Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

den wir der Jugend zutrauen -- an diese Liebe glauben wir nicht, so lange
noch nicht die Religion des Skopzentums bei uns eingeführt ist. Wir glauben
im Gegenteil, daß damit der Anfang zu einer verhängnisvollen Anarchie auf
sittlichem Gebiete, zur Untergrabung des Familienlebens, zur freien Ehe, zu
einem rücksichtslosen individuellen Eudämonismus gemacht werden würde, wie
ihn Bauval in seinen: Buche: Sanktionirte Lügen und Widersprüche in den
Sittengesetzen (Leipzig, 1887) bereits predigt.'

Eine "Frcinenfrage" giebt es in Deutschland nicht, darüber sind wir mit
Eduard von Hartmann einig; aber eine Jungfern- oder Mndchenfrage ist
vorhanden, das unterliegt keinem Zweifel. Die Statistik vom Jahre 1885
giebt an, daß in Deutschland 988,376 Personen weiblichen Geschlechtes mehr
waren als männlichen, von ihnen sind, wenn wir die Personen unter 16 und
über 50 Jahren abrechnen, ungefähr 500,000 zu den Heiratsfähigen zu zählen,
die also übrig bleiben dürften, wenn jeder Mann die Verpflichtung hätte, sich
zu verheiraten. Thatsächlich bleiben aber nicht 500,000 Frauenzimmer ledig,
sondern etwa 5,000,000, die in Deutschland nicht zur Erfüllung ihres natürliche"
Berufes als Mutter in einer staatlich anerkannten Ehe gelangen. Das heißt,
ungefähr 30 Prozent der ganzen weiblichen Bevölkerung in Deutschland trägt
zur Vermehrung der Volksbraft nichts bei. Dieser Prozentsatz lediger Frauen
läßt sich bedeutend verringern und die frei werdende, alles versuchende Arbeits¬
kraft des weiblichen Geschlechtes wieder in die natürliche Berufsthätigkeit leiten,
wenn der Staat die Eheschließungen und Familiengründungen begünstigt und
fördert, wenn er ans das stetig wachsende Funggesellentnm, namentlich in den
bessern Berufskreisen, in irgend einer Art durch erhöhte Steuern n. tgi. einen
Druck ausübt, und wenn er die Prostitution beschränkt, zu der jetzt mehr als 3 Pro¬
zent der weiblichen Bevölkerung (in Berlin mehr als 24000!) herabgesunken sind.
Es könnte für eine Regierung keinen größern Mißgriff geben, als wenn er
durch staatliche Einrichtungen noch künstlich dazu beitragen wollte, die Mädchen
ihrem natürlichen Berufe zu entfremden und dadurch mittelbar die Abneigung
der Männer vor einer Familiengründung zu verstärken. Der Staat hat im
Gegenteil die Erziehung der weiblichen Jugend derart zu ordnen, daß ihr
das Bewußtsein von der nationalen und kultnrgemäßen Bedeutung ihrer natür¬
lichen Leistungen immer klarer wird, daß die Mädchen zu körperlich gesunden,
anspruchslosen und verständigen Frauen herangebildet werden, die endlich auf¬
hören, ihre Trachten und Gewohnheiten von fremden Nationen herzuholen und
ihre Lebensideale außerhalb des Familienglückes zu suchen, die statt einer
mystisch-romantischen Altjungfernduselei eine gesunde, auf lebendigem Pflicht¬
bewußtsein ruhende Lebensanschauung besitzen, die vor dem sittlichen Werte
ihrer natürlichen Aufgaben wieder Respekt empfinden und erkennen, daß "die
tüchtigste und am höchsten zu ehrende Frau diejenige ist, welche der Mensch¬
heit die größte Zahl besterzvgener Kinder geschenkt hat" kurz, deutsche


den wir der Jugend zutrauen — an diese Liebe glauben wir nicht, so lange
noch nicht die Religion des Skopzentums bei uns eingeführt ist. Wir glauben
im Gegenteil, daß damit der Anfang zu einer verhängnisvollen Anarchie auf
sittlichem Gebiete, zur Untergrabung des Familienlebens, zur freien Ehe, zu
einem rücksichtslosen individuellen Eudämonismus gemacht werden würde, wie
ihn Bauval in seinen: Buche: Sanktionirte Lügen und Widersprüche in den
Sittengesetzen (Leipzig, 1887) bereits predigt.'

