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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Stellei? vor, die den Anschein erwecken, als ob man zu Relativsätzen griffe,
um nur das brave welcher anwenden zu können. So heißt es in § 310:
"Die Abtretung einer Forderung, welche dem Abtretenden nicht zustand, wird
wirksam, wenn sie von demjenigen, welchem die Forderung zusteht, ge¬
nehmigt wird, oder wenn der Abtretende von demjenigen, welchem die
Forderung zusteht, beerbt wird." Was wäre gegen folgende einfache Fassung
einzuwenden: "Die Abtretung einer dem Abtretenden nicht zustehenden Forderung
wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt, oder wenn er den Ab¬
tretenden beerbt?" Nur der Beständigkeit zuliebe heißt es in dem Entwurf
sogar: ein Jeder, welcher. Sprechen würden die Verfasser ganz gewiß nicht so.

Einer besondern Verehrung erfreut sich auch das wackre Wort derselbe,
dieser treue Freund und Retter aller derer, die nicht wissen, ob und wann sie
er oder dieser sagen sollen, das Schoßkind derer, die "dasselbe" für den
Gipfelpunkt aller Schriftstellerkuust halten. Ich meine das Wort in dem
Sinne, der sich ergiebt, wenn man keine seiner drei Silben betont. Wer diesem
Worte, dem Inbegriff des Hölzernen, Stelzbeinigen, Anmutloseu zugethan
ist, der wird an dem Entwurf eine rechte Freude haben, denn "derselbe"
strotzt von "demselben." Keine Seite ohne derselbe, in mancher Bestim¬
mung drei-, viermal derselbe.

Einen Bleiklumpen nennt Wnstmnnn das Wort, einen entnervten Muskel
Schröder in seiner bekannten Abhandlung in den Preußischen Jahrbüchern.
Die Verehrer können sich freilich auf Goethe berufen, aber -- nur auf den
alternden, wie er uns in der zweiten Hälfte seines Briefwechsels mit Schiller
und in "Dichtung und Wahrheit" entgegentritt; auch auf den Prosaiker
Schiller und auf Ranke, der in "demselben" schweigt wie -- nun wie der
Entwurf. Ich möchte es lieber mit Wustmcmu halten, wenn er sagt: "Könnte
man unsrer Schriftsprache dieses Wort abnehmen, schon dadurch allem würde
sie Flügel zu bekommen scheinen." Ganz entbehren können wir es allerdings
nicht; oft dient es der Deutlichkeit, zuweilen läßt es sich ohne gänzliche Ver¬
änderung des Satzes überhaupt nicht ersetzen. Wenn es in § 388 des Entwurfs
heißt: "Hat der Veräußerer eines Grundstückes eine bestimmte Größe des¬
selben zugesichert," so wüßte ich nicht, wie man anders sagen könnte.*)
Allein der Entwurf gebraucht das Wort erstens vielfach da, wo es einfach
gestrichen werden kann, zweitens da, wo es fälschlich sür er und dieser steht,




Sehr einfach so: "Hat der Veräußercr eine bestimmte Größe des Grundstücks zu¬
gesichert." Die Grenzboten schreiben schon seit Jahren auch kein derselbe mehr, außer in
der Bedeutung iclom. Dort schreiben sie es aber auch, und nicht etwa der gleiche oder der
D, R. nämliche.
Bemerkung des Verfassers: Diese Fassung wäre möglich, wenn schon vorher von einem
Grundstückskaufe die Rede wäre. Der Paragraph behandelt aber einen Kauf dieser Art als
G. einen besondern, mit besondern Rechtsfolge" der Zusicherung einer bestimmten Größe.
Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

Stellei? vor, die den Anschein erwecken, als ob man zu Relativsätzen griffe,
um nur das brave welcher anwenden zu können. So heißt es in § 310:
„Die Abtretung einer Forderung, welche dem Abtretenden nicht zustand, wird
wirksam, wenn sie von demjenigen, welchem die Forderung zusteht, ge¬
nehmigt wird, oder wenn der Abtretende von demjenigen, welchem die
Forderung zusteht, beerbt wird." Was wäre gegen folgende einfache Fassung
einzuwenden: „Die Abtretung einer dem Abtretenden nicht zustehenden Forderung
wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt, oder wenn er den Ab¬
tretenden beerbt?" Nur der Beständigkeit zuliebe heißt es in dem Entwurf
sogar: ein Jeder, welcher. Sprechen würden die Verfasser ganz gewiß nicht so.

Einer besondern Verehrung erfreut sich auch das wackre Wort derselbe,
dieser treue Freund und Retter aller derer, die nicht wissen, ob und wann sie
er oder dieser sagen sollen, das Schoßkind derer, die „dasselbe" für den
Gipfelpunkt aller Schriftstellerkuust halten. Ich meine das Wort in dem
Sinne, der sich ergiebt, wenn man keine seiner drei Silben betont. Wer diesem
Worte, dem Inbegriff des Hölzernen, Stelzbeinigen, Anmutloseu zugethan
ist, der wird an dem Entwurf eine rechte Freude haben, denn „derselbe"
strotzt von „demselben." Keine Seite ohne derselbe, in mancher Bestim¬
mung drei-, viermal derselbe.

