Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lothar Lüchei'

gebraucht haben, und der vorsichtige, zurückhaltende Bücher kann niemals etwas
gesagt haben, wodurch er sich der Gefahr einer solchen Antwort ausgesetzt hätte.

Daß Bucher während seiner amtlichen Thätigkeit sehr wenig freie Zeit
hatte und häufig bis in die Nacht hinein thätig sein mußte, ist richtig; er war
aber weit entfernt, deshalb dem Fürsten einen Borwurf zu machen, denn dieser
konnte sich ebenso wenig Ruhe gönnen. Der Kanzler war gewohnt, Sachen
von Wichtigkeit mit seinem vertrauten Rat zu bespreche", und ließ ihn oft uoch
sehr spät am Abend zu sich rufen. Einst hatte Bücher Zeit gefunden, eine
neue Oper zu besuchen, über die er viel rühmendes gehört hatte. Der zweite
Akt hatte kaum begonnen, als er zum Fürsten gebeten wurde. Eiligst verließ
er das Opernhaus und wurde mit der Frage empfange": "Wo komme" Sie
denn so spät "och her?" Der Fürst hatte inzwische" wieder vergesse", daß er
ihn hatte rufen lassen, meinte aber dann: "Da Sie einmal hier sind, können
wir gleich noch verschiednes erledigen." Bücher hat während seiner gauzen
Amtszeit nie wieder Zeit und Gelegenheit gehabt, diese Oper zu Ende zu
hören; er erzählte mir das aber nur als Kuriosum, ohne eine Spur von Ver¬
druß dabei zu zeigen-

Wo viel Licht ist, kau" auch der Schatten nicht fehlen, und der größte
Mensch ist nicht frei von Schwäche". Bucher wird die kleine" Schwäche"
des Fürsten sehr wohl gelaunt haben, er hat aber nie verächtlich darüber
geurteilt, sondern er pflegte zu sagen: "Bismarck ist ein so außerordentlicher
Mensch, daß man ihn nicht mit dem gewöhnlichen Maße messen kann."

Gelegentlich beschäftigten wir uns gemeinschaftlich mit den" Studium der
-- übrigens durchaus uuwissensclmftlichen -- Phrenologie, und da fanden
wir in einem Buche folgendes Urteil über Bismarcks Kopfbiloung: "Festigkeit
und Selbstgefühl sind stärker als Borsicht. Bismarck ist kühn und furchtlos,
sehr fest, sehr selbstvertrcmeud, etwas herrisch, etwas rücksichtslos." Bücher
sagte mir, dieses Urteil sei bei aller UnVollständigkeit im einzelnen doch recht
zutreffend; auch die letztgenannten Eigenschaften seien notwendig für einen
Mann, der so Gewaltiges zu vollbringen gehabt habe. Bei einer Taufe, die
am 2. September 18W stattfand, hatte Bucher Patenstelle übernommen, und
antwortete auf eine an die Bedeutung des Tages anknüpfende Rede, er
wolle nicht wünsche", daß ein deutscher Politiker noch einmal mit so vielen
Schwierigkeiten zu kämpfen habe, als Bismarck vor Gründung des deutschen
Reichs habe überwinden müssen. Daß er über einige Persönlichkeiten dem
günstigen Urteil des Kanzlers nicht zustimmte, ist mir bekannt. Aber auch
in dieser Hinsicht hat er sich niemals eine Kritik zu Ungunsten des Fürsten
erlaubt. Uuter dein 16. April schrieb er mir: "Ich Hütte Ihnen längst
geschrieben, wen" mich nicht die öffentlichen Vorgänge der letzten Monate sehr
erregt und verstimmt hatten. Ich habe die Anhänglichkeit an den alten
Kanzler nicht so leicht abgeschüttelt, wie viele Leute hier, und werde immer


Lothar Lüchei'

gebraucht haben, und der vorsichtige, zurückhaltende Bücher kann niemals etwas
gesagt haben, wodurch er sich der Gefahr einer solchen Antwort ausgesetzt hätte.

