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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Schwinden der Sehkraft, heftiger Schweiß, lebhafter und unruhiger Pulsschlag,
zuletzt gar Ohnmacht und Todesblässe. Nun stand es dem Erasitratos fest,
das; der Prinz keine andre liebe als seine Stiefmutter. Doch schien es
ihm mißlich, das Geheimnis zu verraten. Da er aber die Liebe des Königs
zu seinem. Sohne kannte, faßte er sich ein Herz und sagte: Liebeskummer ist
die Ursache des Siechtums deines Sohnes, aber er ist leider unheilbar. Und
auf die erschrockene Frage des Königs, warum denn der braute unheilbar sei,
erwiderte der Arzt: Unheilbar deswegen, weil es meine eigne Gattin ist, für
die der Jüngling eutbmuut ist. Da sprach der König: Könntest dn dich nicht
entschließen, meinem Sohne zuliebe auf dein Weib zu verzichte", zumal da
dn siehst, wie groß "leine Angst um diesen meinen einzigen Erben ist? Das
würdest d" selbst nicht thun, erwiderte Erasitratos, wenn Antiochos deine
Gemahlin Stratonike liebte. Da rief der König: Freund, möchte doch ein
Gott oder ein Mensch meines Sohnes Leidenschaft dahin lenken, denn ihm zu-
liebe wäre es eine Wonne, selbst mein Königreich hinzugeben! Als der König
diese Worte mit leidenschaftlicher Bewegung und unter Thränen gesprochen
hatte, ergriff Erasitratos seine Hand und sagte: Nu", so bedarf es keines
Erasitratos mehr. Denn dn, der d" Vater, Gatte ""d König in einer Person
bist, du bist auch der beste Arzt für deine Familie. Da berief Selenkos eine
Versammlung seines Volkes und erklärte, er habe sich entschlossen, seinen Sohn
mit Stratonike zu vermählen und beiden die Herrschaft von Oberasien zu
übergeben. Bon seinein Sohne sei er überzeugt, daß er sich ohne Widerspruch
den Wünschen des Vaters fügen werde. Sollte aber seine Gemahlin an einem
so unerhörten Verlangen Anstoß nehmen, so möchten die Freunde sie beruhige"
und darauf hinweise", daß die Befehle der Herrscher nicht nur gut und gerecht,
sondern auch nützlich seien. Und so soll denn die Vermählung des Antiochos
mit der Stratvuike erfolgt sein.

Ebenso ausführlich und in allen wesentlichen wie unwesentlichen Zügen
mit dem Plutarch übereinstimmend ist der Bericht des Appinn, der in dem
Buche seiner römischen Geschichte, das von den syrischen Angelegenheiten
handelt, auch die seltsame Krankheitsgeschichte des Antiochos erzählt. Die
Schilderung der seelischen Erregung und ihrer Anzeichen ist hier nicht ganz
so drastisch, aber als der Arzt dem König den aufgefundenen Grund des Leidens
entdeckt, bedient er sich fast derselben Worte wie der Plntarchische Erasitratos.
Ausführlicher noch als beim Plutarch ist die Ansprache des Königs an sein
Heer und die Mitteilung seiner großmütiger Entsngnng, die aber mich beim
Appia" in deu Satz zugespitzt wird, daß alles, was dem Könige gefalle, mich


Kalter Schweiß entrinnet der Stirn, die Glieder
Faßt ein Schauer, wallend erteilt des Blutes
Strvnr zurück, und eisige Todesblässe
Deckt mir die Wangen.

Schwinden der Sehkraft, heftiger Schweiß, lebhafter und unruhiger Pulsschlag,
zuletzt gar Ohnmacht und Todesblässe. Nun stand es dem Erasitratos fest,
das; der Prinz keine andre liebe als seine Stiefmutter. Doch schien es
ihm mißlich, das Geheimnis zu verraten. Da er aber die Liebe des Königs
zu seinem. Sohne kannte, faßte er sich ein Herz und sagte: Liebeskummer ist
die Ursache des Siechtums deines Sohnes, aber er ist leider unheilbar. Und
auf die erschrockene Frage des Königs, warum denn der braute unheilbar sei,
erwiderte der Arzt: Unheilbar deswegen, weil es meine eigne Gattin ist, für
die der Jüngling eutbmuut ist. Da sprach der König: Könntest dn dich nicht
entschließen, meinem Sohne zuliebe auf dein Weib zu verzichte», zumal da
dn siehst, wie groß »leine Angst um diesen meinen einzigen Erben ist? Das
würdest d» selbst nicht thun, erwiderte Erasitratos, wenn Antiochos deine
Gemahlin Stratonike liebte. Da rief der König: Freund, möchte doch ein
Gott oder ein Mensch meines Sohnes Leidenschaft dahin lenken, denn ihm zu-
liebe wäre es eine Wonne, selbst mein Königreich hinzugeben! Als der König
diese Worte mit leidenschaftlicher Bewegung und unter Thränen gesprochen
hatte, ergriff Erasitratos seine Hand und sagte: Nu», so bedarf es keines
Erasitratos mehr. Denn dn, der d» Vater, Gatte »»d König in einer Person
bist, du bist auch der beste Arzt für deine Familie. Da berief Selenkos eine
Versammlung seines Volkes und erklärte, er habe sich entschlossen, seinen Sohn
mit Stratonike zu vermählen und beiden die Herrschaft von Oberasien zu
übergeben. Bon seinein Sohne sei er überzeugt, daß er sich ohne Widerspruch
den Wünschen des Vaters fügen werde. Sollte aber seine Gemahlin an einem
so unerhörten Verlangen Anstoß nehmen, so möchten die Freunde sie beruhige»
und darauf hinweise», daß die Befehle der Herrscher nicht nur gut und gerecht,
sondern auch nützlich seien. Und so soll denn die Vermählung des Antiochos
mit der Stratvuike erfolgt sein.