Eine „Frcinenfrage" giebt es in Deutschland nicht, darüber sind wir mit
Eduard von Hartmann einig; aber eine Jungfern- oder Mndchenfrage ist
vorhanden, das unterliegt keinem Zweifel. Die Statistik vom Jahre 1885
giebt an, daß in Deutschland 988,376 Personen weiblichen Geschlechtes mehr
waren als männlichen, von ihnen sind, wenn wir die Personen unter 16 und
über 50 Jahren abrechnen, ungefähr 500,000 zu den Heiratsfähigen zu zählen,
die also übrig bleiben dürften, wenn jeder Mann die Verpflichtung hätte, sich
zu verheiraten. Thatsächlich bleiben aber nicht 500,000 Frauenzimmer ledig,
sondern etwa 5,000,000, die in Deutschland nicht zur Erfüllung ihres natürliche»
Berufes als Mutter in einer staatlich anerkannten Ehe gelangen. Das heißt,
ungefähr 30 Prozent der ganzen weiblichen Bevölkerung in Deutschland trägt
zur Vermehrung der Volksbraft nichts bei. Dieser Prozentsatz lediger Frauen
läßt sich bedeutend verringern und die frei werdende, alles versuchende Arbeits¬
kraft des weiblichen Geschlechtes wieder in die natürliche Berufsthätigkeit leiten,
wenn der Staat die Eheschließungen und Familiengründungen begünstigt und
fördert, wenn er ans das stetig wachsende Funggesellentnm, namentlich in den
bessern Berufskreisen, in irgend einer Art durch erhöhte Steuern n. tgi. einen
Druck ausübt, und wenn er die Prostitution beschränkt, zu der jetzt mehr als 3 Pro¬
zent der weiblichen Bevölkerung (in Berlin mehr als 24000!) herabgesunken sind.
Es könnte für eine Regierung keinen größern Mißgriff geben, als wenn er
durch staatliche Einrichtungen noch künstlich dazu beitragen wollte, die Mädchen
ihrem natürlichen Berufe zu entfremden und dadurch mittelbar die Abneigung
der Männer vor einer Familiengründung zu verstärken. Der Staat hat im
Gegenteil die Erziehung der weiblichen Jugend derart zu ordnen, daß ihr
das Bewußtsein von der nationalen und kultnrgemäßen Bedeutung ihrer natür¬
lichen Leistungen immer klarer wird, daß die Mädchen zu körperlich gesunden,
anspruchslosen und verständigen Frauen herangebildet werden, die endlich auf¬
hören, ihre Trachten und Gewohnheiten von fremden Nationen herzuholen und
ihre Lebensideale außerhalb des Familienglückes zu suchen, die statt einer
mystisch-romantischen Altjungfernduselei eine gesunde, auf lebendigem Pflicht¬
bewußtsein ruhende Lebensanschauung besitzen, die vor dem sittlichen Werte
ihrer natürlichen Aufgaben wieder Respekt empfinden und erkennen, daß „die
tüchtigste und am höchsten zu ehrende Frau diejenige ist, welche der Mensch¬
heit die größte Zahl besterzvgener Kinder geschenkt hat" kurz, deutsche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204301"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_653" prev="#ID_652"> den wir der Jugend zutrauen &#x2014; an diese Liebe glauben wir nicht, so lange<lb/>
noch nicht die Religion des Skopzentums bei uns eingeführt ist. Wir glauben<lb/>
im Gegenteil, daß damit der Anfang zu einer verhängnisvollen Anarchie auf<lb/>
sittlichem Gebiete, zur Untergrabung des Familienlebens, zur freien Ehe, zu<lb/>
einem rücksichtslosen individuellen Eudämonismus gemacht werden würde, wie<lb/>
