Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.glühender Leidenschaft für seine Stiefmutter verzehrt wird und, nachdem durch Wer diese wunderbare Krankheitsgeschichte, die nach Lukian im Altertum Antiochos -- so lesen wir da -- , des Selenkos Sohn, liebte seine jugend¬
glühender Leidenschaft für seine Stiefmutter verzehrt wird und, nachdem durch Wer diese wunderbare Krankheitsgeschichte, die nach Lukian im Altertum Antiochos — so lesen wir da — , des Selenkos Sohn, liebte seine jugend¬
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204312"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_690" prev="#ID_689"> glühender Leidenschaft für seine Stiefmutter verzehrt wird und, nachdem durch<lb/> eine List des Arztes die Ursache seine? Leidens entdeckt ist, Genesung findet,<lb/> als ihm sein Vater mit unerhörter Großmut die Gattin überläßt. Die Ge¬<lb/> schichte ist ost erzählt worden; sie gleicht in dieser Beziehung den beliebtesten<lb/> Novellenstoffen des Altertums, dem Apollonius von Tyrus, der Matrone von<lb/> Ephesus u. a., unterscheidet sich jedoch dadurch von ihnen, daß sie Anspruch<lb/> auf Glaubwiirdigkeit macht. Denn sie bezieht sich nach der ältesten Über¬<lb/> lieferung auf deu König Seleukvs I. von Syrien, den Gründer des berühmten<lb/> nach ihm genannten Herrscherhauses, und seineu Sohn und Nachfolger Antiochos.<lb/> Die schöne Frau aber, die „Gift und Gegengift in ihren Angen führt," ist<lb/> Stratvnike, die Tochter des Städtebezwingcrs Demetrios, des Selenkos jugend¬<lb/> liche Gemahlin, dieselbe, die vou Lukian mich als die Heldin der berüchtigten<lb/> Kvmbabvsgeschichte genannt wird. Der Arzt endlich, den der lose Friedrich<lb/> so vorlaut abfertigt, ist der berühmte Erasitratos von Keos, der namentlich<lb/> als Anatom gefeiert war und in seiner Wisseuschafr eine besondere Schule ge-<lb/> gründet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_691"> Wer diese wunderbare Krankheitsgeschichte, die nach Lukian im Altertum<lb/> sogar pantomimisch dargestellt wurde, auf ihren Wanderungen und Wandlungen<lb/> begleiten will, muß vor allem deu Plutarch aufschlage», der sie im Leben des<lb/> Demetrios (Kapitel 38) ausführlich erzählt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_692" next="#ID_693"> Antiochos — so lesen wir da — , des Selenkos Sohn, liebte seine jugend¬<lb/> liche Stiefmutter Stratvnike. Anfangs suchte er seine unselige Leidenschaft<lb/> zu unterdrücken. Als er aber ihre UnHeilbarkeit erkannte, beschloß er sein<lb/> Leben durch Zurückweisung aller Nahrung zu endigen und zu diesem Zwecke<lb/> eine Krankheit zu heucheln. Aber der herbeigerufene Arzt Erasitratos er¬<lb/> kannte alsbald, daß unglückliche Liebe der Grund des Leidens sei, nur der<lb/> Gegenstand war ihm noch verborgen. Um der Sache auf deu Grund zu<lb/> kommen, unternahm er es, den Kranken sorgfältig zu beobachten und ganz<lb/> besonders, wenn eine vou den Schönheiten des Hofes ins Krankenzimmer trat,<lb/> sein Antlitz und seine Bewegungen zu prüfen. Da zeigte sich nun in den<lb/> meisten Fällen gar keine Veränderung im Verhalten des Prinzen. Nur wenn<lb/> Stratvnike, allein oder mit dem Seleukos, erschien, wurden die deutlichsten<lb/> Spuren einer innern Unruhe sichtbar: es traten alle jene Anzeichen ein, von<lb/> denen die Dichteritt Sappho sprichtStocken der Stimme, feurige Nöte,</p><lb/> <note xml:id="FID_14" place="foot" next="#FID_15"> <quote> <lg xml:id="POEMID_17" type="poem"> <l> Doch mir schrickt im Busen das Herz zusammen,<lb/> Wenn Du nahst, beklommen versagt die Stimme<lb/> Jeglichen Laut mir.