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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das Zeitalter der Tenoristen

Nemesis --- den Göttern sei Dank! -- in Gestalt eines chronischen Katarrhs
erreicht und hoffentlich für immer unschädlich gemacht. Aber fast zu gleicher
Zeit war ein zweiter Baal-Melkart in dem hohen des Herrn Mierzwinski
aufgetaucht und feierte Orgien, die den rheinischen Götzen als kleinen Vizlipuzli
erscheinen ließen. Das ist der Höhepunkt! sagte man sich. Ärger kann der Greuel
doch nicht werden. Die silberblnckeuden Schwanenritter mit der entsagungsvollen
Vergangenheit und dem mystisch-segnenden "Elsa, ich liebe Dich!", die Tannhäuser
mit der Harfe und der "Frau Venus" -- du lieber Himmel, es ist ja über¬
süßer und übergähriger künstlicher Schaumwein; aber unsre Zeit trinkt ihn nun
einmal für Champagner, darf sich also nicht wundern, wenn unsre Jungfrüu-
lein von jenen Rittern sich die Köpfe verdrehen lassen. Schlimmer schon sind die
Siegmund und Siegfried und Tristan mit deu Bärenfellen und der künstlichen
Muskulatur, mit dem hohen 0 der Schvpenhauerschen Philosophie und "welt-
ntemswehenden Lust." Damit wäre es doch nun, sollte man meinen, genug
und übergenug. Das reine, nackte, bloße hohe 0 in Trikots und Tresfen-
wams, immer dieselbe männliche Schreipuppe als "Prophet" und "Manrico"
und wieder als "Manrico" und "Prophet," das müßten doch selbst unsre
Jungfräulein einmal satt bekommen. Aber umgekehrt! In alle Geschlechter
und Lebensalter fährt diese -- wir schönen das edle Wort .....- diese Franen-
zimmerbegeisternng. Begeisterung?, Diese hysterisch-epileptische, krampfzuckuugs-
verblödete Veitstanzmanie und seine bestellten Wartet und Vvrpfeifer, die
Herren Wolf und Angelo Neumann, und wie all die großen "Tierbändiger"
heißen, jagen keuchend über deu Erdball, um für ihre Kranken das heißbegehrte
Stimulans zu ergattern. Und sie finden sich immer wieder, die hohen v's,
sollten sie sie auch bei den Buschmännern auftreiben. Seht, da leuchten an
deu Säulen wieder die knallroten und blitzblauen Zettel mit einem beliebigen
tönenden Namen, Carlo Brüllini, Esteban de Wimmerados oder gegenwärtig
"germanisch" Werner Alberti. Aha! Da haben wirs, der neue Tenor!
Wir schlagen die nächste Zeitung auf, gleich viel welche, die Frankfurter oder
den Kieferstädtelschen Anzeiger -- unter dem Strich, großgedruckt: "Wiener
Hofoper. (Eigner Drahtbericht.) Der neue Tenor, Herr Carlo Brüllini oder
Werne Alberti, hat also (also! das Also des Ereignisses) gesungen." Was
er gesungen hat -- unnötig zu sagen, natürlich den Manrico. "Die Erschei¬
nung des neuen Sternes am Gesangshimmel (natürlich, die Erscheinung in
erster Reihe) ist -- was? -- ist herzlich unbedeutend. Es macht einen fast
(fast!) konnschen Eindruck, diesen Knirps seine kolossale, zwei Schuh längere
und breitere Partnerin, Iran Schlüger, der er gerade bis an die Handschuh¬
knöpfe reicht, in Liebesextase versetzen zu sehen. Seine Stimme (Schule, musi¬
kalische Bildung, Darstellung -- giebts nicht!), seine Stimme ist geringfügig,
brüchig, glanzlos." Na, da foll doch gleich - Stern am Gesangshimmel?
