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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Lothar Bnchers englische Erfahrungen

doch nur an Alexandrien, an Transvaal, an das Verfahren gegen Portugal
oder gegen unsern Landsmann Dr. Peters zu denken, Und dabei ist es ganz
einerlei, wer in England an der Spitze der Geschäfte steht; "John Bull, sagt
Bücher, zieht nur einen andern Rock an, wenn er das Ministerium wechselt,
die Funktionen seines Organismus werde" nicht alterirt." Dem Engländer
ist es von seinem kaufmännisch geschäftlichen, mauchesterlichen Standpunkt aus
ganz gleichgiltig, unter welchem politischen System sich diese Geschäfte ab¬
wickeln, wenn sie nur blühen. So hatte die Manchesterpartei, und dazu gehört
in Geschäftssachen bei weitem der größte Teil des englischen Volkes, damals,
in den fünfziger Jahren, eine stille Liebe zu Napoleon und fand auch den
Absolutismus ganz annehmbar. "Die Männer von Manchester haben für alle
Dinge unter dem Monde nur einen Gesichtspunkt, den kaufmännisch geschäft¬
lichen, den doppelte" italienischen."

Was auf die Sympathien dieser mit Nachtmütze", Schweineborsten und
russischen Talg handelnden Gentlemen, auf die unsre Liberalen so große Stücke
hielten und unsre Fortschrittler noch halten, zu geben ist, das hat bereits da¬
mals Bucher gut erkannt, wenn er im Jahre 1855 schrieb: "Um die Sympa¬
thien, die in deu Massen existiren, für sich ausbeuten zu können, mußten sie
(die manchesternen Liberalen) für das Ringen und Kämpfen auf dem Festlande
eine gewisse Teilnahme zeigen, und dazu suchten sie sich die Polen und die
Ungarn aus, weil sie darauf rechneten, daß die Teilnahme für diese Völker
nie auf eine praktische Probe würde gestellt werden." Auch deu Grund, warum
die Engländer den Freihandel hochhalten, freilich immer, was Wohl im Ange
zu behalten ist, mit zähem Festhalten an Zöllen und Verbrauchssteuern, die
mindestens das Doppelte auf den Kopf der Bevölkerung mehr betragen, als
bei uns (24,9 Mark gegen 11,74 im Jahre 1889), giebt Bucher mit den
Worten an: "England hat den Vorzug seines (aus allen Ländern zusammen¬
geschleppten) enormen Kapitals, und dessen ist Mr. Cobden sich sehr wohl
bewußt, wenn er den dore-lAuers Freihandel predigt." An Mr. Cobden selbst
bemerkt er eine sehr "schöne Mischung von Katechismus und Einmaleins," eine
wie wir hinzufügen, in England sehr beliebte Mischung. Es kommt das wohl
daher, daß sich dabei die wahre Natur der Dinge am besten verschleiern läßt;
denn "je länger man England studirt, desto mehr kommt man zu der Ansicht,
daß trotz all der Öffentlichkeit, all des Redens, Drückens und Lesens, die
Wahrheit hier mehr verschleiert ist, als anderswo." Eine Folge dieser Ver¬
schleierung ist es, daß, wie Bucher sagt, sast alles in England seine doppelte
Geschichte hat, "eine, die von den Dächern gepredigt, gedruckt, der Nachwelt
überliefert wird .... und eine andre, die, wenigen bekannt, zuweilen später
ans Licht kommt, vielleicht ganz verloren geht und wahr ist." Diese Heuchelei,
der englische vMt, über den der Engländer Whitman so wahrheitsgetreu in
seinem Buche LiouvLutioniZ.1 eaut geschrieben hat, giebt sich nun einen ganz


Lothar Bnchers englische Erfahrungen

doch nur an Alexandrien, an Transvaal, an das Verfahren gegen Portugal
oder gegen unsern Landsmann Dr. Peters zu denken, Und dabei ist es ganz
einerlei, wer in England an der Spitze der Geschäfte steht; „John Bull, sagt
Bücher, zieht nur einen andern Rock an, wenn er das Ministerium wechselt,
die Funktionen seines Organismus werde» nicht alterirt." Dem Engländer
ist es von seinem kaufmännisch geschäftlichen, mauchesterlichen Standpunkt aus
ganz gleichgiltig, unter welchem politischen System sich diese Geschäfte ab¬
wickeln, wenn sie nur blühen. So hatte die Manchesterpartei, und dazu gehört
in Geschäftssachen bei weitem der größte Teil des englischen Volkes, damals,
in den fünfziger Jahren, eine stille Liebe zu Napoleon und fand auch den
Absolutismus ganz annehmbar. „Die Männer von Manchester haben für alle
Dinge unter dem Monde nur einen Gesichtspunkt, den kaufmännisch geschäft¬
lichen, den doppelte» italienischen."

