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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

aber standen schon die Germanen an den Grenzen Roms. Und die Nachkommen
jener Germanen, die sich um zwei Jahrtausende so ziemlich wacker gehalten
haben, sollten sich nicht besinnen, die schönsten Verfallmvden bei sich ein¬
zuführen? Es sollte nicht möglich sein, die Schwätzer, die in anständiger Ge¬
sellschaft von diesem Thema anfangen, grade so anzusehen, als erörterten sie
die Leistungen einer Luftsvringcrin? Es sollte nicht möglich sein, den werten
Fräulein Töchtern das Betteln um ein Billet zu "van Dyck" oder "Carlo
Brüllini" eiufnch zu verbieten und sie in eine ganz gewöhnliche Lohengrin-
vder Tronbadonrvorstellung, besser aber in die Sinfonie oder ins Quartett zu
führen? Es sollte nicht möglich sein, die von der hohen OSenche befallnen
Brüller im Theater an die Luft zu setzen? Das sollte nicht möglich sein?




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Provinz Posen

ist die einzige Provinz des Preußischen Staates, die
bisher noch von der Einführung der neuen Verwaltungsorganisation ausgeschlossen
war. Der Versuch, die einschlagenden Gesetze auf Posen auszudehnen, ist zwar
seit 1872 mehrfach gemacht worden, aber alle darauf bezüglichen Vorlagen sind
nicht über die Kommissivnsberatung hinausgekommen, weil man vor allem eine
Kreisordnung für Pose" schaffen wollte, und über diese mit Rücksicht auf die Ver¬
hältnisse Posens ein Einverständnis nicht zu erzielen war. Nun hat die Staats¬
regierung davon abgesehen, die Neuorganisation der Verwaltung in Posen mit der
Einführung der Kreisordnung zu beginnen, sondern es soll der entgegengesetzte
Weg eingeschlagen, d. h. es sollen zunächst die Gesetze über die allgemeine Landes-
verwaltung vom 30. Juli 1833 und über die Zuständigkeit der Verwaltnngs-
und Verwaltungsgcrichtsbehörden vom 1. August 1833 mit deu notwendigen Ab¬
änderungen eingeführt werden. El" entsprechender Gesetzentwurf ist dem Landtage,
und zwar zunächst dem Herrenhause vorgelegt worden, und da die Verhandlungen
über diesen Entwurf jedenfalls sehr lebhaft zu werden versprechen, so dürfte es
die Leser der grünen Hefte interessiren, etwas genaueres über diesen Entwurf und
dessen Begründung zu erfahren.

Von besonderem Interesse sind zunächst die Gründe, die die Staatsregierung
veranlaßt haben, den jetzigen Weg einzuschlagen und von der Einführung der
Kreisordnung zunächst abzusehen. "Die besondern, aus den nationalen Gegensätzen
in der Bevölkerung sich ergebenden Verhältnisse der Provinz Posen," sagt die
Begründung des vorgelegten Gesetzentwurfs, "lassen es zur Zeit nicht angängig
erscheinen, mit der Einführung einer dem Vorbilde der Kreisvrdnung vom 13. De¬
zember 1872 entsprechenden Kreisverfassung dort vorzugehen. Die Bedenken, die
hiergegen geltend zu machen sind, liegen hauptsächlich in den Bestimmungen über


Maßgebliches und Unmaßgebliches

aber standen schon die Germanen an den Grenzen Roms. Und die Nachkommen
jener Germanen, die sich um zwei Jahrtausende so ziemlich wacker gehalten
haben, sollten sich nicht besinnen, die schönsten Verfallmvden bei sich ein¬
zuführen? Es sollte nicht möglich sein, die Schwätzer, die in anständiger Ge¬
sellschaft von diesem Thema anfangen, grade so anzusehen, als erörterten sie
die Leistungen einer Luftsvringcrin? Es sollte nicht möglich sein, den werten
Fräulein Töchtern das Betteln um ein Billet zu „van Dyck" oder „Carlo
Brüllini" eiufnch zu verbieten und sie in eine ganz gewöhnliche Lohengrin-
vder Tronbadonrvorstellung, besser aber in die Sinfonie oder ins Quartett zu
führen? Es sollte nicht möglich sein, die von der hohen OSenche befallnen
Brüller im Theater an die Luft zu setzen? Das sollte nicht möglich sein?




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Provinz Posen

ist die einzige Provinz des Preußischen Staates, die
bisher noch von der Einführung der neuen Verwaltungsorganisation ausgeschlossen
war. Der Versuch, die einschlagenden Gesetze auf Posen auszudehnen, ist zwar
seit 1872 mehrfach gemacht worden, aber alle darauf bezüglichen Vorlagen sind
nicht über die Kommissivnsberatung hinausgekommen, weil man vor allem eine
Kreisordnung für Pose» schaffen wollte, und über diese mit Rücksicht auf die Ver¬
hältnisse Posens ein Einverständnis nicht zu erzielen war. Nun hat die Staats¬
regierung davon abgesehen, die Neuorganisation der Verwaltung in Posen mit der
Einführung der Kreisordnung zu beginnen, sondern es soll der entgegengesetzte
Weg eingeschlagen, d. h. es sollen zunächst die Gesetze über die allgemeine Landes-
verwaltung vom 30. Juli 1833 und über die Zuständigkeit der Verwaltnngs-
und Verwaltungsgcrichtsbehörden vom 1. August 1833 mit deu notwendigen Ab¬
änderungen eingeführt werden. El« entsprechender Gesetzentwurf ist dem Landtage,
und zwar zunächst dem Herrenhause vorgelegt worden, und da die Verhandlungen
über diesen Entwurf jedenfalls sehr lebhaft zu werden versprechen, so dürfte es
die Leser der grünen Hefte interessiren, etwas genaueres über diesen Entwurf und
dessen Begründung zu erfahren.

Von besonderem Interesse sind zunächst die Gründe, die die Staatsregierung
veranlaßt haben, den jetzigen Weg einzuschlagen und von der Einführung der
Kreisordnung zunächst abzusehen. „Die besondern, aus den nationalen Gegensätzen
in der Bevölkerung sich ergebenden Verhältnisse der Provinz Posen," sagt die
Begründung des vorgelegten Gesetzentwurfs, „lassen es zur Zeit nicht angängig
erscheinen, mit der Einführung einer dem Vorbilde der Kreisvrdnung vom 13. De¬
zember 1872 entsprechenden Kreisverfassung dort vorzugehen. Die Bedenken, die
hiergegen geltend zu machen sind, liegen hauptsächlich in den Bestimmungen über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/244>, abgerufen am 17.06.2024.