Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

gern einschränken und überflüssige Arbeiter, besonders solche, die sich unnütz
machen, gehen lassen. Das nicht sehen zu wollen ist eine große Thorheit.

Anders steht die Frage, wenn bei dem Wunsche eines festen Gebirges
gemeint wird, der schwankende Ertrag der Akkordarbeit solle durch einen festen
Tagelohn ersetzt werden. Aber auch dieser Tagelohn konnte nicht verbürgt
werden. Er würde vom Kohlenpreise abhängen.

Was den achtstündigen Arbeitstag oder vielmehr die Einrechnung der
An- und Ausfahrtszeit betrifft, so ist das eine alte Forderung. Aber es ist
eine unbillige Forderung. Den Tausenden von ländlichen Ballhandwerkern fällt
es nicht ein, sich den Weg zur Arbeit bezahlen zu lassen. Wie kommt der
Bergmann dazu? Ist deun die Zeit des Bergmanns so überaus kostbar? Der
Bergmann hat schwere und gefährliche Arbeit zu verrichten. Aber die Arbeit
des Steinbrechers im Bruche, des Holzhauers, des Ackerkuechts, der den ganzen
Tag hinterm Pflug zu gehen hat, ist nicht leichter. Und die Arbeit des Weichen¬
stellers ist nicht ungefährlicher. Welcher von diesen Arbeitern hat den Acht¬
stundentag, und wer erhält 4,50 bis 5 Mark Lohn? Die Vertreter der Bergleute
behaupten, es komme ihnen nicht auf deu Lohn an, und doch hängt auch diese
Frage mit der Lohnfrage zusammen. Der Arbeiter hat die Meinung, die ihm von
seinen Führern vorgepredigt wird, daß mit der Verringerung der Arbeitszeit der
Lohn steigen müsse. Ja, wenn der vorhcmdne Arbeiter unentbehrlich ist, wenn
er nicht durch Zuzug ersetzt, wenn der Betrieb nicht verringert werden kann.

Auch die Forderung eines Schiedsgerichts, das von der einen der beiden
Parteien gewählt und dazu bestimmt ist, den Vorteil dieser Partei wahrzu-
nehmen, ist der reine Übermut, aber er ist ein Hauptpunkt in dem sozialdemo¬
kratischen Plane. Es ist sehr beachtenswert, daß eben jetzt in Amerika in der
Gegend von Pittsburg ein Aufstand der Berg- und Hüttenarbeiter ausge¬
brochen ist, wobei es sich um denselben Punkt handelt.

Und um solcher Forderungen willen legen Tausende von Bergleuten die
Arbeit nieder. Was sie bewegt, ist nicht der-Drang der Not, nicht der Wunsch,
ihr Recht zu erhalten, sondern der, eine Kraftprobe zu machen. Es ist der
Wunsch, die Macht an sich zu reißen. Solchen Erscheinungen gegenüber wird es
wohlgethan sein, alle soziale Romantik beiseite zu lassen und zu begreife", daß
Streiks uicht bloß aus der Not, sondern auch aus dem Übermute entspringen.
Man redet den Arbeitern vor: Haltet zusammen, dann seid ihr die Herren!
und so verleitet man sie, einen Streik zu beginnen, der für sie auch in dem
Falle des Sieges verhängnisvoll werden muß. Der Aufstand hat nicht die
Bedeutung eines Streites über Bedingungen, unter denen man sich vereinigen
will, er ist ein Kampf um die Macht unter Anwendung von Gewalt. Nur
ist es, wie es dein Ende des neunzehnten Jahrhunderts eigentümlich ist, ein
unblutiger Kampf. In Paris haben wir die unblutige Guillotine, in den
Nheinlcinden die unblutige Barrikade.


gern einschränken und überflüssige Arbeiter, besonders solche, die sich unnütz
machen, gehen lassen. Das nicht sehen zu wollen ist eine große Thorheit.

Anders steht die Frage, wenn bei dem Wunsche eines festen Gebirges
gemeint wird, der schwankende Ertrag der Akkordarbeit solle durch einen festen
Tagelohn ersetzt werden. Aber auch dieser Tagelohn konnte nicht verbürgt
werden. Er würde vom Kohlenpreise abhängen.

Was den achtstündigen Arbeitstag oder vielmehr die Einrechnung der
An- und Ausfahrtszeit betrifft, so ist das eine alte Forderung. Aber es ist
eine unbillige Forderung. Den Tausenden von ländlichen Ballhandwerkern fällt
es nicht ein, sich den Weg zur Arbeit bezahlen zu lassen. Wie kommt der
Bergmann dazu? Ist deun die Zeit des Bergmanns so überaus kostbar? Der
Bergmann hat schwere und gefährliche Arbeit zu verrichten. Aber die Arbeit
des Steinbrechers im Bruche, des Holzhauers, des Ackerkuechts, der den ganzen
Tag hinterm Pflug zu gehen hat, ist nicht leichter. Und die Arbeit des Weichen¬
stellers ist nicht ungefährlicher. Welcher von diesen Arbeitern hat den Acht¬
stundentag, und wer erhält 4,50 bis 5 Mark Lohn? Die Vertreter der Bergleute
behaupten, es komme ihnen nicht auf deu Lohn an, und doch hängt auch diese
Frage mit der Lohnfrage zusammen. Der Arbeiter hat die Meinung, die ihm von
seinen Führern vorgepredigt wird, daß mit der Verringerung der Arbeitszeit der
Lohn steigen müsse. Ja, wenn der vorhcmdne Arbeiter unentbehrlich ist, wenn
er nicht durch Zuzug ersetzt, wenn der Betrieb nicht verringert werden kann.

