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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Rembrmidt, Breugheh Dürer als Lrzieher

etlvas andres weiß uns der Verfasser nicht zu sage". Wir haben in diesem
Jahrhundert Zeiten gehabt, in denen man sich fast mir sür Belletristik, oder
für Philosophie, oder für Politik, oder für Naturwissenschaften interessirte -
haben wir darum ein Recht, von einem Zeitalter der Belletristik, der Philo¬
sophie n. s, w, zu sprechen? So hat jetzt die Strömung die Richtung auf die
KAnst genommen. Aber der Besuch von Ausstellungen und ästhetischen Vvr-
lesmigen, die Salvugespräche und das ,,Freveln in Öl" vonseiten aller höher"
Töchter machen kein Kunstzeitalter. Für ein solches fehlen alle Bedingungen.
Wir haben andre Sorgen. Wer will behaupten, daß unsre Perserkriege zu
Ende seien? So traurig es ist, nur müssen die schwere Rüstung tragen, die
allein uns die Unabhängigkeit gewährleistet, lind zudem heischen kirchen-
pvlitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme der schwierigsten Art
ihre Lösung, droht ein allgemeiner Ansturm gegen die sittliche Weltordnung.
Das soll eine Zeit sein für neues Erblühen der Kunst, wie es nur erlebt
worden ist, wenn Staaten nach harter politischer und kriegerischer Arbeit sich
fester Staatseinrichtungen, achtunggebietender Macht, ""angefochtenen Besitzes,
der Einigkeit im Glauben und im Staatsgedanken, mit einem Worte ruhigen
Gedeihens erfreuten? Versuche doch der Verfasser, seine Lehre den Wohl¬
habenden, denen um ihr Eigentum bangt, und den Massen, die das Eigentum
abschaffen möchten, zu predigen! Freilich scheint er schon in dem wüsten Treiben
der sogenannten Naturalisten etwas wie Morgenluft zu wittern.

Noch mancher Span wäre aufzuheben. Das Buch steckt voll von un¬
mittelbaren Widersprüchen. Zu dem dreisten Absprechen bilden Schnitzer einen
auffallenden Gegensatz. Der komische Irrtum, Harmeusz., die in Holland ge¬
bräuchliche Abkürzung für Harmenszovn, für den Familiennamen seines Helden
zu nehmen, hat eine gewisse Berühmtheit erlangt, und auf gleicher Linie steht
die Entdeckung, daß Friedrich Nieolcn, "seinem Namen nach zu schließen, von
friesischer Abkunft gewesen sei; denn diese Art von pntrvuymen Namens-
bildnngen ist, soweit daS von Deutschen bewohnte Deutschland in Betracht
kommt, ganz allein in Friesland üblich." Darnach müßten den" nicht nur
der Dichter Nieolay ans Straßburg und der einst vielgenannte Verfasser des
Buches "Italien wie es wirklich ist," Gustav Nikolai, ebenfalls Friesen sein,
sondern auch die Düsseldorfer Jakobi, die Meißner Künstlerfamilie Matthäi,
der Philolog Ernesti ans dem Erfurtischen, der Franziskaner Johannes Pauli
(Schimpf und Ernst) aus Rheinhessen und der Historiker Pauli aus Berlin,
die vielem Zachariae, Andreae, Michaelis, Petri, Georgi, Christiani, Stephani
und andre Träger eines Namens, der aus dem Genetiv des lateinischen oder
latinisirten Vornamen eines Vorfahren entstanden ist. Lauter Friesen, denn
diese Namensbildung ist "günz allein in Friesland üblich." Das ist ein kleiner
Zug, aber er ist charakteristisch. Das "Grüngelb" in den Bildern Rembrandts
erinnert den Verfasser einmal a" Galle und Melancholie und dann wieder an


Rembrmidt, Breugheh Dürer als Lrzieher

etlvas andres weiß uns der Verfasser nicht zu sage». Wir haben in diesem
Jahrhundert Zeiten gehabt, in denen man sich fast mir sür Belletristik, oder
für Philosophie, oder für Politik, oder für Naturwissenschaften interessirte -
haben wir darum ein Recht, von einem Zeitalter der Belletristik, der Philo¬
sophie n. s, w, zu sprechen? So hat jetzt die Strömung die Richtung auf die
KAnst genommen. Aber der Besuch von Ausstellungen und ästhetischen Vvr-
lesmigen, die Salvugespräche und das ,,Freveln in Öl" vonseiten aller höher«
Töchter machen kein Kunstzeitalter. Für ein solches fehlen alle Bedingungen.
Wir haben andre Sorgen. Wer will behaupten, daß unsre Perserkriege zu
Ende seien? So traurig es ist, nur müssen die schwere Rüstung tragen, die
allein uns die Unabhängigkeit gewährleistet, lind zudem heischen kirchen-
pvlitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme der schwierigsten Art
ihre Lösung, droht ein allgemeiner Ansturm gegen die sittliche Weltordnung.
Das soll eine Zeit sein für neues Erblühen der Kunst, wie es nur erlebt
worden ist, wenn Staaten nach harter politischer und kriegerischer Arbeit sich
fester Staatseinrichtungen, achtunggebietender Macht, »»angefochtenen Besitzes,
der Einigkeit im Glauben und im Staatsgedanken, mit einem Worte ruhigen
Gedeihens erfreuten? Versuche doch der Verfasser, seine Lehre den Wohl¬
habenden, denen um ihr Eigentum bangt, und den Massen, die das Eigentum
abschaffen möchten, zu predigen! Freilich scheint er schon in dem wüsten Treiben
der sogenannten Naturalisten etwas wie Morgenluft zu wittern.