ihn Bauval in seinen: Buche: Sanktionirte Lügen und Widersprüche in den<lb/>
Sittengesetzen (Leipzig, 1887) bereits predigt.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654" next="#ID_655"> Eine &#x201E;Frcinenfrage" giebt es in Deutschland nicht, darüber sind wir mit<lb/>
Eduard von Hartmann einig; aber eine Jungfern- oder Mndchenfrage ist<lb/>
vorhanden, das unterliegt keinem Zweifel. Die Statistik vom Jahre 1885<lb/>
giebt an, daß in Deutschland 988,376 Personen weiblichen Geschlechtes mehr<lb/>
waren als männlichen, von ihnen sind, wenn wir die Personen unter 16 und<lb/>
über 50 Jahren abrechnen, ungefähr 500,000 zu den Heiratsfähigen zu zählen,<lb/>
die also übrig bleiben dürften, wenn jeder Mann die Verpflichtung hätte, sich<lb/>
zu verheiraten. Thatsächlich bleiben aber nicht 500,000 Frauenzimmer ledig,<lb/>
sondern etwa 5,000,000, die in Deutschland nicht zur Erfüllung ihres natürliche»<lb/>
Berufes als Mutter in einer staatlich anerkannten Ehe gelangen. Das heißt,<lb/>
ungefähr 30 Prozent der ganzen weiblichen Bevölkerung in Deutschland trägt<lb/>
zur Vermehrung der Volksbraft nichts bei. Dieser Prozentsatz lediger Frauen<lb/>
läßt sich bedeutend verringern und die frei werdende, alles versuchende Arbeits¬<lb/>
kraft des weiblichen Geschlechtes wieder in die natürliche Berufsthätigkeit leiten,<lb/>
wenn der Staat die Eheschließungen und Familiengründungen begünstigt und<lb/>
fördert, wenn er ans das stetig wachsende Funggesellentnm, namentlich in den<lb/>
bessern Berufskreisen, in irgend einer Art durch erhöhte Steuern n. tgi. einen<lb/>
Druck ausübt, und wenn er die Prostitution beschränkt, zu der jetzt mehr als 3 Pro¬<lb/>
zent der weiblichen Bevölkerung (in Berlin mehr als 24000!) herabgesunken sind.<lb/>
Es könnte für eine Regierung keinen größern Mißgriff geben, als wenn er<lb/>
durch staatliche Einrichtungen noch künstlich dazu beitragen wollte, die Mädchen<lb/>
ihrem natürlichen Berufe zu entfremden und dadurch mittelbar die Abneigung<lb/>
der Männer vor einer Familiengründung zu verstärken. Der Staat hat im<lb/>
Gegenteil die Erziehung der weiblichen Jugend derart zu ordnen, daß ihr<lb/>
das Bewußtsein von der nationalen und kultnrgemäßen Bedeutung ihrer natür¬<lb/>
lichen Leistungen immer klarer wird, daß die Mädchen zu körperlich gesunden,<lb/>
anspruchslosen und verständigen Frauen herangebildet werden, die endlich auf¬<lb/>
hören, ihre Trachten und Gewohnheiten von fremden Nationen herzuholen und<lb/>
ihre Lebensideale außerhalb des Familienglückes zu suchen, die statt einer<lb/>
mystisch-romantischen Altjungfernduselei eine gesunde, auf lebendigem Pflicht¬<lb/>
bewußtsein ruhende Lebensanschauung besitzen, die vor dem sittlichen Werte<lb/>
ihrer natürlichen Aufgaben wieder Respekt empfinden und erkennen, daß &#x201E;die<lb/>
tüchtigste und am höchsten zu ehrende Frau diejenige ist, welche der Mensch¬<lb/>
