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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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ihrem Tode sofort dahinschwinden sieht; und um beginnt jene unselige Ver¬
wirrung und Ohnmacht über die greisenhafter griechischen Stadtrepubliken
hereinzubrechen, der selbst die männliche Beredsamkeit des Demosthenes uicht
mehr Einhalt zu thun vermochte. Nur ein würdiges Ende konnte er der
griechischen Freiheit bereiten. Unaufhaltsam näherte man sich dem Hinüber¬
fließen ins Reich der makedonischer Heerkönige, deren glänzender Hof schon
längst gleich dem der sizilischen Tyrannen auf die größten Geister Griechenlands
eine bedeutendere Anziehungskraft ausübte, als das in nutzlosen Fehden sich
verbindende Mutterland. Was Philipp mit kluger Berechnung und unver¬
drossener Ausdauer gesät hatte, sollte er uicht ernten; aber fein vom Glück
begnnstigterer Sohn Alexander übertraf durch seine unerhörten Triumphe in
Asien bis zum Jaxartes und Indus die kühnsten Hoffnungen der verbündeten
Griechen; und seiue übermenschliche Tapferkeit, wie seine über nationale Vor¬
urteile erhabene, leider zu früh endende schöpferische Thätigkeit für Ver¬
schmelzung der unterworfenen Völker zu einem einheitlichen dauerhaften Weltreiche
und Eröffnung neuer Verkehrswege rechtfertigt einigermaßen die Vergötterung,
die ihm nach orientalischem Vorgange auch in Griechenland zuerkannt wurde.
Zu sehr kam er den Bedürfnissen der hellenischen Nation entgegen, der die
heimischen Verhältnisse zu klein geworden waren, und die sich stark genug fühlte,
eine neue Welt mit ihrer Kultur zu durchgingen, wenn nur ein starker Fürst
an der Spitze eines zuverlässigen Heeres ihr Bahn brach.

Und so war denn der Ring der Verfassungswandlungen zum erstenmale
geschlossen, und die erst aristokratisch, dann demokratisch regierten griechischen
Städte ordnen sich ein in die Geschichte Makedoniens, das von jeher treu zu
seinem Königshause gehalten und das auch fortan mit ihm verbunden blieb
bis hinab auf König Perses, bis König und Land in die Hände der Römer fiel.

Nicht wesentlich anders verläuft die politische Entwicklung in Rom. Auch
hier finden wir -- soweit läßt sich in den nach griechisch-persischen Vorbildern
aufgeschmückten römischen Gründungssagen unzweifelhaft ein geschichtlicher Kern
erkennen -- von Anfang an Könige an der Spitze des Volkes, die sich bei den
häufigen Raubzügen als echte Söhne des Mars erwiesen und mit starker Hand
die Grenzen des neuen Stadtgebietes schützten und stetig erweiterten. Daheim
zogen sie die Streitigkeiten der Bürger vor ihr Tribunal und vertraten endlich
auch den Göttern gegenüber das fromme Volk, bei Opfern und Auspizien von
den Priestern nur unterstützt. Diese letztere Seite des Königsamtes, die reli¬
giöse, soll erst Numa Pompilius völlig ausgebildet und die meisten Kulte be¬
gründet haben, nach der Überlieferung der von: Volk erzwungene sabinische
Nachfolger des kriegslustiger Romulus, ein offenbares Versehen in dieser Sagen¬
bildung; denn unstreitig reicht die Gvtterverehrnng weiter zurück in die Urge¬
schichte eines Volkes, als seine staatliche Ordnung. Unter dem dritten Könige,
Tullus Hostilius, dem Spiegelbild des ersten, entreißt Rom der Mutterstadt


ihrem Tode sofort dahinschwinden sieht; und um beginnt jene unselige Ver¬
wirrung und Ohnmacht über die greisenhafter griechischen Stadtrepubliken
hereinzubrechen, der selbst die männliche Beredsamkeit des Demosthenes uicht
mehr Einhalt zu thun vermochte. Nur ein würdiges Ende konnte er der
griechischen Freiheit bereiten. Unaufhaltsam näherte man sich dem Hinüber¬
fließen ins Reich der makedonischer Heerkönige, deren glänzender Hof schon
längst gleich dem der sizilischen Tyrannen auf die größten Geister Griechenlands
eine bedeutendere Anziehungskraft ausübte, als das in nutzlosen Fehden sich
verbindende Mutterland. Was Philipp mit kluger Berechnung und unver¬
drossener Ausdauer gesät hatte, sollte er uicht ernten; aber fein vom Glück
begnnstigterer Sohn Alexander übertraf durch seine unerhörten Triumphe in
Asien bis zum Jaxartes und Indus die kühnsten Hoffnungen der verbündeten
Griechen; und seiue übermenschliche Tapferkeit, wie seine über nationale Vor¬
urteile erhabene, leider zu früh endende schöpferische Thätigkeit für Ver¬
schmelzung der unterworfenen Völker zu einem einheitlichen dauerhaften Weltreiche
und Eröffnung neuer Verkehrswege rechtfertigt einigermaßen die Vergötterung,
die ihm nach orientalischem Vorgange auch in Griechenland zuerkannt wurde.
Zu sehr kam er den Bedürfnissen der hellenischen Nation entgegen, der die
heimischen Verhältnisse zu klein geworden waren, und die sich stark genug fühlte,
eine neue Welt mit ihrer Kultur zu durchgingen, wenn nur ein starker Fürst
an der Spitze eines zuverlässigen Heeres ihr Bahn brach.