Noch mancher Span wäre aufzuheben. Das Buch steckt voll von un¬
mittelbaren Widersprüchen. Zu dem dreisten Absprechen bilden Schnitzer einen
auffallenden Gegensatz. Der komische Irrtum, Harmeusz., die in Holland ge¬
bräuchliche Abkürzung für Harmenszovn, für den Familiennamen seines Helden
zu nehmen, hat eine gewisse Berühmtheit erlangt, und auf gleicher Linie steht
die Entdeckung, daß Friedrich Nieolcn, „seinem Namen nach zu schließen, von
friesischer Abkunft gewesen sei; denn diese Art von pntrvuymen Namens-
bildnngen ist, soweit daS von Deutschen bewohnte Deutschland in Betracht
kommt, ganz allein in Friesland üblich." Darnach müßten den» nicht nur
der Dichter Nieolay ans Straßburg und der einst vielgenannte Verfasser des
Buches „Italien wie es wirklich ist," Gustav Nikolai, ebenfalls Friesen sein,
sondern auch die Düsseldorfer Jakobi, die Meißner Künstlerfamilie Matthäi,
der Philolog Ernesti ans dem Erfurtischen, der Franziskaner Johannes Pauli
(Schimpf und Ernst) aus Rheinhessen und der Historiker Pauli aus Berlin,
die vielem Zachariae, Andreae, Michaelis, Petri, Georgi, Christiani, Stephani
und andre Träger eines Namens, der aus dem Genetiv des lateinischen oder
latinisirten Vornamen eines Vorfahren entstanden ist. Lauter Friesen, denn
diese Namensbildung ist „günz allein in Friesland üblich." Das ist ein kleiner
Zug, aber er ist charakteristisch. Das „Grüngelb" in den Bildern Rembrandts
erinnert den Verfasser einmal a» Galle und Melancholie und dann wieder an


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[0612] Rembrmidt, Breugheh Dürer als Lrzieher etlvas andres weiß uns der Verfasser nicht zu sage». Wir haben in diesem Jahrhundert Zeiten gehabt, in denen man sich fast mir sür Belletristik, oder für Philosophie, oder für Politik, oder für Naturwissenschaften interessirte - haben wir darum ein Recht, von einem Zeitalter der Belletristik, der Philo¬ sophie n. s, w, zu sprechen? So hat jetzt die Strömung die Richtung auf die KAnst genommen. Aber der Besuch von Ausstellungen und ästhetischen Vvr- lesmigen, die Salvugespräche und das ,,Freveln in Öl" vonseiten aller höher« Töchter machen kein Kunstzeitalter. Für ein solches fehlen alle Bedingungen. Wir haben andre Sorgen. Wer will behaupten, daß unsre Perserkriege zu Ende seien? So traurig es ist, nur müssen die schwere Rüstung tragen, die allein uns die Unabhängigkeit gewährleistet, lind zudem heischen kirchen- pvlitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme der schwierigsten Art ihre Lösung, droht ein allgemeiner Ansturm gegen die sittliche Weltordnung. Das soll eine Zeit sein für neues Erblühen der Kunst, wie es nur erlebt worden ist, wenn Staaten nach harter politischer und kriegerischer Arbeit sich fester Staatseinrichtungen, achtunggebietender Macht, »»angefochtenen Besitzes, der Einigkeit im Glauben und im Staatsgedanken, mit einem Worte ruhigen Gedeihens erfreuten? Versuche doch der Verfasser, seine Lehre den Wohl¬ habenden, denen um ihr Eigentum bangt, und den Massen, die das Eigentum abschaffen möchten, zu predigen! Freilich scheint er schon in dem wüsten Treiben der sogenannten Naturalisten etwas wie Morgenluft zu wittern. Noch mancher Span wäre aufzuheben. Das Buch steckt voll von un¬ mittelbaren Widersprüchen. Zu dem dreisten Absprechen bilden Schnitzer einen auffallenden Gegensatz. Der komische Irrtum, Harmeusz., die in Holland ge¬ bräuchliche Abkürzung für Harmenszovn, für den Familiennamen seines Helden zu nehmen, hat eine gewisse Berühmtheit erlangt, und auf gleicher Linie steht die Entdeckung, daß Friedrich Nieolcn, „seinem Namen nach zu schließen, von friesischer Abkunft gewesen sei; denn diese Art von pntrvuymen Namens- bildnngen ist, soweit daS von Deutschen bewohnte Deutschland in Betracht kommt, ganz allein in Friesland üblich." Darnach müßten den» nicht nur der Dichter Nieolay ans Straßburg und der einst vielgenannte Verfasser des Buches „Italien wie es wirklich ist," Gustav Nikolai, ebenfalls Friesen sein, sondern auch die Düsseldorfer Jakobi, die Meißner Künstlerfamilie Matthäi, der Philolog Ernesti ans dem Erfurtischen, der Franziskaner Johannes Pauli (Schimpf und Ernst) aus Rheinhessen und der Historiker Pauli aus Berlin, die vielem Zachariae, Andreae, Michaelis, Petri, Georgi, Christiani, Stephani und andre Träger eines Namens, der aus dem Genetiv des lateinischen oder latinisirten Vornamen eines Vorfahren entstanden ist. Lauter Friesen, denn diese Namensbildung ist „günz allein in Friesland üblich." Das ist ein kleiner Zug, aber er ist charakteristisch. Das „Grüngelb" in den Bildern Rembrandts erinnert den Verfasser einmal a» Galle und Melancholie und dann wieder an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/612>, abgerufen am 23.05.2024.