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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Aapitulismus

sehen auch da noch durch rechtmäßigen Erwerb Vermögen von zwanzig- bis
hunderttausend Thalern entstehen. Sofern der Handel einem wirklichen Be¬
dürfnis dient, d. h. notwendige Waren, deren die Konsumenten auf andre Weise
nicht habhaft werden könnten, ihnen zugänglich macht und diesen Waren solcher¬
gestalt erst Gebrauchswert verleiht, ist er zu den produktiven Berufsarten zu
rechnen.

Endlich aber und vor allem haben wir Deutschen einen tüchtigen Stand
vou Groß- und Kleinbauern und von kleinen Rittergutsbesitzern. In einigen
Gegenden freilich ist durch fortgesetzte Erbteiluug, unter welchem Namen unsre
Staatsmänner das Übel der Übervölkerung feige verstecken, der Bauernstand
teils ans die Zwergwirtschaft heruntergekommen, teils überschüttet; aber ander¬
wärts, wo ein Zusammenwirken günstiger Umstände die Einwirkung jenes
Übels vorderhand uoch gehemmt hat, steht er ungebrochen n"d glänzend da.
Aus Grund der Angaben eines Fachmanns und auf eigne Anschauung gestützt,
haben wir im Jahrgang 1890 der Grenzboten (4. Vierteljahr, S. ttM) die
wahrhaft idealen und doch ganz wirklichen Zustände einer Gemeinde in dem
bessern Teile Oberschlesiens geschildert, die als typisch für viele andre Ge¬
meinden gelten kann. Heute möchten wir die Blicke der Leser noch auf den
fruchtbarsten Landstrich Niederschlesiens lenken. Die "Rustikalen" oder "Guts¬
besitzer" der dortigen großen Dörfer sind meistens insofern keine Bauern mehr,
als sie eine höhere Bildung genossen haben, nicht mehr mit eigner Hand deu
Pflug führen und durchaus herrenmäßig leben. Aber die Grundlage ihres
Daseins ist gesund geblieben, ihre Ansprüche gehen nicht über ihre Mittel
hinaus, sie haben auch die Fühlung mit dem gemeinen Volke, zunächst mit
ihren Arbeitern, nicht verloren. Wir hatten kürzlich Gelegenheit, einen unsrer
Bekannten auszufragen, der einer von ihnen geworden ist. Von Hans aus
Landwirt, aber städtisch gebildet und jahrzehntelang in einer ansehnlichen Stadt
ansässig, wo er sich als Stadtrat vielfache Verdienste um das Gemeinwesen
erworben hatte, fand er sich vor einem Jahre veranlaßt, für einen Sohn in
jener Gegend ein Gut zu erwerben, das er, bis der junge Mann eingerichtet
sein wird, selbst bewirtschaftet. Es ist 2)!0 Morgen groß und mit !)V000 Mark
bezahlt worden. Mit dem Ertrage ist der neue Besitzer vollkommen zufrieden,
und über seine Arbeiter hat er nicht die geringste Klage. Nicht allein in
seinem, sondern anch im Namen seiner Nachbarn versichert er: die Arbeiter
sind mit uns, und wir sind mit ihnen zufrieden. Allerdings ist die Behand¬
lung ganz anders als auf manchen Rittergütern, wo sich das Gesinde glücklich
schützen würde, wenn es das Futter der Jagdhunde als Mahlzeit und deu
Schweinestall als Wohnung angewiesen bekäme. Das Gesinde jener Herren¬
bauern ißt zwar nicht, wie bei wirklichen Bauern, mit der Herrschaft am Tische,
aber es genießt dieselbe Kost wie sie. Bei dein oben erwähnten Freunde ist
die Einrichtung getroffen, daß das Gesinde in einem Zimmer zwischen der


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sehen auch da noch durch rechtmäßigen Erwerb Vermögen von zwanzig- bis
hunderttausend Thalern entstehen. Sofern der Handel einem wirklichen Be¬
dürfnis dient, d. h. notwendige Waren, deren die Konsumenten auf andre Weise
nicht habhaft werden könnten, ihnen zugänglich macht und diesen Waren solcher¬
gestalt erst Gebrauchswert verleiht, ist er zu den produktiven Berufsarten zu
rechnen.

