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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Aber die Lust am Fabnliren haftet mit wenigen Ausnahmen der Geschichts¬
schreibung des Altertums überhaupt an. Und so braucht man die Zuver¬
lässigkeit des Phylarch nicht schlechtweg in Zweifel zu ziehen, wenn er auch
nachweislich seine Darstellung durch legendenartige Züge ausgeschmückt hat;
wagt es doch auch Polhbios nicht, sein abfälliges Urteil über die Darstellung
des klevmenischen Krieges auf das ganze Geschichtswerk seines Gegners aus-
zudehnen. Mau wird also mit dem Zeugnis des Phylarch zu rechnen haben,
wo es sich um die Mitteilung von Thatsachen handelt, zumal wenn seine
Angaben mit der innern Wahrscheinlichkeit zusammenfallen.

Was null zunächst als unzweifelhaft feststehend betrachtet werden kann,
ist das, daß Selcnkvs mit seinem Sohne die Herrschaft über Asien geteilt hat.
Diese Thatsache wird mehrfach erwähnt und ist auch an sich leicht zu verstehen.
Denn es stellte sich, wie Droysen (Geschichte des Hellenismus II, S. 29l) aus¬
führt, bald die Notwendigkeit heraus, die Länder jenseits des Tigris, die von
dem Strome der hellenischen Kultur noch unberührt geblieben waren, ja ihrem
Eindringen widerstrebten, von den westlichen, dem griechischen Einfluß zugäng¬
lichen Landschaften zu trennen und unter eigne Verwaltung zu stellen. Es
ist ferner keineswegs undenkbar, daß ein orientalischer Sultan der Diadochen-
zeit, wo die Weiber von Hof zu Hof versandt wurden wie Tauschware, seiue
jugendliche Gemahlin kaum fünfzehn Jahre soll Stratonike bei ihrer Vermählung
mit dem Scleukos gezählt haben (Droysen II, S. 292) --, die er lediglich aus
politischen Rücksichten gewählt hatte, seinem Sohne überließ, wenn dieser sie
leidenschaftlich liebte. Und wenn Julian die Sache anders, an sich nicht un¬
glaublich, darstellt, so mag er einer in Antiochia umlaufenden Svnderübcr-
liefernng gefolgt fein, die möglicherweise aus dem Bestreben entsprungen war,
den. anstößigen Handel einigermaßen zu mildern. Auch der Umstand, daß
Diodor schlechtweg voll der Stratonike als der Gemahlin des Antiochos spricht^),
kann nicht ohne weiteres als ein klrgulrnzntum ox silsiltlo betrachtet werden.
Denn das 21. Vues, wo sich die betreffende Angabe findet, ist nur in Trümmern
erhalten und somit die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß von der Liebes¬
geschichte des Antiochos schon früher die Rede war, wenn nicht etwa die
lakonische Fassung der Stelle ans Rechnung des Verfassers des Auszuges
kommt. Wie die Sache liegt, kann man die Nichtigkeit der Überlieferung
in Zweifel ziehen; sie zu erschüttern, fehlt es an einer ausreichenden Unterlage



*) Als der StSdtebezwinger Demetrios -- erzählt Diodor (XXI, 20) -- in die Hand
des Scleukos gefallen war, wurde dieser besonders von Lysimachvs, seinem Bundesgenossen,
bestürmt, er möge den Gefangenen nicht entlassen, sondern womöglich töten. Scleukos aber
fragte bei seinem Sohne Antiochos, der in Medien weilte, an, was er mit dem Gefangenen
machen sollte. Er selbst war entschlossen, seine Schonung ans die Rücksichten zu schieben, die
er seinem Sohne gegenüber zu nehmen habe, der mit der Tochter des Demetrios, Stratonike,
vermählt sei und Kinder von ihr habe.

Aber die Lust am Fabnliren haftet mit wenigen Ausnahmen der Geschichts¬
schreibung des Altertums überhaupt an. Und so braucht man die Zuver¬
lässigkeit des Phylarch nicht schlechtweg in Zweifel zu ziehen, wenn er auch
nachweislich seine Darstellung durch legendenartige Züge ausgeschmückt hat;
wagt es doch auch Polhbios nicht, sein abfälliges Urteil über die Darstellung
des klevmenischen Krieges auf das ganze Geschichtswerk seines Gegners aus-
zudehnen. Mau wird also mit dem Zeugnis des Phylarch zu rechnen haben,
wo es sich um die Mitteilung von Thatsachen handelt, zumal wenn seine
Angaben mit der innern Wahrscheinlichkeit zusammenfallen.

