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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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greife" in den Gang der deutschen Verfassung gewesen ist, und wie er als un¬
ermüdlicher Vorkämpfer für die Vorrechte der Medintisirten den Verlust seiner
eignen Reichsfreiherrlichkeit nicht verschmerzen konnte. Desto mehr, aus Un¬
kosten Steins, gewinnt die Bedeutung und der Scharfblick Humboldts als
Gesandten zu Wien,

Schmidt zieht sein Schlußurteil also: Stein hat weder in seiner September¬
denkschrift von 1812 noch in frühern oder später" Äußerungen den "Einheitsstaat"
als sein "Ideal" -- wie Treitschke sagt -- aufgestellt, vielmehr immer nur
die "alte Monarchie des zehnten bis dreizehnten Jahrhunderts." Dabei
läßt Schmidt allerdings die feine Unterscheidung zwischen historischer und
psychologischer Frage offen stehen, "Wen" auch einmal gelegentlich Stein
von einem deutschen Eiuheitsstaate träumte -- in Wort und That kundgegeben
hat er dies nie. Und darauf allein kommt es an. Denn unausgesprochene
nud unbetheiligte Gedanke" haben nichts mit der Geschichte zu thun." Wenn
sich Seel" gar nichts daraus machte, die deutsche" Fürsten als "Verräter,"
,,Feige/' "Niederträchtige" nud ,,Lumpengesindel" zu brandmarken und dutzend¬
male als ..Tyrannen" zu bezeichnen, so kauu man diesen Haß nnr so be¬
greifen, daß er sie als Abtrünnige ansah, die ihrem rechtmäßige" Oberhaupt,
dem Kaiser von Österreich, die Treue gebrochen hatten.

Ebenso tritt Schmidt der Ansicht MejerS entgegen, als ob je Stein
an eine deutsche Einheit unter Preußens Führung gedacht habe; wohl
seien Stein, Hardenberg und Humboldt mit einander von der Frage
ausgegangen: Reichseiuheit oder Teilung zwischen Österreich und Preußen;
während aber Hardenberg und Humboldt die Interessen Preußens vertraten,
verletzte Stein ,,aus einer angelernten Unterschätzung Preußens und angeerbten
Überschätzung Österreichs" diese Interessen oft.

Hervorzuheben ist die "eil mitgeteilte Denkschrift des hannöverschen Gesandten
in London, Grafen Münster, der überhaupt eine große Rolle in der Ver-
fassungsfrage spielte; danach wäre zum Heile der zukünftigen deutschen Ver¬
fassung Preußen zu einer Macht zweiten oder dritten Ranges zu verkleinern
gewesen, ein Plan, dem die geschichtliche Entwicklung von 181,'! entgegentrat,
in der Preußen sich ,,Plötzlich als eine Macht erster Größe zeigte."

Seitdem Stein die Wiederherstellung der alten Monarchie selbst als eine
Unmöglichkeit erachten mußte, nachdem auch die Teiluugsidee und das norddeutsche
Protektorat Preußens durch den unbedingten Einspruch des britisch-hannöverschen
Kabinets unausführbar geworden war, sah sich Stein ans der Stufenleiter
seiner Septemberwünsche von 1812 uns die letzte Sprosse zurückgedrängt, auf
die Reichsverfassung des dreißigjährigen Krieges. Dabei wird man Schmidt
zustimmen müssen, wenn er in dem neuen Plane Steins, wo dieser versuchte, die
Reichseiuheit und die Teilungsidee, den Monarchismus lind den Dualismus,
staatsrechtlich in Einklang zu bringen, nicht ,,eines der mächtigsten Werke der


greife» in den Gang der deutschen Verfassung gewesen ist, und wie er als un¬
ermüdlicher Vorkämpfer für die Vorrechte der Medintisirten den Verlust seiner
eignen Reichsfreiherrlichkeit nicht verschmerzen konnte. Desto mehr, aus Un¬
kosten Steins, gewinnt die Bedeutung und der Scharfblick Humboldts als
Gesandten zu Wien,

Schmidt zieht sein Schlußurteil also: Stein hat weder in seiner September¬
denkschrift von 1812 noch in frühern oder später» Äußerungen den „Einheitsstaat"
als sein „Ideal" — wie Treitschke sagt — aufgestellt, vielmehr immer nur
die „alte Monarchie des zehnten bis dreizehnten Jahrhunderts." Dabei
läßt Schmidt allerdings die feine Unterscheidung zwischen historischer und
psychologischer Frage offen stehen, „Wen» auch einmal gelegentlich Stein
von einem deutschen Eiuheitsstaate träumte — in Wort und That kundgegeben
hat er dies nie. Und darauf allein kommt es an. Denn unausgesprochene
nud unbetheiligte Gedanke» haben nichts mit der Geschichte zu thun." Wenn
sich Seel» gar nichts daraus machte, die deutsche» Fürsten als „Verräter,"
,,Feige/' „Niederträchtige" nud ,,Lumpengesindel" zu brandmarken und dutzend¬
male als ..Tyrannen" zu bezeichnen, so kauu man diesen Haß nnr so be¬
greifen, daß er sie als Abtrünnige ansah, die ihrem rechtmäßige» Oberhaupt,
dem Kaiser von Österreich, die Treue gebrochen hatten.