Auch die Forderung eines Schiedsgerichts, das von der einen der beiden
Parteien gewählt und dazu bestimmt ist, den Vorteil dieser Partei wahrzu-
nehmen, ist der reine Übermut, aber er ist ein Hauptpunkt in dem sozialdemo¬
kratischen Plane. Es ist sehr beachtenswert, daß eben jetzt in Amerika in der
Gegend von Pittsburg ein Aufstand der Berg- und Hüttenarbeiter ausge¬
brochen ist, wobei es sich um denselben Punkt handelt.

Und um solcher Forderungen willen legen Tausende von Bergleuten die
Arbeit nieder. Was sie bewegt, ist nicht der-Drang der Not, nicht der Wunsch,
ihr Recht zu erhalten, sondern der, eine Kraftprobe zu machen. Es ist der
Wunsch, die Macht an sich zu reißen. Solchen Erscheinungen gegenüber wird es
wohlgethan sein, alle soziale Romantik beiseite zu lassen und zu begreife», daß
Streiks uicht bloß aus der Not, sondern auch aus dem Übermute entspringen.
Man redet den Arbeitern vor: Haltet zusammen, dann seid ihr die Herren!
und so verleitet man sie, einen Streik zu beginnen, der für sie auch in dem
Falle des Sieges verhängnisvoll werden muß. Der Aufstand hat nicht die
Bedeutung eines Streites über Bedingungen, unter denen man sich vereinigen
will, er ist ein Kampf um die Macht unter Anwendung von Gewalt. Nur
ist es, wie es dein Ende des neunzehnten Jahrhunderts eigentümlich ist, ein
unblutiger Kampf. In Paris haben wir die unblutige Guillotine, in den
Nheinlcinden die unblutige Barrikade.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214006"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> gern einschränken und überflüssige Arbeiter, besonders solche, die sich unnütz<lb/>
machen, gehen lassen.  Das nicht sehen zu wollen ist eine große Thorheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_696"> Anders steht die Frage, wenn bei dem Wunsche eines festen Gebirges<lb/>
gemeint wird, der schwankende Ertrag der Akkordarbeit solle durch einen festen<lb/>
Tagelohn ersetzt werden. Aber auch dieser Tagelohn konnte nicht verbürgt<lb/>
werden.  Er würde vom Kohlenpreise abhängen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_697"> Was den achtstündigen Arbeitstag oder vielmehr die Einrechnung der<lb/>
An- und Ausfahrtszeit betrifft, so ist das eine alte Forderung. Aber es ist<lb/>
eine unbillige Forderung. Den Tausenden von ländlichen Ballhandwerkern fällt<lb/>
es nicht ein, sich den Weg zur Arbeit bezahlen zu lassen. Wie kommt der<lb/>
Bergmann dazu? Ist deun die Zeit des Bergmanns so überaus kostbar? Der<lb/>
Bergmann hat schwere und gefährliche Arbeit zu verrichten. Aber die Arbeit<lb/>
des Steinbrechers im Bruche, des Holzhauers, des Ackerkuechts, der den ganzen<lb/>
Tag hinterm Pflug zu gehen hat, ist nicht leichter. Und die Arbeit des Weichen¬<lb/>
stellers ist nicht ungefährlicher. Welcher von diesen Arbeitern hat den Acht¬<lb/>
stundentag, und wer erhält 4,50 bis 5 Mark Lohn? Die Vertreter der Bergleute<lb/>
behaupten, es komme ihnen nicht auf deu Lohn an, und doch hängt auch diese<lb/>
Frage mit der Lohnfrage zusammen. Der Arbeiter hat die Meinung, die ihm von<lb/>
seinen Führern vorgepredigt wird, daß mit der Verringerung der Arbeitszeit der<lb/>
Lohn steigen müsse. Ja, wenn der vorhcmdne Arbeiter unentbehrlich ist, wenn<lb/>
er nicht durch Zuzug ersetzt, wenn der Betrieb nicht verringert werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_698"> Auch die Forderung eines Schiedsgerichts, das von der einen der beiden<lb/>
Parteien gewählt und dazu bestimmt ist, den Vorteil dieser Partei wahrzu-<lb/>
nehmen, ist der reine Übermut, aber er ist ein Hauptpunkt in dem sozialdemo¬<lb/>
kratischen Plane. Es ist sehr beachtenswert, daß eben jetzt in Amerika in der<lb/>
Gegend von Pittsburg ein Aufstand der Berg- und Hüttenarbeiter ausge¬<lb/>
brochen ist, wobei es sich um denselben Punkt handelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_699"> Und um solcher Forderungen willen legen Tausende von Bergleuten die<lb/>
Arbeit nieder. Was sie bewegt, ist nicht der-Drang der Not, nicht der Wunsch,<lb/>
