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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Zur Erhöhung der Vffiziersgehalte

Kampfe erobert und wiedererobert sein, und einen endgiltigen Sieg in diesem
Kampfe kennt das menschliche Leben nicht.

Ich bin der Betrachtung des Priesterevlibats absichtlich nachgegangen,
weil das, was noch über den Offizierstand zu sagen ist, in der Beleuch¬
tung des Gegensatzes am deutlichsten hervortreten wird. Die Deutschen haben
von alters her die Ehe hochgehalten und mehr oder weniger bewußt in ihr
die höchste Stufe des sittlichen Lebens, in dem Frieden des häuslichen Herdes
die höchste Stufe des Glückes gesehen, die dem Menschen erreichbar ist. Erst
als Familienhaupt erscheint uns der Mann als ganzer Mann. Nenne mau
es nun den deutschen Volksgeist oder das deutsche Gewissen, was sich in
Luther und seinen Anhängern gegen die Ehelosigkeit des Priesterstandes auf¬
bäumte: dreihundert Jahre später wird keine deutsche Heeresleitung ans den
Gedanken verfallen, das Experiment Gregors des Siebenten an ihren Offi¬
zieren zu wiederholen. Sie wird also folgerichtigerweise auch die Ausbildung
von Zuständen verhüten müssen, deren Wirkungen sich von denen eines Ehe¬
verbotes wenig unterscheiden.

Im allgemeinen steht bei uns das Mädchen zwischen zwanzig und fünf¬
undzwanzig, der Mann zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren vor der
Entscheidung, zu heiraten oder unverheiratet zu bleiben. Die Ehen, die in
späteren Lebensaltern der beiden Geschlechter geschlossen werden, zählen zu deu
Ausnahmen. Nun ist jetzt die Mehrzahl unsrer Premierleutnants vierunddreißig
bis siebenunddreißig Jahre alt, wenn sie zu Hauptleuten oder Rittmeistern
befördert werden. Die gegenwärtig ausgeworfenen Gehalte setzen aber noch
nicht einmal den Hauptmann, sondern erst den Hauptmann erster Klasse, durch¬
schnittlich also den vierzigjährigen Offizier in den Stand, eine Frau zu er¬
nähren. Wie nachteilig diese Verschiebung des natürlichen Verhältnisses die
Sittlichkeit des Standes beeinflussen muß, bedarf keiner weitern Ausführung.
Gewiß giebt es bevorzugte Naturen, die die Sinnesreinheit und Frische der
Jugend durch alle Lebensalter und Lebensverhältnisse zu retten wissen. Auch
die Umstände können solchen glücklichen Erfolg herbeiführen: das Zusammen¬
leben mit der Mutter oder Schwester wird, wenn es auch die Ehe nicht zu
ersetzen vermag, doch selten einen veredelnden Einfluß vermissen lassen. Nur
liegen eben in dem einen wie in dem andern Falle besondre Umstände vor,
die für die Beurteilung des allgemeinen Zustandes keinen Maßstab abgeben.
Beklagenswerterweise ist in der Regel der vierzigjährige Junggesell des Um¬
ganges mit edeln Frauen in solchem Grade entwöhnt und in seinen Gewohn¬
heiten oder Gewöhnungen derart verkapselt, daß er den Entschluß, zu heiraten,
nicht mehr aufbringt.

Thatsächlich vermag also heutzutage nur noch der wohlhabende, d. h. der
weitaus kleinere Teil der Offiziere nach Neigung zu heiraten. Nun ist es aber
anderseits eine bekannte Thatsache, daß für den Bemittelten, der sich das Leben


Zur Erhöhung der Vffiziersgehalte

Kampfe erobert und wiedererobert sein, und einen endgiltigen Sieg in diesem
Kampfe kennt das menschliche Leben nicht.

Ich bin der Betrachtung des Priesterevlibats absichtlich nachgegangen,
weil das, was noch über den Offizierstand zu sagen ist, in der Beleuch¬
tung des Gegensatzes am deutlichsten hervortreten wird. Die Deutschen haben
von alters her die Ehe hochgehalten und mehr oder weniger bewußt in ihr
die höchste Stufe des sittlichen Lebens, in dem Frieden des häuslichen Herdes
die höchste Stufe des Glückes gesehen, die dem Menschen erreichbar ist. Erst
als Familienhaupt erscheint uns der Mann als ganzer Mann. Nenne mau
es nun den deutschen Volksgeist oder das deutsche Gewissen, was sich in
Luther und seinen Anhängern gegen die Ehelosigkeit des Priesterstandes auf¬
bäumte: dreihundert Jahre später wird keine deutsche Heeresleitung ans den
Gedanken verfallen, das Experiment Gregors des Siebenten an ihren Offi¬
zieren zu wiederholen. Sie wird also folgerichtigerweise auch die Ausbildung
von Zuständen verhüten müssen, deren Wirkungen sich von denen eines Ehe¬
verbotes wenig unterscheiden.

