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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Geschichte von dein kranken Aönigssohne

wie in der Pflanzenwelt, so gelte auch im menschlichen Leben das Gesetz der
Vererbung. Seine Widersacher wären Bewohner einer Stadt, die einem zügel¬
losen Jüngling ihren Namen verdanke; er selbst stamme von den wilden Völkern
des Donaulandes ab. Da sei es kein Wunder, daß man ihn bäuerisch, rauh,
linkisch, unschön und altmodisch Schelte. Übrigens erzählt er die Geschichte
des verliebten Prinzen im wesentlichen in Übereiustinuniing mit dem Luki.an.
Mit diesem hat seine Darstellung namentlich den Zug geniein, daß der Nrzt,
der auch hier Erasitratvs genannt wird, mit der Hand das Herz des Kranken
Prüft, wenn die von ihm gerufenen Schonen ins Zimmer trete". Aber das
darauf folgende Gespräch zwischen Arzt und König fehlt hier wie beim. Va-
lerius. Vollends abweichend und nnr diesem Berichte eigen ist der Schluß.
Julian erzählt, Autiochos habe sich geweigert, das Opfer des Vaters anzu-
nehmen, erst nach dessen Tode habe er das ehemals hochherzig zurückgewiesene
Geschenk gewaltsam an sich gebracht. Freilich wird die Geschichte auf diese
Weise uicht uur lviderspruchsvvll, sondern sie verliert auch ihren eigent¬
lichen Sinn. Die plötzliche Großmut will zu dem Charakter des jungen
Wüstlings uicht stimme", und die Heilung des Prinzen, die zwar uicht
förmlich erzählt, aber stillschweigend vorausgesetzt wird, entbehrt jeglicher
Begründung.*)

Leicht begreiflich ist es, daß mit dem Wiederaufleben des klassischen Alter¬
tums auch die Geschichte des Autiochos und der Stmtouike, nachdem, sie im
Mittelalter der Vergessenheit anheimgefallen war, wieder auftauchte, und mau
wundert sich uur, daß man ihren Spuren hier nicht öfter begegnet. Von den
Schriftstellern des sonst so auekdoteudurstigcn. sechzehnten Jahrhunderts ist es,
wie es scheint, nur der alte Kirchhofs, der in seinem "Weudnumut" die selt¬
same Ergebenheit mit einiger Ausführlichkeit berichtet. Kirchhvffs Quelle ist,
wie man ans den erste" Blick sieht, Plutarch. Wie dieser, spricht er von den
Selbstmordgedauken des Antivchos n"d zieht die Liebesschmerzen der Sappho
zum Vergleich heran. Er erwähnt auch den? Einfall des Erasitratvs, von seinem
eignen Weibe zu reden, und läßt den König mit thränenden Augen die Bitte
aussprechen, daß jeuer die Rettung, die er in der Hand halte, nicht versagen
>möge; worauf dann die bekannte Erklärung des Erasitratvs folgt. "Das waren
dem Seleutv augenehme Zeitung - - schließt der Bericht -- ließ diese sein Ge¬
mahl (die beiläufig gesagt stets Stratvnices genannt wird) fahren und übergab
sie seinem Sohn mit ansgerüster stattlicher Heyrath und hvchzeytlichen Frewden."
Aber der Verfasser brandmarkt die That durch ein paar erbauliche Verse, die



Bemerkt mag noch werden, daß Erasitratvs hier als ein Samier bezeichnet wird, wäh¬
rend sonst Keos als seine Heimat gilt, und daß einmal von dem sonst so belesene" Kaiser
der Vater Homeros fälschlich zitirt wird. Dem" die ^-"<>/?o<>ot von denen die Rede ist,
werden nicht, vom Homer, sondern vom Hesiod erwähnt; es sind die verzehrenden Liebessorgen,
mit denen auf Befehl des Zeus Aphrodite das Menschengeschlecht ausgestattet hat,
Die Geschichte von dein kranken Aönigssohne

wie in der Pflanzenwelt, so gelte auch im menschlichen Leben das Gesetz der
Vererbung. Seine Widersacher wären Bewohner einer Stadt, die einem zügel¬
losen Jüngling ihren Namen verdanke; er selbst stamme von den wilden Völkern
des Donaulandes ab. Da sei es kein Wunder, daß man ihn bäuerisch, rauh,
linkisch, unschön und altmodisch Schelte. Übrigens erzählt er die Geschichte
des verliebten Prinzen im wesentlichen in Übereiustinuniing mit dem Luki.an.
Mit diesem hat seine Darstellung namentlich den Zug geniein, daß der Nrzt,
der auch hier Erasitratvs genannt wird, mit der Hand das Herz des Kranken
Prüft, wenn die von ihm gerufenen Schonen ins Zimmer trete«. Aber das
darauf folgende Gespräch zwischen Arzt und König fehlt hier wie beim. Va-
lerius. Vollends abweichend und nnr diesem Berichte eigen ist der Schluß.
Julian erzählt, Autiochos habe sich geweigert, das Opfer des Vaters anzu-
nehmen, erst nach dessen Tode habe er das ehemals hochherzig zurückgewiesene
Geschenk gewaltsam an sich gebracht. Freilich wird die Geschichte auf diese
Weise uicht uur lviderspruchsvvll, sondern sie verliert auch ihren eigent¬
lichen Sinn. Die plötzliche Großmut will zu dem Charakter des jungen
Wüstlings uicht stimme», und die Heilung des Prinzen, die zwar uicht
förmlich erzählt, aber stillschweigend vorausgesetzt wird, entbehrt jeglicher
Begründung.*)

