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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Goetheausgabe, die ueunbändige Shakespeareansgabe mit den schönen Kupfer¬
stichen von Ludwig Richter, die alle noch heute auf meinem Vücherbrette stehen,
habe ich mir als Alumnus mich und nach von den Singcgcldern angeschafft. Und
was hatte eine Gesamtausgabe Goethes damals zu bedeuten! Der Lehrer, der
uns in Untersekunda deutschen Unterricht gab, hatte sie nicht; dein schenkten
wir, seine Klasse, sie erst einmal zum Geburtstage. Sie kostete gebunden über
zwanzig Thaler, das war für damalige Verhältnisse so viel, wie heute etwa
zweihundert Mark. Daß uns die hohen Einnahmen auch manchmal zum
Leichtsinn und zur Verschwendung verlockten, will ich nicht leugnen. Das
Singegeld wurde vom Kantor in der Regel den Monat über aufgespart und
am Mvnatsschlnß verteilt. Es kam aber auch vor, daß der Knntvrfnmulus
schon in der Mitte des Monats abgeschickt wurde, beim Kantor um die Aus¬
zahlung des Singcgeldes zu betteln, weil Einzelne schon wieder ganz ab¬
gebrannt waren.

In solchen Noten bildete dann eine willkommene Rettung eine unerwartet
bestellte "Vrautmessc." So hieß eine Trauung, bei der sich das Brautpaar
den Luxus von Orgelspiel und Chorgesang gestattete, während die meisten
Trauungen ohne das abgehalten wurden. Wir hatten da zu Beginn, nachdem
das Brautpaar und die Hochzeitsgäste unter deu Klängen eines Orgelvvrspiels
aus der Sakristei auf den Altarplatz gezogen waren und sich niedergelassen
hatten, zwei oder drei Chvralverse zu singen und nach dem Ningwechsel und
Segen noch einen Schlnßvers; das war alles. Auch diese Vrautmessen aber
sang nur das Doppelquartett der Solofänger; berechnet wurden sie genau so
wie ein Bär, und auch die Verteilung war dieselbe. Ein großer Vorzug der
Brautmessen aber bestand darin, daß sie schnell vorüber waren, und daß sie
unmittelbar hinterher in der Küsterei bezahlt wurden. Sowie der letzte Ton
verklungen war, stürmten wir hinunter an die Kirchenthür, wo die Hochzeits¬
wagen standen, drängten uns -- es war das ein Vorrecht, das uns Grün-
mützen widerspruchslos von den dort harrenden neugierigen Weibern und
Kinder" eingeräumt wurde -- in die vorderste Reihe, um uns die Braut und
die Brautjungfern noch einmal aus der Nähe zu betrachten, dann warteten
wir an der Schnlthür, bis die Kirche geschlossen und der Kirchendiener mit
dem Schlüsselbund in der Küsterei verschwunden war, dann aber wurde
schleunigst ein Bote abgesandt, um deu verdienten Lohn in Empfang zu nehmen.

Einmal im Jahre wurden wir auch -- wenigstens zu meiner Zeit ganz
regelmäßig -- auf ein Dorf ein paar Stunden von Dresden eingeladen, um
das dortige Erntefest verschönern zu helfen. Die Anregung dazu war wohl
gemeinschaftlich von dem dortigen Pfarrer und Kantor ausgegangen, und
nachdem die Sache einmal versucht worden war, hatte sie den Bauern so gut
gefallen, daß sie dann jedes Jahr wiederholt wurde. Der Gottesdienst war
am Nachmittag, wir gingen zu Fuß hinaus und sangen in der traulichen


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Goetheausgabe, die ueunbändige Shakespeareansgabe mit den schönen Kupfer¬
stichen von Ludwig Richter, die alle noch heute auf meinem Vücherbrette stehen,
habe ich mir als Alumnus mich und nach von den Singcgcldern angeschafft. Und
was hatte eine Gesamtausgabe Goethes damals zu bedeuten! Der Lehrer, der
uns in Untersekunda deutschen Unterricht gab, hatte sie nicht; dein schenkten
wir, seine Klasse, sie erst einmal zum Geburtstage. Sie kostete gebunden über
zwanzig Thaler, das war für damalige Verhältnisse so viel, wie heute etwa
zweihundert Mark. Daß uns die hohen Einnahmen auch manchmal zum
Leichtsinn und zur Verschwendung verlockten, will ich nicht leugnen. Das
Singegeld wurde vom Kantor in der Regel den Monat über aufgespart und
am Mvnatsschlnß verteilt. Es kam aber auch vor, daß der Knntvrfnmulus
schon in der Mitte des Monats abgeschickt wurde, beim Kantor um die Aus¬
zahlung des Singcgeldes zu betteln, weil Einzelne schon wieder ganz ab¬
gebrannt waren.

