Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte von dein kranken Mnigssohne

im Anschluß all Rom. 1 und Eybes. 4 Vater Ritt Sohn der Abgötterei mit
Blutschande beschuldigen. Ohne es zu wissen, tritt er mit diesem Urteil in die
Fußtapfen des Heiden Julian.

Wie steht es nun mit der Glaubwürdigkeit unsrer Geschichte? Hat
sich alles wirklich so zugetragen, wie es von der Mehrzahl der Bericht¬
erstatter überliefert worden ist? oder haben wir es mit einem Spiel der
Phantasie, mit einem Gemisch von Wahrheit und DiAtnng zu thun? Um
diese Frage zu beantworten, haben wir znnüchst die Überlieferung auf ihre
Echtheit zu prüfen. Da ergiebt sich dann, wenn wir die mitgeteilten Be¬
richte zusammenstellen, eine dreifach verschiedene Fassung. Mau erkennt leicht,
daß Plutarch, Appian und Lukian aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft
haben, daß dagegen Valerius, der den Mathematiker Leptines als den Retter
des Antivchos bezeichnet und von der Übergabe der Herrschaft nichts zu
wissen scheint, einer andern Vorlage gefolgt sein "ruß, während Julian außer
seiner Hauptquelle, dein Lukinn, noch einen zweiten Gewährsmann zur
Hand hatte, dem er die Nachricht entnahm, daß Antivchos erst nach des
Seleukvs Tode sich mit seiner Stiefmutter vermählt habe. Des Valerius
Angaben sind, wie man leicht sieht, hier so unzuverlässig wie anderswo,
werden aber wohl schließlich, wenn auch in getrübter Überlieferung, aus der¬
selben Quelle geflossen sein, die der Darstellung der drei griechischen Gewährs¬
männer zu Grunde lag. Diese aber werden wir wohl, wie auch Rohde (Geschichte
des griechischen Romans S. l>1) anzunehmen scheint, in dem Geschichtswerke des
Phylarchos vermuten dürfen, worin die Geschichte des dritten Jahrhunderts v. Chr.
bis zur Schlacht bei Sellasia und dem Tode des Spartancrkönigs Kleomenes,
d. h. bis zum Jahre 220, dargestellt ist.^) Damit wäre nun freilich kein
sonderliches Zeugnis für die Echtheit unsrer Geschichte gewonnen. Denn die
Glaubwürdigkeit des Phylarch ist schon im Altertum mehrfach in Zweifel ge¬
zogen worden, so vom Plutarch und besonders von seinem eignen jüngeren
Zeitgenossen, dem Polybios. Polybios vergleicht ihn sogar einem drama¬
tischen Dichter, der ohne Rücksicht auf die geschichtliche Wahrheit vor allem
darnach trachte, die Seele des Hörers aufzuregen und zu erschüttern. Mag
dies Urteil nun auch in seiner Allgemeinheit zu schroff sein -- Polybios hatte
guten Grund, dem Phylarch zu zürnen, weil dieser bei der Darstellung des
Krieges, den des Polybios Landsleute, die Achäer, mit dem Kleomenes führten,
offen für Kleomenes Partei ergriffen hatte --, so steht doch so viel fest, daß
die Kritik nicht die starke Seite des Phylarchos war. Er liebt es, so viel
sich aus den noch erhaltenen Bruchstücken erkennen läßt, seine Berichte mit
Anekdoten auszuschnmckeu, die oft den Stempel der Erdichtung an der Stirn
tragen und lediglich ans die Unterhaltung des Lesers berechnet sein konnten.



Wo nicht, so käme etwa Dnris, geboren um 340, in Frage, mit dessen Zuverlässigkeit
es iibrigens nicht zum Besten bestellt ist.
Die Geschichte von dein kranken Mnigssohne

im Anschluß all Rom. 1 und Eybes. 4 Vater Ritt Sohn der Abgötterei mit
Blutschande beschuldigen. Ohne es zu wissen, tritt er mit diesem Urteil in die
Fußtapfen des Heiden Julian.