Leicht begreiflich ist es, daß mit dem Wiederaufleben des klassischen Alter¬
tums auch die Geschichte des Autiochos und der Stmtouike, nachdem, sie im
Mittelalter der Vergessenheit anheimgefallen war, wieder auftauchte, und mau
wundert sich uur, daß man ihren Spuren hier nicht öfter begegnet. Von den
Schriftstellern des sonst so auekdoteudurstigcn. sechzehnten Jahrhunderts ist es,
wie es scheint, nur der alte Kirchhofs, der in seinem „Weudnumut" die selt¬
same Ergebenheit mit einiger Ausführlichkeit berichtet. Kirchhvffs Quelle ist,
wie man ans den erste» Blick sieht, Plutarch. Wie dieser, spricht er von den
Selbstmordgedauken des Antivchos n»d zieht die Liebesschmerzen der Sappho
zum Vergleich heran. Er erwähnt auch den? Einfall des Erasitratvs, von seinem
eignen Weibe zu reden, und läßt den König mit thränenden Augen die Bitte
aussprechen, daß jeuer die Rettung, die er in der Hand halte, nicht versagen
>möge; worauf dann die bekannte Erklärung des Erasitratvs folgt. „Das waren
dem Seleutv augenehme Zeitung - - schließt der Bericht — ließ diese sein Ge¬
mahl (die beiläufig gesagt stets Stratvnices genannt wird) fahren und übergab
sie seinem Sohn mit ansgerüster stattlicher Heyrath und hvchzeytlichen Frewden."
Aber der Verfasser brandmarkt die That durch ein paar erbauliche Verse, die



Bemerkt mag noch werden, daß Erasitratvs hier als ein Samier bezeichnet wird, wäh¬
rend sonst Keos als seine Heimat gilt, und daß einmal von dem sonst so belesene» Kaiser
der Vater Homeros fälschlich zitirt wird. Dem» die ^-«<>/?o<>ot von denen die Rede ist,
werden nicht, vom Homer, sondern vom Hesiod erwähnt; es sind die verzehrenden Liebessorgen,
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[0227] Die Geschichte von dein kranken Aönigssohne wie in der Pflanzenwelt, so gelte auch im menschlichen Leben das Gesetz der Vererbung. Seine Widersacher wären Bewohner einer Stadt, die einem zügel¬ losen Jüngling ihren Namen verdanke; er selbst stamme von den wilden Völkern des Donaulandes ab. Da sei es kein Wunder, daß man ihn bäuerisch, rauh, linkisch, unschön und altmodisch Schelte. Übrigens erzählt er die Geschichte des verliebten Prinzen im wesentlichen in Übereiustinuniing mit dem Luki.an. Mit diesem hat seine Darstellung namentlich den Zug geniein, daß der Nrzt, der auch hier Erasitratvs genannt wird, mit der Hand das Herz des Kranken Prüft, wenn die von ihm gerufenen Schonen ins Zimmer trete«. Aber das darauf folgende Gespräch zwischen Arzt und König fehlt hier wie beim. Va- lerius. Vollends abweichend und nnr diesem Berichte eigen ist der Schluß. Julian erzählt, Autiochos habe sich geweigert, das Opfer des Vaters anzu- nehmen, erst nach dessen Tode habe er das ehemals hochherzig zurückgewiesene Geschenk gewaltsam an sich gebracht. Freilich wird die Geschichte auf diese Weise uicht uur lviderspruchsvvll, sondern sie verliert auch ihren eigent¬ lichen Sinn. Die plötzliche Großmut will zu dem Charakter des jungen Wüstlings uicht stimme», und die Heilung des Prinzen, die zwar uicht förmlich erzählt, aber stillschweigend vorausgesetzt wird, entbehrt jeglicher Begründung.*) Leicht begreiflich ist es, daß mit dem Wiederaufleben des klassischen Alter¬ tums auch die Geschichte des Autiochos und der Stmtouike, nachdem, sie im Mittelalter der Vergessenheit anheimgefallen war, wieder auftauchte, und mau wundert sich uur, daß man ihren Spuren hier nicht öfter begegnet. Von den Schriftstellern des sonst so auekdoteudurstigcn. sechzehnten Jahrhunderts ist es, wie es scheint, nur der alte Kirchhofs, der in seinem „Weudnumut" die selt¬ same Ergebenheit mit einiger Ausführlichkeit berichtet. Kirchhvffs Quelle ist, wie man ans den erste» Blick sieht, Plutarch. Wie dieser, spricht er von den Selbstmordgedauken des Antivchos n»d zieht die Liebesschmerzen der Sappho zum Vergleich heran. Er erwähnt auch den? Einfall des Erasitratvs, von seinem eignen Weibe zu reden, und läßt den König mit thränenden Augen die Bitte aussprechen, daß jeuer die Rettung, die er in der Hand halte, nicht versagen >möge; worauf dann die bekannte Erklärung des Erasitratvs folgt. „Das waren dem Seleutv augenehme Zeitung - - schließt der Bericht — ließ diese sein Ge¬ mahl (die beiläufig gesagt stets Stratvnices genannt wird) fahren und übergab sie seinem Sohn mit ansgerüster stattlicher Heyrath und hvchzeytlichen Frewden." Aber der Verfasser brandmarkt die That durch ein paar erbauliche Verse, die Bemerkt mag noch werden, daß Erasitratvs hier als ein Samier bezeichnet wird, wäh¬ rend sonst Keos als seine Heimat gilt, und daß einmal von dem sonst so belesene» Kaiser der Vater Homeros fälschlich zitirt wird. Dem» die ^-«<>/?o<>ot von denen die Rede ist, werden nicht, vom Homer, sondern vom Hesiod erwähnt; es sind die verzehrenden Liebessorgen, mit denen auf Befehl des Zeus Aphrodite das Menschengeschlecht ausgestattet hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/227>, abgerufen am 17.06.2024.