Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands

Lisberg und stattete sie mit den Ämtern Bickenbach, llmstadt, Homburg v. d.
Höhe, Lisberg, Ulrichstein, Schotten, Strömfeld ans. Der letzte Graf von Diez
starb jedoch schon im Jahre 1003 kinderlos, und diese Gebiete wurden daun
unter die noch vorhandenen Hauptlinien geteilt.

Das Testament Philipps des Großmütigen (gestorben 1507) muß einem
Manne der Neuzeit, der einen Staat stets als ein unteilbares Ganzes anzu¬
sehen gewohnt ist, geradezu ungeheuerlich erscheinen, so willkürlich und rück¬
sichtslos wird da mit 5!and und Leuten umgesprungen. Kuren ein Großgrund¬
besitzer, der mehrere Güter sein eigen nennt, würde so gehandelt haben. Nach
den letzwilligen Verfügungen des Landgrafen Philipp erhielten von seineu vier
Söhnen aus ebenbürtiger Ehe der älteste, Wilhelm IV., als Familienoberhaupt
ebenso viel wie seiue drei Brüder zusammen, nämlich die Hälfte des Gesamt¬
besitzes, der zweite die Hälfte vom Neste, ein Viertel vom Gcsamtbesitze, die
beiden andern dann wieder je die Hälfte vom Reste, also je ein Achtel des
Gesamtbesitzes. Derartig verschmitzt nusgesonnene Erbverteilnngen gehören
freilich in jeuer guten alten Zeit nicht zu den Seltenheiten, sondern kommen
unzählige Male vor. Man muß sich höchstens darüber Wundern, daß die Ge¬
bietsverhältnisse im alten Reiche nicht noch viel verwickelter, verworrener und
zerfahrener gewesen sind, als sie es in Wirklichkeit waren, und man möchte
den "Finger Gottes" darin finden, daß er eine große Anzahl von Nebenlinien
möglichst bald wieder nussterbeu ließ.

Bei solchen Erbteilnngeu berechnete man nicht so sehr die Flächengröße
des betreffenden Landes, auch nicht die Einwohnerzahl, fondern hauptsächlich
die Steuerkraft; denn ausschlaggebend bei solchen Berechnungen war das Ein¬
kommen, das der biedere Landesvater aus feinem Gebiete ziehen konnte. So
machte man es auch hier. Dennoch mußten manche Besitzungen und Berech¬
tigungen den verschiedenen Linien gemeinsam bleiben. Wilhelm IV. erhielt das
sogenannte Niederfnrstentnm und begründete die Linie Hessen-Kassel, die mit
dem 1866 entsetzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm ausgestorben ist. Ludwig IV.,
Tcstator, erhielt das sogenannte Oberfürstentum Hessen-Marburg nebst der Graf¬
schaft Eppsteiu; nach seinem Tode, 1004, sollte sein Land zu gleichen Teilen
um Kassel und Darmstadt fallen, doch entwickelte fich daraus erst der lang¬
wierige Marburger Erbschaftsstreit. Der dritte Sohn, Philipp II., wurde mit
der niedern Grafschaft Katzeuellnbogeu abgefunden, starb jedoch bereits 1583,
ohne Erben zu hinterlassen, und seine Besitzungen wurden unter Kassel und
Dnrmstadt geteilt. Dem jüngsten Sohne, Georg I., fiel das letzte Achtel der
väterlichen Erbschaft zu, nämlich die obere Grafschaft Katzenellubogen mit Nüsfel-
heiin, Dörnberg, Lichtenberg, Zwingenberg u. s. w. Er ist der Stammvater
der noch jetzt blühenden großherzoglichen Linie Hessen oder, wie man früher
Mu Unterschiede von Kassel sagte, Hessen-Darmstadt; dies waren die beiden
Hauptlinien, die seit 1004 zunächst noch allein vorhanden waren.