heit die größte Zahl besterzvgener Kinder geschenkt hat"    kurz, deutsche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] den wir der Jugend zutrauen — an diese Liebe glauben wir nicht, so lange noch nicht die Religion des Skopzentums bei uns eingeführt ist. Wir glauben im Gegenteil, daß damit der Anfang zu einer verhängnisvollen Anarchie auf sittlichem Gebiete, zur Untergrabung des Familienlebens, zur freien Ehe, zu einem rücksichtslosen individuellen Eudämonismus gemacht werden würde, wie ihn Bauval in seinen: Buche: Sanktionirte Lügen und Widersprüche in den Sittengesetzen (Leipzig, 1887) bereits predigt.' Eine „Frcinenfrage" giebt es in Deutschland nicht, darüber sind wir mit Eduard von Hartmann einig; aber eine Jungfern- oder Mndchenfrage ist vorhanden, das unterliegt keinem Zweifel. Die Statistik vom Jahre 1885 giebt an, daß in Deutschland 988,376 Personen weiblichen Geschlechtes mehr waren als männlichen, von ihnen sind, wenn wir die Personen unter 16 und über 50 Jahren abrechnen, ungefähr 500,000 zu den Heiratsfähigen zu zählen, die also übrig bleiben dürften, wenn jeder Mann die Verpflichtung hätte, sich zu verheiraten. Thatsächlich bleiben aber nicht 500,000 Frauenzimmer ledig, sondern etwa 5,000,000, die in Deutschland nicht zur Erfüllung ihres natürliche» Berufes als Mutter in einer staatlich anerkannten Ehe gelangen. Das heißt, ungefähr 30 Prozent der ganzen weiblichen Bevölkerung in Deutschland trägt zur Vermehrung der Volksbraft nichts bei. Dieser Prozentsatz lediger Frauen läßt sich bedeutend verringern und die frei werdende, alles versuchende Arbeits¬ kraft des weiblichen Geschlechtes wieder in die natürliche Berufsthätigkeit leiten, wenn der Staat die Eheschließungen und Familiengründungen begünstigt und fördert, wenn er ans das stetig wachsende Funggesellentnm, namentlich in den bessern Berufskreisen, in irgend einer Art durch erhöhte Steuern n. tgi. einen Druck ausübt, und wenn er die Prostitution beschränkt, zu der jetzt mehr als 3 Pro¬ zent der weiblichen Bevölkerung (in Berlin mehr als 24000!) herabgesunken sind. Es könnte für eine Regierung keinen größern Mißgriff geben, als wenn er durch staatliche Einrichtungen noch künstlich dazu beitragen wollte, die Mädchen ihrem natürlichen Berufe zu entfremden und dadurch mittelbar die Abneigung der Männer vor einer Familiengründung zu verstärken. Der Staat hat im Gegenteil die Erziehung der weiblichen Jugend derart zu ordnen, daß ihr das Bewußtsein von der nationalen und kultnrgemäßen Bedeutung ihrer natür¬ lichen Leistungen immer klarer wird, daß die Mädchen zu körperlich gesunden, anspruchslosen und verständigen Frauen herangebildet werden, die endlich auf¬ hören, ihre Trachten und Gewohnheiten von fremden Nationen herzuholen und ihre Lebensideale außerhalb des Familienglückes zu suchen, die statt einer mystisch-romantischen Altjungfernduselei eine gesunde, auf lebendigem Pflicht¬ bewußtsein ruhende Lebensanschauung besitzen, die vor dem sittlichen Werte ihrer natürlichen Aufgaben wieder Respekt empfinden und erkennen, daß „die tüchtigste und am höchsten zu ehrende Frau diejenige ist, welche der Mensch¬ heit die größte Zahl besterzvgener Kinder geschenkt hat" kurz, deutsche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/212>, abgerufen am 17.06.2024.