Daß Bucher während seiner amtlichen Thätigkeit sehr wenig freie Zeit
hatte und häufig bis in die Nacht hinein thätig sein mußte, ist richtig; er war
aber weit entfernt, deshalb dem Fürsten einen Borwurf zu machen, denn dieser
konnte sich ebenso wenig Ruhe gönnen. Der Kanzler war gewohnt, Sachen
von Wichtigkeit mit seinem vertrauten Rat zu bespreche», und ließ ihn oft uoch
sehr spät am Abend zu sich rufen. Einst hatte Bücher Zeit gefunden, eine
neue Oper zu besuchen, über die er viel rühmendes gehört hatte. Der zweite
Akt hatte kaum begonnen, als er zum Fürsten gebeten wurde. Eiligst verließ
er das Opernhaus und wurde mit der Frage empfange»: „Wo komme» Sie
denn so spät »och her?" Der Fürst hatte inzwische» wieder vergesse», daß er
ihn hatte rufen lassen, meinte aber dann: „Da Sie einmal hier sind, können
wir gleich noch verschiednes erledigen." Bücher hat während seiner gauzen
Amtszeit nie wieder Zeit und Gelegenheit gehabt, diese Oper zu Ende zu
hören; er erzählte mir das aber nur als Kuriosum, ohne eine Spur von Ver¬
druß dabei zu zeigen-

Wo viel Licht ist, kau» auch der Schatten nicht fehlen, und der größte
Mensch ist nicht frei von Schwäche». Bucher wird die kleine» Schwäche»
des Fürsten sehr wohl gelaunt haben, er hat aber nie verächtlich darüber
geurteilt, sondern er pflegte zu sagen: „Bismarck ist ein so außerordentlicher
Mensch, daß man ihn nicht mit dem gewöhnlichen Maße messen kann."

