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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Klassiker des Socialismus

in die Tasche, ohne daß er einen Finger zu rühren braucht. Bei der Kapital¬
anlage in den Unternehmungen andrer beschränkt sich die Arbeit des Kapitalisten
auf das Eintreiben der Zinsen oder das Kouponabschneiden, Den Unter¬
nehmern (Gutspächtern oder geldanfnehmeuden Fabrikanten) gegenüber begehen
Gutsherrn und Kapitalisten kein Unrecht, wenn sie Pacht oder Zins fordern;
"das Unrecht, das man im Zinsenbezuge zu finden glaubt und konsequent auch
im Pachtbezuge finden müßte, liegt nicht in der Teilung der an deu Arbeitern
gemachten Beute, sondern in der Erbeutung selbst." Das Steigen und Fallen
der einzelnen Teile, in die das Nationalprodnkt zerfällt, vollzieht sich nun nach
folgenden Gesetzen. Wird die Arbeit produktiver, d. h. wird mit weniger
Arbeit dasselbe Produkt oder mit derselben Arbeit mehr Produkt hergestellt als
früher, so können die Anteile aller Beteiligten, also Bodenrenke, .Kapitalzins,
Unternehmergewinn und Arbeitslohn zugleich steigen. Für gewöhnlich ist dies
jedoch nicht der Fall, sondern der Arbeitslohn bleibt, wenn er auch vielleicht
nominell steigt, seinein Tauschwert nach auf derselben Stufe oder sinkt wohl
gar. Denn da bei Aufhebung der Sklaverei die Arbeiter alle Arbeitsmittel
im Besitz von Grundherren und Kapitalisten finden, von deren Erlaubnis es
abhängt, ob sie arbeiten dürfen oder nicht, da sie demnach ihre Arbeitskraft,
d. h. sich selbst, als Ware anbieten müssen, und mit jeder Volksvermehrung
die Notwendigkeit, diese ihre einzige Ware loszuschlagen, immer dringender
wird, während die Gutsherrn und Kapitalisten gewöhnlich warten können, so
sind sie nicht in der Lage, eine der Vermehrung des Produkts entsprechende
Erhöhung ihres Anteils durchzusetzen. Die Erhöhung der Produktion kommt
demnach lediglich den Besitzern zu gute. Selbstverständlich wird dnrch jede
Erhöhung des Arbeitslohnes die Rente verringert, und umgekehrt. Dasselbe
ereignet sich dann bei der Teilung der Rente zwischen Grundherrn und Kapi¬
talisten, indem eines jeden Anteil beim Steigen des Anteils des andern füllt
und beim Fallen steigt. Während jedoch das Steigen des Kapitalzinses an
allerlei Umstünden sehr bald seine Grenzen findet, ist dem Steigen der Grund¬
rente keine Grenze gesteckt; sie steigt mit dem Wachstum der Bevölkerung,
d. h. des Bedürfnisses an Wohnplätzen und Nahrungsmitteln, und kann bis ins
Unendliche gehen. (Ob dieser Behauptung mögen unsre Agrarier den Nodbcrtus
wohl für verrückt halten. Allein die heutige Not der Landwirtschaft rührt nicht
vom Fallen der Grundrente her, wie schon die Thatsache beweist, daß sich um
jedes Fleckchen Pachtacker die Anwohnenden reißen, sondern von der Ver¬
schuldung, d. h. von dem Umstände, daß viele Grundbesitzer -- gar nicht mehr
Besitzer sind. Daß die Grundrente ins Unendliche steigen könne, glauben wir
allerdings auch nicht, weil die Bevölkerung, wenn sie unverhältnismäßig zahl¬
reich geworden ist, stehen bleibt oder wohl auch zurückgeht, und weil ihr Be¬
dürfnis teilweise durch Einfuhr von Vieh und Getreide ans dem Auslande
befriedigt wird.)