</l> <l> Ach, der wortlos starrenden rinnt urplötzlich<lb/> Durch die Glieder fliegende Glut, verworren<lb/> Flirrt eS nur vor Auge» und dumpf betmideud<lb/> Klingt es im Ohr mir.</l> </lg> </quote> </note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0223]
glühender Leidenschaft für seine Stiefmutter verzehrt wird und, nachdem durch
eine List des Arztes die Ursache seine? Leidens entdeckt ist, Genesung findet,
als ihm sein Vater mit unerhörter Großmut die Gattin überläßt. Die Ge¬
schichte ist ost erzählt worden; sie gleicht in dieser Beziehung den beliebtesten
Novellenstoffen des Altertums, dem Apollonius von Tyrus, der Matrone von
Ephesus u. a., unterscheidet sich jedoch dadurch von ihnen, daß sie Anspruch
auf Glaubwiirdigkeit macht. Denn sie bezieht sich nach der ältesten Über¬
lieferung auf deu König Seleukvs I. von Syrien, den Gründer des berühmten
nach ihm genannten Herrscherhauses, und seineu Sohn und Nachfolger Antiochos.
Die schöne Frau aber, die „Gift und Gegengift in ihren Angen führt," ist
Stratvnike, die Tochter des Städtebezwingcrs Demetrios, des Selenkos jugend¬
liche Gemahlin, dieselbe, die vou Lukian mich als die Heldin der berüchtigten
Kvmbabvsgeschichte genannt wird. Der Arzt endlich, den der lose Friedrich
so vorlaut abfertigt, ist der berühmte Erasitratos von Keos, der namentlich
als Anatom gefeiert war und in seiner Wisseuschafr eine besondere Schule ge-
gründet hat.
Wer diese wunderbare Krankheitsgeschichte, die nach Lukian im Altertum
sogar pantomimisch dargestellt wurde, auf ihren Wanderungen und Wandlungen
begleiten will, muß vor allem deu Plutarch aufschlage», der sie im Leben des
Demetrios (Kapitel 38) ausführlich erzählt hat.
Antiochos — so lesen wir da — , des Selenkos Sohn, liebte seine jugend¬
liche Stiefmutter Stratvnike. Anfangs suchte er seine unselige Leidenschaft
zu unterdrücken. Als er aber ihre UnHeilbarkeit erkannte, beschloß er sein
Leben durch Zurückweisung aller Nahrung zu endigen und zu diesem Zwecke
eine Krankheit zu heucheln. Aber der herbeigerufene Arzt Erasitratos er¬
kannte alsbald, daß unglückliche Liebe der Grund des Leidens sei, nur der
Gegenstand war ihm noch verborgen. Um der Sache auf deu Grund zu
kommen, unternahm er es, den Kranken sorgfältig zu beobachten und ganz
besonders, wenn eine vou den Schönheiten des Hofes ins Krankenzimmer trat,
sein Antlitz und seine Bewegungen zu prüfen. Da zeigte sich nun in den
meisten Fällen gar keine Veränderung im Verhalten des Prinzen. Nur wenn
Stratvnike, allein oder mit dem Seleukos, erschien, wurden die deutlichsten
Spuren einer innern Unruhe sichtbar: es traten alle jene Anzeichen ein, von
denen die Dichteritt Sappho sprichtStocken der Stimme, feurige Nöte,
Doch mir schrickt im Busen das Herz zusammen,
Wenn Du nahst, beklommen versagt die Stimme
Jeglichen Laut mir. Ach, der wortlos starrenden rinnt urplötzlich
Durch die Glieder fliegende Glut, verworren
Flirrt eS nur vor Auge» und dumpf betmideud
Klingt es im Ohr mir.
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