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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Das Zeitalter der Tenoristen

bildet nicht den geringsten Teil ihrer Anziehungskraft. Die unkünstlerische
Masse hält sich eben an das für sie verständlichste in der Kunst, das Monströse
einer solchen hohen Mannesstimme, und die Höhe ihres Marktpreises bildet
für sie die greifbare Handhabe, um die ihr Interesse für die als fein geltenden
Künste des Musikers und Mimen sich anklammern kann. Nun haben sie auch
ihr Teil an den für sie oft so unverständlichen Operngenüssen, die ihnen meist
nur auf ein langweiliges Gedudel und Geheul hinauskommen. Da aber --
da ist der Tenor! Zwölf Mark haben wir bezahlt fürs Billet, jetzt, jetzt --
da ist er! Jetzt fängt er an zu singen, jeder Ton fünfzig Pfennige, und nun
endlich, da kommts, der große Luftsprung -- v. Hurrah! Begeisterung, Ent¬
zücken, Enthusiasmus, alles möchte am liebste?? auf dem Kopfe stehen. So
was ist doch das Geld wert!

Wir wünschten, wir könntens überall so erklären. Das wäre lächerlich,
dumm, aber nicht grade krankhaft, im oben angedeutete?? Sinne nur ein ober¬
flächliches Übel, groß gezüchtet vou der Reklame der Jmpressarios, der schmach¬
vollen Nichtswürdigkeit des größten Teiles der musikalischen und Theaterkritik,
der Sensativnsmache jener Zeitungen, die in herzbrechenden Novellettcheu die
Verheerungen der "Tenöre" im Weibervvlke nicht stark genug schildern und
weiter unten uicht stark genug für sie in die Posaune blasen können -- kurz,
jenem ganzen Gezücht, das uns immerhin ein Recht giebt, die Versumpfung
unsrer künstlerischen Zustände noch immer für eine künstlich gemachte anzusehen.
Aber leider haben wir Grund, zu fürchten, daß dies besondre Übel kein ober¬
flächliches mehr sei, daß es wirklich eine Volkskrankheit bedeute oder auf dem
besten Wege sei, eine zu werden. Besonders bei den lieben Weiblein! Zwar
das ewig Weibliche erstreckt sich grade auf diesen? Gebiete bekanntlich tief in
das starke Geschlecht hinein. Man kam? hier -- besonders hier -- sogar
Excellenzen und Geheimräte Gespräche führen hören, die von "langem Haar
und kurzen? Verstand" Zeugnis ablegen -- würden, wenn nicht die würdigen
"hohe,? Stirne??" und meist in gleiche??? Verhältnis stehenden hohe"? Titel wären.
So lange dies Operngeschwätz der fadesten Sorte einen solchen Raum in unsrer
Geselligkeit einnimmt wie gegenwärtig, so lange es gar noch als "fein" gilt,
die Fragen der "höher?? Gesangskunst" (das ist nämlich im wesentlichen das
hohe v, ^, II, 0, die vier Töne des neuesten Sternes am Gesangshimmel)
mit eiuer Breite und Wichtigkeit wie tiefste Probleme zu erörtern, so lange
ein Auftreten der Herren van Dyck, Winkelmann und wie sie alle heißen,
wichtiger ist als die erste Aufführung von zehn neuen Opern, vor allen Dingen
aber so lange diese hohen 0's ganze Städte in Aufregung versetzen dürfen,
so lange wird das nicht besser, sondern nur schlimmer werden. Wir haben
gut uns aufhalte?? über die Yankees und ihre Dollarkunst. Wir machen es
ja bereits nicht um ein Haar anders. Als die römischen Satiriker anfingen,
sich über ihre "Tenöre" aufzuhalten, da hörte sie auch kein Mensch. Damals


Das Zeitalter der Tenoristen

bildet nicht den geringsten Teil ihrer Anziehungskraft. Die unkünstlerische
Masse hält sich eben an das für sie verständlichste in der Kunst, das Monströse
einer solchen hohen Mannesstimme, und die Höhe ihres Marktpreises bildet
für sie die greifbare Handhabe, um die ihr Interesse für die als fein geltenden
Künste des Musikers und Mimen sich anklammern kann. Nun haben sie auch
ihr Teil an den für sie oft so unverständlichen Operngenüssen, die ihnen meist
nur auf ein langweiliges Gedudel und Geheul hinauskommen. Da aber —
da ist der Tenor! Zwölf Mark haben wir bezahlt fürs Billet, jetzt, jetzt —
da ist er! Jetzt fängt er an zu singen, jeder Ton fünfzig Pfennige, und nun
endlich, da kommts, der große Luftsprung — v. Hurrah! Begeisterung, Ent¬
zücken, Enthusiasmus, alles möchte am liebste?? auf dem Kopfe stehen. So
was ist doch das Geld wert!