Gelegentlich beschäftigten wir uns gemeinschaftlich mit den» Studium der
— übrigens durchaus uuwissensclmftlichen — Phrenologie, und da fanden
wir in einem Buche folgendes Urteil über Bismarcks Kopfbiloung: „Festigkeit
und Selbstgefühl sind stärker als Borsicht. Bismarck ist kühn und furchtlos,
sehr fest, sehr selbstvertrcmeud, etwas herrisch, etwas rücksichtslos." Bücher
sagte mir, dieses Urteil sei bei aller UnVollständigkeit im einzelnen doch recht
zutreffend; auch die letztgenannten Eigenschaften seien notwendig für einen
Mann, der so Gewaltiges zu vollbringen gehabt habe. Bei einer Taufe, die
am 2. September 18W stattfand, hatte Bucher Patenstelle übernommen, und
antwortete auf eine an die Bedeutung des Tages anknüpfende Rede, er
wolle nicht wünsche», daß ein deutscher Politiker noch einmal mit so vielen
Schwierigkeiten zu kämpfen habe, als Bismarck vor Gründung des deutschen
Reichs habe überwinden müssen. Daß er über einige Persönlichkeiten dem
günstigen Urteil des Kanzlers nicht zustimmte, ist mir bekannt. Aber auch
in dieser Hinsicht hat er sich niemals eine Kritik zu Ungunsten des Fürsten
erlaubt. Uuter dein 16. April schrieb er mir: „Ich Hütte Ihnen längst
geschrieben, wen» mich nicht die öffentlichen Vorgänge der letzten Monate sehr
erregt und verstimmt hatten. Ich habe die Anhänglichkeit an den alten
Kanzler nicht so leicht abgeschüttelt, wie viele Leute hier, und werde immer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213982"/>
          <fw type="header" place="top"> Lothar Lüchei'</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_580" prev="#ID_579"> gebraucht haben, und der vorsichtige, zurückhaltende Bücher kann niemals etwas<lb/>
gesagt haben, wodurch er sich der Gefahr einer solchen Antwort ausgesetzt hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_581"> Daß Bucher während seiner amtlichen Thätigkeit sehr wenig freie Zeit<lb/>
hatte und häufig bis in die Nacht hinein thätig sein mußte, ist richtig; er war<lb/>
aber weit entfernt, deshalb dem Fürsten einen Borwurf zu machen, denn dieser<lb/>
konnte sich ebenso wenig Ruhe gönnen. Der Kanzler war gewohnt, Sachen<lb/>
von Wichtigkeit mit seinem vertrauten Rat zu bespreche», und ließ ihn oft uoch<lb/>
sehr spät am Abend zu sich rufen. Einst hatte Bücher Zeit gefunden, eine<lb/>
neue Oper zu besuchen, über die er viel rühmendes gehört hatte. Der zweite<lb/>
Akt hatte kaum begonnen, als er zum Fürsten gebeten wurde. Eiligst verließ<lb/>
er das Opernhaus und wurde mit der Frage empfange»: &#x201E;Wo komme» Sie<lb/>
denn so spät »och her?" Der Fürst hatte inzwische» wieder vergesse», daß er<lb/>
ihn hatte rufen lassen, meinte aber dann: &#x201E;Da Sie einmal hier sind, können<lb/>
wir gleich noch verschiednes erledigen." Bücher hat während seiner gauzen<lb/>
Amtszeit nie wieder Zeit und Gelegenheit gehabt, diese Oper zu Ende zu<lb/>
hören; er erzählte mir das aber nur als Kuriosum, ohne eine Spur von Ver¬<lb/>
druß dabei zu zeigen-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_582"> Wo viel Licht ist, kau» auch der Schatten nicht fehlen, und der größte<lb/>
Mensch ist nicht frei von Schwäche». Bucher wird die kleine» Schwäche»<lb/>
des Fürsten sehr wohl gelaunt haben, er hat aber nie verächtlich darüber<lb/>
geurteilt, sondern er pflegte zu sagen: &#x201E;Bismarck ist ein so außerordentlicher<lb/>
Mensch, daß man ihn nicht mit dem gewöhnlichen Maße messen kann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_583" next="#ID_584"> Gelegentlich beschäftigten wir uns gemeinschaftlich mit den» Studium der<lb/>
&#x2014; übrigens durchaus uuwissensclmftlichen &#x2014; Phrenologie, und da fanden<lb/>
wir in einem Buche folgendes Urteil über Bismarcks Kopfbiloung: &#x201E;Festigkeit<lb/>
und Selbstgefühl sind stärker als Borsicht. Bismarck ist kühn und furchtlos,<lb/>
sehr fest, sehr selbstvertrcmeud, etwas herrisch, etwas rücksichtslos." Bücher<lb/>
sagte mir, dieses Urteil sei bei aller UnVollständigkeit im einzelnen doch recht<lb/>
zutreffend; auch die letztgenannten Eigenschaften seien notwendig für einen<lb/>
