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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Der Freisinn und die Frauenfrage

englisch) von Nsvlmin und (?irton OollöM verlangt wird, hat daher bei allen
klar denkenden Menschen aufrichtigen Beifall gefunden. Der Minister v. Goßler
sagt in seiner Antwort auf die Forderung, studirte Lehrerinnen für die höhern
Mädchenschulen heranzubilden: "Abgesehen von den schweren Bedenken, welche
der beschriebene Bildungsgang im übrigen gegen sich hat, abgesehen von der
Schwierigkeit, welche es bereiten würde, die Anstalten zu beschaffen, auf welchen
sich die jungen Mädchen für das "fchnrfe" Aufnahme-Examen vorbereiten können,
würde die verlangte ununterbrochene siebzehnjährige (vom 6. bis zum 23. Jahre)
Lernarbeit die jungen Mädchen körperlich schwächen, geistig überreizen und
außerdem sehr leicht dem Familienleben entfremden." Die Mädchen werden
leider jetzt schon dem Familienleben entfremdet durch die Schule ebenso sehr,
wie durch die verfehlte häusliche Erziehung, und nun soll sich an die Schul¬
jahre noch eine Vorbereitungszeit für die Universität und dann ein dreijähriges
Studium auf der Universität anschließen -- das ist unerhört! Dann verlangen
wir auch noch einen einjährigen Militärdienst der Mädchen bei der schweren
Kavallerie oder Artillerie.

Aber Scherz beiseite. Glaubt man denn wirklich, daß ein normal ange¬
legtes Mädchen mit allen seinen geistigen und physiologischen Eigenheiten die
notwendigen Vorbedingungen zum wissenschaftlichen Studium mit sich bringe?
Glaubt man denn, daß ein normal angelegtes Mädchen auf geistigem Gebiete
den Wettkampf mit Männern auch uur in einem Fache aufnehmen könnte?
Da wäre denn doch noch erst das Gutachten von Frauenärzteu und Mädchen¬
lehrern einzuziehen. Allein wir bestreiten schon ohne diese Gutachten entschieden,
daß eine Lehrerin, die unter Verzicht auf ihre natürliche Bestimmung drei
Jahre wissenschaftlich gearbeitet hat, noch die weiblichen Eigenschaften besitze,
die wir in unsern Töchtern geweckt und entwickelt wissen wollen. Wir be¬
streiten entschieden, daß die Zulassung der Mädchen zum Studium auf der
Hochschule für unsre Gesellschaft, für unser Gemeinwohl, für unser Vaterland
von irgend welchen vorteilhaften Folgen fein könnte. Wir behaupten im Gegen¬
teil, daß wir mit dieser Neuerung unzweifelhaft in russische Verhältnisse hinein¬
geraten, daß unsre Mädchen dann ebenso wie die Russinnen dem krassen Nihi¬
lismus verfallen würden; abgesehen von den sittlichen Gefahren und den körper¬
lichen Schädigungen, denen sie dabei ausgesetzt wären. Denn gerade der weibliche
Organismus verträgt, wie der Jrrenarzt Pelmnn in seiner Schrift "Nervosität
und Erziehung" nachgewiesen hat, am wenigsten eine Überanspannuug des Gehirus.

Aber ein freisinniges Blatt sagt in Bezug auf die sittliche" Bedenken sehr
optimistisch: "Wer ein bischen zu denken vermag, wird nicht meinen, daß auf
der Universität, auf der Frauen und Männer zusammen arbeiten, durch Liebe¬
leien die Würde der Wissenschaft leiden könne, sondern er wird hoffen, daß
die gemeinsame Arbeit vielmehr die Liebe zu einer ernsten Sache zu machen
geeignet sei." Sonderbarer freisinniger Schwärmer! Bei allem Idealismus,


Der Freisinn und die Frauenfrage

englisch) von Nsvlmin und (?irton OollöM verlangt wird, hat daher bei allen
klar denkenden Menschen aufrichtigen Beifall gefunden. Der Minister v. Goßler
sagt in seiner Antwort auf die Forderung, studirte Lehrerinnen für die höhern
Mädchenschulen heranzubilden: „Abgesehen von den schweren Bedenken, welche
der beschriebene Bildungsgang im übrigen gegen sich hat, abgesehen von der
Schwierigkeit, welche es bereiten würde, die Anstalten zu beschaffen, auf welchen
sich die jungen Mädchen für das »fchnrfe« Aufnahme-Examen vorbereiten können,
würde die verlangte ununterbrochene siebzehnjährige (vom 6. bis zum 23. Jahre)
Lernarbeit die jungen Mädchen körperlich schwächen, geistig überreizen und
außerdem sehr leicht dem Familienleben entfremden." Die Mädchen werden
leider jetzt schon dem Familienleben entfremdet durch die Schule ebenso sehr,
wie durch die verfehlte häusliche Erziehung, und nun soll sich an die Schul¬
jahre noch eine Vorbereitungszeit für die Universität und dann ein dreijähriges
Studium auf der Universität anschließen — das ist unerhört! Dann verlangen
wir auch noch einen einjährigen Militärdienst der Mädchen bei der schweren
Kavallerie oder Artillerie.

