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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Bücken wegfalle". Wenn er, wie mein geübter Blick mir fügt, Herren- und
heimathlos ist, könnte ich mich entschließen, ihn an der Stelle meines freund¬
lichen Adelbert zu behalten, den der Tod mir aus den Armen riß, die ihm
mütterliche geworden warein

Und wirklich trat ich, nachdem ein Examen die Schärfe ihres Kenner¬
anges belegt hatte, an jenes Adelbert Stelle. Wie heißest du? fragte Madame
Müller? Jakob? Der Name klingt nicht, rührt nicht; er ist einer von jene"
gleichgiltigen Namen; von nun heißest du Theodor, mein Kind. Sieh, das
ist Beleolore, dies Ghismonda, diese Kleine Rosaurabella, talentvolle An¬
fängerinne"; die sind nun deine Schwestern. Nach diesem feierlichen Aktus
fuhr Magister Kauderer fort, wo unser Eintreten ihn im Vorlesen des Sächsischen
Trompeters gestört hatte. Und zwar las er zunächst von einen: Pascha mit
drei Roßschweifen, dessen Namen er, so oft er vorkam, mit solchem Respekt
aussprach, daß von diesem Augenblick an der Wunsch in nur lebendig wurde,
ein Pascha von drei Rvßschweifen zu sein, der mich später "le wieder ver¬
lassen hat.

Dame Müller widmete mir einen großen Teil ihrer Zeit. Sie war un-
gemein von ihrer Kunst eingenommen und suchte auch ihren Zöglingen diese
Liebe beizubringen. Vormittags übte sie uns in der Theorie, das heißt: wir
mußten rührende Geschichten ersinnen, wobei sie durchaus nicht auf äußerste
Wahrscheinlichkeit draug. Denn sie sagte: Ich kenne tausend Damen, darunter
die feinsten, die im Theater oder beim Roman über die unwahrscheinlichsten
Leidenssituationen in Thränen zerfließen und beim wirklichen Elend kalt vorüber¬
gehen können. Es ist also nicht die Sache an sich selbst, die die Wirkung
thut, sondern allein die Behandlung. Das weibliche Herz -- und dieses kommt
bei unsrer Kunst vornehmlich in Betracht, da die Männer leichter geben als
die Frauen, und meist, ohne daß man Kunst anwenden müßte -- das weibliche
Herz ist so zart, daß das wirkliche Elend es nicht rührt, sondern beleidigt in
seiner rohen, nicht durch Kunst gemilderten Erscheinung. Und daher, eben von
dieser Geistigkeit, dieser Zartheit kommt es, daß das weibliche Herz sich öfter
vor diesen Eindrücken verschließt, nicht aber von einer gewissen innerlichen
Kälte, wie jene Weiberfeinde behaupte", die dn annehmen, die Frauen besäßen
nnr Phantasie, aber kein Gemüt.

Doch ich komme von diesen Äußerungen der Madame Müller, die wenigstens
beweisen können, daß sie eine gebildete und denkende Künstlerin war, wieder
zu meiner Geschichte selbst. Bormittags also wurden rührende Situationen er¬
funden und in Szene gesetzt, das heißt: die nötigen Zuthaten von Gestikulation,
Blicke", Seufzern, Thränen und dergleichen hinzugefügt. Der Nachmittag
gehörte der Praxis. Meine Pflegeschwestern gingen schon ihre eignen Wege;
ich aber mußte, nachdem mein zu gesunder Teint durch Fasten etwas gemildert
war, mit der Madame geh". Da galt ich de"" bei kinderlose" Frauen fiir


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Bücken wegfalle». Wenn er, wie mein geübter Blick mir fügt, Herren- und
heimathlos ist, könnte ich mich entschließen, ihn an der Stelle meines freund¬
lichen Adelbert zu behalten, den der Tod mir aus den Armen riß, die ihm
mütterliche geworden warein

Und wirklich trat ich, nachdem ein Examen die Schärfe ihres Kenner¬
anges belegt hatte, an jenes Adelbert Stelle. Wie heißest du? fragte Madame
Müller? Jakob? Der Name klingt nicht, rührt nicht; er ist einer von jene»
gleichgiltigen Namen; von nun heißest du Theodor, mein Kind. Sieh, das
ist Beleolore, dies Ghismonda, diese Kleine Rosaurabella, talentvolle An¬
fängerinne»; die sind nun deine Schwestern. Nach diesem feierlichen Aktus
fuhr Magister Kauderer fort, wo unser Eintreten ihn im Vorlesen des Sächsischen
Trompeters gestört hatte. Und zwar las er zunächst von einen: Pascha mit
drei Roßschweifen, dessen Namen er, so oft er vorkam, mit solchem Respekt
aussprach, daß von diesem Augenblick an der Wunsch in nur lebendig wurde,
ein Pascha von drei Rvßschweifen zu sein, der mich später »le wieder ver¬
lassen hat.