Der deutsche Klassiker des Socialismus

in die Tasche, ohne daß er einen Finger zu rühren braucht. Bei der Kapital¬
anlage in den Unternehmungen andrer beschränkt sich die Arbeit des Kapitalisten
auf das Eintreiben der Zinsen oder das Kouponabschneiden, Den Unter¬
nehmern (Gutspächtern oder geldanfnehmeuden Fabrikanten) gegenüber begehen
Gutsherrn und Kapitalisten kein Unrecht, wenn sie Pacht oder Zins fordern;
„das Unrecht, das man im Zinsenbezuge zu finden glaubt und konsequent auch
im Pachtbezuge finden müßte, liegt nicht in der Teilung der an deu Arbeitern
gemachten Beute, sondern in der Erbeutung selbst." Das Steigen und Fallen
der einzelnen Teile, in die das Nationalprodnkt zerfällt, vollzieht sich nun nach
folgenden Gesetzen. Wird die Arbeit produktiver, d. h. wird mit weniger
Arbeit dasselbe Produkt oder mit derselben Arbeit mehr Produkt hergestellt als
früher, so können die Anteile aller Beteiligten, also Bodenrenke, .Kapitalzins,
Unternehmergewinn und Arbeitslohn zugleich steigen. Für gewöhnlich ist dies
jedoch nicht der Fall, sondern der Arbeitslohn bleibt, wenn er auch vielleicht
nominell steigt, seinein Tauschwert nach auf derselben Stufe oder sinkt wohl
gar. Denn da bei Aufhebung der Sklaverei die Arbeiter alle Arbeitsmittel
im Besitz von Grundherren und Kapitalisten finden, von deren Erlaubnis es
abhängt, ob sie arbeiten dürfen oder nicht, da sie demnach ihre Arbeitskraft,
d. h. sich selbst, als Ware anbieten müssen, und mit jeder Volksvermehrung
die Notwendigkeit, diese ihre einzige Ware loszuschlagen, immer dringender
wird, während die Gutsherrn und Kapitalisten gewöhnlich warten können, so
sind sie nicht in der Lage, eine der Vermehrung des Produkts entsprechende
Erhöhung ihres Anteils durchzusetzen. Die Erhöhung der Produktion kommt
demnach lediglich den Besitzern zu gute. Selbstverständlich wird dnrch jede
Erhöhung des Arbeitslohnes die Rente verringert, und umgekehrt. Dasselbe
ereignet sich dann bei der Teilung der Rente zwischen Grundherrn und Kapi¬
talisten, indem eines jeden Anteil beim Steigen des Anteils des andern füllt
und beim Fallen steigt. Während jedoch das Steigen des Kapitalzinses an
allerlei Umstünden sehr bald seine Grenzen findet, ist dem Steigen der Grund¬
rente keine Grenze gesteckt; sie steigt mit dem Wachstum der Bevölkerung,
d. h. des Bedürfnisses an Wohnplätzen und Nahrungsmitteln, und kann bis ins
Unendliche gehen. (Ob dieser Behauptung mögen unsre Agrarier den Nodbcrtus
wohl für verrückt halten. Allein die heutige Not der Landwirtschaft rührt nicht
vom Fallen der Grundrente her, wie schon die Thatsache beweist, daß sich um
jedes Fleckchen Pachtacker die Anwohnenden reißen, sondern von der Ver¬
schuldung, d. h. von dem Umstände, daß viele Grundbesitzer — gar nicht mehr
Besitzer sind. Daß die Grundrente ins Unendliche steigen könne, glauben wir
allerdings auch nicht, weil die Bevölkerung, wenn sie unverhältnismäßig zahl¬
reich geworden ist, stehen bleibt oder wohl auch zurückgeht, und weil ihr Be¬
dürfnis teilweise durch Einfuhr von Vieh und Getreide ans dem Auslande
befriedigt wird.)


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[0272] Der deutsche Klassiker des Socialismus in die Tasche, ohne daß er einen Finger zu rühren braucht. Bei der Kapital¬ anlage in den Unternehmungen andrer beschränkt sich die Arbeit des Kapitalisten auf das Eintreiben der Zinsen oder das Kouponabschneiden, Den Unter¬ nehmern (Gutspächtern oder geldanfnehmeuden Fabrikanten) gegenüber begehen Gutsherrn und Kapitalisten kein Unrecht, wenn sie Pacht oder Zins fordern; „das Unrecht, das man im Zinsenbezuge zu finden glaubt und konsequent auch im Pachtbezuge finden müßte, liegt nicht in der Teilung der an deu Arbeitern gemachten Beute, sondern in der Erbeutung selbst." Das Steigen und Fallen der einzelnen Teile, in die das Nationalprodnkt zerfällt, vollzieht sich nun nach folgenden Gesetzen. Wird die Arbeit produktiver, d. h. wird mit weniger Arbeit dasselbe Produkt oder mit derselben Arbeit mehr Produkt hergestellt als früher, so können die Anteile aller Beteiligten, also Bodenrenke, .Kapitalzins, Unternehmergewinn und Arbeitslohn zugleich steigen. Für gewöhnlich ist dies jedoch nicht der Fall, sondern der Arbeitslohn bleibt, wenn er auch vielleicht nominell steigt, seinein Tauschwert nach auf derselben Stufe oder sinkt wohl gar. Denn da bei Aufhebung der Sklaverei die Arbeiter alle Arbeitsmittel im Besitz von Grundherren und Kapitalisten finden, von deren Erlaubnis es abhängt, ob sie arbeiten dürfen oder nicht, da sie demnach ihre Arbeitskraft, d. h. sich selbst, als Ware anbieten müssen, und mit jeder Volksvermehrung die Notwendigkeit, diese ihre einzige Ware loszuschlagen, immer dringender wird, während die Gutsherrn und Kapitalisten gewöhnlich warten können, so sind sie nicht in der Lage, eine der Vermehrung des Produkts entsprechende Erhöhung ihres Anteils durchzusetzen. Die Erhöhung der Produktion kommt demnach lediglich den Besitzern zu gute. Selbstverständlich wird dnrch jede Erhöhung des Arbeitslohnes die Rente verringert, und umgekehrt. Dasselbe ereignet sich dann bei der Teilung der Rente zwischen Grundherrn und Kapi¬ talisten, indem eines jeden Anteil beim Steigen des Anteils des andern füllt und beim Fallen steigt. Während jedoch das Steigen des Kapitalzinses an allerlei Umstünden sehr bald seine Grenzen findet, ist dem Steigen der Grund¬ rente keine Grenze gesteckt; sie steigt mit dem Wachstum der Bevölkerung, d. h. des Bedürfnisses an Wohnplätzen und Nahrungsmitteln, und kann bis ins Unendliche gehen. (Ob dieser Behauptung mögen unsre Agrarier den Nodbcrtus wohl für verrückt halten. Allein die heutige Not der Landwirtschaft rührt nicht vom Fallen der Grundrente her, wie schon die Thatsache beweist, daß sich um jedes Fleckchen Pachtacker die Anwohnenden reißen, sondern von der Ver¬ schuldung, d. h. von dem Umstände, daß viele Grundbesitzer — gar nicht mehr Besitzer sind. Daß die Grundrente ins Unendliche steigen könne, glauben wir allerdings auch nicht, weil die Bevölkerung, wenn sie unverhältnismäßig zahl¬ reich geworden ist, stehen bleibt oder wohl auch zurückgeht, und weil ihr Be¬ dürfnis teilweise durch Einfuhr von Vieh und Getreide ans dem Auslande befriedigt wird.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/272>, abgerufen am 17.06.2024.