"Das Publikum war auch sichtlich enttäuscht (ach?) und kargte mit seinem


Das Zeitalter der Tenoristen

Nemesis —- den Göttern sei Dank! — in Gestalt eines chronischen Katarrhs
erreicht und hoffentlich für immer unschädlich gemacht. Aber fast zu gleicher
Zeit war ein zweiter Baal-Melkart in dem hohen des Herrn Mierzwinski
aufgetaucht und feierte Orgien, die den rheinischen Götzen als kleinen Vizlipuzli
erscheinen ließen. Das ist der Höhepunkt! sagte man sich. Ärger kann der Greuel
doch nicht werden. Die silberblnckeuden Schwanenritter mit der entsagungsvollen
Vergangenheit und dem mystisch-segnenden „Elsa, ich liebe Dich!", die Tannhäuser
mit der Harfe und der „Frau Venus" — du lieber Himmel, es ist ja über¬
süßer und übergähriger künstlicher Schaumwein; aber unsre Zeit trinkt ihn nun
einmal für Champagner, darf sich also nicht wundern, wenn unsre Jungfrüu-
lein von jenen Rittern sich die Köpfe verdrehen lassen. Schlimmer schon sind die
Siegmund und Siegfried und Tristan mit deu Bärenfellen und der künstlichen
Muskulatur, mit dem hohen 0 der Schvpenhauerschen Philosophie und „welt-
ntemswehenden Lust." Damit wäre es doch nun, sollte man meinen, genug
und übergenug. Das reine, nackte, bloße hohe 0 in Trikots und Tresfen-
wams, immer dieselbe männliche Schreipuppe als „Prophet" und „Manrico"
und wieder als „Manrico" und „Prophet," das müßten doch selbst unsre
Jungfräulein einmal satt bekommen. Aber umgekehrt! In alle Geschlechter
und Lebensalter fährt diese — wir schönen das edle Wort .....- diese Franen-
zimmerbegeisternng. Begeisterung?, Diese hysterisch-epileptische, krampfzuckuugs-
verblödete Veitstanzmanie und seine bestellten Wartet und Vvrpfeifer, die
Herren Wolf und Angelo Neumann, und wie all die großen „Tierbändiger"
heißen, jagen keuchend über deu Erdball, um für ihre Kranken das heißbegehrte
Stimulans zu ergattern. Und sie finden sich immer wieder, die hohen v's,
sollten sie sie auch bei den Buschmännern auftreiben. Seht, da leuchten an
deu Säulen wieder die knallroten und blitzblauen Zettel mit einem beliebigen
tönenden Namen, Carlo Brüllini, Esteban de Wimmerados oder gegenwärtig
„germanisch" Werner Alberti. Aha! Da haben wirs, der neue Tenor!
Wir schlagen die nächste Zeitung auf, gleich viel welche, die Frankfurter oder
den Kieferstädtelschen Anzeiger — unter dem Strich, großgedruckt: „Wiener
Hofoper. (Eigner Drahtbericht.) Der neue Tenor, Herr Carlo Brüllini oder
Werne Alberti, hat also (also! das Also des Ereignisses) gesungen." Was
er gesungen hat — unnötig zu sagen, natürlich den Manrico. „Die Erschei¬
nung des neuen Sternes am Gesangshimmel (natürlich, die Erscheinung in
erster Reihe) ist — was? — ist herzlich unbedeutend. Es macht einen fast
(fast!) konnschen Eindruck, diesen Knirps seine kolossale, zwei Schuh längere
und breitere Partnerin, Iran Schlüger, der er gerade bis an die Handschuh¬
knöpfe reicht, in Liebesextase versetzen zu sehen. Seine Stimme (Schule, musi¬
kalische Bildung, Darstellung — giebts nicht!), seine Stimme ist geringfügig,
brüchig, glanzlos." Na, da foll doch gleich - Stern am Gesangshimmel?