ihr Recht zu erhalten, sondern der, eine Kraftprobe zu machen. Es ist der<lb/>
Wunsch, die Macht an sich zu reißen. Solchen Erscheinungen gegenüber wird es<lb/>
wohlgethan sein, alle soziale Romantik beiseite zu lassen und zu begreife», daß<lb/>
Streiks uicht bloß aus der Not, sondern auch aus dem Übermute entspringen.<lb/>
Man redet den Arbeitern vor: Haltet zusammen, dann seid ihr die Herren!<lb/>
und so verleitet man sie, einen Streik zu beginnen, der für sie auch in dem<lb/>
Falle des Sieges verhängnisvoll werden muß. Der Aufstand hat nicht die<lb/>
Bedeutung eines Streites über Bedingungen, unter denen man sich vereinigen<lb/>
will, er ist ein Kampf um die Macht unter Anwendung von Gewalt. Nur<lb/>
ist es, wie es dein Ende des neunzehnten Jahrhunderts eigentümlich ist, ein<lb/>
unblutiger Kampf. In Paris haben wir die unblutige Guillotine, in den<lb/>
Nheinlcinden die unblutige Barrikade.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] gern einschränken und überflüssige Arbeiter, besonders solche, die sich unnütz machen, gehen lassen. Das nicht sehen zu wollen ist eine große Thorheit. Anders steht die Frage, wenn bei dem Wunsche eines festen Gebirges gemeint wird, der schwankende Ertrag der Akkordarbeit solle durch einen festen Tagelohn ersetzt werden. Aber auch dieser Tagelohn konnte nicht verbürgt werden. Er würde vom Kohlenpreise abhängen. Was den achtstündigen Arbeitstag oder vielmehr die Einrechnung der An- und Ausfahrtszeit betrifft, so ist das eine alte Forderung. Aber es ist eine unbillige Forderung. Den Tausenden von ländlichen Ballhandwerkern fällt es nicht ein, sich den Weg zur Arbeit bezahlen zu lassen. Wie kommt der Bergmann dazu? Ist deun die Zeit des Bergmanns so überaus kostbar? Der Bergmann hat schwere und gefährliche Arbeit zu verrichten. Aber die Arbeit des Steinbrechers im Bruche, des Holzhauers, des Ackerkuechts, der den ganzen Tag hinterm Pflug zu gehen hat, ist nicht leichter. Und die Arbeit des Weichen¬ stellers ist nicht ungefährlicher. Welcher von diesen Arbeitern hat den Acht¬ stundentag, und wer erhält 4,50 bis 5 Mark Lohn? Die Vertreter der Bergleute behaupten, es komme ihnen nicht auf deu Lohn an, und doch hängt auch diese Frage mit der Lohnfrage zusammen. Der Arbeiter hat die Meinung, die ihm von seinen Führern vorgepredigt wird, daß mit der Verringerung der Arbeitszeit der Lohn steigen müsse. Ja, wenn der vorhcmdne Arbeiter unentbehrlich ist, wenn er nicht durch Zuzug ersetzt, wenn der Betrieb nicht verringert werden kann. Auch die Forderung eines Schiedsgerichts, das von der einen der beiden Parteien gewählt und dazu bestimmt ist, den Vorteil dieser Partei wahrzu- nehmen, ist der reine Übermut, aber er ist ein Hauptpunkt in dem sozialdemo¬ kratischen Plane. Es ist sehr beachtenswert, daß eben jetzt in Amerika in der Gegend von Pittsburg ein Aufstand der Berg- und Hüttenarbeiter ausge¬ brochen ist, wobei es sich um denselben Punkt handelt. Und um solcher Forderungen willen legen Tausende von Bergleuten die Arbeit nieder. Was sie bewegt, ist nicht der-Drang der Not, nicht der Wunsch, ihr Recht zu erhalten, sondern der, eine Kraftprobe zu machen. Es ist der Wunsch, die Macht an sich zu reißen. Solchen Erscheinungen gegenüber wird es wohlgethan sein, alle soziale Romantik beiseite zu lassen und zu begreife», daß Streiks uicht bloß aus der Not, sondern auch aus dem Übermute entspringen. Man redet den Arbeitern vor: Haltet zusammen, dann seid ihr die Herren! und so verleitet man sie, einen Streik zu beginnen, der für sie auch in dem Falle des Sieges verhängnisvoll werden muß. Der Aufstand hat nicht die Bedeutung eines Streites über Bedingungen, unter denen man sich vereinigen will, er ist ein Kampf um die Macht unter Anwendung von Gewalt. Nur ist es, wie es dein Ende des neunzehnten Jahrhunderts eigentümlich ist, ein unblutiger Kampf. In Paris haben wir die unblutige Guillotine, in den Nheinlcinden die unblutige Barrikade.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/214>, abgerufen am 26.05.2024.