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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand der Bergarbeiter

Der Streik ist genau nach dem sozialdemokratischen Schema ? eingerichtet,
er trifft im Kernpunkte genau mit dem Aufstande der Buchdrucker in Berlin
und Leipzig und dem der Cigarrenmacher in Magdeburg und andern Städten
der Provinz Sachsen zusammen. Die Forderung der Cigarrenmacher bestand
darin, daß eine Arbeiterkommission den Lohn zu regeln und darüber zu be¬
stimmen hätte, welche Arbeiter anzunehmen oder zurückzuweisen seien. Damit
wäre die Expropriation des Fabrikanten ausgesprochen gewesen. Dnsselbe tritt
bei dem Aufstande im Saargebiete hervor; es wird offen ausgesprochen, der
Rechtsschutzverein müsse die höchste Potenz im Revier werden. Die Berg¬
behörde, die sich selbst absetzen würde, wenn sie darauf einginge, hat die Ant¬
wort gegeben, daß sie mit dem Rechtsschutzverein nicht verhandle. Ein Auf¬
stand, der diesen Punkt zum Gegenstände des Streites macht, muß mißlingen,
solange es noch Arbeitgeber giebt. Denn hier ist die Grenze, wo der Streik
der Arbeitgeber anfängt und anfangen muß.

Was aber diesen Aufstand ganz besonders bezeichnet, ist die Erscheinung,
daß er in Bezirke übergreift, deren Bevölkerung mit dem Gegenstande des
Streiks gar nichts zu thun hat. Die Bergleute des Nuhrgebiets legen, ohne
zu kündigen, ohne Forderungen zu stellen, einfach, um ihre streikenden Kame¬
raden an der Saar zu unterstützen, die Arbeit nieder, und die Ausständigen
zwingen ihre noch arbeitenden Kameraden, sich ihnen anzuschließen. Wo soll
das hinführen? Hier liegt eine ernste Gefahr für Staat und Gesellschaft vor.

Nächst dem Korn ist die Kohle das unentbehrlichste wirtschaftliche Pro¬
dukt. Kaum ein Haus kann heutzutage ohne Kohle auskommen. Viele In¬
dustriezweige, die Eisenindustrie, der Eisenbahn- und Dampfschiffsverkehr können
ohne Kohlen gar nichts anfangen. Der Mangel an Kohlen bringt die gesamten
Maschinen des Erwerbslebens zum Stillstand und nimmt Millionen von
Menschen das Brot. Ein einziger Verlorner Arbeitstag bedeutet eine große
Summe von Verlust. Ja selbst die Wehrfähigkeit des Staats wird in Frage
gestellt. Es wäre thöricht, als sicher anzunehmen, daß die Bergleute in einem
Kriegsfalle aus Patriotismus einen Aufstand unterlassen würden, der ihnen
Vorteile verspräche.

Angesichts so großer Gefahren hat man bereits nach dem großen Auf¬
stande vom Mai 1889 deu Gedanken ausgesprochen, der Steinkohlenbergbau
müsse verstaatlicht werden. Also das alte Universalmittel: wenn etwas im ein¬
zelnen nicht gehn will, so soll es allemal der Staat in die Hand nehmen,
als ob der Staat der Inbegriff alles Guten auf Erden wäre. Wäre die Lage
die, daß der Bergmann von einer kurzsichtigen und engherzigen Industrie aus¬
gebeutet würde, so könnte man auf den Staat verweisen, man könnte an¬
nehmen, daß der Staat bei seinen höhern Gesichtspunkten den guten Willen
und die Macht habe, seine Leute besser zu behandeln. Aber verschenken könnte
der Staat auch nichts. Er hat dem Landtage Rechnung zu legen, er hat


Der Aufstand der Bergarbeiter

Der Streik ist genau nach dem sozialdemokratischen Schema ? eingerichtet,
er trifft im Kernpunkte genau mit dem Aufstande der Buchdrucker in Berlin
und Leipzig und dem der Cigarrenmacher in Magdeburg und andern Städten
der Provinz Sachsen zusammen. Die Forderung der Cigarrenmacher bestand
darin, daß eine Arbeiterkommission den Lohn zu regeln und darüber zu be¬
stimmen hätte, welche Arbeiter anzunehmen oder zurückzuweisen seien. Damit
wäre die Expropriation des Fabrikanten ausgesprochen gewesen. Dnsselbe tritt
bei dem Aufstande im Saargebiete hervor; es wird offen ausgesprochen, der
Rechtsschutzverein müsse die höchste Potenz im Revier werden. Die Berg¬
behörde, die sich selbst absetzen würde, wenn sie darauf einginge, hat die Ant¬
wort gegeben, daß sie mit dem Rechtsschutzverein nicht verhandle. Ein Auf¬
stand, der diesen Punkt zum Gegenstände des Streites macht, muß mißlingen,
solange es noch Arbeitgeber giebt. Denn hier ist die Grenze, wo der Streik
der Arbeitgeber anfängt und anfangen muß.

Was aber diesen Aufstand ganz besonders bezeichnet, ist die Erscheinung,
daß er in Bezirke übergreift, deren Bevölkerung mit dem Gegenstande des
Streiks gar nichts zu thun hat. Die Bergleute des Nuhrgebiets legen, ohne
zu kündigen, ohne Forderungen zu stellen, einfach, um ihre streikenden Kame¬
raden an der Saar zu unterstützen, die Arbeit nieder, und die Ausständigen
zwingen ihre noch arbeitenden Kameraden, sich ihnen anzuschließen. Wo soll
das hinführen? Hier liegt eine ernste Gefahr für Staat und Gesellschaft vor.