Dame Müller widmete mir einen großen Teil ihrer Zeit. Sie war un-
gemein von ihrer Kunst eingenommen und suchte auch ihren Zöglingen diese
Liebe beizubringen. Vormittags übte sie uns in der Theorie, das heißt: wir
mußten rührende Geschichten ersinnen, wobei sie durchaus nicht auf äußerste
Wahrscheinlichkeit draug. Denn sie sagte: Ich kenne tausend Damen, darunter
die feinsten, die im Theater oder beim Roman über die unwahrscheinlichsten
Leidenssituationen in Thränen zerfließen und beim wirklichen Elend kalt vorüber¬
gehen können. Es ist also nicht die Sache an sich selbst, die die Wirkung
thut, sondern allein die Behandlung. Das weibliche Herz — und dieses kommt
bei unsrer Kunst vornehmlich in Betracht, da die Männer leichter geben als
die Frauen, und meist, ohne daß man Kunst anwenden müßte — das weibliche
Herz ist so zart, daß das wirkliche Elend es nicht rührt, sondern beleidigt in
seiner rohen, nicht durch Kunst gemilderten Erscheinung. Und daher, eben von
dieser Geistigkeit, dieser Zartheit kommt es, daß das weibliche Herz sich öfter
vor diesen Eindrücken verschließt, nicht aber von einer gewissen innerlichen
Kälte, wie jene Weiberfeinde behaupte», die dn annehmen, die Frauen besäßen
nnr Phantasie, aber kein Gemüt.

Doch ich komme von diesen Äußerungen der Madame Müller, die wenigstens
beweisen können, daß sie eine gebildete und denkende Künstlerin war, wieder
zu meiner Geschichte selbst. Bormittags also wurden rührende Situationen er¬
funden und in Szene gesetzt, das heißt: die nötigen Zuthaten von Gestikulation,
Blicke», Seufzern, Thränen und dergleichen hinzugefügt. Der Nachmittag
gehörte der Praxis. Meine Pflegeschwestern gingen schon ihre eignen Wege;
ich aber mußte, nachdem mein zu gesunder Teint durch Fasten etwas gemildert
war, mit der Madame geh». Da galt ich de»» bei kinderlose» Frauen fiir


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[0531] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Bücken wegfalle». Wenn er, wie mein geübter Blick mir fügt, Herren- und heimathlos ist, könnte ich mich entschließen, ihn an der Stelle meines freund¬ lichen Adelbert zu behalten, den der Tod mir aus den Armen riß, die ihm mütterliche geworden warein Und wirklich trat ich, nachdem ein Examen die Schärfe ihres Kenner¬ anges belegt hatte, an jenes Adelbert Stelle. Wie heißest du? fragte Madame Müller? Jakob? Der Name klingt nicht, rührt nicht; er ist einer von jene» gleichgiltigen Namen; von nun heißest du Theodor, mein Kind. Sieh, das ist Beleolore, dies Ghismonda, diese Kleine Rosaurabella, talentvolle An¬ fängerinne»; die sind nun deine Schwestern. Nach diesem feierlichen Aktus fuhr Magister Kauderer fort, wo unser Eintreten ihn im Vorlesen des Sächsischen Trompeters gestört hatte. Und zwar las er zunächst von einen: Pascha mit drei Roßschweifen, dessen Namen er, so oft er vorkam, mit solchem Respekt aussprach, daß von diesem Augenblick an der Wunsch in nur lebendig wurde, ein Pascha von drei Rvßschweifen zu sein, der mich später »le wieder ver¬ lassen hat. Dame Müller widmete mir einen großen Teil ihrer Zeit. Sie war un- gemein von ihrer Kunst eingenommen und suchte auch ihren Zöglingen diese Liebe beizubringen. Vormittags übte sie uns in der Theorie, das heißt: wir mußten rührende Geschichten ersinnen, wobei sie durchaus nicht auf äußerste Wahrscheinlichkeit draug. Denn sie sagte: Ich kenne tausend Damen, darunter die feinsten, die im Theater oder beim Roman über die unwahrscheinlichsten Leidenssituationen in Thränen zerfließen und beim wirklichen Elend kalt vorüber¬ gehen können. Es ist also nicht die Sache an sich selbst, die die Wirkung thut, sondern allein die Behandlung. Das weibliche Herz — und dieses kommt bei unsrer Kunst vornehmlich in Betracht, da die Männer leichter geben als die Frauen, und meist, ohne daß man Kunst anwenden müßte — das weibliche Herz ist so zart, daß das wirkliche Elend es nicht rührt, sondern beleidigt in seiner rohen, nicht durch Kunst gemilderten Erscheinung. Und daher, eben von dieser Geistigkeit, dieser Zartheit kommt es, daß das weibliche Herz sich öfter vor diesen Eindrücken verschließt, nicht aber von einer gewissen innerlichen Kälte, wie jene Weiberfeinde behaupte», die dn annehmen, die Frauen besäßen nnr Phantasie, aber kein Gemüt. Doch ich komme von diesen Äußerungen der Madame Müller, die wenigstens beweisen können, daß sie eine gebildete und denkende Künstlerin war, wieder zu meiner Geschichte selbst. Bormittags also wurden rührende Situationen er¬ funden und in Szene gesetzt, das heißt: die nötigen Zuthaten von Gestikulation, Blicke», Seufzern, Thränen und dergleichen hinzugefügt. Der Nachmittag gehörte der Praxis. Meine Pflegeschwestern gingen schon ihre eignen Wege; ich aber mußte, nachdem mein zu gesunder Teint durch Fasten etwas gemildert war, mit der Madame geh». Da galt ich de»» bei kinderlose» Frauen fiir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/531>, abgerufen am 23.05.2024.