Endlich aber und vor allem haben wir Deutschen einen tüchtigen Stand
vou Groß- und Kleinbauern und von kleinen Rittergutsbesitzern. In einigen
Gegenden freilich ist durch fortgesetzte Erbteiluug, unter welchem Namen unsre
Staatsmänner das Übel der Übervölkerung feige verstecken, der Bauernstand
teils ans die Zwergwirtschaft heruntergekommen, teils überschüttet; aber ander¬
wärts, wo ein Zusammenwirken günstiger Umstände die Einwirkung jenes
Übels vorderhand uoch gehemmt hat, steht er ungebrochen n»d glänzend da.
Aus Grund der Angaben eines Fachmanns und auf eigne Anschauung gestützt,
haben wir im Jahrgang 1890 der Grenzboten (4. Vierteljahr, S. ttM) die
wahrhaft idealen und doch ganz wirklichen Zustände einer Gemeinde in dem
bessern Teile Oberschlesiens geschildert, die als typisch für viele andre Ge¬
meinden gelten kann. Heute möchten wir die Blicke der Leser noch auf den
fruchtbarsten Landstrich Niederschlesiens lenken. Die „Rustikalen" oder „Guts¬
besitzer" der dortigen großen Dörfer sind meistens insofern keine Bauern mehr,
als sie eine höhere Bildung genossen haben, nicht mehr mit eigner Hand deu
Pflug führen und durchaus herrenmäßig leben. Aber die Grundlage ihres
Daseins ist gesund geblieben, ihre Ansprüche gehen nicht über ihre Mittel
hinaus, sie haben auch die Fühlung mit dem gemeinen Volke, zunächst mit
ihren Arbeitern, nicht verloren. Wir hatten kürzlich Gelegenheit, einen unsrer
Bekannten auszufragen, der einer von ihnen geworden ist. Von Hans aus
Landwirt, aber städtisch gebildet und jahrzehntelang in einer ansehnlichen Stadt
ansässig, wo er sich als Stadtrat vielfache Verdienste um das Gemeinwesen
erworben hatte, fand er sich vor einem Jahre veranlaßt, für einen Sohn in
jener Gegend ein Gut zu erwerben, das er, bis der junge Mann eingerichtet
sein wird, selbst bewirtschaftet. Es ist 2)!0 Morgen groß und mit !)V000 Mark
bezahlt worden. Mit dem Ertrage ist der neue Besitzer vollkommen zufrieden,
und über seine Arbeiter hat er nicht die geringste Klage. Nicht allein in
seinem, sondern anch im Namen seiner Nachbarn versichert er: die Arbeiter
sind mit uns, und wir sind mit ihnen zufrieden. Allerdings ist die Behand¬
lung ganz anders als auf manchen Rittergütern, wo sich das Gesinde glücklich
schützen würde, wenn es das Futter der Jagdhunde als Mahlzeit und deu
Schweinestall als Wohnung angewiesen bekäme. Das Gesinde jener Herren¬
bauern ißt zwar nicht, wie bei wirklichen Bauern, mit der Herrschaft am Tische,
aber es genießt dieselbe Kost wie sie. Bei dein oben erwähnten Freunde ist
die Einrichtung getroffen, daß das Gesinde in einem Zimmer zwischen der


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[0138] Weder Kommunismus noch Aapitulismus sehen auch da noch durch rechtmäßigen Erwerb Vermögen von zwanzig- bis hunderttausend Thalern entstehen. Sofern der Handel einem wirklichen Be¬ dürfnis dient, d. h. notwendige Waren, deren die Konsumenten auf andre Weise nicht habhaft werden könnten, ihnen zugänglich macht und diesen Waren solcher¬ gestalt erst Gebrauchswert verleiht, ist er zu den produktiven Berufsarten zu rechnen. Endlich aber und vor allem haben wir Deutschen einen tüchtigen Stand vou Groß- und Kleinbauern und von kleinen Rittergutsbesitzern. In einigen Gegenden freilich ist durch fortgesetzte Erbteiluug, unter welchem Namen unsre Staatsmänner das Übel der Übervölkerung feige verstecken, der Bauernstand teils ans die Zwergwirtschaft heruntergekommen, teils überschüttet; aber ander¬ wärts, wo ein Zusammenwirken günstiger Umstände die Einwirkung jenes Übels vorderhand uoch gehemmt hat, steht er ungebrochen n»d glänzend da. Aus Grund der Angaben eines Fachmanns und auf eigne Anschauung gestützt, haben wir im Jahrgang 1890 der Grenzboten (4. Vierteljahr, S. ttM) die wahrhaft idealen und doch ganz wirklichen Zustände einer Gemeinde in dem bessern Teile Oberschlesiens geschildert, die als typisch für viele andre Ge¬ meinden gelten kann. Heute möchten wir die Blicke der Leser noch auf den fruchtbarsten Landstrich Niederschlesiens lenken. Die „Rustikalen" oder „Guts¬ besitzer" der dortigen großen Dörfer sind meistens insofern keine Bauern mehr, als sie eine höhere Bildung genossen haben, nicht mehr mit eigner Hand deu Pflug führen und durchaus herrenmäßig leben. Aber die Grundlage ihres Daseins ist gesund geblieben, ihre Ansprüche gehen nicht über ihre Mittel hinaus, sie haben auch die Fühlung mit dem gemeinen Volke, zunächst mit ihren Arbeitern, nicht verloren. Wir hatten kürzlich Gelegenheit, einen unsrer Bekannten auszufragen, der einer von ihnen geworden ist. Von Hans aus Landwirt, aber städtisch gebildet und jahrzehntelang in einer ansehnlichen Stadt ansässig, wo er sich als Stadtrat vielfache Verdienste um das Gemeinwesen erworben hatte, fand er sich vor einem Jahre veranlaßt, für einen Sohn in jener Gegend ein Gut zu erwerben, das er, bis der junge Mann eingerichtet sein wird, selbst bewirtschaftet. Es ist 2)!0 Morgen groß und mit !)V000 Mark bezahlt worden. Mit dem Ertrage ist der neue Besitzer vollkommen zufrieden, und über seine Arbeiter hat er nicht die geringste Klage. Nicht allein in seinem, sondern anch im Namen seiner Nachbarn versichert er: die Arbeiter sind mit uns, und wir sind mit ihnen zufrieden. Allerdings ist die Behand¬ lung ganz anders als auf manchen Rittergütern, wo sich das Gesinde glücklich schützen würde, wenn es das Futter der Jagdhunde als Mahlzeit und deu Schweinestall als Wohnung angewiesen bekäme. Das Gesinde jener Herren¬ bauern ißt zwar nicht, wie bei wirklichen Bauern, mit der Herrschaft am Tische, aber es genießt dieselbe Kost wie sie. Bei dein oben erwähnten Freunde ist die Einrichtung getroffen, daß das Gesinde in einem Zimmer zwischen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/138>, abgerufen am 28.05.2024.