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands

Lisberg und stattete sie mit den Ämtern Bickenbach, llmstadt, Homburg v. d.
Höhe, Lisberg, Ulrichstein, Schotten, Strömfeld ans. Der letzte Graf von Diez
starb jedoch schon im Jahre 1003 kinderlos, und diese Gebiete wurden daun
unter die noch vorhandenen Hauptlinien geteilt.

Das Testament Philipps des Großmütigen (gestorben 1507) muß einem
Manne der Neuzeit, der einen Staat stets als ein unteilbares Ganzes anzu¬
sehen gewohnt ist, geradezu ungeheuerlich erscheinen, so willkürlich und rück¬
sichtslos wird da mit 5!and und Leuten umgesprungen. Kuren ein Großgrund¬
besitzer, der mehrere Güter sein eigen nennt, würde so gehandelt haben. Nach
den letzwilligen Verfügungen des Landgrafen Philipp erhielten von seineu vier
Söhnen aus ebenbürtiger Ehe der älteste, Wilhelm IV., als Familienoberhaupt
ebenso viel wie seiue drei Brüder zusammen, nämlich die Hälfte des Gesamt¬
besitzes, der zweite die Hälfte vom Neste, ein Viertel vom Gcsamtbesitze, die
beiden andern dann wieder je die Hälfte vom Reste, also je ein Achtel des
Gesamtbesitzes. Derartig verschmitzt nusgesonnene Erbverteilnngen gehören
freilich in jeuer guten alten Zeit nicht zu den Seltenheiten, sondern kommen
unzählige Male vor. Man muß sich höchstens darüber Wundern, daß die Ge¬
bietsverhältnisse im alten Reiche nicht noch viel verwickelter, verworrener und
zerfahrener gewesen sind, als sie es in Wirklichkeit waren, und man möchte
den „Finger Gottes" darin finden, daß er eine große Anzahl von Nebenlinien
möglichst bald wieder nussterbeu ließ.

