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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zu Körners Toni und Zriny

Die Beispiele ließen sich noch vermehren. Ja die Ähnlichkeit erstreckt
sich sogar auf einzelne Redewendungen. Wir kennen Körners Worte: "Ge¬
boren wird der Wurm "ut wird zertreten"; sie entsprechen völlig denen bei
Werthes: "In der Erde stirbt das Vorbild der Sklaven, der Wurm, unter
unsern Fersen." Auch den Wendelstieg, den Helene I, 7 erwähnt, hat Werthes
schon in seiner "Schneckentreppe" (S. K2), und die Person des Georg wird
erst durch Werthes ganz verständlich. Freilich, die drei Namen Eva, Helene,
Vilacky fand Körner auch bei Werthes nicht, sie müssen auf Rechnung von
Körners Erfindung gesetzt werden.

Dein: die Phantasie wollen wir ihm bei seiner Zriny-Arbeit in dem stillen
Dorfe Döbling unweit Wiens nicht abgesprochen habe:?. Die Szenen der
Türken gab ihm Werthes nicht an die Hand, der strengste Ortseinheit be¬
obachtet. Hier half ihm kein trockener Bericht des Fvrgach oder des Bndina:
beide hat er tief ans der Seele geschöpft und herrliche Ausbeute gefördert.
Groß empfunden wirken die beiden Selbstgespräche des Soliman und des Zriny;
Welches Ohr hätte sich nicht an ihnen gelabt, welcher Sinn sich nicht an
ihnen erhoben?

Wir staunten über die Schnelligkeit von Körners Schaffen : 21 Tage der
Zriny -- so lange wie Handels Messias! Jetzt erklären wir sie uns aus
der Vorlage von Werthes' Drama. Zum Teil wird sie übrigens auch
erklärlich durch einzelne Flüchtigkeiten der Sprache. Kommt doch im Monolog
des Soliman das Wort "Held" achtmal vor, und der Zusammensetzungen mit
"Held" erscheinen gegen hundert! Dennoch sind Sprache, Bilder und drama¬
tische Gestaltung so geschickt und kraftvoll, der Zug des ganzen so selb¬
ständig, daß kleinlicher Tadel lächerlich erscheinen würde.

Aber auch Werthes' Arbeit hat ihren Wert. Sie ist ja schlicht gehalten,
erhebt sich nur an einer Stelle zu dichterischem Schwunge, wo Katharina
ausruft (S. 38): "Die Freiheit selbst kann Fesseln tragen; der Nichtswürdige
ist ohne Ketten Sklav; ein freier Sinn bleibt anch in Ketten frei." Sein Dialog
klingt fast nüchtern und giebt dem Schauspieler nicht viel Gelegenheit sich
zu zeigen. Aber hinter dieser lessiugisireuden Prosa birgt sich oft ein
großer Seelenkampf, und wie "Julius vou Tarent" sich nicht vor der "Braut
vou Messina" zu schämen braucht, so darf auch Werthes getrost zu Körner
aufblicken.




Zu Körners Toni und Zriny

Die Beispiele ließen sich noch vermehren. Ja die Ähnlichkeit erstreckt
sich sogar auf einzelne Redewendungen. Wir kennen Körners Worte: „Ge¬
boren wird der Wurm »ut wird zertreten"; sie entsprechen völlig denen bei
Werthes: „In der Erde stirbt das Vorbild der Sklaven, der Wurm, unter
unsern Fersen." Auch den Wendelstieg, den Helene I, 7 erwähnt, hat Werthes
schon in seiner „Schneckentreppe" (S. K2), und die Person des Georg wird
erst durch Werthes ganz verständlich. Freilich, die drei Namen Eva, Helene,
Vilacky fand Körner auch bei Werthes nicht, sie müssen auf Rechnung von
Körners Erfindung gesetzt werden.

Dein: die Phantasie wollen wir ihm bei seiner Zriny-Arbeit in dem stillen
Dorfe Döbling unweit Wiens nicht abgesprochen habe:?. Die Szenen der
Türken gab ihm Werthes nicht an die Hand, der strengste Ortseinheit be¬
obachtet. Hier half ihm kein trockener Bericht des Fvrgach oder des Bndina:
beide hat er tief ans der Seele geschöpft und herrliche Ausbeute gefördert.
Groß empfunden wirken die beiden Selbstgespräche des Soliman und des Zriny;
Welches Ohr hätte sich nicht an ihnen gelabt, welcher Sinn sich nicht an
ihnen erhoben?