In solchen Noten bildete dann eine willkommene Rettung eine unerwartet
bestellte „Vrautmessc." So hieß eine Trauung, bei der sich das Brautpaar
den Luxus von Orgelspiel und Chorgesang gestattete, während die meisten
Trauungen ohne das abgehalten wurden. Wir hatten da zu Beginn, nachdem
das Brautpaar und die Hochzeitsgäste unter deu Klängen eines Orgelvvrspiels
aus der Sakristei auf den Altarplatz gezogen waren und sich niedergelassen
hatten, zwei oder drei Chvralverse zu singen und nach dem Ningwechsel und
Segen noch einen Schlnßvers; das war alles. Auch diese Vrautmessen aber
sang nur das Doppelquartett der Solofänger; berechnet wurden sie genau so
wie ein Bär, und auch die Verteilung war dieselbe. Ein großer Vorzug der
Brautmessen aber bestand darin, daß sie schnell vorüber waren, und daß sie
unmittelbar hinterher in der Küsterei bezahlt wurden. Sowie der letzte Ton
verklungen war, stürmten wir hinunter an die Kirchenthür, wo die Hochzeits¬
wagen standen, drängten uns — es war das ein Vorrecht, das uns Grün-
mützen widerspruchslos von den dort harrenden neugierigen Weibern und
Kinder» eingeräumt wurde — in die vorderste Reihe, um uns die Braut und
die Brautjungfern noch einmal aus der Nähe zu betrachten, dann warteten
wir an der Schnlthür, bis die Kirche geschlossen und der Kirchendiener mit
dem Schlüsselbund in der Küsterei verschwunden war, dann aber wurde
schleunigst ein Bote abgesandt, um deu verdienten Lohn in Empfang zu nehmen.

Einmal im Jahre wurden wir auch — wenigstens zu meiner Zeit ganz
regelmäßig — auf ein Dorf ein paar Stunden von Dresden eingeladen, um
das dortige Erntefest verschönern zu helfen. Die Anregung dazu war wohl
gemeinschaftlich von dem dortigen Pfarrer und Kantor ausgegangen, und
nachdem die Sache einmal versucht worden war, hatte sie den Bauern so gut
gefallen, daß sie dann jedes Jahr wiederholt wurde. Der Gottesdienst war
am Nachmittag, wir gingen zu Fuß hinaus und sangen in der traulichen


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[0192] Almnneumserinnermlgeii Goetheausgabe, die ueunbändige Shakespeareansgabe mit den schönen Kupfer¬ stichen von Ludwig Richter, die alle noch heute auf meinem Vücherbrette stehen, habe ich mir als Alumnus mich und nach von den Singcgcldern angeschafft. Und was hatte eine Gesamtausgabe Goethes damals zu bedeuten! Der Lehrer, der uns in Untersekunda deutschen Unterricht gab, hatte sie nicht; dein schenkten wir, seine Klasse, sie erst einmal zum Geburtstage. Sie kostete gebunden über zwanzig Thaler, das war für damalige Verhältnisse so viel, wie heute etwa zweihundert Mark. Daß uns die hohen Einnahmen auch manchmal zum Leichtsinn und zur Verschwendung verlockten, will ich nicht leugnen. Das Singegeld wurde vom Kantor in der Regel den Monat über aufgespart und am Mvnatsschlnß verteilt. Es kam aber auch vor, daß der Knntvrfnmulus schon in der Mitte des Monats abgeschickt wurde, beim Kantor um die Aus¬ zahlung des Singcgeldes zu betteln, weil Einzelne schon wieder ganz ab¬ gebrannt waren. In solchen Noten bildete dann eine willkommene Rettung eine unerwartet bestellte „Vrautmessc." So hieß eine Trauung, bei der sich das Brautpaar den Luxus von Orgelspiel und Chorgesang gestattete, während die meisten Trauungen ohne das abgehalten wurden. Wir hatten da zu Beginn, nachdem das Brautpaar und die Hochzeitsgäste unter deu Klängen eines Orgelvvrspiels aus der Sakristei auf den Altarplatz gezogen waren und sich niedergelassen hatten, zwei oder drei Chvralverse zu singen und nach dem Ningwechsel und Segen noch einen Schlnßvers; das war alles. Auch diese Vrautmessen aber sang nur das Doppelquartett der Solofänger; berechnet wurden sie genau so wie ein Bär, und auch die Verteilung war dieselbe. Ein großer Vorzug der Brautmessen aber bestand darin, daß sie schnell vorüber waren, und daß sie unmittelbar hinterher in der Küsterei bezahlt wurden. Sowie der letzte Ton verklungen war, stürmten wir hinunter an die Kirchenthür, wo die Hochzeits¬ wagen standen, drängten uns — es war das ein Vorrecht, das uns Grün- mützen widerspruchslos von den dort harrenden neugierigen Weibern und Kinder» eingeräumt wurde — in die vorderste Reihe, um uns die Braut und die Brautjungfern noch einmal aus der Nähe zu betrachten, dann warteten wir an der Schnlthür, bis die Kirche geschlossen und der Kirchendiener mit dem Schlüsselbund in der Küsterei verschwunden war, dann aber wurde schleunigst ein Bote abgesandt, um deu verdienten Lohn in Empfang zu nehmen. Einmal im Jahre wurden wir auch — wenigstens zu meiner Zeit ganz regelmäßig — auf ein Dorf ein paar Stunden von Dresden eingeladen, um das dortige Erntefest verschönern zu helfen. Die Anregung dazu war wohl gemeinschaftlich von dem dortigen Pfarrer und Kantor ausgegangen, und nachdem die Sache einmal versucht worden war, hatte sie den Bauern so gut gefallen, daß sie dann jedes Jahr wiederholt wurde. Der Gottesdienst war am Nachmittag, wir gingen zu Fuß hinaus und sangen in der traulichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/192>, abgerufen am 17.06.2024.