Bei solchen Erbteilnngeu berechnete man nicht so sehr die Flächengröße
des betreffenden Landes, auch nicht die Einwohnerzahl, fondern hauptsächlich
die Steuerkraft; denn ausschlaggebend bei solchen Berechnungen war das Ein¬
kommen, das der biedere Landesvater aus feinem Gebiete ziehen konnte. So
machte man es auch hier. Dennoch mußten manche Besitzungen und Berech¬
tigungen den verschiedenen Linien gemeinsam bleiben. Wilhelm IV. erhielt das
sogenannte Niederfnrstentnm und begründete die Linie Hessen-Kassel, die mit
dem 1866 entsetzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm ausgestorben ist. Ludwig IV.,
Tcstator, erhielt das sogenannte Oberfürstentum Hessen-Marburg nebst der Graf¬
schaft Eppsteiu; nach seinem Tode, 1004, sollte sein Land zu gleichen Teilen
um Kassel und Darmstadt fallen, doch entwickelte fich daraus erst der lang¬
wierige Marburger Erbschaftsstreit. Der dritte Sohn, Philipp II., wurde mit
der niedern Grafschaft Katzeuellnbogeu abgefunden, starb jedoch bereits 1583,
ohne Erben zu hinterlassen, und seine Besitzungen wurden unter Kassel und
Dnrmstadt geteilt. Dem jüngsten Sohne, Georg I., fiel das letzte Achtel der
väterlichen Erbschaft zu, nämlich die obere Grafschaft Katzenellubogen mit Nüsfel-
heiin, Dörnberg, Lichtenberg, Zwingenberg u. s. w. Er ist der Stammvater
der noch jetzt blühenden großherzoglichen Linie Hessen oder, wie man früher
Mu Unterschiede von Kassel sagte, Hessen-Darmstadt; dies waren die beiden
Hauptlinien, die seit 1004 zunächst noch allein vorhanden waren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204310"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_681" prev="#ID_680"> Lisberg und stattete sie mit den Ämtern Bickenbach, llmstadt, Homburg v. d.<lb/>
Höhe, Lisberg, Ulrichstein, Schotten, Strömfeld ans. Der letzte Graf von Diez<lb/>
starb jedoch schon im Jahre 1003 kinderlos, und diese Gebiete wurden daun<lb/>
unter die noch vorhandenen Hauptlinien geteilt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_682"> Das Testament Philipps des Großmütigen (gestorben 1507) muß einem<lb/>
Manne der Neuzeit, der einen Staat stets als ein unteilbares Ganzes anzu¬<lb/>
sehen gewohnt ist, geradezu ungeheuerlich erscheinen, so willkürlich und rück¬<lb/>
sichtslos wird da mit 5!and und Leuten umgesprungen. Kuren ein Großgrund¬<lb/>
besitzer, der mehrere Güter sein eigen nennt, würde so gehandelt haben. Nach<lb/>
den letzwilligen Verfügungen des Landgrafen Philipp erhielten von seineu vier<lb/>
Söhnen aus ebenbürtiger Ehe der älteste, Wilhelm IV., als Familienoberhaupt<lb/>
ebenso viel wie seiue drei Brüder zusammen, nämlich die Hälfte des Gesamt¬<lb/>
besitzes, der zweite die Hälfte vom Neste, ein Viertel vom Gcsamtbesitze, die<lb/>
beiden andern dann wieder je die Hälfte vom Reste, also je ein Achtel des<lb/>
Gesamtbesitzes. Derartig verschmitzt nusgesonnene Erbverteilnngen gehören<lb/>
freilich in jeuer guten alten Zeit nicht zu den Seltenheiten, sondern kommen<lb/>
unzählige Male vor. Man muß sich höchstens darüber Wundern, daß die Ge¬<lb/>
bietsverhältnisse im alten Reiche nicht noch viel verwickelter, verworrener und<lb/>
zerfahrener gewesen sind, als sie es in Wirklichkeit waren, und man möchte<lb/>
den &#x201E;Finger Gottes" darin finden, daß er eine große Anzahl von Nebenlinien<lb/>
möglichst bald wieder nussterbeu ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_683"> Bei solchen Erbteilnngeu berechnete man nicht so sehr die Flächengröße<lb/>
des betreffenden Landes, auch nicht die Einwohnerzahl, fondern hauptsächlich<lb/>
die Steuerkraft; denn ausschlaggebend bei solchen Berechnungen war das Ein¬<lb/>
kommen, das der biedere Landesvater aus feinem Gebiete ziehen konnte. So<lb/>
machte man es auch hier. Dennoch mußten manche Besitzungen und Berech¬<lb/>
tigungen den verschiedenen Linien gemeinsam bleiben. Wilhelm IV. erhielt das<lb/>
sogenannte Niederfnrstentnm und begründete die Linie Hessen-Kassel, die mit<lb/>
dem 1866 entsetzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm ausgestorben ist. Ludwig IV.,<lb/>
Tcstator, erhielt das sogenannte Oberfürstentum Hessen-Marburg nebst der Graf¬<lb/>