Einen Bleiklumpen nennt Wnstmnnn das Wort, einen entnervten Muskel
Schröder in seiner bekannten Abhandlung in den Preußischen Jahrbüchern.
Die Verehrer können sich freilich auf Goethe berufen, aber — nur auf den
alternden, wie er uns in der zweiten Hälfte seines Briefwechsels mit Schiller
und in „Dichtung und Wahrheit" entgegentritt; auch auf den Prosaiker
Schiller und auf Ranke, der in „demselben" schweigt wie — nun wie der
Entwurf. Ich möchte es lieber mit Wustmcmu halten, wenn er sagt: „Könnte
man unsrer Schriftsprache dieses Wort abnehmen, schon dadurch allem würde
sie Flügel zu bekommen scheinen." Ganz entbehren können wir es allerdings
nicht; oft dient es der Deutlichkeit, zuweilen läßt es sich ohne gänzliche Ver¬
änderung des Satzes überhaupt nicht ersetzen. Wenn es in § 388 des Entwurfs
heißt: „Hat der Veräußerer eines Grundstückes eine bestimmte Größe des¬
selben zugesichert," so wüßte ich nicht, wie man anders sagen könnte.*)
Allein der Entwurf gebraucht das Wort erstens vielfach da, wo es einfach
gestrichen werden kann, zweitens da, wo es fälschlich sür er und dieser steht,




Sehr einfach so: „Hat der Veräußercr eine bestimmte Größe des Grundstücks zu¬
gesichert." Die Grenzboten schreiben schon seit Jahren auch kein derselbe mehr, außer in
der Bedeutung iclom. Dort schreiben sie es aber auch, und nicht etwa der gleiche oder der
D, R. nämliche.
Bemerkung des Verfassers: Diese Fassung wäre möglich, wenn schon vorher von einem
Grundstückskaufe die Rede wäre. Der Paragraph behandelt aber einen Kauf dieser Art als
G. einen besondern, mit besondern Rechtsfolge» der Zusicherung einer bestimmten Größe.
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[0239] Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs Stellei? vor, die den Anschein erwecken, als ob man zu Relativsätzen griffe, um nur das brave welcher anwenden zu können. So heißt es in § 310: „Die Abtretung einer Forderung, welche dem Abtretenden nicht zustand, wird wirksam, wenn sie von demjenigen, welchem die Forderung zusteht, ge¬ nehmigt wird, oder wenn der Abtretende von demjenigen, welchem die Forderung zusteht, beerbt wird." Was wäre gegen folgende einfache Fassung einzuwenden: „Die Abtretung einer dem Abtretenden nicht zustehenden Forderung wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt, oder wenn er den Ab¬ tretenden beerbt?" Nur der Beständigkeit zuliebe heißt es in dem Entwurf sogar: ein Jeder, welcher. Sprechen würden die Verfasser ganz gewiß nicht so. Einer besondern Verehrung erfreut sich auch das wackre Wort derselbe, dieser treue Freund und Retter aller derer, die nicht wissen, ob und wann sie er oder dieser sagen sollen, das Schoßkind derer, die „dasselbe" für den Gipfelpunkt aller Schriftstellerkuust halten. Ich meine das Wort in dem Sinne, der sich ergiebt, wenn man keine seiner drei Silben betont. Wer diesem Worte, dem Inbegriff des Hölzernen, Stelzbeinigen, Anmutloseu zugethan ist, der wird an dem Entwurf eine rechte Freude haben, denn „derselbe" strotzt von „demselben." Keine Seite ohne derselbe, in mancher Bestim¬ mung drei-, viermal derselbe. Einen Bleiklumpen nennt Wnstmnnn das Wort, einen entnervten Muskel Schröder in seiner bekannten Abhandlung in den Preußischen Jahrbüchern. Die Verehrer können sich freilich auf Goethe berufen, aber — nur auf den alternden, wie er uns in der zweiten Hälfte seines Briefwechsels mit Schiller und in „Dichtung und Wahrheit" entgegentritt; auch auf den Prosaiker Schiller und auf Ranke, der in „demselben" schweigt wie — nun wie der Entwurf. Ich möchte es lieber mit Wustmcmu halten, wenn er sagt: „Könnte man unsrer Schriftsprache dieses Wort abnehmen, schon dadurch allem würde sie Flügel zu bekommen scheinen." Ganz entbehren können wir es allerdings nicht; oft dient es der Deutlichkeit, zuweilen läßt es sich ohne gänzliche Ver¬ änderung des Satzes überhaupt nicht ersetzen. Wenn es in § 388 des Entwurfs heißt: „Hat der Veräußerer eines Grundstückes eine bestimmte Größe des¬ selben zugesichert," so wüßte ich nicht, wie man anders sagen könnte.*) Allein der Entwurf gebraucht das Wort erstens vielfach da, wo es einfach gestrichen werden kann, zweitens da, wo es fälschlich sür er und dieser steht, Sehr einfach so: „Hat der Veräußercr eine bestimmte Größe des Grundstücks zu¬ gesichert." Die Grenzboten schreiben schon seit Jahren auch kein derselbe mehr, außer in der Bedeutung iclom. Dort schreiben sie es aber auch, und nicht etwa der gleiche oder der D, R. nämliche. Bemerkung des Verfassers: Diese Fassung wäre möglich, wenn schon vorher von einem Grundstückskaufe die Rede wäre. Der Paragraph behandelt aber einen Kauf dieser Art als G. einen besondern, mit besondern Rechtsfolge» der Zusicherung einer bestimmten Größe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/239>, abgerufen am 06.06.2024.