Im allgemeinen steht bei uns das Mädchen zwischen zwanzig und fünf¬
undzwanzig, der Mann zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren vor der
Entscheidung, zu heiraten oder unverheiratet zu bleiben. Die Ehen, die in
späteren Lebensaltern der beiden Geschlechter geschlossen werden, zählen zu deu
Ausnahmen. Nun ist jetzt die Mehrzahl unsrer Premierleutnants vierunddreißig
bis siebenunddreißig Jahre alt, wenn sie zu Hauptleuten oder Rittmeistern
befördert werden. Die gegenwärtig ausgeworfenen Gehalte setzen aber noch
nicht einmal den Hauptmann, sondern erst den Hauptmann erster Klasse, durch¬
schnittlich also den vierzigjährigen Offizier in den Stand, eine Frau zu er¬
nähren. Wie nachteilig diese Verschiebung des natürlichen Verhältnisses die
Sittlichkeit des Standes beeinflussen muß, bedarf keiner weitern Ausführung.
Gewiß giebt es bevorzugte Naturen, die die Sinnesreinheit und Frische der
Jugend durch alle Lebensalter und Lebensverhältnisse zu retten wissen. Auch
die Umstände können solchen glücklichen Erfolg herbeiführen: das Zusammen¬
leben mit der Mutter oder Schwester wird, wenn es auch die Ehe nicht zu
ersetzen vermag, doch selten einen veredelnden Einfluß vermissen lassen. Nur
liegen eben in dem einen wie in dem andern Falle besondre Umstände vor,
die für die Beurteilung des allgemeinen Zustandes keinen Maßstab abgeben.
Beklagenswerterweise ist in der Regel der vierzigjährige Junggesell des Um¬
ganges mit edeln Frauen in solchem Grade entwöhnt und in seinen Gewohn¬
heiten oder Gewöhnungen derart verkapselt, daß er den Entschluß, zu heiraten,
nicht mehr aufbringt.

Thatsächlich vermag also heutzutage nur noch der wohlhabende, d. h. der
weitaus kleinere Teil der Offiziere nach Neigung zu heiraten. Nun ist es aber
anderseits eine bekannte Thatsache, daß für den Bemittelten, der sich das Leben


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[0028] Zur Erhöhung der Vffiziersgehalte Kampfe erobert und wiedererobert sein, und einen endgiltigen Sieg in diesem Kampfe kennt das menschliche Leben nicht. Ich bin der Betrachtung des Priesterevlibats absichtlich nachgegangen, weil das, was noch über den Offizierstand zu sagen ist, in der Beleuch¬ tung des Gegensatzes am deutlichsten hervortreten wird. Die Deutschen haben von alters her die Ehe hochgehalten und mehr oder weniger bewußt in ihr die höchste Stufe des sittlichen Lebens, in dem Frieden des häuslichen Herdes die höchste Stufe des Glückes gesehen, die dem Menschen erreichbar ist. Erst als Familienhaupt erscheint uns der Mann als ganzer Mann. Nenne mau es nun den deutschen Volksgeist oder das deutsche Gewissen, was sich in Luther und seinen Anhängern gegen die Ehelosigkeit des Priesterstandes auf¬ bäumte: dreihundert Jahre später wird keine deutsche Heeresleitung ans den Gedanken verfallen, das Experiment Gregors des Siebenten an ihren Offi¬ zieren zu wiederholen. Sie wird also folgerichtigerweise auch die Ausbildung von Zuständen verhüten müssen, deren Wirkungen sich von denen eines Ehe¬ verbotes wenig unterscheiden. Im allgemeinen steht bei uns das Mädchen zwischen zwanzig und fünf¬ undzwanzig, der Mann zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren vor der Entscheidung, zu heiraten oder unverheiratet zu bleiben. Die Ehen, die in späteren Lebensaltern der beiden Geschlechter geschlossen werden, zählen zu deu Ausnahmen. Nun ist jetzt die Mehrzahl unsrer Premierleutnants vierunddreißig bis siebenunddreißig Jahre alt, wenn sie zu Hauptleuten oder Rittmeistern befördert werden. Die gegenwärtig ausgeworfenen Gehalte setzen aber noch nicht einmal den Hauptmann, sondern erst den Hauptmann erster Klasse, durch¬ schnittlich also den vierzigjährigen Offizier in den Stand, eine Frau zu er¬ nähren. Wie nachteilig diese Verschiebung des natürlichen Verhältnisses die Sittlichkeit des Standes beeinflussen muß, bedarf keiner weitern Ausführung. Gewiß giebt es bevorzugte Naturen, die die Sinnesreinheit und Frische der Jugend durch alle Lebensalter und Lebensverhältnisse zu retten wissen. Auch die Umstände können solchen glücklichen Erfolg herbeiführen: das Zusammen¬ leben mit der Mutter oder Schwester wird, wenn es auch die Ehe nicht zu ersetzen vermag, doch selten einen veredelnden Einfluß vermissen lassen. Nur liegen eben in dem einen wie in dem andern Falle besondre Umstände vor, die für die Beurteilung des allgemeinen Zustandes keinen Maßstab abgeben. Beklagenswerterweise ist in der Regel der vierzigjährige Junggesell des Um¬ ganges mit edeln Frauen in solchem Grade entwöhnt und in seinen Gewohn¬ heiten oder Gewöhnungen derart verkapselt, daß er den Entschluß, zu heiraten, nicht mehr aufbringt. Thatsächlich vermag also heutzutage nur noch der wohlhabende, d. h. der weitaus kleinere Teil der Offiziere nach Neigung zu heiraten. Nun ist es aber anderseits eine bekannte Thatsache, daß für den Bemittelten, der sich das Leben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/28>, abgerufen am 11.05.2024.