Aber Scherz beiseite. Glaubt man denn wirklich, daß ein normal ange¬
legtes Mädchen mit allen seinen geistigen und physiologischen Eigenheiten die
notwendigen Vorbedingungen zum wissenschaftlichen Studium mit sich bringe?
Glaubt man denn, daß ein normal angelegtes Mädchen auf geistigem Gebiete
den Wettkampf mit Männern auch uur in einem Fache aufnehmen könnte?
Da wäre denn doch noch erst das Gutachten von Frauenärzteu und Mädchen¬
lehrern einzuziehen. Allein wir bestreiten schon ohne diese Gutachten entschieden,
daß eine Lehrerin, die unter Verzicht auf ihre natürliche Bestimmung drei
Jahre wissenschaftlich gearbeitet hat, noch die weiblichen Eigenschaften besitze,
die wir in unsern Töchtern geweckt und entwickelt wissen wollen. Wir be¬
streiten entschieden, daß die Zulassung der Mädchen zum Studium auf der
Hochschule für unsre Gesellschaft, für unser Gemeinwohl, für unser Vaterland
von irgend welchen vorteilhaften Folgen fein könnte. Wir behaupten im Gegen¬
teil, daß wir mit dieser Neuerung unzweifelhaft in russische Verhältnisse hinein¬
geraten, daß unsre Mädchen dann ebenso wie die Russinnen dem krassen Nihi¬
lismus verfallen würden; abgesehen von den sittlichen Gefahren und den körper¬
lichen Schädigungen, denen sie dabei ausgesetzt wären. Denn gerade der weibliche
Organismus verträgt, wie der Jrrenarzt Pelmnn in seiner Schrift „Nervosität
und Erziehung" nachgewiesen hat, am wenigsten eine Überanspannuug des Gehirus.

Aber ein freisinniges Blatt sagt in Bezug auf die sittliche» Bedenken sehr
optimistisch: „Wer ein bischen zu denken vermag, wird nicht meinen, daß auf
der Universität, auf der Frauen und Männer zusammen arbeiten, durch Liebe¬
leien die Würde der Wissenschaft leiden könne, sondern er wird hoffen, daß
die gemeinsame Arbeit vielmehr die Liebe zu einer ernsten Sache zu machen
geeignet sei." Sonderbarer freisinniger Schwärmer! Bei allem Idealismus,


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[0211] Der Freisinn und die Frauenfrage englisch) von Nsvlmin und (?irton OollöM verlangt wird, hat daher bei allen klar denkenden Menschen aufrichtigen Beifall gefunden. Der Minister v. Goßler sagt in seiner Antwort auf die Forderung, studirte Lehrerinnen für die höhern Mädchenschulen heranzubilden: „Abgesehen von den schweren Bedenken, welche der beschriebene Bildungsgang im übrigen gegen sich hat, abgesehen von der Schwierigkeit, welche es bereiten würde, die Anstalten zu beschaffen, auf welchen sich die jungen Mädchen für das »fchnrfe« Aufnahme-Examen vorbereiten können, würde die verlangte ununterbrochene siebzehnjährige (vom 6. bis zum 23. Jahre) Lernarbeit die jungen Mädchen körperlich schwächen, geistig überreizen und außerdem sehr leicht dem Familienleben entfremden." Die Mädchen werden leider jetzt schon dem Familienleben entfremdet durch die Schule ebenso sehr, wie durch die verfehlte häusliche Erziehung, und nun soll sich an die Schul¬ jahre noch eine Vorbereitungszeit für die Universität und dann ein dreijähriges Studium auf der Universität anschließen — das ist unerhört! Dann verlangen wir auch noch einen einjährigen Militärdienst der Mädchen bei der schweren Kavallerie oder Artillerie. Aber Scherz beiseite. Glaubt man denn wirklich, daß ein normal ange¬ legtes Mädchen mit allen seinen geistigen und physiologischen Eigenheiten die notwendigen Vorbedingungen zum wissenschaftlichen Studium mit sich bringe? Glaubt man denn, daß ein normal angelegtes Mädchen auf geistigem Gebiete den Wettkampf mit Männern auch uur in einem Fache aufnehmen könnte? Da wäre denn doch noch erst das Gutachten von Frauenärzteu und Mädchen¬ lehrern einzuziehen. Allein wir bestreiten schon ohne diese Gutachten entschieden, daß eine Lehrerin, die unter Verzicht auf ihre natürliche Bestimmung drei Jahre wissenschaftlich gearbeitet hat, noch die weiblichen Eigenschaften besitze, die wir in unsern Töchtern geweckt und entwickelt wissen wollen. Wir be¬ streiten entschieden, daß die Zulassung der Mädchen zum Studium auf der Hochschule für unsre Gesellschaft, für unser Gemeinwohl, für unser Vaterland von irgend welchen vorteilhaften Folgen fein könnte. Wir behaupten im Gegen¬ teil, daß wir mit dieser Neuerung unzweifelhaft in russische Verhältnisse hinein¬ geraten, daß unsre Mädchen dann ebenso wie die Russinnen dem krassen Nihi¬ lismus verfallen würden; abgesehen von den sittlichen Gefahren und den körper¬ lichen Schädigungen, denen sie dabei ausgesetzt wären. Denn gerade der weibliche Organismus verträgt, wie der Jrrenarzt Pelmnn in seiner Schrift „Nervosität und Erziehung" nachgewiesen hat, am wenigsten eine Überanspannuug des Gehirus. Aber ein freisinniges Blatt sagt in Bezug auf die sittliche» Bedenken sehr optimistisch: „Wer ein bischen zu denken vermag, wird nicht meinen, daß auf der Universität, auf der Frauen und Männer zusammen arbeiten, durch Liebe¬ leien die Würde der Wissenschaft leiden könne, sondern er wird hoffen, daß die gemeinsame Arbeit vielmehr die Liebe zu einer ernsten Sache zu machen geeignet sei." Sonderbarer freisinniger Schwärmer! Bei allem Idealismus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/211>, abgerufen am 17.06.2024.