Nächst dem Korn ist die Kohle das unentbehrlichste wirtschaftliche Pro¬
dukt. Kaum ein Haus kann heutzutage ohne Kohle auskommen. Viele In¬
dustriezweige, die Eisenindustrie, der Eisenbahn- und Dampfschiffsverkehr können
ohne Kohlen gar nichts anfangen. Der Mangel an Kohlen bringt die gesamten
Maschinen des Erwerbslebens zum Stillstand und nimmt Millionen von
Menschen das Brot. Ein einziger Verlorner Arbeitstag bedeutet eine große
Summe von Verlust. Ja selbst die Wehrfähigkeit des Staats wird in Frage
gestellt. Es wäre thöricht, als sicher anzunehmen, daß die Bergleute in einem
Kriegsfalle aus Patriotismus einen Aufstand unterlassen würden, der ihnen
Vorteile verspräche.

Angesichts so großer Gefahren hat man bereits nach dem großen Auf¬
stande vom Mai 1889 deu Gedanken ausgesprochen, der Steinkohlenbergbau
müsse verstaatlicht werden. Also das alte Universalmittel: wenn etwas im ein¬
zelnen nicht gehn will, so soll es allemal der Staat in die Hand nehmen,
als ob der Staat der Inbegriff alles Guten auf Erden wäre. Wäre die Lage
die, daß der Bergmann von einer kurzsichtigen und engherzigen Industrie aus¬
gebeutet würde, so könnte man auf den Staat verweisen, man könnte an¬
nehmen, daß der Staat bei seinen höhern Gesichtspunkten den guten Willen
und die Macht habe, seine Leute besser zu behandeln. Aber verschenken könnte
der Staat auch nichts. Er hat dem Landtage Rechnung zu legen, er hat


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[0215] Der Aufstand der Bergarbeiter Der Streik ist genau nach dem sozialdemokratischen Schema ? eingerichtet, er trifft im Kernpunkte genau mit dem Aufstande der Buchdrucker in Berlin und Leipzig und dem der Cigarrenmacher in Magdeburg und andern Städten der Provinz Sachsen zusammen. Die Forderung der Cigarrenmacher bestand darin, daß eine Arbeiterkommission den Lohn zu regeln und darüber zu be¬ stimmen hätte, welche Arbeiter anzunehmen oder zurückzuweisen seien. Damit wäre die Expropriation des Fabrikanten ausgesprochen gewesen. Dnsselbe tritt bei dem Aufstande im Saargebiete hervor; es wird offen ausgesprochen, der Rechtsschutzverein müsse die höchste Potenz im Revier werden. Die Berg¬ behörde, die sich selbst absetzen würde, wenn sie darauf einginge, hat die Ant¬ wort gegeben, daß sie mit dem Rechtsschutzverein nicht verhandle. Ein Auf¬ stand, der diesen Punkt zum Gegenstände des Streites macht, muß mißlingen, solange es noch Arbeitgeber giebt. Denn hier ist die Grenze, wo der Streik der Arbeitgeber anfängt und anfangen muß. Was aber diesen Aufstand ganz besonders bezeichnet, ist die Erscheinung, daß er in Bezirke übergreift, deren Bevölkerung mit dem Gegenstande des Streiks gar nichts zu thun hat. Die Bergleute des Nuhrgebiets legen, ohne zu kündigen, ohne Forderungen zu stellen, einfach, um ihre streikenden Kame¬ raden an der Saar zu unterstützen, die Arbeit nieder, und die Ausständigen zwingen ihre noch arbeitenden Kameraden, sich ihnen anzuschließen. Wo soll das hinführen? Hier liegt eine ernste Gefahr für Staat und Gesellschaft vor. Nächst dem Korn ist die Kohle das unentbehrlichste wirtschaftliche Pro¬ dukt. Kaum ein Haus kann heutzutage ohne Kohle auskommen. Viele In¬ dustriezweige, die Eisenindustrie, der Eisenbahn- und Dampfschiffsverkehr können ohne Kohlen gar nichts anfangen. Der Mangel an Kohlen bringt die gesamten Maschinen des Erwerbslebens zum Stillstand und nimmt Millionen von Menschen das Brot. Ein einziger Verlorner Arbeitstag bedeutet eine große Summe von Verlust. Ja selbst die Wehrfähigkeit des Staats wird in Frage gestellt. Es wäre thöricht, als sicher anzunehmen, daß die Bergleute in einem Kriegsfalle aus Patriotismus einen Aufstand unterlassen würden, der ihnen Vorteile verspräche. Angesichts so großer Gefahren hat man bereits nach dem großen Auf¬ stande vom Mai 1889 deu Gedanken ausgesprochen, der Steinkohlenbergbau müsse verstaatlicht werden. Also das alte Universalmittel: wenn etwas im ein¬ zelnen nicht gehn will, so soll es allemal der Staat in die Hand nehmen, als ob der Staat der Inbegriff alles Guten auf Erden wäre. Wäre die Lage die, daß der Bergmann von einer kurzsichtigen und engherzigen Industrie aus¬ gebeutet würde, so könnte man auf den Staat verweisen, man könnte an¬ nehmen, daß der Staat bei seinen höhern Gesichtspunkten den guten Willen und die Macht habe, seine Leute besser zu behandeln. Aber verschenken könnte der Staat auch nichts. Er hat dem Landtage Rechnung zu legen, er hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/215>, abgerufen am 23.05.2024.