Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Die Geschichte von dem kranken Rönigssohne Anders steht es mit der vielbesprochenen Erkrankung und Heilung des Nun sehen wir aber ferner, daß das Hauptmotiv der Geschichte, nämlich die Die Geschichte von dem kranken Rönigssohne Anders steht es mit der vielbesprochenen Erkrankung und Heilung des Nun sehen wir aber ferner, daß das Hauptmotiv der Geschichte, nämlich die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204319"/> <fw type="header" place="top"> Die Geschichte von dem kranken Rönigssohne</fw><lb/> <p xml:id="ID_709"> Anders steht es mit der vielbesprochenen Erkrankung und Heilung des<lb/> Antiochos. Hier, too es galt eine Situation auszumalen, blieb der Phantasie<lb/> der Berichterstatter ein weites Feld, und Historiker wie Phhlarch mögen ihre<lb/> Freude darau gehabt haben, die llberlieferuug ohne weitere Prüfung auf die<lb/> Nachwelt zu bringen. In einem Punkte wenigstens glaubt man die Sagen-<lb/> bildnng förmlich beim Werke zu ertappen. Das Gespräch des Arztes mit<lb/> dem König erweist sich entschieden als eine ausschmückende Zuthat der dichtenden<lb/> Phantasie, man müßte denn etwa glauben, das; Erafitratos ein Weib besessen<lb/> habe, das jung, schön »ut liebenswürdig genug gewesen sei, einen Prinzen<lb/> zu bezaubern, und daß er mit dieser seiner Gattin sich bereits eine gute Weile<lb/> vor der Erkrankung des Königssohnes in Antiochien aufgehalten habe. Plinins<lb/> berichtet im 29. Vnche seiner Naturgeschichte zwar die Krankheit des Autiochvs,<lb/> mit dem Zusätze, Erasitratvs habe sür seine glückliche Kur hundert Talente<lb/> empfangen, aber vou der angeblichen Ursache des Leidens und seinem roman¬<lb/> haften Verlauf schweigt er gänzlich. Es wäre also gar nicht undenkbar, daß<lb/> die vom Erasitratos geheilte Krankheit des Prinzen ursprünglich in gar keiner<lb/> Beziehung zu der Liebesgeschichte gestanden habe, vielmehr erst später damit<lb/> in Verbindung gebracht worden sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_710" next="#ID_711"> Nun sehen wir aber ferner, daß das Hauptmotiv der Geschichte, nämlich die<lb/> durch Untersuchung des Pulsschlages ermittelte Krankheit eines Liebenden, anch<lb/> in andern Erzählungen auftritt, in griechischen und namentlich anch in orien-<lb/> talischen. Von diesen beruht freilich die eine oder andre ans Nachbildung der<lb/> Antivchvsgeschichte, z. V. die von dem Verfasser der sogenannten Aristänetvs-<lb/> briefe mitgeteilte Anekdote, worin der ans Plutarch bekannte Vorfall lediglich<lb/> auf erdichtete Personen übertragen wird. Ein Charikles tritt an die Stelle<lb/> des Antiochos, sein Bater Polykles übernimmt die Rolle des Selenkos, Panakios,<lb/> d. h. Hellmann, ist der Name des Arztes, und der einzige Unterschied besteht<lb/> darin, daß die Geliebte nicht als die rechtmäßige Gattin, sondern als Kebsweib<lb/> des Vaters bezeichnet wird. Wie beim Valerius, dient anch hier die Geschichte<lb/> einer lehrhaften Absicht. Eutychobulos (Glücksrad) will nämlich seinem Freunde<lb/> Akestodorvs (Hilfreich) an einem Beispiele zeigen, daß auch Kunst und Wissen¬<lb/> schaft, wenn sie Erfolg haben wolle», des Glückes und der Gelegenheit bedürfen.<lb/> Alle ärztliche Kunst — so sagt er — wäre vergeblich gewesen, wenn nicht<lb/> zufällig das geliebte Weib in das Zimmer des Kranken getreten wäre. Ebenso<lb/> dürfte, was in einer unter dem Namen eines Svrnnvs gehenden Biographie<lb/> des Hippokrates von dem Makedonierkönige Perdikkas berichtet wird, auf die<lb/> Antiochosgeschichte zurückzuführen sein, wenn nicht etwa beiden Erzählungen<lb/> eine gemeinsame Quelle zu Grunde liegt. Perdikkas - heißt es - erkrankte<lb/> nach dem Tode seines Vaters so schwer, daß alle Welt ihn für schwindsüchtig<lb/> hielt. Aber der zu Hilfe gerufene Hippokrates erkannte, daß den Kranken ein<lb/> seelisches Leiden bedränge, weil dieser sich in auffallender Weise entfärbte und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