Ebenso ausführlich und in allen wesentlichen wie unwesentlichen Zügen
mit dem Plutarch übereinstimmend ist der Bericht des Appinn, der in dem
Buche seiner römischen Geschichte, das von den syrischen Angelegenheiten
handelt, auch die seltsame Krankheitsgeschichte des Antiochos erzählt. Die
Schilderung der seelischen Erregung und ihrer Anzeichen ist hier nicht ganz
so drastisch, aber als der Arzt dem König den aufgefundenen Grund des Leidens
entdeckt, bedient er sich fast derselben Worte wie der Plntarchische Erasitratos.
Ausführlicher noch als beim Plutarch ist die Ansprache des Königs an sein
Heer und die Mitteilung seiner großmütiger Entsngnng, die aber mich beim
Appia» in deu Satz zugespitzt wird, daß alles, was dem Könige gefalle, mich


Kalter Schweiß entrinnet der Stirn, die Glieder
Faßt ein Schauer, wallend erteilt des Blutes
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Deckt mir die Wangen.
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[0224] Schwinden der Sehkraft, heftiger Schweiß, lebhafter und unruhiger Pulsschlag, zuletzt gar Ohnmacht und Todesblässe. Nun stand es dem Erasitratos fest, das; der Prinz keine andre liebe als seine Stiefmutter. Doch schien es ihm mißlich, das Geheimnis zu verraten. Da er aber die Liebe des Königs zu seinem. Sohne kannte, faßte er sich ein Herz und sagte: Liebeskummer ist die Ursache des Siechtums deines Sohnes, aber er ist leider unheilbar. Und auf die erschrockene Frage des Königs, warum denn der braute unheilbar sei, erwiderte der Arzt: Unheilbar deswegen, weil es meine eigne Gattin ist, für die der Jüngling eutbmuut ist. Da sprach der König: Könntest dn dich nicht entschließen, meinem Sohne zuliebe auf dein Weib zu verzichte», zumal da dn siehst, wie groß »leine Angst um diesen meinen einzigen Erben ist? Das würdest d» selbst nicht thun, erwiderte Erasitratos, wenn Antiochos deine Gemahlin Stratonike liebte. Da rief der König: Freund, möchte doch ein Gott oder ein Mensch meines Sohnes Leidenschaft dahin lenken, denn ihm zu- liebe wäre es eine Wonne, selbst mein Königreich hinzugeben! Als der König diese Worte mit leidenschaftlicher Bewegung und unter Thränen gesprochen hatte, ergriff Erasitratos seine Hand und sagte: Nu», so bedarf es keines Erasitratos mehr. Denn dn, der d» Vater, Gatte »»d König in einer Person bist, du bist auch der beste Arzt für deine Familie. Da berief Selenkos eine Versammlung seines Volkes und erklärte, er habe sich entschlossen, seinen Sohn mit Stratonike zu vermählen und beiden die Herrschaft von Oberasien zu übergeben. Bon seinein Sohne sei er überzeugt, daß er sich ohne Widerspruch den Wünschen des Vaters fügen werde. Sollte aber seine Gemahlin an einem so unerhörten Verlangen Anstoß nehmen, so möchten die Freunde sie beruhige» und darauf hinweise», daß die Befehle der Herrscher nicht nur gut und gerecht, sondern auch nützlich seien. Und so soll denn die Vermählung des Antiochos mit der Stratvuike erfolgt sein. Ebenso ausführlich und in allen wesentlichen wie unwesentlichen Zügen mit dem Plutarch übereinstimmend ist der Bericht des Appinn, der in dem Buche seiner römischen Geschichte, das von den syrischen Angelegenheiten handelt, auch die seltsame Krankheitsgeschichte des Antiochos erzählt. Die Schilderung der seelischen Erregung und ihrer Anzeichen ist hier nicht ganz so drastisch, aber als der Arzt dem König den aufgefundenen Grund des Leidens entdeckt, bedient er sich fast derselben Worte wie der Plntarchische Erasitratos. Ausführlicher noch als beim Plutarch ist die Ansprache des Königs an sein Heer und die Mitteilung seiner großmütiger Entsngnng, die aber mich beim Appia» in deu Satz zugespitzt wird, daß alles, was dem Könige gefalle, mich Kalter Schweiß entrinnet der Stirn, die Glieder Faßt ein Schauer, wallend erteilt des Blutes Strvnr zurück, und eisige Todesblässe Deckt mir die Wangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/224>, abgerufen am 17.06.2024.