Was null zunächst als unzweifelhaft feststehend betrachtet werden kann,
ist das, daß Selcnkvs mit seinem Sohne die Herrschaft über Asien geteilt hat.
Diese Thatsache wird mehrfach erwähnt und ist auch an sich leicht zu verstehen.
Denn es stellte sich, wie Droysen (Geschichte des Hellenismus II, S. 29l) aus¬
führt, bald die Notwendigkeit heraus, die Länder jenseits des Tigris, die von
dem Strome der hellenischen Kultur noch unberührt geblieben waren, ja ihrem
Eindringen widerstrebten, von den westlichen, dem griechischen Einfluß zugäng¬
lichen Landschaften zu trennen und unter eigne Verwaltung zu stellen. Es
ist ferner keineswegs undenkbar, daß ein orientalischer Sultan der Diadochen-
zeit, wo die Weiber von Hof zu Hof versandt wurden wie Tauschware, seiue
jugendliche Gemahlin kaum fünfzehn Jahre soll Stratonike bei ihrer Vermählung
mit dem Scleukos gezählt haben (Droysen II, S. 292) —, die er lediglich aus
politischen Rücksichten gewählt hatte, seinem Sohne überließ, wenn dieser sie
leidenschaftlich liebte. Und wenn Julian die Sache anders, an sich nicht un¬
glaublich, darstellt, so mag er einer in Antiochia umlaufenden Svnderübcr-
liefernng gefolgt fein, die möglicherweise aus dem Bestreben entsprungen war,
den. anstößigen Handel einigermaßen zu mildern. Auch der Umstand, daß
Diodor schlechtweg voll der Stratonike als der Gemahlin des Antiochos spricht^),
kann nicht ohne weiteres als ein klrgulrnzntum ox silsiltlo betrachtet werden.
Denn das 21. Vues, wo sich die betreffende Angabe findet, ist nur in Trümmern
erhalten und somit die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß von der Liebes¬
geschichte des Antiochos schon früher die Rede war, wenn nicht etwa die
lakonische Fassung der Stelle ans Rechnung des Verfassers des Auszuges
kommt. Wie die Sache liegt, kann man die Nichtigkeit der Überlieferung
in Zweifel ziehen; sie zu erschüttern, fehlt es an einer ausreichenden Unterlage



*) Als der StSdtebezwinger Demetrios — erzählt Diodor (XXI, 20) — in die Hand
des Scleukos gefallen war, wurde dieser besonders von Lysimachvs, seinem Bundesgenossen,
bestürmt, er möge den Gefangenen nicht entlassen, sondern womöglich töten. Scleukos aber
fragte bei seinem Sohne Antiochos, der in Medien weilte, an, was er mit dem Gefangenen
machen sollte. Er selbst war entschlossen, seine Schonung ans die Rücksichten zu schieben, die
er seinem Sohne gegenüber zu nehmen habe, der mit der Tochter des Demetrios, Stratonike,
vermählt sei und Kinder von ihr habe.
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[0229] Aber die Lust am Fabnliren haftet mit wenigen Ausnahmen der Geschichts¬ schreibung des Altertums überhaupt an. Und so braucht man die Zuver¬ lässigkeit des Phylarch nicht schlechtweg in Zweifel zu ziehen, wenn er auch nachweislich seine Darstellung durch legendenartige Züge ausgeschmückt hat; wagt es doch auch Polhbios nicht, sein abfälliges Urteil über die Darstellung des klevmenischen Krieges auf das ganze Geschichtswerk seines Gegners aus- zudehnen. Mau wird also mit dem Zeugnis des Phylarch zu rechnen haben, wo es sich um die Mitteilung von Thatsachen handelt, zumal wenn seine Angaben mit der innern Wahrscheinlichkeit zusammenfallen. Was null zunächst als unzweifelhaft feststehend betrachtet werden kann, ist das, daß Selcnkvs mit seinem Sohne die Herrschaft über Asien geteilt hat. Diese Thatsache wird mehrfach erwähnt und ist auch an sich leicht zu verstehen. Denn es stellte sich, wie Droysen (Geschichte des Hellenismus II, S. 29l) aus¬ führt, bald die Notwendigkeit heraus, die Länder jenseits des Tigris, die von dem Strome der hellenischen Kultur noch unberührt geblieben waren, ja ihrem Eindringen widerstrebten, von den westlichen, dem griechischen Einfluß zugäng¬ lichen Landschaften zu trennen und unter eigne Verwaltung zu stellen. Es ist ferner keineswegs undenkbar, daß ein orientalischer Sultan der Diadochen- zeit, wo die Weiber von Hof zu Hof versandt wurden wie Tauschware, seiue jugendliche Gemahlin kaum fünfzehn Jahre soll Stratonike bei ihrer Vermählung mit dem Scleukos gezählt haben (Droysen II, S. 292) —, die er lediglich aus politischen Rücksichten gewählt hatte, seinem Sohne überließ, wenn dieser sie leidenschaftlich liebte. Und wenn Julian die Sache anders, an sich nicht un¬ glaublich, darstellt, so mag er einer in Antiochia umlaufenden Svnderübcr- liefernng gefolgt fein, die möglicherweise aus dem Bestreben entsprungen war, den. anstößigen Handel einigermaßen zu mildern. Auch der Umstand, daß Diodor schlechtweg voll der Stratonike als der Gemahlin des Antiochos spricht^), kann nicht ohne weiteres als ein klrgulrnzntum ox silsiltlo betrachtet werden. Denn das 21. Vues, wo sich die betreffende Angabe findet, ist nur in Trümmern erhalten und somit die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß von der Liebes¬ geschichte des Antiochos schon früher die Rede war, wenn nicht etwa die lakonische Fassung der Stelle ans Rechnung des Verfassers des Auszuges kommt. Wie die Sache liegt, kann man die Nichtigkeit der Überlieferung in Zweifel ziehen; sie zu erschüttern, fehlt es an einer ausreichenden Unterlage *) Als der StSdtebezwinger Demetrios — erzählt Diodor (XXI, 20) — in die Hand des Scleukos gefallen war, wurde dieser besonders von Lysimachvs, seinem Bundesgenossen, bestürmt, er möge den Gefangenen nicht entlassen, sondern womöglich töten. Scleukos aber fragte bei seinem Sohne Antiochos, der in Medien weilte, an, was er mit dem Gefangenen machen sollte. Er selbst war entschlossen, seine Schonung ans die Rücksichten zu schieben, die er seinem Sohne gegenüber zu nehmen habe, der mit der Tochter des Demetrios, Stratonike, vermählt sei und Kinder von ihr habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/229>, abgerufen am 17.06.2024.