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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lothar Bucher

Freundschaftsverhältnis zwischen Fürst Bismarck und seinem vertrauten Rat
mit der Zeit kühler geworden sei; Bucher selbst hat alle solche Gerüchte mir
gegenüber wiederholt als müssiges Geschwätz bezeichnet. Aus seinem Amte
trat er aus wegen eines schmerzhaften, sehr ernsten Leidens, das ihm über ein
Jahr den Gebrauch der Hände und Füße vollständig unmöglich machte und
bleibende Beschwerden zurückließ. Auch der Bruder des Verstorbnen hat in
seinen Erinnerungen keinen Zweifel darüber gelassen, daß nur eine langwierige
Krankheit den fast siebzigjährigen Mann in den Ruhestand genötigt, und daß
Fürst Bismarck kein Mittel unversucht gelassen hat, seinen bewährten Mit¬
arbeiter zu halten. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß nach der Einfüh¬
rung des Stellvertretnngsgesetzes Buchers Stellung weniger angenehm wurde,
weil ihm seine Vorgesetzten nicht das Verständnis zeigten, das er beim Fürsten
Bismarck gewohnt gewesen war. Das Verhältnis zum Grafen Hntzfeld scheint
aus bekannten Gründen wenig günstig gewesen zu sein, doch braucht man des¬
halb nicht anzunehmen, daß Fürst Bismarck seinen alten Freund im Stich ge¬
lassen habe. Jedenfalls hat sich Bücher nicht durch das Avancement jüngerer
Herren zurückgesetzt gefühlt, denn er wußte sehr genau, daß ihm der Fürst eine
höhere Stellung nicht verschaffen konnte. Als Beweis dafür möchte ich eine
Thatsache anführen, die ich schon einmal an andrer Stelle mitgeteilt habe:
1886 ist eine anonyme Broschüre erschienen, worin anßer Fürst Bismarck und
andern hochgestellten Persönlichkeiten auch Bücher besprochen wird. Da findet
sich nun folgender Satz über BucherS Verhältnis zum Fürsten Bismarck: "Es
wird seit einiger Zeit etwas von gegenseitiger Entfremdung gemunkelt. Man
bringt damit das Avancement des Grafen Herbert und andrer in Zusammen¬
hang." Ich bat Bücher, diese Broschüre durchzusehn, und erhielt sie, mit
Randbemerkungen und Korrekturen versehn, zurück. Bei der angeführten Stelle
hatte er das Wort "Unsinn" an den Rand geschrieben. Später nahm er noch
Gelegenheit, sich folgendermaßen über die Sache auszusprechen: "In Anbetracht
meiner politischen Vergangenheit hatte ich mit meiner Stellung als erster vor¬
tragender Rat die höchste, mir überhaupt offenstehende Staffel erreicht. Aber
selbst wenn man mich noch hätte zum Staatssekretär avmieiren lassen wollen,
so wäre das gar nicht möglich gewesen, denn ich würde mich niemals dazu
verstanden haben, im Parlament zu verhandeln." Bei einer andern Gelegen¬
heit erzählte er mir, daß ihm Fürst Bismarck bei seinem Amtsaustritt den
Titel "Exzellenz" habe verschaffen wollen; er habe sich aber ausgebeten, darauf
verzichten zu dürfen. Daß der Kanzler seinen alten Freund stundenlang habe
"mitichambriren" lassen und ihm noch vor kurzem gesagt habe: "Lieber Bucher,
das verstehen Sie nicht," ist einfach nicht wahr. Wer die beiden Männer
kennt, wird das für ganz unmöglich halten. Fürst Bismarck, der immer darauf
gehalten hat, daß im diplomatischen Verkehr ein höflicher Ton beobachtet werde,
kann gegen einen Mann von der Bedeutung Buchers niemals solche Worte


Lothar Bucher

Freundschaftsverhältnis zwischen Fürst Bismarck und seinem vertrauten Rat
mit der Zeit kühler geworden sei; Bucher selbst hat alle solche Gerüchte mir
gegenüber wiederholt als müssiges Geschwätz bezeichnet. Aus seinem Amte
trat er aus wegen eines schmerzhaften, sehr ernsten Leidens, das ihm über ein
Jahr den Gebrauch der Hände und Füße vollständig unmöglich machte und
bleibende Beschwerden zurückließ. Auch der Bruder des Verstorbnen hat in
seinen Erinnerungen keinen Zweifel darüber gelassen, daß nur eine langwierige
Krankheit den fast siebzigjährigen Mann in den Ruhestand genötigt, und daß
Fürst Bismarck kein Mittel unversucht gelassen hat, seinen bewährten Mit¬
arbeiter zu halten. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß nach der Einfüh¬
rung des Stellvertretnngsgesetzes Buchers Stellung weniger angenehm wurde,
weil ihm seine Vorgesetzten nicht das Verständnis zeigten, das er beim Fürsten
Bismarck gewohnt gewesen war. Das Verhältnis zum Grafen Hntzfeld scheint
aus bekannten Gründen wenig günstig gewesen zu sein, doch braucht man des¬
halb nicht anzunehmen, daß Fürst Bismarck seinen alten Freund im Stich ge¬
lassen habe. Jedenfalls hat sich Bücher nicht durch das Avancement jüngerer
Herren zurückgesetzt gefühlt, denn er wußte sehr genau, daß ihm der Fürst eine
höhere Stellung nicht verschaffen konnte. Als Beweis dafür möchte ich eine
Thatsache anführen, die ich schon einmal an andrer Stelle mitgeteilt habe:
1886 ist eine anonyme Broschüre erschienen, worin anßer Fürst Bismarck und
andern hochgestellten Persönlichkeiten auch Bücher besprochen wird. Da findet
sich nun folgender Satz über BucherS Verhältnis zum Fürsten Bismarck: „Es
wird seit einiger Zeit etwas von gegenseitiger Entfremdung gemunkelt. Man
bringt damit das Avancement des Grafen Herbert und andrer in Zusammen¬
hang." Ich bat Bücher, diese Broschüre durchzusehn, und erhielt sie, mit
Randbemerkungen und Korrekturen versehn, zurück. Bei der angeführten Stelle
hatte er das Wort „Unsinn" an den Rand geschrieben. Später nahm er noch
Gelegenheit, sich folgendermaßen über die Sache auszusprechen: „In Anbetracht
meiner politischen Vergangenheit hatte ich mit meiner Stellung als erster vor¬
tragender Rat die höchste, mir überhaupt offenstehende Staffel erreicht. Aber
selbst wenn man mich noch hätte zum Staatssekretär avmieiren lassen wollen,
so wäre das gar nicht möglich gewesen, denn ich würde mich niemals dazu
verstanden haben, im Parlament zu verhandeln." Bei einer andern Gelegen¬
heit erzählte er mir, daß ihm Fürst Bismarck bei seinem Amtsaustritt den
Titel „Exzellenz" habe verschaffen wollen; er habe sich aber ausgebeten, darauf
verzichten zu dürfen. Daß der Kanzler seinen alten Freund stundenlang habe
„mitichambriren" lassen und ihm noch vor kurzem gesagt habe: „Lieber Bucher,
das verstehen Sie nicht," ist einfach nicht wahr. Wer die beiden Männer
kennt, wird das für ganz unmöglich halten. Fürst Bismarck, der immer darauf
gehalten hat, daß im diplomatischen Verkehr ein höflicher Ton beobachtet werde,
kann gegen einen Mann von der Bedeutung Buchers niemals solche Worte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/189>, abgerufen am 27.05.2024.