Wie steht es nun mit der Glaubwürdigkeit unsrer Geschichte? Hat
sich alles wirklich so zugetragen, wie es von der Mehrzahl der Bericht¬
erstatter überliefert worden ist? oder haben wir es mit einem Spiel der
Phantasie, mit einem Gemisch von Wahrheit und DiAtnng zu thun? Um
diese Frage zu beantworten, haben wir znnüchst die Überlieferung auf ihre
Echtheit zu prüfen. Da ergiebt sich dann, wenn wir die mitgeteilten Be¬
richte zusammenstellen, eine dreifach verschiedene Fassung. Mau erkennt leicht,
daß Plutarch, Appian und Lukian aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft
haben, daß dagegen Valerius, der den Mathematiker Leptines als den Retter
des Antivchos bezeichnet und von der Übergabe der Herrschaft nichts zu
wissen scheint, einer andern Vorlage gefolgt sein »ruß, während Julian außer
seiner Hauptquelle, dein Lukinn, noch einen zweiten Gewährsmann zur
Hand hatte, dem er die Nachricht entnahm, daß Antivchos erst nach des
Seleukvs Tode sich mit seiner Stiefmutter vermählt habe. Des Valerius
Angaben sind, wie man leicht sieht, hier so unzuverlässig wie anderswo,
werden aber wohl schließlich, wenn auch in getrübter Überlieferung, aus der¬
selben Quelle geflossen sein, die der Darstellung der drei griechischen Gewährs¬
männer zu Grunde lag. Diese aber werden wir wohl, wie auch Rohde (Geschichte
des griechischen Romans S. l>1) anzunehmen scheint, in dem Geschichtswerke des
Phylarchos vermuten dürfen, worin die Geschichte des dritten Jahrhunderts v. Chr.
bis zur Schlacht bei Sellasia und dem Tode des Spartancrkönigs Kleomenes,
d. h. bis zum Jahre 220, dargestellt ist.^) Damit wäre nun freilich kein
sonderliches Zeugnis für die Echtheit unsrer Geschichte gewonnen. Denn die
Glaubwürdigkeit des Phylarch ist schon im Altertum mehrfach in Zweifel ge¬
zogen worden, so vom Plutarch und besonders von seinem eignen jüngeren
Zeitgenossen, dem Polybios. Polybios vergleicht ihn sogar einem drama¬
tischen Dichter, der ohne Rücksicht auf die geschichtliche Wahrheit vor allem
darnach trachte, die Seele des Hörers aufzuregen und zu erschüttern. Mag
dies Urteil nun auch in seiner Allgemeinheit zu schroff sein — Polybios hatte
guten Grund, dem Phylarch zu zürnen, weil dieser bei der Darstellung des
Krieges, den des Polybios Landsleute, die Achäer, mit dem Kleomenes führten,
offen für Kleomenes Partei ergriffen hatte —, so steht doch so viel fest, daß
die Kritik nicht die starke Seite des Phylarchos war. Er liebt es, so viel
sich aus den noch erhaltenen Bruchstücken erkennen läßt, seine Berichte mit
Anekdoten auszuschnmckeu, die oft den Stempel der Erdichtung an der Stirn
tragen und lediglich ans die Unterhaltung des Lesers berechnet sein konnten.



