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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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veränderte, als er das Kebsweib seines Vaters zu Gesicht bekam. Auf Grund
dieser wichtigen Beobachtung stellt der berühmte Arzt den jungen .König wieder
her. Die Lösung wird in dem kurzen Bericht nur angedeutet, der im Unter¬
schied von der Antiochosgeschichte die Leidenschaft des Königs erst "ach dein
Tode des Baders aufflammen läßt. Die Beziehung der Erzählung auf den
Perdikkas kennt übrigens schon Lukian. Im ?5. Kapitel seiner Schrift: "Wie
soll man Geschichte schreiben?" sagt er, um die Notwendigkeit einer Unter¬
weisung für den angehenden Geschichtsschreiber durch ein Beispiel zu erweisen:
Einen schwindsüchtige", wie Perdikkas, kam kein Arzt oder Turnmeister zum
Olympiasieger machen, aber die Krankheit doch nach Maßgabe der gegebenen
Bedingungen mit Hilfe seiner Kunst lindern, wenn wirklich - schaltet er ein --
dieser es gewesen ist, der ans Liebe zu seiner Stiefmutter in Siechtum verfiel,
und nicht etwa des Seleukos Sohn Antiochos. Man sieht, daß die von
Lukian benutzte Vorlage sich der Antiochosgeschichte noch mehr näherte als die
Erzählung des Pseudvsoranos, Grund genug für ihn, um ihrer Echtheit zu
zweifeln.

Vollkommen unabhängig erscheint dagegen das Grundmotiv unsrer Er¬
zählung in einer Episode der "Äthiopischen Geschichten," einem Roman aus
unbestimmter Zeit, als dessen Verfasser sich Heliodor, ein Phönikier aus Emesa,
nennt.") Chäriklea, des delphischen Apvllopriesters Charikles schöne Pflege¬
tochter, erglüht - so lesen wir im vierten Buche der umfangreichen Erzählung
-- für den schönen Theagenes, dem sie als dein Sieger im Wasserlauf im
Namen der Kampfrichter den Palmcnzweig gereicht hat. Aber sie scheut sich,
ihre wachsende Leidenschaft zu gestehen und verfällt deswegen in el" schmerz¬
liches Siechtum. Daß sie liebt und wen sie liebt, hat bereits der Vertraute
des Hauses, der ägyptische Seher Kalasiris, erkannt. Dennoch rät er dem
Vater, den Zustand der Kranken genau zu prüfen. Da stellt denn der Arzt
Akestiiios die richtige Diagnose. Das ist keine Krankheit des Körpers, sagt
er zum Vater gewendet, sondern ein Leiden der Seele, das kein Arzt heilen
kann. Du selbst mußt dir den suchen, der im Stande ist, zu helfen. Aber-
mals vertraut sich der Priester dein Kalasiris und gesteht dabei, er habe stets
gewünscht und gehofft, daß seiue Tochter seinen Neffen Alkamenes liebe, ja
er habe sie diesem bereits zur Ehe versprochen. Da läßt sich leicht die Probe
machen, erwidert der Gefragte, führe den Jüngling zu der Kranken und zeige
ihn als deu künftigen Verlobten. Aber die Wirkung ist eine andre, als der
bekümmerte Vater gehofft hat. Als das Mädchen den ihr zugedachten Gemahl
erblickt, schreit sie laut aus, wendet das Antlitz nach der entgegengesetzten Seite



Rohde (Gesch. d. griech. Romans S. 4Wff.) setzt ihn in die zweite Hälfte des vierte"
Jahrhunderts n. Chr. Über seine Person und den Charakter seines Werkes vergleiche man
die ausgezeichnete Darstellung in dem eben genannten Buche S. 432 ff.

veränderte, als er das Kebsweib seines Vaters zu Gesicht bekam. Auf Grund
dieser wichtigen Beobachtung stellt der berühmte Arzt den jungen .König wieder
her. Die Lösung wird in dem kurzen Bericht nur angedeutet, der im Unter¬
schied von der Antiochosgeschichte die Leidenschaft des Königs erst »ach dein
Tode des Baders aufflammen läßt. Die Beziehung der Erzählung auf den
Perdikkas kennt übrigens schon Lukian. Im ?5. Kapitel seiner Schrift: „Wie
soll man Geschichte schreiben?" sagt er, um die Notwendigkeit einer Unter¬
weisung für den angehenden Geschichtsschreiber durch ein Beispiel zu erweisen:
Einen schwindsüchtige», wie Perdikkas, kam kein Arzt oder Turnmeister zum
Olympiasieger machen, aber die Krankheit doch nach Maßgabe der gegebenen
Bedingungen mit Hilfe seiner Kunst lindern, wenn wirklich - schaltet er ein —
dieser es gewesen ist, der ans Liebe zu seiner Stiefmutter in Siechtum verfiel,
und nicht etwa des Seleukos Sohn Antiochos. Man sieht, daß die von
Lukian benutzte Vorlage sich der Antiochosgeschichte noch mehr näherte als die
Erzählung des Pseudvsoranos, Grund genug für ihn, um ihrer Echtheit zu
zweifeln.

