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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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die Hegemonie über Latium in einem der spartanischen Geschichte entlehnten
Einzelkampfe, woran die Sage recht einleuchtend das Beispiel einer vom
König ans Volk gestatteten Appellation geknüpft hat. Die letzten drei Könige
zeigen unverkennbar den Charakter der griechischen Tyrannis, nicht bloß in der
illegitimen Thronfolge und in ihrer Willkürherrschaft, die besonders in Tarquinius
Superbus die senatorische Überlieferung auszumalen beflissen war zur eignen
Rechtfertigung, am deutlichsten in ihrer Baulust, der das republikanische
Rom eingestandenermaßen die Hauptzierden des Kapitals und des Forums,
sowie den (üiroinz inMimu" und die noch jetzt dauernden Kloaken verdankte,
ferner in der Heranziehung etruskischer und griechischer Kultur und vor allem
in dem Ausbau der Verfassung, da ja unter Servius Tullius die beträchtlich
angewachsene Bürgerschaft bereits in Vermögensklassen eingeteilt und dabei das
plebejische Element zum erstenmale gesetzlich berücksichtigt wurde. Trotz dieser
unleugbaren Verdienste um Stadt und Volk sehen wir auch hier (nach einem
mißglückter ersten Versuche des Senats bereits mit des Romulus Tode) das
Königtum einer Adelsverschwörung erliegen, ohne daß das bisher geschützte
und geförderte Volk irgendwie Protest gegen solche Vergewaltigung seiner
Wohlthäter erhebt. Umso schwerer büßte es seine politische Gleichartigkeit in
der Folgezeit; denn außer empfindlichen auswärtigen Niederlagen bei dem
Übergänge zur Republik mußte es die größten Übel der neuen Herrschaft an
sich selbst erfahren, da der nnn nicht mehr von oben gezügelte Adel mit dem ganzen
Gewicht seiner bevorzugten rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung nach unten
auf das arme Volk drückte. Weder die nach hartnäckigsten Widerstande er¬
zwungene Abfassung schriftlicher Gesetze -- wobei die Absetzung der Deccmvirn
eine auffallende Ähnlichkeit mit der Vertreibung der Könige zeigt -- noch die
gleichfalls lange vereitelte Zulassung der Plebejer zu deu höhern Staatsämtern
vermochte an der schlimmen Lage des bevormundeten Volkes etwas wesentliches
zu ändern, dessen Elend mit der ins Ungemessene steigenden Ausdehnung des
römischen Reiches und dem verschwenderischen Reichtum seiner regierenden Ge¬
schlechter einen immer schärferen Gegensatz bildete.

Die große Masse der römischen Bürger, "diese Herren der Welt, die keine
Scholle ihr eigen nannten, die nichts als Luft und Sonne ihres Vaterlandes
genossen und schlimmer als das Wild der eignen Wohnung und des sichern
Lagers entbehrten," sie erfuhren erst aus dem beredten Munde der beiden
Gracchen, wie ihrer unter dem selbstsüchtigen Regiment einer verknöcherten
Aristokratie verzweifelten Lage durch großartige Unternehmungen und gesetzliche
Zugeständnisse aufzuhelfen sei. Aber sobald einmal die Ansprüche des Volkes
auf Anteil an der Verwaltung und wirtschaftlichen Ausbeutung des durch ihre
Arme eroberten und mit ihrem Blute gedüngten Ländergebietes ausgesprochen
und öffentlich anerkannt worden waren, heisesten sie von dem verstockten Senat
in einem Jahrhundert blutiger Vürgerkämpfe ihre volle, ehrliche Erfüllung.


die Hegemonie über Latium in einem der spartanischen Geschichte entlehnten
Einzelkampfe, woran die Sage recht einleuchtend das Beispiel einer vom
König ans Volk gestatteten Appellation geknüpft hat. Die letzten drei Könige
zeigen unverkennbar den Charakter der griechischen Tyrannis, nicht bloß in der
illegitimen Thronfolge und in ihrer Willkürherrschaft, die besonders in Tarquinius
Superbus die senatorische Überlieferung auszumalen beflissen war zur eignen
Rechtfertigung, am deutlichsten in ihrer Baulust, der das republikanische
Rom eingestandenermaßen die Hauptzierden des Kapitals und des Forums,
sowie den (üiroinz inMimu« und die noch jetzt dauernden Kloaken verdankte,
ferner in der Heranziehung etruskischer und griechischer Kultur und vor allem
in dem Ausbau der Verfassung, da ja unter Servius Tullius die beträchtlich
angewachsene Bürgerschaft bereits in Vermögensklassen eingeteilt und dabei das
plebejische Element zum erstenmale gesetzlich berücksichtigt wurde. Trotz dieser
unleugbaren Verdienste um Stadt und Volk sehen wir auch hier (nach einem
mißglückter ersten Versuche des Senats bereits mit des Romulus Tode) das
Königtum einer Adelsverschwörung erliegen, ohne daß das bisher geschützte
und geförderte Volk irgendwie Protest gegen solche Vergewaltigung seiner
Wohlthäter erhebt. Umso schwerer büßte es seine politische Gleichartigkeit in
der Folgezeit; denn außer empfindlichen auswärtigen Niederlagen bei dem
Übergänge zur Republik mußte es die größten Übel der neuen Herrschaft an
sich selbst erfahren, da der nnn nicht mehr von oben gezügelte Adel mit dem ganzen
Gewicht seiner bevorzugten rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung nach unten
auf das arme Volk drückte. Weder die nach hartnäckigsten Widerstande er¬
zwungene Abfassung schriftlicher Gesetze — wobei die Absetzung der Deccmvirn
eine auffallende Ähnlichkeit mit der Vertreibung der Könige zeigt — noch die
gleichfalls lange vereitelte Zulassung der Plebejer zu deu höhern Staatsämtern
vermochte an der schlimmen Lage des bevormundeten Volkes etwas wesentliches
zu ändern, dessen Elend mit der ins Ungemessene steigenden Ausdehnung des
römischen Reiches und dem verschwenderischen Reichtum seiner regierenden Ge¬
schlechter einen immer schärferen Gegensatz bildete.