Wir wünschten, wir könntens überall so erklären. Das wäre lächerlich,
dumm, aber nicht grade krankhaft, im oben angedeutete?? Sinne nur ein ober¬
flächliches Übel, groß gezüchtet vou der Reklame der Jmpressarios, der schmach¬
vollen Nichtswürdigkeit des größten Teiles der musikalischen und Theaterkritik,
der Sensativnsmache jener Zeitungen, die in herzbrechenden Novellettcheu die
Verheerungen der „Tenöre" im Weibervvlke nicht stark genug schildern und
weiter unten uicht stark genug für sie in die Posaune blasen können — kurz,
jenem ganzen Gezücht, das uns immerhin ein Recht giebt, die Versumpfung
unsrer künstlerischen Zustände noch immer für eine künstlich gemachte anzusehen.
Aber leider haben wir Grund, zu fürchten, daß dies besondre Übel kein ober¬
flächliches mehr sei, daß es wirklich eine Volkskrankheit bedeute oder auf dem
besten Wege sei, eine zu werden. Besonders bei den lieben Weiblein! Zwar
das ewig Weibliche erstreckt sich grade auf diesen? Gebiete bekanntlich tief in
das starke Geschlecht hinein. Man kam? hier — besonders hier — sogar
Excellenzen und Geheimräte Gespräche führen hören, die von „langem Haar
und kurzen? Verstand" Zeugnis ablegen — würden, wenn nicht die würdigen
»hohe,? Stirne??" und meist in gleiche??? Verhältnis stehenden hohe«? Titel wären.
So lange dies Operngeschwätz der fadesten Sorte einen solchen Raum in unsrer
Geselligkeit einnimmt wie gegenwärtig, so lange es gar noch als „fein" gilt,
die Fragen der „höher?? Gesangskunst" (das ist nämlich im wesentlichen das
hohe v, ^, II, 0, die vier Töne des neuesten Sternes am Gesangshimmel)
mit eiuer Breite und Wichtigkeit wie tiefste Probleme zu erörtern, so lange
ein Auftreten der Herren van Dyck, Winkelmann und wie sie alle heißen,
wichtiger ist als die erste Aufführung von zehn neuen Opern, vor allen Dingen
aber so lange diese hohen 0's ganze Städte in Aufregung versetzen dürfen,
so lange wird das nicht besser, sondern nur schlimmer werden. Wir haben
gut uns aufhalte?? über die Yankees und ihre Dollarkunst. Wir machen es
ja bereits nicht um ein Haar anders. Als die römischen Satiriker anfingen,
sich über ihre „Tenöre" aufzuhalten, da hörte sie auch kein Mensch. Damals


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[0243] Das Zeitalter der Tenoristen bildet nicht den geringsten Teil ihrer Anziehungskraft. Die unkünstlerische Masse hält sich eben an das für sie verständlichste in der Kunst, das Monströse einer solchen hohen Mannesstimme, und die Höhe ihres Marktpreises bildet für sie die greifbare Handhabe, um die ihr Interesse für die als fein geltenden Künste des Musikers und Mimen sich anklammern kann. Nun haben sie auch ihr Teil an den für sie oft so unverständlichen Operngenüssen, die ihnen meist nur auf ein langweiliges Gedudel und Geheul hinauskommen. Da aber — da ist der Tenor! Zwölf Mark haben wir bezahlt fürs Billet, jetzt, jetzt — da ist er! Jetzt fängt er an zu singen, jeder Ton fünfzig Pfennige, und nun endlich, da kommts, der große Luftsprung — v. Hurrah! Begeisterung, Ent¬ zücken, Enthusiasmus, alles möchte am liebste?? auf dem Kopfe stehen. So was ist doch das Geld wert! Wir wünschten, wir könntens überall so erklären. Das wäre lächerlich, dumm, aber nicht grade krankhaft, im oben angedeutete?? Sinne nur ein ober¬ flächliches Übel, groß gezüchtet vou der Reklame der Jmpressarios, der schmach¬ vollen Nichtswürdigkeit des größten Teiles der musikalischen und Theaterkritik, der Sensativnsmache jener Zeitungen, die in herzbrechenden Novellettcheu die Verheerungen der „Tenöre" im Weibervvlke nicht stark genug schildern und weiter unten uicht stark genug für sie in die Posaune blasen können — kurz, jenem ganzen Gezücht, das uns immerhin ein Recht giebt, die Versumpfung unsrer künstlerischen Zustände noch immer für eine künstlich gemachte anzusehen. Aber leider haben wir Grund, zu fürchten, daß dies besondre Übel kein ober¬ flächliches mehr sei, daß es wirklich eine Volkskrankheit bedeute oder auf dem besten Wege sei, eine zu werden. Besonders bei den lieben Weiblein! Zwar das ewig Weibliche erstreckt sich grade auf diesen? Gebiete bekanntlich tief in das starke Geschlecht hinein. Man kam? hier — besonders hier — sogar Excellenzen und Geheimräte Gespräche führen hören, die von „langem Haar und kurzen? Verstand" Zeugnis ablegen — würden, wenn nicht die würdigen »hohe,? Stirne??" und meist in gleiche??? Verhältnis stehenden hohe«? Titel wären. So lange dies Operngeschwätz der fadesten Sorte einen solchen Raum in unsrer Geselligkeit einnimmt wie gegenwärtig, so lange es gar noch als „fein" gilt, die Fragen der „höher?? Gesangskunst" (das ist nämlich im wesentlichen das hohe v, ^, II, 0, die vier Töne des neuesten Sternes am Gesangshimmel) mit eiuer Breite und Wichtigkeit wie tiefste Probleme zu erörtern, so lange ein Auftreten der Herren van Dyck, Winkelmann und wie sie alle heißen, wichtiger ist als die erste Aufführung von zehn neuen Opern, vor allen Dingen aber so lange diese hohen 0's ganze Städte in Aufregung versetzen dürfen, so lange wird das nicht besser, sondern nur schlimmer werden. Wir haben gut uns aufhalte?? über die Yankees und ihre Dollarkunst. Wir machen es ja bereits nicht um ein Haar anders. Als die römischen Satiriker anfingen, sich über ihre „Tenöre" aufzuhalten, da hörte sie auch kein Mensch. Damals

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/243>, abgerufen am 17.06.2024.