Wo nicht, so käme etwa Dnris, geboren um 340, in Frage, mit dessen Zuverlässigkeit
es iibrigens nicht zum Besten bestellt ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204317"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Geschichte von dein kranken Mnigssohne</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_705" prev="#ID_704"> im Anschluß all Rom. 1 und Eybes. 4 Vater Ritt Sohn der Abgötterei mit<lb/>
Blutschande beschuldigen. Ohne es zu wissen, tritt er mit diesem Urteil in die<lb/>
Fußtapfen des Heiden Julian.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_706" next="#ID_707"> Wie steht es nun mit der Glaubwürdigkeit unsrer Geschichte? Hat<lb/>
sich alles wirklich so zugetragen, wie es von der Mehrzahl der Bericht¬<lb/>
erstatter überliefert worden ist? oder haben wir es mit einem Spiel der<lb/>
Phantasie, mit einem Gemisch von Wahrheit und DiAtnng zu thun? Um<lb/>
diese Frage zu beantworten, haben wir znnüchst die Überlieferung auf ihre<lb/>
Echtheit zu prüfen. Da ergiebt sich dann, wenn wir die mitgeteilten Be¬<lb/>
richte zusammenstellen, eine dreifach verschiedene Fassung. Mau erkennt leicht,<lb/>
daß Plutarch, Appian und Lukian aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft<lb/>
haben, daß dagegen Valerius, der den Mathematiker Leptines als den Retter<lb/>
des Antivchos bezeichnet und von der Übergabe der Herrschaft nichts zu<lb/>
wissen scheint, einer andern Vorlage gefolgt sein »ruß, während Julian außer<lb/>
seiner Hauptquelle, dein Lukinn, noch einen zweiten Gewährsmann zur<lb/>
Hand hatte, dem er die Nachricht entnahm, daß Antivchos erst nach des<lb/>
Seleukvs Tode sich mit seiner Stiefmutter vermählt habe. Des Valerius<lb/>
Angaben sind, wie man leicht sieht, hier so unzuverlässig wie anderswo,<lb/>
werden aber wohl schließlich, wenn auch in getrübter Überlieferung, aus der¬<lb/>
selben Quelle geflossen sein, die der Darstellung der drei griechischen Gewährs¬<lb/>
männer zu Grunde lag. Diese aber werden wir wohl, wie auch Rohde (Geschichte<lb/>
des griechischen Romans S. l&gt;1) anzunehmen scheint, in dem Geschichtswerke des<lb/>
Phylarchos vermuten dürfen, worin die Geschichte des dritten Jahrhunderts v. Chr.<lb/>
bis zur Schlacht bei Sellasia und dem Tode des Spartancrkönigs Kleomenes,<lb/>
d. h. bis zum Jahre 220, dargestellt ist.^) Damit wäre nun freilich kein<lb/>
sonderliches Zeugnis für die Echtheit unsrer Geschichte gewonnen. Denn die<lb/>
Glaubwürdigkeit des Phylarch ist schon im Altertum mehrfach in Zweifel ge¬<lb/>
zogen worden, so vom Plutarch und besonders von seinem eignen jüngeren<lb/>
Zeitgenossen, dem Polybios. Polybios vergleicht ihn sogar einem drama¬<lb/>
tischen Dichter, der ohne Rücksicht auf die geschichtliche Wahrheit vor allem<lb/>
darnach trachte, die Seele des Hörers aufzuregen und zu erschüttern. Mag<lb/>
dies Urteil nun auch in seiner Allgemeinheit zu schroff sein &#x2014; Polybios hatte<lb/>
guten Grund, dem Phylarch zu zürnen, weil dieser bei der Darstellung des<lb/>
Krieges, den des Polybios Landsleute, die Achäer, mit dem Kleomenes führten,<lb/>
offen für Kleomenes Partei ergriffen hatte &#x2014;, so steht doch so viel fest, daß<lb/>
die Kritik nicht die starke Seite des Phylarchos war. Er liebt es, so viel<lb/>
sich aus den noch erhaltenen Bruchstücken erkennen läßt, seine Berichte mit<lb/>
Anekdoten auszuschnmckeu, die oft den Stempel der Erdichtung an der Stirn<lb/>
tragen und lediglich ans die Unterhaltung des Lesers berechnet sein konnten.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_18" place="foot"> Wo nicht, so käme etwa Dnris, geboren um 340, in Frage, mit dessen Zuverlässigkeit<lb/>
es iibrigens nicht zum Besten bestellt ist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Die Geschichte von dein kranken Mnigssohne im Anschluß all Rom. 1 und Eybes. 4 Vater Ritt Sohn der Abgötterei mit Blutschande beschuldigen. Ohne es zu wissen, tritt er mit diesem Urteil in die Fußtapfen des Heiden Julian. Wie steht es nun mit der Glaubwürdigkeit unsrer Geschichte? Hat sich alles wirklich so zugetragen, wie es von der Mehrzahl der Bericht¬ erstatter überliefert worden ist? oder haben wir es mit einem Spiel der Phantasie, mit einem Gemisch von Wahrheit und DiAtnng zu thun? Um diese Frage zu beantworten, haben wir znnüchst die Überlieferung auf ihre Echtheit zu prüfen. Da ergiebt sich dann, wenn wir die mitgeteilten Be¬ richte zusammenstellen, eine dreifach verschiedene Fassung. Mau erkennt leicht, daß Plutarch, Appian und Lukian aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft haben, daß dagegen Valerius, der den Mathematiker Leptines als den Retter des Antivchos bezeichnet und von der Übergabe der Herrschaft nichts zu wissen scheint, einer andern Vorlage gefolgt sein »ruß, während Julian außer seiner Hauptquelle, dein Lukinn, noch einen zweiten Gewährsmann zur Hand hatte, dem er die Nachricht entnahm, daß Antivchos erst nach des Seleukvs Tode sich mit seiner Stiefmutter vermählt habe. Des Valerius Angaben sind, wie man leicht sieht, hier so unzuverlässig wie anderswo, werden aber wohl schließlich, wenn auch in getrübter Überlieferung, aus der¬ selben Quelle geflossen sein, die der Darstellung der drei griechischen Gewährs¬ männer zu Grunde lag. Diese aber werden wir wohl, wie auch Rohde (Geschichte des griechischen Romans S. l>1) anzunehmen scheint, in dem Geschichtswerke des Phylarchos vermuten dürfen, worin die Geschichte des dritten Jahrhunderts v. Chr. bis zur Schlacht bei Sellasia und dem Tode des Spartancrkönigs Kleomenes, d. h. bis zum Jahre 220, dargestellt ist.^) Damit wäre nun freilich kein sonderliches Zeugnis für die Echtheit unsrer Geschichte gewonnen. Denn die Glaubwürdigkeit des Phylarch ist schon im Altertum mehrfach in Zweifel ge¬ zogen worden, so vom Plutarch und besonders von seinem eignen jüngeren Zeitgenossen, dem Polybios. Polybios vergleicht ihn sogar einem drama¬ tischen Dichter, der ohne Rücksicht auf die geschichtliche Wahrheit vor allem darnach trachte, die Seele des Hörers aufzuregen und zu erschüttern. Mag dies Urteil nun auch in seiner Allgemeinheit zu schroff sein — Polybios hatte guten Grund, dem Phylarch zu zürnen, weil dieser bei der Darstellung des Krieges, den des Polybios Landsleute, die Achäer, mit dem Kleomenes führten, offen für Kleomenes Partei ergriffen hatte —, so steht doch so viel fest, daß die Kritik nicht die starke Seite des Phylarchos war. Er liebt es, so viel sich aus den noch erhaltenen Bruchstücken erkennen läßt, seine Berichte mit Anekdoten auszuschnmckeu, die oft den Stempel der Erdichtung an der Stirn tragen und lediglich ans die Unterhaltung des Lesers berechnet sein konnten. Wo nicht, so käme etwa Dnris, geboren um 340, in Frage, mit dessen Zuverlässigkeit es iibrigens nicht zum Besten bestellt ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/228>, abgerufen am 17.06.2024.