Die große Masse der römischen Bürger, „diese Herren der Welt, die keine
Scholle ihr eigen nannten, die nichts als Luft und Sonne ihres Vaterlandes
genossen und schlimmer als das Wild der eignen Wohnung und des sichern
Lagers entbehrten," sie erfuhren erst aus dem beredten Munde der beiden
Gracchen, wie ihrer unter dem selbstsüchtigen Regiment einer verknöcherten
Aristokratie verzweifelten Lage durch großartige Unternehmungen und gesetzliche
Zugeständnisse aufzuhelfen sei. Aber sobald einmal die Ansprüche des Volkes
auf Anteil an der Verwaltung und wirtschaftlichen Ausbeutung des durch ihre
Arme eroberten und mit ihrem Blute gedüngten Ländergebietes ausgesprochen
und öffentlich anerkannt worden waren, heisesten sie von dem verstockten Senat
in einem Jahrhundert blutiger Vürgerkämpfe ihre volle, ehrliche Erfüllung.


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[0163] die Hegemonie über Latium in einem der spartanischen Geschichte entlehnten Einzelkampfe, woran die Sage recht einleuchtend das Beispiel einer vom König ans Volk gestatteten Appellation geknüpft hat. Die letzten drei Könige zeigen unverkennbar den Charakter der griechischen Tyrannis, nicht bloß in der illegitimen Thronfolge und in ihrer Willkürherrschaft, die besonders in Tarquinius Superbus die senatorische Überlieferung auszumalen beflissen war zur eignen Rechtfertigung, am deutlichsten in ihrer Baulust, der das republikanische Rom eingestandenermaßen die Hauptzierden des Kapitals und des Forums, sowie den (üiroinz inMimu« und die noch jetzt dauernden Kloaken verdankte, ferner in der Heranziehung etruskischer und griechischer Kultur und vor allem in dem Ausbau der Verfassung, da ja unter Servius Tullius die beträchtlich angewachsene Bürgerschaft bereits in Vermögensklassen eingeteilt und dabei das plebejische Element zum erstenmale gesetzlich berücksichtigt wurde. Trotz dieser unleugbaren Verdienste um Stadt und Volk sehen wir auch hier (nach einem mißglückter ersten Versuche des Senats bereits mit des Romulus Tode) das Königtum einer Adelsverschwörung erliegen, ohne daß das bisher geschützte und geförderte Volk irgendwie Protest gegen solche Vergewaltigung seiner Wohlthäter erhebt. Umso schwerer büßte es seine politische Gleichartigkeit in der Folgezeit; denn außer empfindlichen auswärtigen Niederlagen bei dem Übergänge zur Republik mußte es die größten Übel der neuen Herrschaft an sich selbst erfahren, da der nnn nicht mehr von oben gezügelte Adel mit dem ganzen Gewicht seiner bevorzugten rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung nach unten auf das arme Volk drückte. Weder die nach hartnäckigsten Widerstande er¬ zwungene Abfassung schriftlicher Gesetze — wobei die Absetzung der Deccmvirn eine auffallende Ähnlichkeit mit der Vertreibung der Könige zeigt — noch die gleichfalls lange vereitelte Zulassung der Plebejer zu deu höhern Staatsämtern vermochte an der schlimmen Lage des bevormundeten Volkes etwas wesentliches zu ändern, dessen Elend mit der ins Ungemessene steigenden Ausdehnung des römischen Reiches und dem verschwenderischen Reichtum seiner regierenden Ge¬ schlechter einen immer schärferen Gegensatz bildete. Die große Masse der römischen Bürger, „diese Herren der Welt, die keine Scholle ihr eigen nannten, die nichts als Luft und Sonne ihres Vaterlandes genossen und schlimmer als das Wild der eignen Wohnung und des sichern Lagers entbehrten," sie erfuhren erst aus dem beredten Munde der beiden Gracchen, wie ihrer unter dem selbstsüchtigen Regiment einer verknöcherten Aristokratie verzweifelten Lage durch großartige Unternehmungen und gesetzliche Zugeständnisse aufzuhelfen sei. Aber sobald einmal die Ansprüche des Volkes auf Anteil an der Verwaltung und wirtschaftlichen Ausbeutung des durch ihre Arme eroberten und mit ihrem Blute gedüngten Ländergebietes ausgesprochen und öffentlich anerkannt worden waren, heisesten sie von dem verstockten Senat in einem Jahrhundert blutiger Vürgerkämpfe ihre volle, ehrliche Erfüllung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/163>, abgerufen am 17.06.2024.