Mann, der so Gewaltiges zu vollbringen gehabt habe. Bei einer Taufe, die<lb/>
am 2. September 18W stattfand, hatte Bucher Patenstelle übernommen, und<lb/>
antwortete auf eine an die Bedeutung des Tages anknüpfende Rede, er<lb/>
wolle nicht wünsche», daß ein deutscher Politiker noch einmal mit so vielen<lb/>
Schwierigkeiten zu kämpfen habe, als Bismarck vor Gründung des deutschen<lb/>
Reichs habe überwinden müssen. Daß er über einige Persönlichkeiten dem<lb/>
günstigen Urteil des Kanzlers nicht zustimmte, ist mir bekannt. Aber auch<lb/>
in dieser Hinsicht hat er sich niemals eine Kritik zu Ungunsten des Fürsten<lb/>
erlaubt. Uuter dein 16. April schrieb er mir: &#x201E;Ich Hütte Ihnen längst<lb/>
geschrieben, wen» mich nicht die öffentlichen Vorgänge der letzten Monate sehr<lb/>
erregt und verstimmt hatten. Ich habe die Anhänglichkeit an den alten<lb/>
Kanzler nicht so leicht abgeschüttelt, wie viele Leute hier, und werde immer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Lothar Lüchei' gebraucht haben, und der vorsichtige, zurückhaltende Bücher kann niemals etwas gesagt haben, wodurch er sich der Gefahr einer solchen Antwort ausgesetzt hätte. Daß Bucher während seiner amtlichen Thätigkeit sehr wenig freie Zeit hatte und häufig bis in die Nacht hinein thätig sein mußte, ist richtig; er war aber weit entfernt, deshalb dem Fürsten einen Borwurf zu machen, denn dieser konnte sich ebenso wenig Ruhe gönnen. Der Kanzler war gewohnt, Sachen von Wichtigkeit mit seinem vertrauten Rat zu bespreche», und ließ ihn oft uoch sehr spät am Abend zu sich rufen. Einst hatte Bücher Zeit gefunden, eine neue Oper zu besuchen, über die er viel rühmendes gehört hatte. Der zweite Akt hatte kaum begonnen, als er zum Fürsten gebeten wurde. Eiligst verließ er das Opernhaus und wurde mit der Frage empfange»: „Wo komme» Sie denn so spät »och her?" Der Fürst hatte inzwische» wieder vergesse», daß er ihn hatte rufen lassen, meinte aber dann: „Da Sie einmal hier sind, können wir gleich noch verschiednes erledigen." Bücher hat während seiner gauzen Amtszeit nie wieder Zeit und Gelegenheit gehabt, diese Oper zu Ende zu hören; er erzählte mir das aber nur als Kuriosum, ohne eine Spur von Ver¬ druß dabei zu zeigen- Wo viel Licht ist, kau» auch der Schatten nicht fehlen, und der größte Mensch ist nicht frei von Schwäche». Bucher wird die kleine» Schwäche» des Fürsten sehr wohl gelaunt haben, er hat aber nie verächtlich darüber geurteilt, sondern er pflegte zu sagen: „Bismarck ist ein so außerordentlicher Mensch, daß man ihn nicht mit dem gewöhnlichen Maße messen kann." Gelegentlich beschäftigten wir uns gemeinschaftlich mit den» Studium der — übrigens durchaus uuwissensclmftlichen — Phrenologie, und da fanden wir in einem Buche folgendes Urteil über Bismarcks Kopfbiloung: „Festigkeit und Selbstgefühl sind stärker als Borsicht. Bismarck ist kühn und furchtlos, sehr fest, sehr selbstvertrcmeud, etwas herrisch, etwas rücksichtslos." Bücher sagte mir, dieses Urteil sei bei aller UnVollständigkeit im einzelnen doch recht zutreffend; auch die letztgenannten Eigenschaften seien notwendig für einen Mann, der so Gewaltiges zu vollbringen gehabt habe. Bei einer Taufe, die am 2. September 18W stattfand, hatte Bucher Patenstelle übernommen, und antwortete auf eine an die Bedeutung des Tages anknüpfende Rede, er wolle nicht wünsche», daß ein deutscher Politiker noch einmal mit so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, als Bismarck vor Gründung des deutschen Reichs habe überwinden müssen. Daß er über einige Persönlichkeiten dem günstigen Urteil des Kanzlers nicht zustimmte, ist mir bekannt. Aber auch in dieser Hinsicht hat er sich niemals eine Kritik zu Ungunsten des Fürsten erlaubt. Uuter dein 16. April schrieb er mir: „Ich Hütte Ihnen längst geschrieben, wen» mich nicht die öffentlichen Vorgänge der letzten Monate sehr erregt und verstimmt hatten. Ich habe die Anhänglichkeit an den alten Kanzler nicht so leicht abgeschüttelt, wie viele Leute hier, und werde immer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/190>, abgerufen am 27.05.2024.