Vollkommen unabhängig erscheint dagegen das Grundmotiv unsrer Er¬
zählung in einer Episode der „Äthiopischen Geschichten," einem Roman aus
unbestimmter Zeit, als dessen Verfasser sich Heliodor, ein Phönikier aus Emesa,
nennt.») Chäriklea, des delphischen Apvllopriesters Charikles schöne Pflege¬
tochter, erglüht - so lesen wir im vierten Buche der umfangreichen Erzählung
— für den schönen Theagenes, dem sie als dein Sieger im Wasserlauf im
Namen der Kampfrichter den Palmcnzweig gereicht hat. Aber sie scheut sich,
ihre wachsende Leidenschaft zu gestehen und verfällt deswegen in el» schmerz¬
liches Siechtum. Daß sie liebt und wen sie liebt, hat bereits der Vertraute
des Hauses, der ägyptische Seher Kalasiris, erkannt. Dennoch rät er dem
Vater, den Zustand der Kranken genau zu prüfen. Da stellt denn der Arzt
Akestiiios die richtige Diagnose. Das ist keine Krankheit des Körpers, sagt
er zum Vater gewendet, sondern ein Leiden der Seele, das kein Arzt heilen
kann. Du selbst mußt dir den suchen, der im Stande ist, zu helfen. Aber-
mals vertraut sich der Priester dein Kalasiris und gesteht dabei, er habe stets
gewünscht und gehofft, daß seiue Tochter seinen Neffen Alkamenes liebe, ja
er habe sie diesem bereits zur Ehe versprochen. Da läßt sich leicht die Probe
machen, erwidert der Gefragte, führe den Jüngling zu der Kranken und zeige
ihn als deu künftigen Verlobten. Aber die Wirkung ist eine andre, als der
bekümmerte Vater gehofft hat. Als das Mädchen den ihr zugedachten Gemahl
erblickt, schreit sie laut aus, wendet das Antlitz nach der entgegengesetzten Seite



Rohde (Gesch. d. griech. Romans S. 4Wff.) setzt ihn in die zweite Hälfte des vierte»
Jahrhunderts n. Chr. Über seine Person und den Charakter seines Werkes vergleiche man
die ausgezeichnete Darstellung in dem eben genannten Buche S. 432 ff.
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[0231] veränderte, als er das Kebsweib seines Vaters zu Gesicht bekam. Auf Grund dieser wichtigen Beobachtung stellt der berühmte Arzt den jungen .König wieder her. Die Lösung wird in dem kurzen Bericht nur angedeutet, der im Unter¬ schied von der Antiochosgeschichte die Leidenschaft des Königs erst »ach dein Tode des Baders aufflammen läßt. Die Beziehung der Erzählung auf den Perdikkas kennt übrigens schon Lukian. Im ?5. Kapitel seiner Schrift: „Wie soll man Geschichte schreiben?" sagt er, um die Notwendigkeit einer Unter¬ weisung für den angehenden Geschichtsschreiber durch ein Beispiel zu erweisen: Einen schwindsüchtige», wie Perdikkas, kam kein Arzt oder Turnmeister zum Olympiasieger machen, aber die Krankheit doch nach Maßgabe der gegebenen Bedingungen mit Hilfe seiner Kunst lindern, wenn wirklich - schaltet er ein — dieser es gewesen ist, der ans Liebe zu seiner Stiefmutter in Siechtum verfiel, und nicht etwa des Seleukos Sohn Antiochos. Man sieht, daß die von Lukian benutzte Vorlage sich der Antiochosgeschichte noch mehr näherte als die Erzählung des Pseudvsoranos, Grund genug für ihn, um ihrer Echtheit zu zweifeln. Vollkommen unabhängig erscheint dagegen das Grundmotiv unsrer Er¬ zählung in einer Episode der „Äthiopischen Geschichten," einem Roman aus unbestimmter Zeit, als dessen Verfasser sich Heliodor, ein Phönikier aus Emesa, nennt.») Chäriklea, des delphischen Apvllopriesters Charikles schöne Pflege¬ tochter, erglüht - so lesen wir im vierten Buche der umfangreichen Erzählung — für den schönen Theagenes, dem sie als dein Sieger im Wasserlauf im Namen der Kampfrichter den Palmcnzweig gereicht hat. Aber sie scheut sich, ihre wachsende Leidenschaft zu gestehen und verfällt deswegen in el» schmerz¬ liches Siechtum. Daß sie liebt und wen sie liebt, hat bereits der Vertraute des Hauses, der ägyptische Seher Kalasiris, erkannt. Dennoch rät er dem Vater, den Zustand der Kranken genau zu prüfen. Da stellt denn der Arzt Akestiiios die richtige Diagnose. Das ist keine Krankheit des Körpers, sagt er zum Vater gewendet, sondern ein Leiden der Seele, das kein Arzt heilen kann. Du selbst mußt dir den suchen, der im Stande ist, zu helfen. Aber- mals vertraut sich der Priester dein Kalasiris und gesteht dabei, er habe stets gewünscht und gehofft, daß seiue Tochter seinen Neffen Alkamenes liebe, ja er habe sie diesem bereits zur Ehe versprochen. Da läßt sich leicht die Probe machen, erwidert der Gefragte, führe den Jüngling zu der Kranken und zeige ihn als deu künftigen Verlobten. Aber die Wirkung ist eine andre, als der bekümmerte Vater gehofft hat. Als das Mädchen den ihr zugedachten Gemahl erblickt, schreit sie laut aus, wendet das Antlitz nach der entgegengesetzten Seite Rohde (Gesch. d. griech. Romans S. 4Wff.) setzt ihn in die zweite Hälfte des vierte» Jahrhunderts n. Chr. Über seine Person und den Charakter seines Werkes vergleiche man die ausgezeichnete Darstellung in dem eben genannten Buche S. 432 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/231>, abgerufen am 17.06.2024.