schaft Eppsteiu; nach seinem Tode, 1004, sollte sein Land zu gleichen Teilen<lb/>
um Kassel und Darmstadt fallen, doch entwickelte fich daraus erst der lang¬<lb/>
wierige Marburger Erbschaftsstreit. Der dritte Sohn, Philipp II., wurde mit<lb/>
der niedern Grafschaft Katzeuellnbogeu abgefunden, starb jedoch bereits 1583,<lb/>
ohne Erben zu hinterlassen, und seine Besitzungen wurden unter Kassel und<lb/>
Dnrmstadt geteilt. Dem jüngsten Sohne, Georg I., fiel das letzte Achtel der<lb/>
väterlichen Erbschaft zu, nämlich die obere Grafschaft Katzenellubogen mit Nüsfel-<lb/>
heiin, Dörnberg, Lichtenberg, Zwingenberg u. s. w. Er ist der Stammvater<lb/>
der noch jetzt blühenden großherzoglichen Linie Hessen oder, wie man früher<lb/>
Mu Unterschiede von Kassel sagte, Hessen-Darmstadt; dies waren die beiden<lb/>
Hauptlinien, die seit 1004 zunächst noch allein vorhanden waren.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands Lisberg und stattete sie mit den Ämtern Bickenbach, llmstadt, Homburg v. d. Höhe, Lisberg, Ulrichstein, Schotten, Strömfeld ans. Der letzte Graf von Diez starb jedoch schon im Jahre 1003 kinderlos, und diese Gebiete wurden daun unter die noch vorhandenen Hauptlinien geteilt. Das Testament Philipps des Großmütigen (gestorben 1507) muß einem Manne der Neuzeit, der einen Staat stets als ein unteilbares Ganzes anzu¬ sehen gewohnt ist, geradezu ungeheuerlich erscheinen, so willkürlich und rück¬ sichtslos wird da mit 5!and und Leuten umgesprungen. Kuren ein Großgrund¬ besitzer, der mehrere Güter sein eigen nennt, würde so gehandelt haben. Nach den letzwilligen Verfügungen des Landgrafen Philipp erhielten von seineu vier Söhnen aus ebenbürtiger Ehe der älteste, Wilhelm IV., als Familienoberhaupt ebenso viel wie seiue drei Brüder zusammen, nämlich die Hälfte des Gesamt¬ besitzes, der zweite die Hälfte vom Neste, ein Viertel vom Gcsamtbesitze, die beiden andern dann wieder je die Hälfte vom Reste, also je ein Achtel des Gesamtbesitzes. Derartig verschmitzt nusgesonnene Erbverteilnngen gehören freilich in jeuer guten alten Zeit nicht zu den Seltenheiten, sondern kommen unzählige Male vor. Man muß sich höchstens darüber Wundern, daß die Ge¬ bietsverhältnisse im alten Reiche nicht noch viel verwickelter, verworrener und zerfahrener gewesen sind, als sie es in Wirklichkeit waren, und man möchte den „Finger Gottes" darin finden, daß er eine große Anzahl von Nebenlinien möglichst bald wieder nussterbeu ließ. Bei solchen Erbteilnngeu berechnete man nicht so sehr die Flächengröße des betreffenden Landes, auch nicht die Einwohnerzahl, fondern hauptsächlich die Steuerkraft; denn ausschlaggebend bei solchen Berechnungen war das Ein¬ kommen, das der biedere Landesvater aus feinem Gebiete ziehen konnte. So machte man es auch hier. Dennoch mußten manche Besitzungen und Berech¬ tigungen den verschiedenen Linien gemeinsam bleiben. Wilhelm IV. erhielt das sogenannte Niederfnrstentnm und begründete die Linie Hessen-Kassel, die mit dem 1866 entsetzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm ausgestorben ist. Ludwig IV., Tcstator, erhielt das sogenannte Oberfürstentum Hessen-Marburg nebst der Graf¬ schaft Eppsteiu; nach seinem Tode, 1004, sollte sein Land zu gleichen Teilen um Kassel und Darmstadt fallen, doch entwickelte fich daraus erst der lang¬ wierige Marburger Erbschaftsstreit. Der dritte Sohn, Philipp II., wurde mit der niedern Grafschaft Katzeuellnbogeu abgefunden, starb jedoch bereits 1583, ohne Erben zu hinterlassen, und seine Besitzungen wurden unter Kassel und Dnrmstadt geteilt. Dem jüngsten Sohne, Georg I., fiel das letzte Achtel der väterlichen Erbschaft zu, nämlich die obere Grafschaft Katzenellubogen mit Nüsfel- heiin, Dörnberg, Lichtenberg, Zwingenberg u. s. w. Er ist der Stammvater der noch jetzt blühenden großherzoglichen Linie Hessen oder, wie man früher Mu Unterschiede von Kassel sagte, Hessen-Darmstadt; dies waren die beiden Hauptlinien, die seit 1004 zunächst noch allein vorhanden waren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/221>, abgerufen am 17.06.2024.