein junger Königssohn vor
dem Altare eingesegnet wurde, der später als Greis berufen war, Deutschland
aus seiner Erniedrigung zu ungeahntem Glänze emporzuheben, Prinz Wilhelm
von Preußen.

Nach den in Wien gefaßten Beschlüssen hätte die deutsche Bundesver-
ammlung am 1. Oktober 1815 zu Frankfurt a. M. zusammentreten sollen.
Doch verzögerte sich die Eröffnung des Bundestages in Wirklichkeit bis zum
5. November 1816. An diesem Tage fand unter Vorsitz und Leitung des
österreichischen Gesandten, des Grafen Buol-Schauenstein, die erste feierliche
Sitzung statt.

Daß die deutsche Bundesverfassung ein höchst unvollkommenes Werk war,
wurde von niemand geleugnet, nicht einmal von denjenigen, welche felbst am
meisten dazu beigetragen hatten, die ursprünglichen Entwürfe zu verstümmeln.
Preußen und Hannover hatten bei der Unterzeichnung der Bundesakte sogar
amtlich zu Protokoll gegeben, daß sie es für besser hielten, einen unvollkommenen
und weniger vollständigen Bund zu schließen als gar keinen, da ja keine Ver¬
besserung gänzlich ausgeschlossen sei. Als daher der Bundestag nach der oben
erwähnten langen Verschleppung, die gewissermaßen ein Vorzeichen war für die


Der deutsche Bund.

wurden ebenfalls gestrichen, die Verpflichtung zu landständischen Verfassungen
sehr abgeschwächt. Aus dem „soll" des Entwurfes war ein „wird" gemacht.

Diese sogenannte „deutsche Bundesakte," die einen Teil der Wiener Kon¬
greßakte bilden und daher unter Schutz und Garantie der europäischen Mächte
stehen sollte, wurde dann endlich am 8. Juni 1815 von den Vertretern der
meisten deutschen Staaten unterzeichnet, von einigen mit Vorbehalt. Württem¬
berg und Baden, die sich auch nicht an den Beratungen beteiligten, verweigerten
zunächst ihren Beitritt, und letzteres unterzeichnete erst am 26. Juli, jenes gar
erst am 1. September.

So hatte denn das jammervolle Werk seinen Abschluß gefunden. Daß es
überhaupt so weit kam, das war zudem noch zum großen Teile eine Wirkung
der Angst, die das plötzliche Wiedererscheinen Napoleons in Frankreich hervor¬
gebracht hatte. Denn, o Ironie des Schicksals! gerade in den Tagen, wo die
Diplomaten in Wien unsre große, herrliche Nation wieder für eine lange, da¬
mals unabsehbar lange Zeit zur politischen Ohnmacht und Schwäche verur¬
teilten, zogen kampfes- und todesmutig die schlachterprobten Krieger Preußens
und einiger andern deutschen Staaten hinaus zu neuem, blutigem Ringen mit
dem Erbfeinde. Kaum acht Tage später verkündeten die brüllenden Geschütze
auf Belgiens blutgetränkten Gefilden, daß die preußischen und deutschen Waffen
noch einmal imstande waren, den Thron des Imperators zu stürzen. Welch
ein Gegensatz: dieser kriegerische Ruhm und jene politische Erbärmlichkeit!

Der Merkwürdigkeit wegen mag hier noch erwähnt werden, daß an demselben
Tage, an welchem in Wien die deutsche Bundesakte unterzeichnet wurde, am
8. Juni 1815, in der Schloßkapelle zu Charlottenburg ein junger Königssohn vor
dem Altare eingesegnet wurde, der später als Greis berufen war, Deutschland
aus seiner Erniedrigung zu ungeahntem Glänze emporzuheben, Prinz Wilhelm
von Preußen.

Nach den in Wien gefaßten Beschlüssen hätte die deutsche Bundesver-
ammlung am 1. Oktober 1815 zu Frankfurt a. M. zusammentreten sollen.
Doch verzögerte sich die Eröffnung des Bundestages in Wirklichkeit bis zum
5. November 1816. An diesem Tage fand unter Vorsitz und Leitung des
österreichischen Gesandten, des Grafen Buol-Schauenstein, die erste feierliche
Sitzung statt.