Was auf die Sympathien dieser mit Nachtmütze«, Schweineborsten und
russischen Talg handelnden Gentlemen, auf die unsre Liberalen so große Stücke
hielten und unsre Fortschrittler noch halten, zu geben ist, das hat bereits da¬
mals Bucher gut erkannt, wenn er im Jahre 1855 schrieb: „Um die Sympa¬
thien, die in deu Massen existiren, für sich ausbeuten zu können, mußten sie
(die manchesternen Liberalen) für das Ringen und Kämpfen auf dem Festlande
eine gewisse Teilnahme zeigen, und dazu suchten sie sich die Polen und die
Ungarn aus, weil sie darauf rechneten, daß die Teilnahme für diese Völker
nie auf eine praktische Probe würde gestellt werden." Auch deu Grund, warum
die Engländer den Freihandel hochhalten, freilich immer, was Wohl im Ange
zu behalten ist, mit zähem Festhalten an Zöllen und Verbrauchssteuern, die
mindestens das Doppelte auf den Kopf der Bevölkerung mehr betragen, als
bei uns (24,9 Mark gegen 11,74 im Jahre 1889), giebt Bucher mit den
Worten an: „England hat den Vorzug seines (aus allen Ländern zusammen¬
geschleppten) enormen Kapitals, und dessen ist Mr. Cobden sich sehr wohl
bewußt, wenn er den dore-lAuers Freihandel predigt." An Mr. Cobden selbst
bemerkt er eine sehr „schöne Mischung von Katechismus und Einmaleins," eine
wie wir hinzufügen, in England sehr beliebte Mischung. Es kommt das wohl
daher, daß sich dabei die wahre Natur der Dinge am besten verschleiern läßt;
denn „je länger man England studirt, desto mehr kommt man zu der Ansicht,
daß trotz all der Öffentlichkeit, all des Redens, Drückens und Lesens, die
Wahrheit hier mehr verschleiert ist, als anderswo." Eine Folge dieser Ver¬
schleierung ist es, daß, wie Bucher sagt, sast alles in England seine doppelte
Geschichte hat, „eine, die von den Dächern gepredigt, gedruckt, der Nachwelt
überliefert wird .... und eine andre, die, wenigen bekannt, zuweilen später
ans Licht kommt, vielleicht ganz verloren geht und wahr ist." Diese Heuchelei,
der englische vMt, über den der Engländer Whitman so wahrheitsgetreu in
seinem Buche LiouvLutioniZ.1 eaut geschrieben hat, giebt sich nun einen ganz


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[0229] Lothar Bnchers englische Erfahrungen doch nur an Alexandrien, an Transvaal, an das Verfahren gegen Portugal oder gegen unsern Landsmann Dr. Peters zu denken, Und dabei ist es ganz einerlei, wer in England an der Spitze der Geschäfte steht; „John Bull, sagt Bücher, zieht nur einen andern Rock an, wenn er das Ministerium wechselt, die Funktionen seines Organismus werde» nicht alterirt." Dem Engländer ist es von seinem kaufmännisch geschäftlichen, mauchesterlichen Standpunkt aus ganz gleichgiltig, unter welchem politischen System sich diese Geschäfte ab¬ wickeln, wenn sie nur blühen. So hatte die Manchesterpartei, und dazu gehört in Geschäftssachen bei weitem der größte Teil des englischen Volkes, damals, in den fünfziger Jahren, eine stille Liebe zu Napoleon und fand auch den Absolutismus ganz annehmbar. „Die Männer von Manchester haben für alle Dinge unter dem Monde nur einen Gesichtspunkt, den kaufmännisch geschäft¬ lichen, den doppelte» italienischen." Was auf die Sympathien dieser mit Nachtmütze«, Schweineborsten und russischen Talg handelnden Gentlemen, auf die unsre Liberalen so große Stücke hielten und unsre Fortschrittler noch halten, zu geben ist, das hat bereits da¬ mals Bucher gut erkannt, wenn er im Jahre 1855 schrieb: „Um die Sympa¬ thien, die in deu Massen existiren, für sich ausbeuten zu können, mußten sie (die manchesternen Liberalen) für das Ringen und Kämpfen auf dem Festlande eine gewisse Teilnahme zeigen, und dazu suchten sie sich die Polen und die Ungarn aus, weil sie darauf rechneten, daß die Teilnahme für diese Völker nie auf eine praktische Probe würde gestellt werden." Auch deu Grund, warum die Engländer den Freihandel hochhalten, freilich immer, was Wohl im Ange zu behalten ist, mit zähem Festhalten an Zöllen und Verbrauchssteuern, die mindestens das Doppelte auf den Kopf der Bevölkerung mehr betragen, als bei uns (24,9 Mark gegen 11,74 im Jahre 1889), giebt Bucher mit den Worten an: „England hat den Vorzug seines (aus allen Ländern zusammen¬ geschleppten) enormen Kapitals, und dessen ist Mr. Cobden sich sehr wohl bewußt, wenn er den dore-lAuers Freihandel predigt." An Mr. Cobden selbst bemerkt er eine sehr „schöne Mischung von Katechismus und Einmaleins," eine wie wir hinzufügen, in England sehr beliebte Mischung. Es kommt das wohl daher, daß sich dabei die wahre Natur der Dinge am besten verschleiern läßt; denn „je länger man England studirt, desto mehr kommt man zu der Ansicht, daß trotz all der Öffentlichkeit, all des Redens, Drückens und Lesens, die Wahrheit hier mehr verschleiert ist, als anderswo." Eine Folge dieser Ver¬ schleierung ist es, daß, wie Bucher sagt, sast alles in England seine doppelte Geschichte hat, „eine, die von den Dächern gepredigt, gedruckt, der Nachwelt überliefert wird .... und eine andre, die, wenigen bekannt, zuweilen später ans Licht kommt, vielleicht ganz verloren geht und wahr ist." Diese Heuchelei, der englische vMt, über den der Engländer Whitman so wahrheitsgetreu in seinem Buche LiouvLutioniZ.1 eaut geschrieben hat, giebt sich nun einen ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/229>, abgerufen am 23.05.2024.