Wir staunten über die Schnelligkeit von Körners Schaffen : 21 Tage der
Zriny — so lange wie Handels Messias! Jetzt erklären wir sie uns aus
der Vorlage von Werthes' Drama. Zum Teil wird sie übrigens auch
erklärlich durch einzelne Flüchtigkeiten der Sprache. Kommt doch im Monolog
des Soliman das Wort „Held" achtmal vor, und der Zusammensetzungen mit
„Held" erscheinen gegen hundert! Dennoch sind Sprache, Bilder und drama¬
tische Gestaltung so geschickt und kraftvoll, der Zug des ganzen so selb¬
ständig, daß kleinlicher Tadel lächerlich erscheinen würde.

Aber auch Werthes' Arbeit hat ihren Wert. Sie ist ja schlicht gehalten,
erhebt sich nur an einer Stelle zu dichterischem Schwunge, wo Katharina
ausruft (S. 38): „Die Freiheit selbst kann Fesseln tragen; der Nichtswürdige
ist ohne Ketten Sklav; ein freier Sinn bleibt anch in Ketten frei." Sein Dialog
klingt fast nüchtern und giebt dem Schauspieler nicht viel Gelegenheit sich
zu zeigen. Aber hinter dieser lessiugisireuden Prosa birgt sich oft ein
großer Seelenkampf, und wie „Julius vou Tarent" sich nicht vor der „Braut
vou Messina" zu schämen braucht, so darf auch Werthes getrost zu Körner
aufblicken.




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[0238] Zu Körners Toni und Zriny Die Beispiele ließen sich noch vermehren. Ja die Ähnlichkeit erstreckt sich sogar auf einzelne Redewendungen. Wir kennen Körners Worte: „Ge¬ boren wird der Wurm »ut wird zertreten"; sie entsprechen völlig denen bei Werthes: „In der Erde stirbt das Vorbild der Sklaven, der Wurm, unter unsern Fersen." Auch den Wendelstieg, den Helene I, 7 erwähnt, hat Werthes schon in seiner „Schneckentreppe" (S. K2), und die Person des Georg wird erst durch Werthes ganz verständlich. Freilich, die drei Namen Eva, Helene, Vilacky fand Körner auch bei Werthes nicht, sie müssen auf Rechnung von Körners Erfindung gesetzt werden. Dein: die Phantasie wollen wir ihm bei seiner Zriny-Arbeit in dem stillen Dorfe Döbling unweit Wiens nicht abgesprochen habe:?. Die Szenen der Türken gab ihm Werthes nicht an die Hand, der strengste Ortseinheit be¬ obachtet. Hier half ihm kein trockener Bericht des Fvrgach oder des Bndina: beide hat er tief ans der Seele geschöpft und herrliche Ausbeute gefördert. Groß empfunden wirken die beiden Selbstgespräche des Soliman und des Zriny; Welches Ohr hätte sich nicht an ihnen gelabt, welcher Sinn sich nicht an ihnen erhoben? Wir staunten über die Schnelligkeit von Körners Schaffen : 21 Tage der Zriny — so lange wie Handels Messias! Jetzt erklären wir sie uns aus der Vorlage von Werthes' Drama. Zum Teil wird sie übrigens auch erklärlich durch einzelne Flüchtigkeiten der Sprache. Kommt doch im Monolog des Soliman das Wort „Held" achtmal vor, und der Zusammensetzungen mit „Held" erscheinen gegen hundert! Dennoch sind Sprache, Bilder und drama¬ tische Gestaltung so geschickt und kraftvoll, der Zug des ganzen so selb¬ ständig, daß kleinlicher Tadel lächerlich erscheinen würde. Aber auch Werthes' Arbeit hat ihren Wert. Sie ist ja schlicht gehalten, erhebt sich nur an einer Stelle zu dichterischem Schwunge, wo Katharina ausruft (S. 38): „Die Freiheit selbst kann Fesseln tragen; der Nichtswürdige ist ohne Ketten Sklav; ein freier Sinn bleibt anch in Ketten frei." Sein Dialog klingt fast nüchtern und giebt dem Schauspieler nicht viel Gelegenheit sich zu zeigen. Aber hinter dieser lessiugisireuden Prosa birgt sich oft ein großer Seelenkampf, und wie „Julius vou Tarent" sich nicht vor der „Braut vou Messina" zu schämen braucht, so darf auch Werthes getrost zu Körner aufblicken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/238>, abgerufen am 17.06.2024.