„Das Publikum war auch sichtlich enttäuscht (ach?) und kargte mit seinem


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[0240] Das Zeitalter der Tenoristen Nemesis —- den Göttern sei Dank! — in Gestalt eines chronischen Katarrhs erreicht und hoffentlich für immer unschädlich gemacht. Aber fast zu gleicher Zeit war ein zweiter Baal-Melkart in dem hohen des Herrn Mierzwinski aufgetaucht und feierte Orgien, die den rheinischen Götzen als kleinen Vizlipuzli erscheinen ließen. Das ist der Höhepunkt! sagte man sich. Ärger kann der Greuel doch nicht werden. Die silberblnckeuden Schwanenritter mit der entsagungsvollen Vergangenheit und dem mystisch-segnenden „Elsa, ich liebe Dich!", die Tannhäuser mit der Harfe und der „Frau Venus" — du lieber Himmel, es ist ja über¬ süßer und übergähriger künstlicher Schaumwein; aber unsre Zeit trinkt ihn nun einmal für Champagner, darf sich also nicht wundern, wenn unsre Jungfrüu- lein von jenen Rittern sich die Köpfe verdrehen lassen. Schlimmer schon sind die Siegmund und Siegfried und Tristan mit deu Bärenfellen und der künstlichen Muskulatur, mit dem hohen 0 der Schvpenhauerschen Philosophie und „welt- ntemswehenden Lust." Damit wäre es doch nun, sollte man meinen, genug und übergenug. Das reine, nackte, bloße hohe 0 in Trikots und Tresfen- wams, immer dieselbe männliche Schreipuppe als „Prophet" und „Manrico" und wieder als „Manrico" und „Prophet," das müßten doch selbst unsre Jungfräulein einmal satt bekommen. Aber umgekehrt! In alle Geschlechter und Lebensalter fährt diese — wir schönen das edle Wort .....- diese Franen- zimmerbegeisternng. Begeisterung?, Diese hysterisch-epileptische, krampfzuckuugs- verblödete Veitstanzmanie und seine bestellten Wartet und Vvrpfeifer, die Herren Wolf und Angelo Neumann, und wie all die großen „Tierbändiger" heißen, jagen keuchend über deu Erdball, um für ihre Kranken das heißbegehrte Stimulans zu ergattern. Und sie finden sich immer wieder, die hohen v's, sollten sie sie auch bei den Buschmännern auftreiben. Seht, da leuchten an deu Säulen wieder die knallroten und blitzblauen Zettel mit einem beliebigen tönenden Namen, Carlo Brüllini, Esteban de Wimmerados oder gegenwärtig „germanisch" Werner Alberti. Aha! Da haben wirs, der neue Tenor! Wir schlagen die nächste Zeitung auf, gleich viel welche, die Frankfurter oder den Kieferstädtelschen Anzeiger — unter dem Strich, großgedruckt: „Wiener Hofoper. (Eigner Drahtbericht.) Der neue Tenor, Herr Carlo Brüllini oder Werne Alberti, hat also (also! das Also des Ereignisses) gesungen." Was er gesungen hat — unnötig zu sagen, natürlich den Manrico. „Die Erschei¬ nung des neuen Sternes am Gesangshimmel (natürlich, die Erscheinung in erster Reihe) ist — was? — ist herzlich unbedeutend. Es macht einen fast (fast!) konnschen Eindruck, diesen Knirps seine kolossale, zwei Schuh längere und breitere Partnerin, Iran Schlüger, der er gerade bis an die Handschuh¬ knöpfe reicht, in Liebesextase versetzen zu sehen. Seine Stimme (Schule, musi¬ kalische Bildung, Darstellung — giebts nicht!), seine Stimme ist geringfügig, brüchig, glanzlos." Na, da foll doch gleich - Stern am Gesangshimmel? „Das Publikum war auch sichtlich enttäuscht (ach?) und kargte mit seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/240>, abgerufen am 17.06.2024.