Ebenso tritt Schmidt der Ansicht MejerS entgegen, als ob je Stein
an eine deutsche Einheit unter Preußens Führung gedacht habe; wohl
seien Stein, Hardenberg und Humboldt mit einander von der Frage
ausgegangen: Reichseiuheit oder Teilung zwischen Österreich und Preußen;
während aber Hardenberg und Humboldt die Interessen Preußens vertraten,
verletzte Stein ,,aus einer angelernten Unterschätzung Preußens und angeerbten
Überschätzung Österreichs" diese Interessen oft.

Hervorzuheben ist die »eil mitgeteilte Denkschrift des hannöverschen Gesandten
in London, Grafen Münster, der überhaupt eine große Rolle in der Ver-
fassungsfrage spielte; danach wäre zum Heile der zukünftigen deutschen Ver¬
fassung Preußen zu einer Macht zweiten oder dritten Ranges zu verkleinern
gewesen, ein Plan, dem die geschichtliche Entwicklung von 181,'! entgegentrat,
in der Preußen sich ,,Plötzlich als eine Macht erster Größe zeigte."

Seitdem Stein die Wiederherstellung der alten Monarchie selbst als eine
Unmöglichkeit erachten mußte, nachdem auch die Teiluugsidee und das norddeutsche
Protektorat Preußens durch den unbedingten Einspruch des britisch-hannöverschen
Kabinets unausführbar geworden war, sah sich Stein ans der Stufenleiter
seiner Septemberwünsche von 1812 uns die letzte Sprosse zurückgedrängt, auf
die Reichsverfassung des dreißigjährigen Krieges. Dabei wird man Schmidt
zustimmen müssen, wenn er in dem neuen Plane Steins, wo dieser versuchte, die
Reichseiuheit und die Teilungsidee, den Monarchismus lind den Dualismus,
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[0560] greife» in den Gang der deutschen Verfassung gewesen ist, und wie er als un¬ ermüdlicher Vorkämpfer für die Vorrechte der Medintisirten den Verlust seiner eignen Reichsfreiherrlichkeit nicht verschmerzen konnte. Desto mehr, aus Un¬ kosten Steins, gewinnt die Bedeutung und der Scharfblick Humboldts als Gesandten zu Wien, Schmidt zieht sein Schlußurteil also: Stein hat weder in seiner September¬ denkschrift von 1812 noch in frühern oder später» Äußerungen den „Einheitsstaat" als sein „Ideal" — wie Treitschke sagt — aufgestellt, vielmehr immer nur die „alte Monarchie des zehnten bis dreizehnten Jahrhunderts." Dabei läßt Schmidt allerdings die feine Unterscheidung zwischen historischer und psychologischer Frage offen stehen, „Wen» auch einmal gelegentlich Stein von einem deutschen Eiuheitsstaate träumte — in Wort und That kundgegeben hat er dies nie. Und darauf allein kommt es an. Denn unausgesprochene nud unbetheiligte Gedanke» haben nichts mit der Geschichte zu thun." Wenn sich Seel» gar nichts daraus machte, die deutsche» Fürsten als „Verräter," ,,Feige/' „Niederträchtige" nud ,,Lumpengesindel" zu brandmarken und dutzend¬ male als ..Tyrannen" zu bezeichnen, so kauu man diesen Haß nnr so be¬ greifen, daß er sie als Abtrünnige ansah, die ihrem rechtmäßige» Oberhaupt, dem Kaiser von Österreich, die Treue gebrochen hatten. Ebenso tritt Schmidt der Ansicht MejerS entgegen, als ob je Stein an eine deutsche Einheit unter Preußens Führung gedacht habe; wohl seien Stein, Hardenberg und Humboldt mit einander von der Frage ausgegangen: Reichseiuheit oder Teilung zwischen Österreich und Preußen; während aber Hardenberg und Humboldt die Interessen Preußens vertraten, verletzte Stein ,,aus einer angelernten Unterschätzung Preußens und angeerbten Überschätzung Österreichs" diese Interessen oft. Hervorzuheben ist die »eil mitgeteilte Denkschrift des hannöverschen Gesandten in London, Grafen Münster, der überhaupt eine große Rolle in der Ver- fassungsfrage spielte; danach wäre zum Heile der zukünftigen deutschen Ver¬ fassung Preußen zu einer Macht zweiten oder dritten Ranges zu verkleinern gewesen, ein Plan, dem die geschichtliche Entwicklung von 181,'! entgegentrat, in der Preußen sich ,,Plötzlich als eine Macht erster Größe zeigte." Seitdem Stein die Wiederherstellung der alten Monarchie selbst als eine Unmöglichkeit erachten mußte, nachdem auch die Teiluugsidee und das norddeutsche Protektorat Preußens durch den unbedingten Einspruch des britisch-hannöverschen Kabinets unausführbar geworden war, sah sich Stein ans der Stufenleiter seiner Septemberwünsche von 1812 uns die letzte Sprosse zurückgedrängt, auf die Reichsverfassung des dreißigjährigen Krieges. Dabei wird man Schmidt zustimmen müssen, wenn er in dem neuen Plane Steins, wo dieser versuchte, die Reichseiuheit und die Teilungsidee, den Monarchismus lind den Dualismus, staatsrechtlich in Einklang zu bringen, nicht ,,eines der mächtigsten Werke der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/560>, abgerufen am 27.05.2024.