Daß die deutsche Bundesverfassung ein höchst unvollkommenes Werk war,
wurde von niemand geleugnet, nicht einmal von denjenigen, welche felbst am
meisten dazu beigetragen hatten, die ursprünglichen Entwürfe zu verstümmeln.
Preußen und Hannover hatten bei der Unterzeichnung der Bundesakte sogar
amtlich zu Protokoll gegeben, daß sie es für besser hielten, einen unvollkommenen
und weniger vollständigen Bund zu schließen als gar keinen, da ja keine Ver¬
besserung gänzlich ausgeschlossen sei. Als daher der Bundestag nach der oben
erwähnten langen Verschleppung, die gewissermaßen ein Vorzeichen war für die


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[0196] Der deutsche Bund. wurden ebenfalls gestrichen, die Verpflichtung zu landständischen Verfassungen sehr abgeschwächt. Aus dem „soll" des Entwurfes war ein „wird" gemacht. Diese sogenannte „deutsche Bundesakte," die einen Teil der Wiener Kon¬ greßakte bilden und daher unter Schutz und Garantie der europäischen Mächte stehen sollte, wurde dann endlich am 8. Juni 1815 von den Vertretern der meisten deutschen Staaten unterzeichnet, von einigen mit Vorbehalt. Württem¬ berg und Baden, die sich auch nicht an den Beratungen beteiligten, verweigerten zunächst ihren Beitritt, und letzteres unterzeichnete erst am 26. Juli, jenes gar erst am 1. September. So hatte denn das jammervolle Werk seinen Abschluß gefunden. Daß es überhaupt so weit kam, das war zudem noch zum großen Teile eine Wirkung der Angst, die das plötzliche Wiedererscheinen Napoleons in Frankreich hervor¬ gebracht hatte. Denn, o Ironie des Schicksals! gerade in den Tagen, wo die Diplomaten in Wien unsre große, herrliche Nation wieder für eine lange, da¬ mals unabsehbar lange Zeit zur politischen Ohnmacht und Schwäche verur¬ teilten, zogen kampfes- und todesmutig die schlachterprobten Krieger Preußens und einiger andern deutschen Staaten hinaus zu neuem, blutigem Ringen mit dem Erbfeinde. Kaum acht Tage später verkündeten die brüllenden Geschütze auf Belgiens blutgetränkten Gefilden, daß die preußischen und deutschen Waffen noch einmal imstande waren, den Thron des Imperators zu stürzen. Welch ein Gegensatz: dieser kriegerische Ruhm und jene politische Erbärmlichkeit! Der Merkwürdigkeit wegen mag hier noch erwähnt werden, daß an demselben Tage, an welchem in Wien die deutsche Bundesakte unterzeichnet wurde, am 8. Juni 1815, in der Schloßkapelle zu Charlottenburg ein junger Königssohn vor dem Altare eingesegnet wurde, der später als Greis berufen war, Deutschland aus seiner Erniedrigung zu ungeahntem Glänze emporzuheben, Prinz Wilhelm von Preußen. Nach den in Wien gefaßten Beschlüssen hätte die deutsche Bundesver- ammlung am 1. Oktober 1815 zu Frankfurt a. M. zusammentreten sollen. Doch verzögerte sich die Eröffnung des Bundestages in Wirklichkeit bis zum 5. November 1816. An diesem Tage fand unter Vorsitz und Leitung des österreichischen Gesandten, des Grafen Buol-Schauenstein, die erste feierliche Sitzung statt. Daß die deutsche Bundesverfassung ein höchst unvollkommenes Werk war, wurde von niemand geleugnet, nicht einmal von denjenigen, welche felbst am meisten dazu beigetragen hatten, die ursprünglichen Entwürfe zu verstümmeln. Preußen und Hannover hatten bei der Unterzeichnung der Bundesakte sogar amtlich zu Protokoll gegeben, daß sie es für besser hielten, einen unvollkommenen und weniger vollständigen Bund zu schließen als gar keinen, da ja keine Ver¬ besserung gänzlich ausgeschlossen sei. Als daher der Bundestag nach der oben erwähnten langen Verschleppung, die gewissermaßen ein Vorzeichen war für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/196>, abgerufen am 15.06.2024.