Und so war denn der Ring der Verfassungswandlungen zum erstenmale
geschlossen, und die erst aristokratisch, dann demokratisch regierten griechischen
Städte ordnen sich ein in die Geschichte Makedoniens, das von jeher treu zu
seinem Königshause gehalten und das auch fortan mit ihm verbunden blieb
bis hinab auf König Perses, bis König und Land in die Hände der Römer fiel.

Nicht wesentlich anders verläuft die politische Entwicklung in Rom. Auch
hier finden wir — soweit läßt sich in den nach griechisch-persischen Vorbildern
aufgeschmückten römischen Gründungssagen unzweifelhaft ein geschichtlicher Kern
erkennen — von Anfang an Könige an der Spitze des Volkes, die sich bei den
häufigen Raubzügen als echte Söhne des Mars erwiesen und mit starker Hand
die Grenzen des neuen Stadtgebietes schützten und stetig erweiterten. Daheim
zogen sie die Streitigkeiten der Bürger vor ihr Tribunal und vertraten endlich
auch den Göttern gegenüber das fromme Volk, bei Opfern und Auspizien von
den Priestern nur unterstützt. Diese letztere Seite des Königsamtes, die reli¬
giöse, soll erst Numa Pompilius völlig ausgebildet und die meisten Kulte be¬
gründet haben, nach der Überlieferung der von: Volk erzwungene sabinische
Nachfolger des kriegslustiger Romulus, ein offenbares Versehen in dieser Sagen¬
bildung; denn unstreitig reicht die Gvtterverehrnng weiter zurück in die Urge¬
schichte eines Volkes, als seine staatliche Ordnung. Unter dem dritten Könige,
Tullus Hostilius, dem Spiegelbild des ersten, entreißt Rom der Mutterstadt


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[0162] ihrem Tode sofort dahinschwinden sieht; und um beginnt jene unselige Ver¬ wirrung und Ohnmacht über die greisenhafter griechischen Stadtrepubliken hereinzubrechen, der selbst die männliche Beredsamkeit des Demosthenes uicht mehr Einhalt zu thun vermochte. Nur ein würdiges Ende konnte er der griechischen Freiheit bereiten. Unaufhaltsam näherte man sich dem Hinüber¬ fließen ins Reich der makedonischer Heerkönige, deren glänzender Hof schon längst gleich dem der sizilischen Tyrannen auf die größten Geister Griechenlands eine bedeutendere Anziehungskraft ausübte, als das in nutzlosen Fehden sich verbindende Mutterland. Was Philipp mit kluger Berechnung und unver¬ drossener Ausdauer gesät hatte, sollte er uicht ernten; aber fein vom Glück begnnstigterer Sohn Alexander übertraf durch seine unerhörten Triumphe in Asien bis zum Jaxartes und Indus die kühnsten Hoffnungen der verbündeten Griechen; und seiue übermenschliche Tapferkeit, wie seine über nationale Vor¬ urteile erhabene, leider zu früh endende schöpferische Thätigkeit für Ver¬ schmelzung der unterworfenen Völker zu einem einheitlichen dauerhaften Weltreiche und Eröffnung neuer Verkehrswege rechtfertigt einigermaßen die Vergötterung, die ihm nach orientalischem Vorgange auch in Griechenland zuerkannt wurde. Zu sehr kam er den Bedürfnissen der hellenischen Nation entgegen, der die heimischen Verhältnisse zu klein geworden waren, und die sich stark genug fühlte, eine neue Welt mit ihrer Kultur zu durchgingen, wenn nur ein starker Fürst an der Spitze eines zuverlässigen Heeres ihr Bahn brach. Und so war denn der Ring der Verfassungswandlungen zum erstenmale geschlossen, und die erst aristokratisch, dann demokratisch regierten griechischen Städte ordnen sich ein in die Geschichte Makedoniens, das von jeher treu zu seinem Königshause gehalten und das auch fortan mit ihm verbunden blieb bis hinab auf König Perses, bis König und Land in die Hände der Römer fiel. Nicht wesentlich anders verläuft die politische Entwicklung in Rom. Auch hier finden wir — soweit läßt sich in den nach griechisch-persischen Vorbildern aufgeschmückten römischen Gründungssagen unzweifelhaft ein geschichtlicher Kern erkennen — von Anfang an Könige an der Spitze des Volkes, die sich bei den häufigen Raubzügen als echte Söhne des Mars erwiesen und mit starker Hand die Grenzen des neuen Stadtgebietes schützten und stetig erweiterten. Daheim zogen sie die Streitigkeiten der Bürger vor ihr Tribunal und vertraten endlich auch den Göttern gegenüber das fromme Volk, bei Opfern und Auspizien von den Priestern nur unterstützt. Diese letztere Seite des Königsamtes, die reli¬ giöse, soll erst Numa Pompilius völlig ausgebildet und die meisten Kulte be¬ gründet haben, nach der Überlieferung der von: Volk erzwungene sabinische Nachfolger des kriegslustiger Romulus, ein offenbares Versehen in dieser Sagen¬ bildung; denn unstreitig reicht die Gvtterverehrnng weiter zurück in die Urge¬ schichte eines Volkes, als seine staatliche Ordnung. Unter dem dritten Könige, Tullus Hostilius, dem Spiegelbild des ersten, entreißt Rom der Mutterstadt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/162>, abgerufen am 17.06.2024.