Die Geschichte von dem kranken Rönigssohne
Anders steht es mit der vielbesprochenen Erkrankung und Heilung des
Antiochos. Hier, too es galt eine Situation auszumalen, blieb der Phantasie
der Berichterstatter ein weites Feld, und Historiker wie Phhlarch mögen ihre
Freude darau gehabt haben, die llberlieferuug ohne weitere Prüfung auf die
Nachwelt zu bringen. In einem Punkte wenigstens glaubt man die Sagen-
bildnng förmlich beim Werke zu ertappen. Das Gespräch des Arztes mit
dem König erweist sich entschieden als eine ausschmückende Zuthat der dichtenden
Phantasie, man müßte denn etwa glauben, das; Erafitratos ein Weib besessen
habe, das jung, schön »ut liebenswürdig genug gewesen sei, einen Prinzen
zu bezaubern, und daß er mit dieser seiner Gattin sich bereits eine gute Weile
vor der Erkrankung des Königssohnes in Antiochien aufgehalten habe. Plinins
berichtet im 29. Vnche seiner Naturgeschichte zwar die Krankheit des Autiochvs,
mit dem Zusätze, Erasitratvs habe sür seine glückliche Kur hundert Talente
empfangen, aber vou der angeblichen Ursache des Leidens und seinem roman¬
haften Verlauf schweigt er gänzlich. Es wäre also gar nicht undenkbar, daß
die vom Erasitratos geheilte Krankheit des Prinzen ursprünglich in gar keiner
Beziehung zu der Liebesgeschichte gestanden habe, vielmehr erst später damit
in Verbindung gebracht worden sei.
Nun sehen wir aber ferner, daß das Hauptmotiv der Geschichte, nämlich die
durch Untersuchung des Pulsschlages ermittelte Krankheit eines Liebenden, anch
in andern Erzählungen auftritt, in griechischen und namentlich anch in orien-
talischen. Von diesen beruht freilich die eine oder andre ans Nachbildung der
Antivchvsgeschichte, z. V. die von dem Verfasser der sogenannten Aristänetvs-
briefe mitgeteilte Anekdote, worin der ans Plutarch bekannte Vorfall lediglich
auf erdichtete Personen übertragen wird. Ein Charikles tritt an die Stelle
des Antiochos, sein Bater Polykles übernimmt die Rolle des Selenkos, Panakios,
d. h. Hellmann, ist der Name des Arztes, und der einzige Unterschied besteht
darin, daß die Geliebte nicht als die rechtmäßige Gattin, sondern als Kebsweib
des Vaters bezeichnet wird. Wie beim Valerius, dient anch hier die Geschichte
einer lehrhaften Absicht. Eutychobulos (Glücksrad) will nämlich seinem Freunde
Akestodorvs (Hilfreich) an einem Beispiele zeigen, daß auch Kunst und Wissen¬
schaft, wenn sie Erfolg haben wolle», des Glückes und der Gelegenheit bedürfen.
Alle ärztliche Kunst — so sagt er — wäre vergeblich gewesen, wenn nicht
zufällig das geliebte Weib in das Zimmer des Kranken getreten wäre. Ebenso
dürfte, was in einer unter dem Namen eines Svrnnvs gehenden Biographie
des Hippokrates von dem Makedonierkönige Perdikkas berichtet wird, auf die
Antiochosgeschichte zurückzuführen sein, wenn nicht etwa beiden Erzählungen
eine gemeinsame Quelle zu Grunde liegt. Perdikkas - heißt es - erkrankte
nach dem Tode seines Vaters so schwer, daß alle Welt ihn für schwindsüchtig
hielt. Aber der zu Hilfe gerufene Hippokrates erkannte, daß den Kranken ein
seelisches Leiden bedränge, weil dieser sich in auffallender Weise entfärbte und
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